L 6 B 19/71

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 B 19/71
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Staatskasse als Exekutive darf ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung in anhängigen Verfahren zur Wahrnehmung ihrer fiskalischen Interessen Rechtsmittel nicht einlegen mit dem Ziel, eine innerhalb des Rechtsstreits ergehende richterliche Entscheidung überprüfen zu lassen, weil dies mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht vereinbar wäre.
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

Gründe:

Durch Beschluss vom 23. April 1969 hat das Sozialgericht Gießen die Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG mit der Maßgabe beschlossen, daß der Kläger die erforderlichen Kosten vorschießt. Dieser Beschluss wurde den Beteiligten, jedoch nicht dem in dem Beschluss bestimmten Arzt Dr. T. zugestellt. Dieser hat ohne einen Gutachtensauftrag des Gerichts auf Veranlassung des Klägers am 8.2.1970 ein Gutachten erstattet.

Nach Erledigung des Rechtsstreites durch Vergleich in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 1971 hat das Gericht auf den Antrag des Klägers, die Kosten für das von Dr. T. in N. gem. § 109 SGG erstellte Gutachten vom 8.2.1970 auf die Staatskasse zu übernehmen, beschlossen:

"Die Kosten des nach § 109 SGG bei dem obengenannten Arzt eingeholten Gutachtens werden in gesetzlich zulässigen Umfang auf die Staatskasse übernommen.”

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vom Beschwerdeführer rechtzeitig erhobene Beschwerde, der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, die Kosten für das Gutachten hätten nicht gemäß § 109 SGG auf die Staatskasse übernommen werden dürfen, weil es sich nicht um ein Gutachten nach § 109 SGG, sondern um ein Parteigutachten gehandelt habe. Der Gutachter sei nicht durch das Gericht zum Sachverständigen bestellt worden.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Beschwerde ist unzulässig.

An sich entspricht es rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß auch nicht unmittelbar am Verfahren Beteiligten Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen um einlegen können, sofern sie durch diese Entscheidungen unmittelbar beschwert sind. Dies gilt aber grundsätzlich nicht für den Fiskus und den Bezirksrevisor als dessen Vertreter. Wollte man hier unter dem Gesichtspunkt der unmittelbaren Beschwer ein generelles Beschwerderecht zulassen, dann müsste dies im Ergebnis dazu führen, daß die richterliche Tätigkeit durch die Exekutive kontrolliert wird; denn ein Gericht wäre praktisch gezwungen, alle Entscheidungen, die für die Staatskasse irgendwelche Kostenfolgen hätten, deren Vertreter, dem Bezirksrevisor, gegenüber zu begründen. Die Durchführung eines Gerichtsverfahrens stünde damit potentiell unter dem Aspekt einer mehr oder weniger nachhaltigen Intervention des Vertreters der Staatskasse. Dieser Aspekt läuft im Ergebnis auf eine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung hinaus. Nach diesem Grundsatz sind Gerichte als besondere Institutionen organisatorisch und sachlich von den Verwaltungsbehörden zu trennen (BVerfG 18, 241, 245; 4, 331, 346). Die Trennung der rechtsprechenden von der vollziehenden Gewalt hat sich nicht nur auf den rein organisatorischen Bereich zu beschränken, sondern auf alle Bereiche der gerichtlichen Tätigkeit zu erstrecken. Interventionen der vollziehenden Gewalt stehen dem wesensmäßig entgegen. Dies gilt auch dann, wenn die vollziehende Gewalt richterliche Entscheidungen nicht selbst aufheben oder abändern, sondern nur im Rechtszug gerichtlich überprüfen lassen kann. Eine solche generelle Ermächtigung würde eine Eingriffsmöglichkeit und damit eine zumindest indirekte sachliche Beeinflussung der rechtsprechenden Gewalt schaffen.

Hiernach ist es mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht vereinbar, wenn die Staatskasse als Exekutive ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung generell in anhängigen Verfahren zur Wahrnehmung ihrer fiskalischen Interessen Rechtsmittel einlegen kann mit dem Ziel, eine innerhalb eines Rechtsstreits ergehende richterliche Entscheidung überprüfen zu lassen Derartige rechte stehen nur den Prozeßbeteiligten selbst zu.

Hinsichtlich der Entscheidung über die Kostenübernahme nach § 109 SGG wird ein Beschwerderecht des Bezirksrevisors als Vertreter der Staatskasse nach der in der Rechtsprechung und im Schrifttum herrschenden Meinung verneint. (Peters-Sautter-Wolff, SGG, § 109 Anm. 7 c). Dies muß auch dann gelten, wenn es sich nicht um die Übernahme der Entschädigung eines Sachverständigen im Rahmen des § 109 SGG handelt, sondern um das Beschwerderecht vorsieht (vgl. Hessisches Landessozialgericht vom 18. Juli 1961, Breithaupt 1961 S. 1149).

Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Richter selbst Verwaltungsentscheidungen aufgrund einer besonderen Legitimation (BVerfG a.a.O.) trifft. Solche Entscheidungen können die Höhe der den Sachverständigen, Zeugen, ehrenamtlichen Beisitzern o.ä. zustehenden Entschädigung betreffen, wenn sie sich im Rahmen der Reichsrechnungslegungsordnung (RRO) sachlich oder rechnerisch festgestellt werden "sachlich richtig”, "festgestellt”). Insoweit wird ein Richter verwaltungsmäßig tätig. Allerdings kann es im Rahmen der verwaltungsmäßigen Abwicklung einer richterlichen Entscheidung (z.B. Bestellung eines Sachverständigen) zur Notwendigkeit einer weiteren richterlichen Entscheidung nach § 16 GEZS über die Höhe der Entscheidung kommen; für diesen Fall räumt das Gesetz ausdrücklich für den Vertreter der Staatskasse ein besonderes Beschwerderecht ein.

Zu trennen sind somit begrifflich die prozessualen Entscheidungen, die nicht einer Beschwerde des Vertreters der Staatskasse unterliegen, von den verwaltungsmäßigen Entscheidungen, die im Verwaltungswege korrigiert werden können, und den richterlichen Entscheidungen, die außerhalb eines anhängigen Rechtsstreites ergehen und kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift der gerichtlichen Überprüfung auf ein Rechtsmittel des Vertreters der Staatskasse hin zugänglich sind.

Im vorliegendem Fall handelt es sich um eine prozessuale Entscheidung, die einer Nachprüfung auf die Beschwerde des Vertreters der Staatskasse hin nicht zugänglich ist; denn diese Entscheidung ist innerhalb eines Rechtsstreites im Rahmen der Prozeßleitung ergangen. Dabei spielt es keine Rolle, daß es sich in Wirklichkeit nicht um die Übernahme von Kosten nach § 109 SGG handeln konnte, weil der Gutachter nicht zum Sachverständigen bestellt war, sondern auf Veranlassung des Klägers ein Parteigutachten im prozessualen Sinne erstellt hat, das als solches nicht unter die Vorschrift des § 109 SGG fällt. Das Sozialgericht hat vielmehr lediglich innerhalb eines anhängigem Rechtsstreites für den Kläger einen sich aus dem Prozeßverlauf ergebenden Anspruch gegenüber der Staatskasse geschaffen, obwohl dieser Anspruch durch keine gesetzliche Vorschrift zu rechtfertigen ist, handelt es sich doch um eine richterliche Entscheidung, die nach den bisherigen Darlegungen im Hinblick auf die Konsequenzen des Grundsatzes der Gewaltenteilung hingenommen werden muß. Dieser Grundsatz muß aus rechtsstaatlichen Erwägungen heraus einen höheren Rang einnehmen als das fiskalische Interesse der Staatskasse, im Einzelfall eine gesetzwidrige Entscheidung zu beseitigen. Wollte man hiervon abgehen, so müßte dies im Ergebnis zur Folge haben, daß der Vertreter der Staatskasse immer dann Beschwerde einlegen könnte, wenn in gesetzwidriger Weise z.B. Kosten nach § 109 SGG auf die Staatskasse übernommen würden oder das Gericht das persönliche Erscheinen von Beteiligten oder schließlich die Erhebung von Beweisen anordnet. Alle diese Entscheidungen sind mit dem angefochtenen Beschluss gemeinsam, da es sich um richterliche Entscheidungen im Rahmen der Durchführung eines anhängigen Prozesses, an dem die Staatskasse nicht prozessual beteiligt ist, handelt.

Nach allem muß es der Staatskasse überlassen bleiben, den angefochtenen Beschluss, der lediglich einen Anspruch dem Grunde nach "in gesetzlich zulässigem Umfang”) zubilligt, nach den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zu vollziehen. In dieser Hinsicht ist die Staatskasse nicht durch die richterliche Entscheidung gebunden; weil insoweit kein Gerichtsbeschluß vorliegt, der auf die Beschwerde des Vertreters der Staatskasse nach den Vorschriften des GEZS zu überprüfen ist. Ein besonderes Verfahren nach dem GEZS ist nicht anhängig.

Offen kann auch die Frage bleiben, ob ein Gerichtsbeschluß vom Vertreter der Staatskasse, obwohl dieser kein Beschwerderecht hat, dann nicht vollzogen zu werden braucht, weil er nach gesetzlicher Vorschrift schlechthin nicht vollziehbar ist, der angefochtene Beschluss ist zumindest im Wege der Auslegung bzw. Umdeutung nach den Grundsätzen der §§ 133, 140 BGB vollziehbar. Eine Sachverständigenentschädigung kann hierbei zwar nicht in Betracht kommen, weil diese eine gerichtliche Bestellung ist, hier nicht erfolgt. Der Beschluss des Sozialgerichts vom 23. April 1969 ist von dem Gericht nur den Beteiligten, aber nicht dem Facharzt für innere Krankheiten Dr. T. zugestellt worden. Das von Dr. T. ohne einen gerichtlichen Gutachtensauftrag und ohne Kenntnis der Akten und der darin enthaltenen ärztlichen Gutachten erstattete Gutachten ist hiernach lediglich ein Parteigutachten. Die Entschädigung von Auslagen für die Erstattung von Parteigutachten ist aber weder im GEZS noch an anderer Stelle gesetzlich normiert, so daß unter diesem Gesichtspunkt der angefochtene Beschluss nicht vollzogen werden kann. Das auf Veranlassung des Klägers erstattete Gutachten ist jedoch erkennbar im Verfahren so verwertet worden, als hätte das Gericht einen ausführlichen Befundbericht mit gutachtlicher Stellungnahme eingeholt. Die Festsetzung einer Entschädigung unter diesem Aspekt bietet sich an. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, daß der Vollzug des Beschlusses nicht Gegenstand dieser Beschwerdeentscheidung ist, so daß der Vertreter der Staatskasse hierüber selbst in eigener Zuständigkeit zu entscheiden haben wird.

Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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