L 4 V 184/69

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 V 184/69
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Die Feststellung eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes beim Berufsschadensausgleich setzt auch bei Landwirten eine ziffernmässige Einkommensfeststellung und eine Vergleichsberechnung mit gleichartigen Betrieben gesunder Landwirte voraus. Auch wenn es sich um einen nicht buchführungspflichtigen Landwirt handelt, genügt eine Schätzung des Einkommens oder einer Minderung desselben nicht.
2) Für das Vorliegen eines Einkommensverlustes trifft den Kläger die Beweisführungslast.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg/Lahn vom 16. Januar 1969 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 54jährige Kläger war nach dem Besuch der Volksschule Landwirtschaftslehrling bei seinem Vater K. P. bis 1937. Im April 1937 legte er in F. die Landwirtschaftsprüfung ab. Am 30. August 1939 wurde er zur Wehrmacht einberufen. Am 23. Juni 1944 erlitt er eine Schußverletzung am rechten Unterschenkel, die zur Amputation des rechten Unterschenkels führte.

Durch Umanerkennungsbescheid vom 8. April 1952 gewährte der Beklagte Rente wegen einer MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) um 50 v.H. wegen

Verlustes des rechten Unterschenkels in Schenkelmitte und reizlos verheilter Hautnarbe an der linken Halsseite nach Granatsplitterverletzung.

Ein Erhöhungsantrag des Klägers wurde durch Bescheid vom 11. März 1964 mit der Begründung abgelehnt, daß die MdE im allgemeinen Erwerbsleben 40 v.H. betrage. Da er in seinem Beruf als Landwirt besonders betroffen sei, habe die MdE auf 50 v.H. erhöht werden müssen.

Durch Bescheid vom 23. September 1964 erhöhte der Beklagte die Rente wegen einer MdE um 60 v.H. wegen

Verlustes des rechten Unterschenkels mit ungünstigen Stumpfverhältnissen, Muskelatrophie des Oberschenkels und beginnender Kniegelenksarthrose, Verwundungsnarbe an der linken Halsseite.

Der Kläger hatte am 16. April 1964 die Bewährung von Berufsschadensausgleich beantragt. Zur Begründung des Einkommensverlustes gab er in einer eidesstattlichen Erklärung vom 5. Dezember 1966 an, daß er ohne die Schädigungsfolgen zusammen mit seinem Bruder K. ohne die Unterstützung des Knechtes R. K. den landwirtschaftlichen Betrieb von 30 ha bearbeiten könnte.

Wegen seiner Schädigungsfolgen sei jedoch die Vollbeschäftigung des Knechtes notwendig, denn ein Hof gleicher Größe würde bei der gleichen personenmäßigen Besetzung und der gleichen technischen Ausstattung eine männliche Arbeitskraft weniger benötigen.

Das Landwirtschaftsamt M. teilte in einer Erklärung vom 30. Dezember 1966 mit, daß der Kläger infolge seiner Kriegsbeschädigung in der Ausübung seines landwirtschaftlichen Berufes stark behindert sei. Deshalb sei der Betrieb schon frühzeitig voll mechanisiert worden. Neben zwei Schleppern hätten der Kläger und sein Bruder einen Mähdrescher, eine Kartoffelvollerntemaschine mit Bunkerablage und eine Rübenvollerntemaschine mit Bunkerablage und 2 Selbstladewagen für die Rauhfutterernte angeschafft. Durch die übermässige Mechanisierung könnten beide ohne weiteres die Feldarbeiten verrichten. Die arbeitsintensivere tierische Veredlung trete stärker in den Hintergrund. Der Milchkuhbestand, der bei einer Betriebsgröße von 30 ha üblicherweise 18–20 Milchkühe betrage, sei auf 12–14 Stück herabgesetzt worden. Gegenüber früher von 100 Mastschweinen würden jetzt nur noch 20 gehalten. Der Kläger könne mit seinem Bruder den landwirtschaftlichen Betrieb unter Einsatz der vorhandenen Maschinen bearbeiten.

Der Beklagte wies durch Bescheid vom 20. Januar 1967 den Antrag des Klägers auf Gewährung von Berufsschadensausgleich zurück, da ein schädigungsbedingter Einkommensverlust nicht vorliege.

Der Widerspruch dagegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. August 1967).

Das Sozialgericht Marburg wies die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 16. Januar 1969 ab, weil für einen Einkommensverlust durch die Art der Schädigungsfolgen keine Anhaltspunkte gefunden werden konnten. Aus den eigenen Angaben des Klägers sei zu entnehmen, daß in früherer Zeit die Zahl der Arbeitskräfte auf dem Hof viel größer gewesen sei. Das Landwirtschaftsamt habe zwar festgestellt, daß ohne die Schädigungsfolgen eine weitere männliche Arbeitskraft nicht erforderlich sei. Da aber in anderen landwirtschaftlichen Betrieben die mit der Viehhaltung verbundenen Arbeiten von weiblichen Kräften übernommen würden, solche aber auf dem Hof fehlten, werde hierfür die auf dem Hof weiter vorhandene männliche Arbeitskraft verwendet.

Gegen dieses am 23. Januar 1969 zugestellte Urteil legte der Kläger am 20. Februar 1969 Berufung ein. Er sieht den Einkommensverlust darin, daß eine zusätzliche männliche Arbeitskraft auf dem Hof beschäftigt werden müsse. Das Landwirtschaftsamt M. sei der Auffassung, daß eine männliche Arbeitskraft eingespart werden könne, wenn er zu den üblichen Landwirtschaftsarbeiten voll fähig wäre.

Während des Berufungsverfahrens erhöhte der Beklagte durch Bescheid vom 11. April 1969 die Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen Veränderungen und Bewegungseinschränkung im Kniegelenk bei Unterschenkelverlust rechts mit ungünstigen Stumpfverhältnissen und Muskelschwund, belanglose Narbe an der linken Halsseite ab 1. Januar 1969 auf 70 v.H.

Der Kläger beantragte,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg/Lahn vom 16. Januar 1969 aufzuheben und unter Aufhebung der Bescheide vom 20. Januar 1967 und vom 9. August 1967 den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Berufsschadensausgleich ab 1. Januar 1964 unter Ermittlung des Durchschnittseinkommens eines selbständig Tätigen mit abgeschlossener Berufsausbildung nach Besoldungsgruppe A 7 BBesG zu gewähren.

Der Beklagte beantragte,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger sei in der Berufsgruppe tätig, die er angestrebt habe, so daß von einem Einkommensverlust im Sinne des § 30 Abs. 4 BVG keine Rede sein könne. Daß das derzeitige Bruttoeinkommen niedriger sei als das maßgebende Durchschnittseinkommen sei weder erwiesen noch anzunehmen.

Der Senat holte bei Diplom-Landwirt M., K. ein Guthaben darüber ein, ob das Einkommen des Klägers geringer als das Einkommen eines gesunden Landwirtes mit einem gleichgroßen Bauernhof sei, ob bei voller Gesundheit des Klägers die Beschäftigung des Knechtes R. K. insbesondere im Hinblick auf die Größe des Betriebes und die umfangreiche Viehhaltung nicht notwendig wäre und worin ein schädigungsbedingter Einkommensverlust gesehen werden könne.

Der Gutachter stellte zunächst fest, daß im Betrieb des Klägers keine Buchführung bestehe. Nach den Angaben des Klägers sehe der Knecht K. schlecht, sodaß er im wesentlichen nur zu Stallarbeiten eingesetzt werde. Er schätze den jährlichen Verkaufserlös landwirtschaftlicher Produkte grob auf 70.000,– DM, woraus sich nach weiterer Schätzung ein Reinerlös der beiden Betriebsinhaber von 20.000,– DM ergebe.

Ähnlich strukturierte Betriebe benötigen als volle Arbeitskraft den Betriebsinhaber und zwei halbe Arbeitskräfte, nämlich die Ehefrau und den Altenteiler.

Im Betrieb des Klägers sei der Bruder des Klägers volle Arbeitskraft, der Kläger und der Knecht je eine halbe Arbeitskraft. Das Einkommen des Klägers werde um den Lohnanspruch einer halben Arbeitskraft gemindert, da die Kosten für den Knecht K. bei voller Gesundheit des Klägers eingespart werden könnten.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Behörden- und Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch statthaft, da ihr Berufungsausschließungsgründe nicht entgegenstehen. Es ist die Erstgewährung von Berufsschadensausgleich im Streit.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Marburg/L. hat zu Recht die Klage auf Gewährung von Berufsschadensausgleich abgelehnt. Eine Minderung des Erwerbseinkommens als Landwirt durch die Schädigungsfolgen ist nicht festzustellen.

Zwar steht der Gewährung von Berufsschadensausgleich die Tatsache, daß der Kläger den von ihm vor der Schädigung angestrebten Beruf eines Landwirts auch nach der Schädigung ergriffen hat und ihn jetzt ausübt, nicht entgegen.

Denn Voraussetzung für den Berufsschadensausgleich ist ein Einkommensverlust durch die Schädigungsfolgen, ohne daß ein Wechsel des Berufes hierzu erforderlich wäre (so auch Bundessozialgericht, Urteil vom 23. Juli 1970 – 8 RV 50/70 –). Erforderlich ist jedoch immer die Feststellung eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes (so BSG Entscheidung vom 10. Oktober 1972 – 9 RV – 748/71 –, Urteil des Hessischen Landessozialgerichtes vom 8. Februar 1972 – L-4/V – 891/69 –, Urteil vom 4. Juli 1972 – L-4/V – 203/70 (rechtskräftig); Vorberg van Nuis, IV. Teil, Beschädigtenversorgung, Auflage 1970 Seite 54 oben). Hierzu gehört einmal die Feststellung eines Mindereinkommens. Dieses ließe sich dadurch finden, daß die Einkünfte eines beschädigten Landwirtes dem Einkommen eines gesunden Berufskollegen – bezogen auf seinen Anteil am Gesamtergebnis – gegenüber gestellt würden. Dabei wäre neben den Einkünften aus der Verwertung der Feldfrüchte, dem Verkauf von Vieh und den Erlösen aus dem Milchverkauf auch der eigene Verbrauch an Lebensmitteln aus eigener Produktion zu berücksichtigen. Dieses Einkünften wären die Ausgaben für Düngemittel, Saatgut, Dieselöl, Kraftfahrzeugreparaturen, Ausgaben für mithelfende Arbeitskräfte und ähnliches gegenüberzustellen. Ein landwirtschaftlicher Sachverständiger hätte dann das Einkommen eines gesunden Landwirtes, der einen Hof ähnlicher Art und Größe bewirtschaftet, zu finden. Ließe sich bei einem Vergleich beider Einkünfte eine Einkommensminderung beim Beschädigten feststellen, dann wäre noch zu untersuchen, ob und inwieweit diese schädigungsbedingt eingetreten ist. Bloße Unterstellungen oder Vermutungen in dieser Richtung reichen indessen nicht aus (vgl. BSG im Urteil vom 26. Januar 1972 – 10 RV 216/70 –). Dies ist auch billig, denn eine andere Behandlung der Landwirte müßte dann für alle freien Berufe erfolgen und würde damit gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Grundgesetz) verstoßen, weil abhängig Tätige ihre Einkommen zahlenmäßig nachweisen können und müssen. Auch würde dabei nicht berücksichtigt, daß schwere Beschädigungen nicht zwingend zu einer Einkommenseinbuße führen, weil die Tatkraft und der Einsatz des Einzelnen gegenüber einem Gesunden nicht, außer acht gelassen werden dürfen (vrgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 29. Februar 1972 – 4/V – 738/70). Trotz intensiver Bemühungen des Beklagten und des Senates war hier aber schon ein Einkommensverlust nicht festzustellen. Da der Kläger und sein Bruder, denen zusammen der Bauernhof von etwa 30 ha gehört, keinerlei Bücher führen, ist eine genaue Berechnung ihres Einkommens nicht möglich. Wenn der Steuergesetzgeber die überwiegende Zahl der kleinen Landwirte zur Vermeidung unangemessen umfangreicher Schreibarbeiten von der Buchführungspflicht befreite, so mag sich diese für die Besteuerung eingeführte Erleichterung bei der für einen Versorgungsanspruch erforderlichen Feststellung eines Einkommensverlustes negativ auswirken, weil keine Belege gesammelt werden müssen. Diese von der Behörde als forderungsberechtigtem Teil nachgelassenen steuerlichen Erleichterungen können aber dann nicht zum Tragen kommen, wenn aus nur durch Belege erweislichen Tatsachen Ansprüche auf Versorgung hergeleitet werden sollen. Auch die Auskunft des Landwirtschaftsamtes M. vom 30. Dezember 1966 kann keinen Einkommensverlust ausweisen. Die Behörde schildert zwar, daß sich der Kläger wegen seiner Schädigung körperlich schwer einsetzen müsse, gibt eine Einkommensminderung jedoch nicht an, wozu sie wegen der nicht vorhandenen genauen Angaben über Einnahmen und Ausgaben auch nicht in der Lage ist. Wegen der durch die Schädigungsfolgen notwendigen besonderen Willensanspannung bei der Ausübung des landwirtschaftlichen Berufes hat der Beklagte aber bereits ein besonderes berufliches Betroffensein bei dem Kläger angenommen und den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit erhöht (§ 30 Abs. 2 BVG). Aus der Herabsetzung des Schweinbestandes von 100 auf 22 Tiere und des Rinderbestandes von 18 bis 20 auf 12 bis 14 Tiere ist ohne Durchführung einer Gesamt-Gewinn- und Verlustrechnung nicht auf eine Einkommensminderung zu schließen; abgesehen davon daß sie allgemein ihre Ursache in den geänderten Verbraucherwünschen nach Schweinefleisch und Milchprodukten haben dürfte.

Schließlich ist der Versuch des Senats, durch einen Sachverständigen, den Diplomlandwirt M., eine Einkommensminderung feststellen zu lassen, ergebnislos geblieben. Auch dieser konnte genaue Angaben über das Einkommen des Klägers nicht machen und mußte sich mangels Zahlenangaben darauf beschränken, das Einkommen des Klägers grob auf 10.000,– DM zu schätzen. Seine Auffassung die insoweit auch das Landwirtschaftsamt M. teilte, daß nämlich das Einkommen des Klägers um den Lohnanspruch von 05, Vollarbeitskräften gemindert sei, kann sich der Senat nicht anschließen. Die Vergleichsberechnung, wonach in ähnlichen strukturierten Betrieben neben den Betriebsinhabern als Vollarbeitskraft die Ehefrau und der Altenteiler als je halbe Arbeitskraft eingesetzt seien, bleibt deshalb im Bereich der Mutmassung, weil nicht in allen Betrieben der Altenteiler noch mitarbeitet. Gerade nach den Feststellungen des Gutachters erscheint es zweifelhaft, daß der Knecht R. K. lediglich wegen der Schädigungsfolgen beschäftigt wird. Er ist nämlich gehbehindert und kann daher nicht zu Feldarbeiten eingesetzt werden, sondern verrichtet nur Stallarbeiten. Er führt somit solche Arbeiten aus, die üblicherweise auf dem Bauernhof von der Ehefrau des Besitzers verrichtet werden. Da der Kläger und sein Bruder nicht verheiratet sind, ist eine Arbeitskraft für die Viehhaltung erforderlich. Es ist nicht anzunehmen, daß der Kläger im Falle seiner Nichtbeschädigung diese Arbeiten verrichtet hätte.

Wegen der fehlenden Buchführung ist ein Einkommensverlust nicht festzustellen und es sprechen insbesondere keine überzeugenden Gesichtspunkte dafür, daß der Knecht lediglich wegen der Schädigung des Klägers beschäftigt wurde. Damit entfällt aber der Ausgangspunkt für eine Vergleichsberechnung und die Grundlage für die weitere Untersuchung, inwieweit ein etwa feststellbares Minderergebnis schädigungsbedingt ist. Nach dem im Versorgungsrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (BSG-Entscheidung Bd. 15 S. 14 und Bd. 19 S. 23) geht die Nichtfeststellbarkeit eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes zu Lasten des Klägers. Ihm kann daher Berufsschadensausgleich nicht gewährt werden.

Die Berufung konnte keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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