L 6 J 1441/67

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 J 1441/67
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Allgemeinen Ortskrankenkasse für den Landkreis W. Wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel. Vom 28. November 1967 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der 1929 geborene Kläger erhielt wegen einer chronischen Rückenmarksentzündung mit erheblicher Gehbehinderung aufgrund des Bescheide der Beklagten vom 19. Januar 1965 Rente wegen Berufsunfähigkeit seit dem 1. August 1964 im Höhe von 501,50 DM, in der 224,– DM Kinderzuschlag enthalten sind. Die Rentennachzahlung in Höhe von 3.009,– DM wurde zur Befriedigung von Ersatzansprüchen einbehalten. Hiervon befriedigte die Beklagte den Ersatzanspruch der Allgemeinen Ortskrankenkasse für den Kreis W. In Höhe von 2.830,60 DM und den Ersatzanspruch der Kindergeldkasse beim Arbeitsamt K. In Höhe von 178,40 DM.

Aufgrund eines Gutachtens der Universitäts-Nervenklinik M. Wurde dem Kläger mit Bescheid vom 30. September 1965 Erwerbsunfähigkeitsrente seit dem 1. Februar 1965 gewährt. Diese Rente enthielt einem Kinderzuschuß für vier Kinder in Höhe von je 60,70 DM. Insgesamt 242,80 DM.

Am 8. September 1966 erhob der Kläger gegen die Landesversicherungsanstalt Hessen Klage, da das Arbeitsamt von ihm einen Restbetrag von 371,60 DM an zuviel gezahltem Kindergeld zurückfordere. Die Beklagte habe ihm die Befriedigung der Ersatzansprüche mit Schreiben vom 11. Juni 1965 formlos und ohne Rechtsmittelbelehrung mitgeteilt, so daß die Klagefrist nicht versäumt sei. Seiner Auffassung nach hätte die Beklagte zunächst den Ersatzanspruch des Arbeitsamtes befriedigen müssen und erst dann den Rest an die AOK zahlen dürfen.

Demgegenüber ist die Beklagte der Auffassung, daß der Übergang der Rentennachzahlung auf die Krankenkasse nach § 183 Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) kraft Gesetzes erfolgt sei. Dieser Übergang umfasse die gesamte Rente einschließlich des Kinderzuschlages. Demgegenüber habe die Kindergeldkasse nach § 23 Abs. 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) nur einen Ersatzanspruch, der also schwächer sei als der Forderungsübergang hinsichtlich des Anspruchs der Krankenkasse. Sie habe daher zunächst die Forderung der Krankenkasse befriedigen müssen und nur den Restbetrag der Krankenkasse befriedigen müssen und zur den Restbetrag der Kindergeldkasse überweisen können.

Das Sozialgericht Kassel lud die Kindergeldkasse bei dem Arbeitsamt K. Und die AOK für den Landkreis W. Bei. Mit Urteil vom 28. November 1967 verurteilte es die AOK für den Landkreis W., an die Kindergeldkasse 371,60 DM und an den Kläger den 550,– DM übersteigenden Teil des in der Rentennachzahlung enthaltenen Kinderzuschusses zu zahlen. Die Berufung wurde ausdrücklich zugelassen. Das Sozialgericht führte zur Begründung aus, daß der Übergang der Rente sich nur auf die "Grundrente” beziehe, nicht jedoch auf die Kinderzuschüsse. Die Kinderzuschüsse seien zwar Bestandteil der Rente nach dem Urteil des Bundessozialgerichts in Band 10 Seite 131. Sie könnten aber aus der Rentenzahlung eliminiert werden und seien von anderen Berechnungsfaktoren völlig unabhängig. Die Kinderzuschüsse seien sogar nach § 1262 Abs. 8 RVO unter bestimmten Voraussetzungen an dritte Personen weiterzuleiten. Diesem Anspruch könne die Kindergeldkasse nach § 23 Abs. 1 BKGG auf sich überleiten, da der Kinderzuschuß zweckgebunden sei, wie das Bundessozialgericht in Sozialrecht Nr. 7 zu § 1262 RVO entschieden habe. Das Sozialgericht ist der Auffassung, daß die Zweckbestimmung des Kinderzuschusses nicht mehr erfüllt werden könne, wenn man ihn nach dem Wortlaut des § 183 Abs. 3 und 5 RVO der Krankenkasse zur Tilgung ihrer Aufwendung zubillige. Diese Folgerungen habe der Gesetzgeber auch nicht angestrebt, wie ein Blick in die Entwicklung der Gesetzgebung und die Motive zeige. Zwar habe das Bundessozialgericht im Urteil vom 11. Juli 1967 die gegenteilige Auffassung vertreten und ausgeführt, daß die gesamte Rente auf die Krankenkasse übergehe, den Nachweis hierfür sei das Bundessozialgericht jedoch schuldig geblieben.

Gegen dieses der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse für den Landkreis W. Am 15. Dezember 1967 zugestellte Urteil richtet sich deren am 27. Dezember 1967 schriftlich bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung, mit der die Allgemeine Ortskrankenkasse auf ein Urteil des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vom 10. Februar 1966 Bezug nimmt, wonach das Kindergeld nur bis zu dem Betrage zurückzuzahlen sei, der nach dem Übergang des Rentenanspruchs auf die Krankenkasse verbleibe. Das Landesarbeitsamt H., das in zweiter Instanz die Interessen der Kindergeldkasse vertritt, wies darauf hin, daß auch das Bayerische Landessozialgericht im Urteil vom 8. November 1967 – L-4/Ar-30/66-KG – der vom Sozialgericht Kassel zum Ausdruck gebrachten Auffassung sei.

Die Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 28. November 1967 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte schloß sich diesem Antrag an.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) stellte keinen Antrag.

Ergänzend wird auf den vorgetragenen Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Versichertenrentenakten des Klägers und der Kinderakte der Beigeladenen zu 1) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch zulässig, da ihr Ausschlußgründe nicht entgegenstehen (§§ 143, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). Einer besonderen Zulassung bedurfte es daher nicht. Auch eine im Verfahren Beigeladene ist selbständig zur Einlegung von Rechtsmitteln befugt (§ 75 Abs. 4 SGG).

Die Klagefrist ist auch gewahrt, da die Mitteilung über die Verteilung der Nachzahlung keine Rechtsmittelbelehrung enthielt (§ 66 Abs. 2 SGG).

Die Berufung ist auch begründet.

Weder der Beigeladenen zu 1) noch dem Kläger stehen Ansprüche auf den von der Beklagten gewährten Kinderzuschuß zu.

Der Kläger bezog zunächst seit dem 1. August 1964 Rente wegen Berufsunfähigkeit und gleichzeitig Krankengeld. Nach § 183 Abs. 5 RVO wird das Krankengeld um den Betrag, der für den gleichen Zeitraum gewährten Rente gekürzt, wenn dem Versicherten während des Bezugs von Krankengeld Rente wegen Berufsunfähigkeit von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird. Insoweit geht bei rückwirkender Gewährung der Rente der Rentenanspruch auf die Kasse über. Es handelt sich bei dieser gesetzlichen Bestimmung also um eine cessio legis, da im Augenblick der Zubilligung der Rente und des bei rückwirkender Gewährung der Rente gleichzeitig anfallenden Anspruchs auf die Nachzahlung dieser Anspruch auf die Krankenkasse in Höhe des gewährten Krankengeldes übergeht.

Die Beteiligten streiten darüber, ob von diesem Rechtsübergang die gesamte Rente oder nur die sogenannte "Grundrente”, also die Rente ohne den Kinderzuschuß, erfaßt wird. Insoweit ist der Senat mit dem Bundessozialgericht der Auffassung, daß der Übergang der Rente auch den Kinderzuschuß erfasse (Urteil vom 11.7.1967, SozRecht § 183 RVO Nr. 25). In diesem Urteil hat das Bundessozialgericht im Gegensatz zur Auffassung des angefochtenen Urteils sehr wohl begründet, warum auch der Kinderschuß zur Rente Bestandteil der Rente ist und daher vom dem Rechtsübergang nach § 183 Abs. 5 RVO erfaßt wird. Nichts anderes kann für § 183 Abs. 5 RVO gelten, da im beidem Bestimmungen die Rechtslage gleich ist. Das Bundessozialgericht hat seine Auffassung überzeugend damit begründet, daß anspruchsberechtigt hinsichtlich des Kinderzuschusses der Versicherte selbst ist, nicht aber das jeweilige Kind. Wenn der Gesetzgeber eine andere Regelung bezüglich des Kinderzuschusses habe treffen wollen, so hätte er dies ausdrücklich gesagt. Deshalb sei in § 1278 Abs. 1 RVO angeordnet worden, daß bei der Prüfung, ob eine Rente ruhe, der Kinderzuschuß nicht zu berücksichtigen sei. Eine entsprechende Einschränkung sei in § 183 Abs. 3 RVO nicht enthalten, so daß der Rechtsübergang schon nach dem Wortlaut des Gesetzes auch den Kinderzuschuß erfasse. Das Bundessozialgericht hat sich in dieser Entscheidung auch mit dem Argument des angefochtenen Urteils auseinandergesetzt, daß der Kinderzuschuß nach § 1268 Abs. 8 RVO ein anderes rechtliches Schicksal haben könne als die restliche Rente. Das Bundessozialgericht hat hierzu ausgeführt, daß es sich dabei nur um eine besondere Regelung für die Bezugsberechtigung handele, die nicht auf andere Fälle anzuwenden sei. Entscheidend sei in dem vorliegenden Fall nicht, daß der Kinderzuschuß im Endergebnis dem zufließen solle, der das Kind unterhalte, vielmehr, daß die Krankenkasse wenigstens teilweise einem Ausgleich für ein nach der Vorstellung des Gesetzgebers im Grunde zu Unrecht gezahltes Krankengeld erhalte.

Erfaßt aber dieser Rechtsübergang die gesamte Rente des Klägers, dann hat die Beklagte mit der Befriedigung der Ersatzforderung der beigeladenen Ortskrankenkasse richtig gehandelt. Sie brauchte dabei den Ersatzanspruch der beigeladenen Kindergeldkasse nicht vorrangig zu berücksichtigen.

Nach § 23 Abs. 1 BKGG kann das Arbeitsamt durch schriftliche Anzeige an den Leistungspflichtigen bewirken, daß Ansprüche in der Höhe auf den und übergehen, in der Kindergeld gewährt worden ist, wenn der Rückzahlungspflichtige Anspruch auf Kinderzuschuß aus den gesetzlichen Rentenversicherungen hat. Rückzahlungspflichtig ist nach § 13 BKGG der Empfänger von Kinderzuschuß aus den gesetzlichen Rentenversicherung (§ 13 Nr. 4 BKGG). Es handelt sich hier nicht um eine cessio legis, sondern vielmehr um eine in das Ermessen des Arbeitsamtes (Kindergeldkasse) gestellte Regelung, durch die den Übergang von Leistungsansprüchen bewirkt werden kann. Dieser Übergang bezieht sich jedoch nur auf Kinderzuschußleistungen, die der Berechtigte erhalten hat oder beanspruchen kann. Wegen der im Augenblick der Zubilligung der Rente und Entstehung des Nachzahlungsanspruchs eingetretenen cessio legis zu Gunsten der Ortskrankenkasse hat aber der Kläger in dieser Höhe Leistungen für das Kind nicht erhalten und kann er solche Leistungen auch nicht beanspruchen. Die Kindergeldkasse kann daher lediglich einen Anspruch auf den Teil der Nachzahlung geltend machen, der nach Befriedigung des Anspruchs der Ortskrankenkasse noch verblieben ist. Diese Auffassung kommt auch im Urteil des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vom 10. Februar 1966 (ZfS 1966 S. 296) zum Ausdruck. Ihr hat sich der Senat nach eigener Prüfung der Rechtslage angeschlossen.

Für diese Auffassung spricht auch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. September 1965 (SozR § 1531 RVO Nr. 16) zur Frage, ob der Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nach § 1531 RVO dem Überleitungsanspruch der Arbeitsverwaltung aus § 186 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge (AVAVG) vergeht, in dem es entschieden hat, daß es sich bei dem Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers um eine cessio legis handelt, so daß dieser Anspruch in jedem Falle dem Überleitungsanspruch aus § 186 AVAVG vorgeht. Das Bundessozialgericht hat hier überzeugend ausgeführt, daß sich der Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers gegen den Versicherungsträger richtet, dem insoweit gegenüber dem Versicherten ein Leistungsverweigerungsrecht zustehe. Nur mit dieser "Belastung” kann daher der Nachzahlungsanspruch abgetreten oder kraft Gesetzes übergeleitet werden. In gleicher Weise steht auch im vorliegenden Falle die Nachzahlung für den Zugriff der Kindergeldkasse nur in dem Umfang zur Verfügung, als sie nicht durch die cessio legis an die Ortskrankenkasse verbraucht war.

Daher hat die Beklagte zutreffend nicht nur zunächst den Anspruch der Ortskrankenkasse voll befriedigt, sondern weiterhin auch zutreffend den verbleibenden Betrag der Rentennachzahlung der Kindergeldkasse überwiesen. Damit ist deren Anspruch aber erschöpft, so daß sie, wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, nicht etwa noch einen weiteren Anspruch gegen den Kläger auf Rückzahlung des aus der Nachzahlung nicht befriedigten Teils des Kindergeldes geltend machen kann. Ein solcher Anspruch der Kindergeldkasse scheitert an § 13 BKGG, da der Kläger über diesem Rest der Nachzahlung hinaus "für denselben Monat” keine Leistungen für das Kind erhalten hat oder beanspruchen kann.

Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und die Klage abgewiesen werden, obwohl den ursprünglich gestellten Antrag des Klägers von weiteren Ersatzansprüchen der Kindergeldkasse freigestellt zu werden, zu entsprechen ist. Diese Wirkung wird vorliegend allein dadurch erreicht, daß die Kindergeldkasse als zu diesem Verfahren Beigeladene ebenfalls an das vorliegende Urteil gebunden ist (§§ 141, 69 Nr. 3 SGG). Die Revision war gegen der grundsätzlichen Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfrage zuzulassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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