Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 407/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 150 Nr. 3 SGG ist gegenüber § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG erweiternd dahin auszulegen, daß die Berufung auch zulässig ist, wenn sich der ursächliche Zusammenhang zwischen einer vers. Tätigkeit und einem Unfallereignis im Streit befindet.
Ein prakt. Arzt, der nächtlichen Bereitschaftsdienst hat, steht auf dem Weg von seiner Zeit zum Telefon auch dann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn nicht feststeht, ob es sich um einen Patientenanruf handelte.
Ein prakt. Arzt, der nächtlichen Bereitschaftsdienst hat, steht auf dem Weg von seiner Zeit zum Telefon auch dann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn nicht feststeht, ob es sich um einen Patientenanruf handelte.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. vom 1. April 1970 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte dem Grund nach verurteilt wird, der Klägerin diejenigen Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, die ihrem Ehemann wegen des am 1. März 1967 erlittenen Arbeitsunfalls zustehen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der inzwischen verstorbene Ehemann der Klägerin, der im Jahre 1885 geborene Dr. med. W. E., war bei der Beklagten freiwillig gegen Unfall versichert. Am 7. April 1967 teilte er der Beklagten mit, am 1. März 1967 gegen 5.00 Uhr habe das Telefon in seinem Flur geläutet. Bei dem Versuch, das Gespräch entgegenzunehmen sei er wahrscheinlich über den Bettläufer gestolpert und habe sich dabei eine Gehirnerschütterung mit Bewußtlosigkeit sowie eine blutende Kopfwunde zugezogen. Er habe bis zu dem Unfall noch seine Praxis versehen und angenommen, daß er von einem Patienten angerufen worden sei. Am 20. Mai 1967 bestätigte Dr. med. K. der Beklagten, daß der Kläger noch arbeitsunfähig sei.
Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Unfallentschädigung mit Bescheid vom 24. August 1967 ab, weil nicht erwiesen sei, daß durch den Telefonanruf die ärztliche Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin hätte beginnen sollen. Es stehe weder fest, wer angerufen habe, noch ob dieser Anrufer die ärztliche Hilfe des Ehemannes der Klägerin habe in Ansprach nehmen wollen. Auch begründe die bloße Absicht, eine Betriebstätigkeit auszuüben oder der Gang zu einer beabsichtigten Betriebstätigkeit noch keinen Versicherungsschutz. Die Betriebstätigkeit müsse vielmehr erkennbar begonnen worden sein. Es habe sich somit nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt.
Gegen diesen Bescheid hat der Ehemann der Klägerin am 22. September 1967 bei dem Sozialgericht Marburg/L. Klage erhoben.
Während des Klageverfahrens ist er am 8. Juni 1968 verstorben. Die jetzige Klägerin – seine Ehefrau – hat das Verfahren fortgesetzt. Sie legte einen Heirats- und Todesschein sowie eine Bescheinigung des Bürgermeisters von V. darüber vor, daß sie mit ihrem Ehemann in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe und von diesem unterhalten worden sei.
Das Sozialgericht hörte den Sohn W. der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 12. November 1969 und holte von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen eine Auskunft über die Berufstätigkeit des Ehemannes der Klägerin im Unfallzeitpunkt ein. Danach war dieser bis zum 31. März 1967 zu allen Kassen zugelassen und rechnete im Jahr 1966 etwa 780 Krankenscheine ab.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 1. April 1970 den Bescheid vom 24. August 1967 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den von Dr. W. E. am 1. März 1967 erlittenen Unfall bis zu dessen am 8. Juni 1968 erfolgten Tod zu entschädigen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, der Ehemann der Klägerin im Unfallzeitpunkt noch als prakt. Arzt in V. tätig gewesen sei, müsse angenommen werden, das der Telefonanruf morgens um 5.00 Uhr ihm als Arzt und nicht als Privatperson gegolten habe. Zwischen seiner ärztlichen Tätigkeit und dem Sturz bestehe daher ein innerer ursächlicher Zusammenhang. Ein Arzt, der beim Anruf eines Patienten an das Telefon gehe, übe in gleichem Maße eine zu seinem Arztberuf gehörende Tätigkeit sowohl in seinen Praxisräumen als auch in seiner Wohnung aus.
Gegen das ihr am 10. April 1970 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. Mai 1970, einem Montag, Berufung eingelegt. Sie führt u.a. aus, die Berufung sei statthaft und auch begründet, denn es habe sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt. Zu der Frage, ob ein Patient angerufen habe, hätte die Klägerin persönlich gehört werden müssen. Im übrigens reiche die bloße Absicht, eine Betriebstätigkeit auszuüben, oder der Gang zu einer beabsichtigten Betriebstätigkeit nicht aus, um einen Arbeitsunfall zu begründen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. vom 1. April 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise,
als unbegründet zurückzuweisen.
Sie führt aus, die Berufung sei nach § 145 Nr. 3 SGG unzulässig und im übrigen auch unbegründet. Ihr Ehemann sei am 1. März 1967 um 5.00 Uhr, als das Telefon geläutet habe, der Gefahr des Sturzes erlegen, weil er durch das Läuten aus dem Schlaf aufgeschreckt und durch die plötzlich infolge des Lichteinschaltens eingetretene Helligkeit sich in seiner Wohnung nicht so habe bewegen können, wie es sonst bei ihm üblich gewesen sei, zumal wegen des nächtlichen Telefonanrufs Eile bestanden habe. Da er als Landarzt Nachtdienstbereitschaft gehabt habe, seine ärztliche Tätigkeit mit dem Zurücklegen des Weges zum Telefon eng verknüpft gewesen, so daß es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt habe.
Die Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung am 14. Juni 1972 persönlich gehört worden. Sie gab an, ihr Ehemann habe damit rechnen müssen, daß es sich um den Anruf eines Patienten handelte, da nachts niemals ein Privatanruf erfolgt sei. Nachtanrufe von Patienten seien wöchentlich mindestens 1 bis 2 mal zu verschiedenen Zeiten vorgekommen. Hierbei sei ihr Ehemann stets sofort persönlich an den Apparat gegangen. In der Unfallnacht habe sie das Telefon läuten hören und bemerkt, daß ihr Ehemann das Licht eingeschaltet habe und aufgestanden sei. Plötzlich habe sie den Aufschlag ihres Ehemannes auf den Fußboden bzw. den Bettvorleger gehört und sei sofort um die Ehebetten herum zu ihm geeilt. Ihr Ehemann habe sich bis zu dem Unfall noch so wohl gefühlt, daß er seinen Dienst als Arzt habe verrichten können.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt sowie auf den der Leistungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.
Da der streitige Anspruch wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen (1. März 1967 bis 8. Juni 1968) betrifft, steht § 144 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen.
Der Berufungsausschließungsgrund des § 145 Nr. 2 SGG (Rente für bereits abgelaufene Zeiträume) greift ebenfalls nicht ein. Die Berufung betrifft nämlich Leistungen schlechthin, wozu auch der Anspruch auf Verletztengeld gehört (vgl. BSG Urteil v. 27.10.1967 – 2 RU 222/65 SozR RVO § 560 Nr. 1). Die Regelung des Verletztengeldes die seit dem 10. Juli 1963 die bis dahin vorgesehenen Leistungen abgelöst hat, unterscheidet sich aber nach Zweck, Voraussetzung und Berechnungsgrundlage so erheblich von der in § 145 Nr. 2 SGG nur angeführten "Rente”, daß auch eine entsprechende Anwendung dieser Ausnahmevorschrift nicht in Betracht kommt.
Ungeachtet dieser Bestimmung wäre die Berufung aber gemäß § 150 Nr. 3 SGG zulässig. Zwar steht im vorliegenden Falle lediglich der ursächliche Zusammenhang zwischen einem Unfallereignis und einer versicherten Tätigkeit zur Entscheidung, nicht jedoch – dem Wortlaut des § 150 Nr. 3 SGG entsprechend – der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einem Arbeitsunfall. Die Frage, ob beide Fälle gleich zu behandeln sind, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung I S. 250 × mit Nachweisen; für enge Auslegung: Carstensen, Zentralblatt für Versicherung und Versorgung 55, 261 ff. Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zum SGG, § 150 Anm. 4; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 27.9.1967 abgedruckt in "Rechtsprechungsdienst der Sozialgerichtsbarkeit,” 9000, § 144 SGG S. 15; für weite Auslegung: Hoffmann SGb 57, 33, 34). Peters-Sautter-Wolff (Kommentar zum SGG, § 150 Anm. 4) beziehen sich zu Unrecht auf die zu § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG ergangene Entscheidung des Großen Senates des Bundessozialgerichtes (Urt. v. 21.11.1957, BSGE Bd. 6 S. 120), in der diese Bestimmung nicht auch auf die Frage des ursächlichen Zusammenhangs eines Unfallereignisses mit einer Tätigkeit i.S. des § 542 Abs. 1 RVO a.F. erstreckt worden ist. Das Bundessozialgericht hat nämlich ausdrücklich festgestellt (a.a.O., S. 122, 124), daß diese Entscheidung nicht die Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes berühre, die eine ähnliche Fassung wie § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG hätten; diese Regelungen unterschieden sich nicht nur im Wortlaut voneinander sondern hätten auch eine verschiedene Stellung im Verfahren.
Das Bundessozialgericht stützt seine Entscheidung einmal auf den Wortlaut des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG, der eine vollständige Überprüfung der mit dem Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 542 RVO a.F. zusammenhängenden Rechtsfragen ausschließe, vielmehr nur einen kleinen "Ausschnitt” von Fällen zulasse, soweit er nämlich den Zusammenhang von Gesundheitsstörungen mit einem Unfallereignis betreffe. In systematischer Sicht wird die Begründung unter Berücksichtigung der übrigen Voraussetzungen der Statthaftigkeit der Revision im wesentlichen darauf gestützt, daß keine Gründe ersichtlich seien, die Revision in der gesetzlichen Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung in einem wesentlich weiteren Umfang statthaft sein zu lassen als auf anderen der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Gebieten. Ferner müsse es sich bei den die Anwendbarkeit des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG rechtfertigenden Voraussetzungen um eine Beurteilung handeln, die beiden Rechtsgebieten, sowohl der Unfallversicherung als auch der Kriegsopferversorgung, gemeinsam sei; das aber sei nur die ursächliche Verknüpfung der Gesundheitsstörung oder des Todes einerseits mit einem Arbeitsunfall oder einer Schädigung i.S. des Bundesversorgungsgesetzes andererseits. Zwar seien die Fragen hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale von Arbeitsunfall und Schädigung i.S. des Bundesversorgungsgesetzes wichtig, aber nicht wesensgleich und auch nicht wichtiger oder schwieriger als andere Anspruchsvoraussetzungen der der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Gebiete. Schließlich bleibe der Norm auch bei enger Auslegung noch eine ausreichende Bedeutung.
Gegen diese Auffassung sind erhebliche Bedenken geäußert worden (vgl. z.B. Münzel in BG 57, 205 ff.), auf die hier jedoch aus Gründen der andersgearteten Funktion des § 150 Nr. 3 SGG gegenüber der Regelung des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht eingegangen zu werden braucht. Jedenfalls ist aber § 150 Nr. 3 SGG gegenüber § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG erweiternd auszulegen. Gerade die Kausalitätsprobleme in der Unfallversicherung verschließen sich fast völlig einer gesetzlichen Regelung, sind aber für Einzelnen von so großer Tragweite, daß allein die Möglichkeit des Eingreifens anderer Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Berufung nicht ausreicht. Deshalb ist es nach Auffassung des Senats notwendig, insoweit eine weitere Tatsacheninstanz zu eröffnen.
Schließlich ist aber die Berufung gemäß § 150 Nr. 2 zulässig, da die Beklagte in ihrer Berufungsschrift zu Recht einen wesentlichen Verfahrensmangel darin erblickt, daß das Sozialgericht die Klägerin nicht persönlich gehört hat. Diese unzureichende Aufklärung des Sachverhaltes stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (§ 103 SGG). Nach der Überzeugung des Senats war die persönliche Anhörung der Klägerin notwendig, insbesondere über den Unfallhergang, dessen nähere Umstände, die Art der Praxisausübung und vor allem die nächtliche ärztliche Inanspruchnahme ihres Ehemannes.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Bei dem Unfall, den der verstorbene Ehemann der Klägerin erlitten hat, handelte es sich um einen Arbeitsunfall i.S. des § 548 RVO. Er befand sich nämlich im Zeitpunkt des Sturzes auf dem Wege zum Telefon bei einer betriebsbezogenen Tätigkeit.
Das Bundessozialgericht (Entscheidungen vom 29.1.1960 2 RU 265/56 und 2 RU 47/58) vertritt zwar die Auffassung, daß kein Versicherungsschutz besteht, wenn ein Versicherter in seiner Wohnung auf einem Weg verunglückt, der sowohl den Abschluß einer dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Tätigkeit bildet, als auch mit der versicherten Tätigkeit insofern in Zusammenhang steht, als er deren Verrichtung ermöglichen soll, wenn der Versicherte den rein persönlichen Lebensbereich noch nicht verlassen hat. So wurde der Anspruch eines Tierarztes auf Gewährung von Unfallrente verneint, der von einer Kaffeetafel in seinem Wohnzimmer aufgestanden war und auf dem Weg zu seinem Medikamentenschrank, der zur Praxis gehörte, verunglückte (BSG Urt. v. 29.1.1950 – 2 RU 47/58). Dementsprechend befindet sich z.B. ein Versicherter, der morgens aufsteht, um nach dem Ankleiden eine betriebliche Tätigkeit außerhalb des Schlafzimmers auszuüben, beim Aufstehen und während des Ankleidens im Schlafzimmer grundsätzlich nicht unter Versicherungsschutz, weil er seinen rein persönlichen Lebensbereich noch nicht verlassen hat.
Im vorliegenden Falle bildete jedoch das Aufstehen des Ehemannes der Klägerin aus dem Bett nach dem Läuten des Telefons um 5.00 Uhr nicht den Abschluß einer dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Tätigkeit. Wie die persönliche Anhörung der Klägerin ergeben hat, wäre ihr Ehemann ohne das Läuten des Telefons nicht so früh, sondern erst 1 bis 2 Stunden später aufgestanden. Der beabsichtigte Gang zum Telefon diente daher allein der Ausübung einer vermeintlichen betrieblichen Verrichtung; somit lag kein Sichhinwenden von einer privaten – und daher unversicherten – Verrichtung zu einer betrieblichen Verrichtung vor. Der vorliegende Fall unterscheidet sich grundlegend von dem Fall des morgendlichen Aufstehens und Ankleidens insofern, als hier mitten aus einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit heraus aufgrund eines vermeintlichen Betriebsereignisses, dem Telefonanruf, eine betriebliche Verrichtung getätigt werden sollte. Ähnlich liegt z.B. der Fall, wenn ein Kraftfahrer nachts seinen Chef aus dem Bett klopft, damit dieser das Hoftor aufschließt, oder ein Unternehmer oder Beschäftigter, während er im Bett liegt, den Brand eines Betriebsgebäudes feststellt und auf seinem Gang zum Telefon, um die Feuerwehr herbeizurufen, verunglückt. In diesen Fällen handelt es sich zwar um Verrichtungen, die sich im privaten Bereich abspielen, die jedoch so betriebsbezogen sind, daß der persönliche Lebensbereich, in dem sich der Unfall ereignet völlig in den Hintergrund tritt. Die ursächliche Verknüpfung zwischen dem Zurücklegen des Weges und der versicherten Tätigkeit ist hier rechtlich so wesentlich, das daneben die ursächliche Beziehung zu der unversicherten Verrichtung – hier der Nachtruhe – rechtlich unberücksichtigt zu bleiben hat (vgl. BSGE Bd. 11 S. 267). Deshalb kann auch nach Auffassung des Senats dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 7.12.1962 (Breithaupt Bd. 52 S. 580) nicht gefolgt werden, in dem der Anspruch eines Versicherten abgelehnt wurde, der morgens offensichtlich nur deshalb aus dem Bett aufgestanden war, um einen betrieblichen Telefonanruf entgegenzunehmen.
Das vorliegende Unfallereignis steht vielmehr mit dem der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 31.10.1961 (2 RU 161/67) zugrundeliegenden Fall auf einer Linie, in dem ein Unfall im Rahmen einer von einer Unternehmensleitung veranstalteten Feier zum 25-jährigen Arbeitsjubiläum eines Angestellten in der Wohnung des Verunglückten als Arbeitsunfall angesehen worden ist. Zwar spricht bei einem Unfall in privaten Räumen die Vermutung gegen das Vorliegen eines Arbeitsunfalls, solange nicht wahrscheinlich gemacht ist, daß der Unfall tatsächlich bei einer betrieblichen Tätigkeit stattfand (vgl. Albrecht in ZfS 59, S. 27). Diese Vermutung ist jedoch hier aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin, die den nächtlichen Anruf bestätigt hat, widerlegt.
Dafür, daß der Sturz des Ehemannes der Klägerin durch körpereigene Verhältnisse verursacht wurde, liegen keine Anhaltspunkte vor, da er sich nach den glaubhaften Angaben der Klägerin in gutem Gesundheitszustand befand.
Ob der nächtliche Anruf von einem Patienten oder für einen solchen erfolgte, ist nicht mehr sicher aufzuklären, weil auch die Klägerin den Telefonanruf nicht entgegengenommen hat. Nach ihren glaubhaften Angaben kamen wöchentlich mindestens 1–2 nächtliche Telefonanrufe aber ausnahmslos von Patienten, so daß es sich am Unfallmorgen wahrscheinlich ebenfalls um einen Patientenanruf handelte. Aber selbst wenn der Anruf nicht dem ärztlichen Bereitschaftsdienst des Ehemannes der Klägerin gegolten hätte, wäre der Versicherungsschutz zu bejahen. Ein Arzt, bei dem nachts das Telefon läutet und der zum Nachtdienst verpflichtet ist, muß stets Telefongespräche entgegennehmen, weil er mit dem Anruf eines Patienten zu rechnen hat. Es könnte sonst ein Fall von unterlassener Hilfeleistung vorliegen. Personen, die nicht in einem telefonischen Bereitschaftsdienst stehen, können entscheiden, ob sie insbesondere nachts, einen Anruf entgegennehmen wollen oder nicht. Diese Entscheidungsfreiheit haben aber die im Bereitschaftsdienst stehenden Personen nicht, so daß sie bei der Entgegennahme eines nächtlichen Telefonanrufs unter Versicherungsschutz stehen.
Nach alledem handelt es sich bei dem vom Ehemann der Klägerin erlittenen Unfall um einen Arbeitsunfall i.S. des § 548 RVO. Die Klägerin ist bezüglich der sich hieraus ergebenden Leistungen bezugsberechtigt, weil sie nachweisbar mit ihrem Ehemann zur Zeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat und von ihm wesentlich unterhalten worden ist (§ 650 Abs. 1 RVO).
Da jedoch der mit der Klage geltend gemachte Anspruch hinsichtlich der Höhe noch nicht entscheidungsreif ist, war die Beklagte gemäß § 130 SGG zur Leistung nur dem Grunde nach zu verurteilen. Obwohl nicht eindeutig feststeht, daß und – gegebenenfalls – welche Entschädigungsansprüche im einzelnen hieraus erwachsen sind, konnte der Senat die Entschädigungspflicht der Beklagten dem Grunde nach feststellen, denn nach der Art der Verletzungen und der Dauer der Erwerbsunfähigkeit des Ehemannes der Klägerin ist mit begründeter Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf ein der in § 547 RVO angeführten Leistungen wenigstens in einer Mindesthöhe gegeben (vgl. Urteil des BSG vom 30.10.1962, 2 RU 211/62).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache wurde gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Revision zugelassen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der inzwischen verstorbene Ehemann der Klägerin, der im Jahre 1885 geborene Dr. med. W. E., war bei der Beklagten freiwillig gegen Unfall versichert. Am 7. April 1967 teilte er der Beklagten mit, am 1. März 1967 gegen 5.00 Uhr habe das Telefon in seinem Flur geläutet. Bei dem Versuch, das Gespräch entgegenzunehmen sei er wahrscheinlich über den Bettläufer gestolpert und habe sich dabei eine Gehirnerschütterung mit Bewußtlosigkeit sowie eine blutende Kopfwunde zugezogen. Er habe bis zu dem Unfall noch seine Praxis versehen und angenommen, daß er von einem Patienten angerufen worden sei. Am 20. Mai 1967 bestätigte Dr. med. K. der Beklagten, daß der Kläger noch arbeitsunfähig sei.
Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Unfallentschädigung mit Bescheid vom 24. August 1967 ab, weil nicht erwiesen sei, daß durch den Telefonanruf die ärztliche Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin hätte beginnen sollen. Es stehe weder fest, wer angerufen habe, noch ob dieser Anrufer die ärztliche Hilfe des Ehemannes der Klägerin habe in Ansprach nehmen wollen. Auch begründe die bloße Absicht, eine Betriebstätigkeit auszuüben oder der Gang zu einer beabsichtigten Betriebstätigkeit noch keinen Versicherungsschutz. Die Betriebstätigkeit müsse vielmehr erkennbar begonnen worden sein. Es habe sich somit nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt.
Gegen diesen Bescheid hat der Ehemann der Klägerin am 22. September 1967 bei dem Sozialgericht Marburg/L. Klage erhoben.
Während des Klageverfahrens ist er am 8. Juni 1968 verstorben. Die jetzige Klägerin – seine Ehefrau – hat das Verfahren fortgesetzt. Sie legte einen Heirats- und Todesschein sowie eine Bescheinigung des Bürgermeisters von V. darüber vor, daß sie mit ihrem Ehemann in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe und von diesem unterhalten worden sei.
Das Sozialgericht hörte den Sohn W. der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 12. November 1969 und holte von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen eine Auskunft über die Berufstätigkeit des Ehemannes der Klägerin im Unfallzeitpunkt ein. Danach war dieser bis zum 31. März 1967 zu allen Kassen zugelassen und rechnete im Jahr 1966 etwa 780 Krankenscheine ab.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 1. April 1970 den Bescheid vom 24. August 1967 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den von Dr. W. E. am 1. März 1967 erlittenen Unfall bis zu dessen am 8. Juni 1968 erfolgten Tod zu entschädigen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, der Ehemann der Klägerin im Unfallzeitpunkt noch als prakt. Arzt in V. tätig gewesen sei, müsse angenommen werden, das der Telefonanruf morgens um 5.00 Uhr ihm als Arzt und nicht als Privatperson gegolten habe. Zwischen seiner ärztlichen Tätigkeit und dem Sturz bestehe daher ein innerer ursächlicher Zusammenhang. Ein Arzt, der beim Anruf eines Patienten an das Telefon gehe, übe in gleichem Maße eine zu seinem Arztberuf gehörende Tätigkeit sowohl in seinen Praxisräumen als auch in seiner Wohnung aus.
Gegen das ihr am 10. April 1970 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. Mai 1970, einem Montag, Berufung eingelegt. Sie führt u.a. aus, die Berufung sei statthaft und auch begründet, denn es habe sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt. Zu der Frage, ob ein Patient angerufen habe, hätte die Klägerin persönlich gehört werden müssen. Im übrigens reiche die bloße Absicht, eine Betriebstätigkeit auszuüben, oder der Gang zu einer beabsichtigten Betriebstätigkeit nicht aus, um einen Arbeitsunfall zu begründen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg/L. vom 1. April 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise,
als unbegründet zurückzuweisen.
Sie führt aus, die Berufung sei nach § 145 Nr. 3 SGG unzulässig und im übrigen auch unbegründet. Ihr Ehemann sei am 1. März 1967 um 5.00 Uhr, als das Telefon geläutet habe, der Gefahr des Sturzes erlegen, weil er durch das Läuten aus dem Schlaf aufgeschreckt und durch die plötzlich infolge des Lichteinschaltens eingetretene Helligkeit sich in seiner Wohnung nicht so habe bewegen können, wie es sonst bei ihm üblich gewesen sei, zumal wegen des nächtlichen Telefonanrufs Eile bestanden habe. Da er als Landarzt Nachtdienstbereitschaft gehabt habe, seine ärztliche Tätigkeit mit dem Zurücklegen des Weges zum Telefon eng verknüpft gewesen, so daß es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt habe.
Die Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung am 14. Juni 1972 persönlich gehört worden. Sie gab an, ihr Ehemann habe damit rechnen müssen, daß es sich um den Anruf eines Patienten handelte, da nachts niemals ein Privatanruf erfolgt sei. Nachtanrufe von Patienten seien wöchentlich mindestens 1 bis 2 mal zu verschiedenen Zeiten vorgekommen. Hierbei sei ihr Ehemann stets sofort persönlich an den Apparat gegangen. In der Unfallnacht habe sie das Telefon läuten hören und bemerkt, daß ihr Ehemann das Licht eingeschaltet habe und aufgestanden sei. Plötzlich habe sie den Aufschlag ihres Ehemannes auf den Fußboden bzw. den Bettvorleger gehört und sei sofort um die Ehebetten herum zu ihm geeilt. Ihr Ehemann habe sich bis zu dem Unfall noch so wohl gefühlt, daß er seinen Dienst als Arzt habe verrichten können.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt sowie auf den der Leistungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.
Da der streitige Anspruch wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen (1. März 1967 bis 8. Juni 1968) betrifft, steht § 144 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen.
Der Berufungsausschließungsgrund des § 145 Nr. 2 SGG (Rente für bereits abgelaufene Zeiträume) greift ebenfalls nicht ein. Die Berufung betrifft nämlich Leistungen schlechthin, wozu auch der Anspruch auf Verletztengeld gehört (vgl. BSG Urteil v. 27.10.1967 – 2 RU 222/65 SozR RVO § 560 Nr. 1). Die Regelung des Verletztengeldes die seit dem 10. Juli 1963 die bis dahin vorgesehenen Leistungen abgelöst hat, unterscheidet sich aber nach Zweck, Voraussetzung und Berechnungsgrundlage so erheblich von der in § 145 Nr. 2 SGG nur angeführten "Rente”, daß auch eine entsprechende Anwendung dieser Ausnahmevorschrift nicht in Betracht kommt.
Ungeachtet dieser Bestimmung wäre die Berufung aber gemäß § 150 Nr. 3 SGG zulässig. Zwar steht im vorliegenden Falle lediglich der ursächliche Zusammenhang zwischen einem Unfallereignis und einer versicherten Tätigkeit zur Entscheidung, nicht jedoch – dem Wortlaut des § 150 Nr. 3 SGG entsprechend – der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einem Arbeitsunfall. Die Frage, ob beide Fälle gleich zu behandeln sind, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung I S. 250 × mit Nachweisen; für enge Auslegung: Carstensen, Zentralblatt für Versicherung und Versorgung 55, 261 ff. Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zum SGG, § 150 Anm. 4; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 27.9.1967 abgedruckt in "Rechtsprechungsdienst der Sozialgerichtsbarkeit,” 9000, § 144 SGG S. 15; für weite Auslegung: Hoffmann SGb 57, 33, 34). Peters-Sautter-Wolff (Kommentar zum SGG, § 150 Anm. 4) beziehen sich zu Unrecht auf die zu § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG ergangene Entscheidung des Großen Senates des Bundessozialgerichtes (Urt. v. 21.11.1957, BSGE Bd. 6 S. 120), in der diese Bestimmung nicht auch auf die Frage des ursächlichen Zusammenhangs eines Unfallereignisses mit einer Tätigkeit i.S. des § 542 Abs. 1 RVO a.F. erstreckt worden ist. Das Bundessozialgericht hat nämlich ausdrücklich festgestellt (a.a.O., S. 122, 124), daß diese Entscheidung nicht die Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes berühre, die eine ähnliche Fassung wie § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG hätten; diese Regelungen unterschieden sich nicht nur im Wortlaut voneinander sondern hätten auch eine verschiedene Stellung im Verfahren.
Das Bundessozialgericht stützt seine Entscheidung einmal auf den Wortlaut des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG, der eine vollständige Überprüfung der mit dem Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 542 RVO a.F. zusammenhängenden Rechtsfragen ausschließe, vielmehr nur einen kleinen "Ausschnitt” von Fällen zulasse, soweit er nämlich den Zusammenhang von Gesundheitsstörungen mit einem Unfallereignis betreffe. In systematischer Sicht wird die Begründung unter Berücksichtigung der übrigen Voraussetzungen der Statthaftigkeit der Revision im wesentlichen darauf gestützt, daß keine Gründe ersichtlich seien, die Revision in der gesetzlichen Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung in einem wesentlich weiteren Umfang statthaft sein zu lassen als auf anderen der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Gebieten. Ferner müsse es sich bei den die Anwendbarkeit des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG rechtfertigenden Voraussetzungen um eine Beurteilung handeln, die beiden Rechtsgebieten, sowohl der Unfallversicherung als auch der Kriegsopferversorgung, gemeinsam sei; das aber sei nur die ursächliche Verknüpfung der Gesundheitsstörung oder des Todes einerseits mit einem Arbeitsunfall oder einer Schädigung i.S. des Bundesversorgungsgesetzes andererseits. Zwar seien die Fragen hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale von Arbeitsunfall und Schädigung i.S. des Bundesversorgungsgesetzes wichtig, aber nicht wesensgleich und auch nicht wichtiger oder schwieriger als andere Anspruchsvoraussetzungen der der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Gebiete. Schließlich bleibe der Norm auch bei enger Auslegung noch eine ausreichende Bedeutung.
Gegen diese Auffassung sind erhebliche Bedenken geäußert worden (vgl. z.B. Münzel in BG 57, 205 ff.), auf die hier jedoch aus Gründen der andersgearteten Funktion des § 150 Nr. 3 SGG gegenüber der Regelung des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht eingegangen zu werden braucht. Jedenfalls ist aber § 150 Nr. 3 SGG gegenüber § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG erweiternd auszulegen. Gerade die Kausalitätsprobleme in der Unfallversicherung verschließen sich fast völlig einer gesetzlichen Regelung, sind aber für Einzelnen von so großer Tragweite, daß allein die Möglichkeit des Eingreifens anderer Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Berufung nicht ausreicht. Deshalb ist es nach Auffassung des Senats notwendig, insoweit eine weitere Tatsacheninstanz zu eröffnen.
Schließlich ist aber die Berufung gemäß § 150 Nr. 2 zulässig, da die Beklagte in ihrer Berufungsschrift zu Recht einen wesentlichen Verfahrensmangel darin erblickt, daß das Sozialgericht die Klägerin nicht persönlich gehört hat. Diese unzureichende Aufklärung des Sachverhaltes stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (§ 103 SGG). Nach der Überzeugung des Senats war die persönliche Anhörung der Klägerin notwendig, insbesondere über den Unfallhergang, dessen nähere Umstände, die Art der Praxisausübung und vor allem die nächtliche ärztliche Inanspruchnahme ihres Ehemannes.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Bei dem Unfall, den der verstorbene Ehemann der Klägerin erlitten hat, handelte es sich um einen Arbeitsunfall i.S. des § 548 RVO. Er befand sich nämlich im Zeitpunkt des Sturzes auf dem Wege zum Telefon bei einer betriebsbezogenen Tätigkeit.
Das Bundessozialgericht (Entscheidungen vom 29.1.1960 2 RU 265/56 und 2 RU 47/58) vertritt zwar die Auffassung, daß kein Versicherungsschutz besteht, wenn ein Versicherter in seiner Wohnung auf einem Weg verunglückt, der sowohl den Abschluß einer dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Tätigkeit bildet, als auch mit der versicherten Tätigkeit insofern in Zusammenhang steht, als er deren Verrichtung ermöglichen soll, wenn der Versicherte den rein persönlichen Lebensbereich noch nicht verlassen hat. So wurde der Anspruch eines Tierarztes auf Gewährung von Unfallrente verneint, der von einer Kaffeetafel in seinem Wohnzimmer aufgestanden war und auf dem Weg zu seinem Medikamentenschrank, der zur Praxis gehörte, verunglückte (BSG Urt. v. 29.1.1950 – 2 RU 47/58). Dementsprechend befindet sich z.B. ein Versicherter, der morgens aufsteht, um nach dem Ankleiden eine betriebliche Tätigkeit außerhalb des Schlafzimmers auszuüben, beim Aufstehen und während des Ankleidens im Schlafzimmer grundsätzlich nicht unter Versicherungsschutz, weil er seinen rein persönlichen Lebensbereich noch nicht verlassen hat.
Im vorliegenden Falle bildete jedoch das Aufstehen des Ehemannes der Klägerin aus dem Bett nach dem Läuten des Telefons um 5.00 Uhr nicht den Abschluß einer dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Tätigkeit. Wie die persönliche Anhörung der Klägerin ergeben hat, wäre ihr Ehemann ohne das Läuten des Telefons nicht so früh, sondern erst 1 bis 2 Stunden später aufgestanden. Der beabsichtigte Gang zum Telefon diente daher allein der Ausübung einer vermeintlichen betrieblichen Verrichtung; somit lag kein Sichhinwenden von einer privaten – und daher unversicherten – Verrichtung zu einer betrieblichen Verrichtung vor. Der vorliegende Fall unterscheidet sich grundlegend von dem Fall des morgendlichen Aufstehens und Ankleidens insofern, als hier mitten aus einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit heraus aufgrund eines vermeintlichen Betriebsereignisses, dem Telefonanruf, eine betriebliche Verrichtung getätigt werden sollte. Ähnlich liegt z.B. der Fall, wenn ein Kraftfahrer nachts seinen Chef aus dem Bett klopft, damit dieser das Hoftor aufschließt, oder ein Unternehmer oder Beschäftigter, während er im Bett liegt, den Brand eines Betriebsgebäudes feststellt und auf seinem Gang zum Telefon, um die Feuerwehr herbeizurufen, verunglückt. In diesen Fällen handelt es sich zwar um Verrichtungen, die sich im privaten Bereich abspielen, die jedoch so betriebsbezogen sind, daß der persönliche Lebensbereich, in dem sich der Unfall ereignet völlig in den Hintergrund tritt. Die ursächliche Verknüpfung zwischen dem Zurücklegen des Weges und der versicherten Tätigkeit ist hier rechtlich so wesentlich, das daneben die ursächliche Beziehung zu der unversicherten Verrichtung – hier der Nachtruhe – rechtlich unberücksichtigt zu bleiben hat (vgl. BSGE Bd. 11 S. 267). Deshalb kann auch nach Auffassung des Senats dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 7.12.1962 (Breithaupt Bd. 52 S. 580) nicht gefolgt werden, in dem der Anspruch eines Versicherten abgelehnt wurde, der morgens offensichtlich nur deshalb aus dem Bett aufgestanden war, um einen betrieblichen Telefonanruf entgegenzunehmen.
Das vorliegende Unfallereignis steht vielmehr mit dem der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 31.10.1961 (2 RU 161/67) zugrundeliegenden Fall auf einer Linie, in dem ein Unfall im Rahmen einer von einer Unternehmensleitung veranstalteten Feier zum 25-jährigen Arbeitsjubiläum eines Angestellten in der Wohnung des Verunglückten als Arbeitsunfall angesehen worden ist. Zwar spricht bei einem Unfall in privaten Räumen die Vermutung gegen das Vorliegen eines Arbeitsunfalls, solange nicht wahrscheinlich gemacht ist, daß der Unfall tatsächlich bei einer betrieblichen Tätigkeit stattfand (vgl. Albrecht in ZfS 59, S. 27). Diese Vermutung ist jedoch hier aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin, die den nächtlichen Anruf bestätigt hat, widerlegt.
Dafür, daß der Sturz des Ehemannes der Klägerin durch körpereigene Verhältnisse verursacht wurde, liegen keine Anhaltspunkte vor, da er sich nach den glaubhaften Angaben der Klägerin in gutem Gesundheitszustand befand.
Ob der nächtliche Anruf von einem Patienten oder für einen solchen erfolgte, ist nicht mehr sicher aufzuklären, weil auch die Klägerin den Telefonanruf nicht entgegengenommen hat. Nach ihren glaubhaften Angaben kamen wöchentlich mindestens 1–2 nächtliche Telefonanrufe aber ausnahmslos von Patienten, so daß es sich am Unfallmorgen wahrscheinlich ebenfalls um einen Patientenanruf handelte. Aber selbst wenn der Anruf nicht dem ärztlichen Bereitschaftsdienst des Ehemannes der Klägerin gegolten hätte, wäre der Versicherungsschutz zu bejahen. Ein Arzt, bei dem nachts das Telefon läutet und der zum Nachtdienst verpflichtet ist, muß stets Telefongespräche entgegennehmen, weil er mit dem Anruf eines Patienten zu rechnen hat. Es könnte sonst ein Fall von unterlassener Hilfeleistung vorliegen. Personen, die nicht in einem telefonischen Bereitschaftsdienst stehen, können entscheiden, ob sie insbesondere nachts, einen Anruf entgegennehmen wollen oder nicht. Diese Entscheidungsfreiheit haben aber die im Bereitschaftsdienst stehenden Personen nicht, so daß sie bei der Entgegennahme eines nächtlichen Telefonanrufs unter Versicherungsschutz stehen.
Nach alledem handelt es sich bei dem vom Ehemann der Klägerin erlittenen Unfall um einen Arbeitsunfall i.S. des § 548 RVO. Die Klägerin ist bezüglich der sich hieraus ergebenden Leistungen bezugsberechtigt, weil sie nachweisbar mit ihrem Ehemann zur Zeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat und von ihm wesentlich unterhalten worden ist (§ 650 Abs. 1 RVO).
Da jedoch der mit der Klage geltend gemachte Anspruch hinsichtlich der Höhe noch nicht entscheidungsreif ist, war die Beklagte gemäß § 130 SGG zur Leistung nur dem Grunde nach zu verurteilen. Obwohl nicht eindeutig feststeht, daß und – gegebenenfalls – welche Entschädigungsansprüche im einzelnen hieraus erwachsen sind, konnte der Senat die Entschädigungspflicht der Beklagten dem Grunde nach feststellen, denn nach der Art der Verletzungen und der Dauer der Erwerbsunfähigkeit des Ehemannes der Klägerin ist mit begründeter Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf ein der in § 547 RVO angeführten Leistungen wenigstens in einer Mindesthöhe gegeben (vgl. Urteil des BSG vom 30.10.1962, 2 RU 211/62).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache wurde gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Revision zugelassen.
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