L 6 J 881/68

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 J 881/68
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Giessen vom 22. Juli 1968 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1908 geborene Kläger gab an in dem ihm von der Beklagten übersandten Fragebogen für Hausgewerbetreibende am 7. April 1966 an, daß er eine Maschinenweberei betreibe und seit 1953 in das Gewerberegister eingetragen sei. Er sei Eigentümer der Betriebsstätte und stelle Tuche und Stoffe her. Er arbeite nicht auf eigene Rechnung sondern auf Rechnung der Auftraggeber. Anfang, Ende, Umfang und Reihenfolge der auszuführenden Arbeiten könnten von ihm nicht frei bestimmt werden. Die Auftraggeber seien an der Leitung oder Beaufsichtigung nicht beteiligt. Über Einstellung von Hilfskräften und deren Bezahlung könne er selbst entscheiden. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag mit dem Auftraggeber bestehe nicht. Er könne Aufträge von verschiedenen Auftraggebern annehmen, jedoch könne er die Erzeugnisse nicht beliebig verwenden, sondern gebe sämtliche Erzeugnisse an die Auftraggeber zurück. Die Erzeugnisse würden überwiegend für den Verbraucher hergestellt, nicht auf Lager genommen. Er selbst arbeite überwiegend am Stück mit. Seine Tätigkeit bestehe nicht überwiegend in der Aufsicht der beschäftigten Hilfskräfte bzw. der Heranschaffung und Ablieferung der Arbeit. Dies mache nur etwa die Hälfte seiner Tätigkeit aus. Er habe 3–4 Personen beschäftigt.

Mit Bescheid vom 20. September 1966 nahm die Beklagte den Kläger daraufhin als Hausgewerbetreibenden gemäß 1227, Abs. 1 Ziff. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als versicherungspflichtig in Anspruch. Der Kläger habe nach § 1405 RVO die Beitragspflicht selbst zu erfüllen und die Beiträge unter Verwendung von Beitragsmarken in den Beitragsklassen des § 1387 RVO in der Versicherungskarte zu entrichten. Seit dem 1. Januar 1964 sei ein Beitragsrückstand von insgesamt 5.320,– DM nachzuzahlen. Der Kläger legte dagegen rechtzeitig Widerspruch ein und führte aus, daß er seinen Betrieb schon seit 1958 industriemäßig aufgezogen habe und daher nicht Hausgewerbetreibender sein könne. Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 22. Februar 1967 zurückgewiesen und dabei zur Begründung ausgeführt, daß als Hausgewerbetreibende im Sinne der RVO nach § 162 Abs. 1 RVO die selbständigen Gewerbetreibenden gelten, die in eigenen Betriebsstätten im Auftrag und für Rechnung anderer Gewerbetreibender gewerbliche Erzeugnisse herstellten oder bearbeiteten. Danach sei der Kläger als Hausgewerbetreibender anzusehen. Das ergebe sich schon aus dem vom Kläger ausgefüllten Fragebogen für Hausgewerbetreibende.

Der Kläger erhob rechtzeitig Klage gegen diesen Bescheid zu Protokoll des Urkundsbeamten beim Sozialgericht Giessen. Zur Begründung wies er darauf hin, daß er an den Bundestag eine Petition gerichtet habe, die sich mit der Frage befasse, ob er als Hausgewerbetreibender anzusehen sei. Der Kläger führte ferner aus, daß der Heimarbeiterausschuß die Herausnahme seiner Betriebe aus der "Gleichstellungsverordnung” beschlossen habe und er dementsprechend auch kein Hausgewerbetreibender sei. Dazu wies die Beklagte darauf hin, daß der Begriff des Hausgewerbetreibenden für die Rentenversicherung in § 162 RVO festgesetzt sei und hierauf die Begriffsbestimmung des Heimarbeiterausschusses ohne Einfluß sei, wie das Bundessozialgericht im Urteil vom 26. Oktober 1962 (Bd. 18 S. 70) ausgeführt habe. Der Beschluss des Heimarbeiterausschusses sei daher für die Rentenversicherung ohne Bedeutung. Nach den vom Kläger angegebenen Merkmalen lägen die Voraussetzungen nach dem Heimarbeitergesetz nicht vor, da er mehr als zwei Personen beschäftige. Trotzdem sei der Kläger aber Hausgewerbetreibender im Sinne des § 162 RVO.

Das Sozialgericht Giessen wies mit Urteil vom 22. Juli 1968 die Klage ab und führte zur Begründung aus, daß der Kläger Hausgewerbetreibender im Sinne der gesetzlichen Vorschriften sei. Die Hausgewerbetreibenden bildeten eine Zwischenstufe zwischen den unselbständigen Arbeitnehmern und den für eigene Rechnung arbeitenden Gewerbetreibenden. Sie seien zwar persönlich selbständig, aber wirtschaftlich abhängig. Der Kläger arbeite nach eigener Angabe persönlich am Stück mit. Sein Betrieb sei ganz oder doch überwiegend für fremde Rechnung eingestellt, wodurch er das Gepräge einer in diesem Sinne wirtschaftlich unselbständigen Erscheinung habe. Der Kläger werde durch die Mitgliedschaft in der Arbeiterrentenversicherung in seiner sozialen Stellung auch nicht abgewertet. Er werde durch die Beitragsleistung in der Rentenversicherung der Arbeiter nicht zum abhängigen Arbeiter gestempelt, sondern sei, wie z.B. auch die selbständigen Handwerker nach dem Handwerkerversicherungsgesetz, in der Rentenversicherung der Arbeiter versichert. Ferner liege auch keine Verletzung des Grundgesetzes vor, da dem Kläger weder die Berufsausübung geschmälert, noch seine Menschenwürde angegriffen werde. Es käme auch nicht darauf an, ob der Kläger in seiner Heimat als Mitinhaber einer Textilfabrik möglicherweise Industrieunternehmer gewesen sei oder als Textilingenieur angestelltenversicherungspflichtig gewesen wäre. Entscheidend sei vielmehr die jetzige Tätigkeit des Klägers.

Gegen dieses am 30. Juli 1968 an den Kläger abgesandte Urteil richtet sich die am 31. August 1968 schriftlich bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung, mit der der Kläger darauf hinweist, daß er aus der alten Industrietradition seiner Familie heraus einen kleinen kompletten Industriebetrieb geschaffen habe, jedoch kein Hausgewerbetreibender sei. Er arbeite auch nicht am Stück mit. Als Kompromiß schlug der Kläger vor, Beiträge zur Angestelltenversicherung zu entrichten.

Zur mündlichen Verhandlung am 18. September 1969 waren die Beteiligten mit dem Hinweis geladen, daß auch in ihrer Abwesenheit verhandelt und entschieden werden könne, der Kläger war jedoch weder erschienen noch vertreten.

Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Giessen vom 22. Juli 1968 und den Bescheid der Beklagten vom 20. September 1966 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 22. Februar 1967 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf den vorgetragenen Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, da ihr Ausschlußgründe nicht entgegenstehen, §§ 143, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG–. Der Senat konnte gemäß § 126 SGG auch in Abwesenheit des Klägers entscheiden.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Zutreffend hat das angefochtene Urteil ausgeführt, daß der Kläger Hausgewerbetreibender im Sinne des § 1227 Abs. 1 Ziff. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und daher versicherungspflichtig zur Arbeiterrentenversicherung ist. Nach dieser Bestimmung werden in der Rentenversicherung der Arbeiter u.a. Hausgewerbetreibende und Heimarbeiter versichert, soweit sie nicht bereits nach Nr. 1 dieser Bestimmung versicherungspflichtig sind. Auf dem Gebiet der Sozialversicherung, auf das allein es bei dem vorliegenden Rechtsstreit ankommt, bestimmt sich der Begriff des Hausgewerbetreibenden nach § 162 RVO. Danach gelten als Hausgewerbetreibende die selbständigen Gewerbetreibenden, die in eigenen Betriebsstätten im Auftrage und für Rechnung anderer Gewerbetreibenden gewerbliche Erzeugnisse herstellen oder vertreiben. Die Hausgewerbetreibenden gelten nach § 162 Abs. 3 RVO als solche auch dann, wenn sie Roh- und Hilfsstoffe selbst beschaffen und vorübergehend für eigene Rechnung arbeiten. Zur Feststellung, ob der Kläger Hausgewerbetreibender in diesem Sinne ist, hat die Beklagte dem Kläger einen Fragebogen übersandt, den er selbst ausgefüllt zurückgesandt hat. Danach arbeitet er in eigener Betriebsstätte, jedoch nicht für eigene Rechnung, sondern nur auf Rechnung des Auftraggebers. Der Kläger kann die Erzeugnisse nach seinen Angaben auch nicht beliebig verwenden, sondern hat sämtliche Erzeugnisse an den Auftraggeber zurückzugeben. Die Erzeugnisse kann er auch nicht auf Lager nehmen, sondern sie werden überwiegend für den Verbraucher hergestellt und an den Auftraggeber zurückgegeben.

Damit hat der Kläger selbst die Tatbestandsmerkmale dafür geliefert, daß er Hausgewerbetreibender im Sinne der Sozialversicherung ist, so daß an seiner Beitragspflicht kein Zweifel bestehen kann.

Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Kläger auch den Bestimmungen des Heimarbeitergesetzes unterliegt, da diese für steuerliche Belange maßgebend sind (vgl. auch Urteil des Bundessozialgerichts vom 26. Oktober 1962, Bd. 18, S. 70). Der Beschluss des Heimarbeiterausschusses, der die Herausnahme des Betriebes des Klägers aus der "Gleichstellungsverordnung” ausgesprochen haben soll, ist danach für dieses Verfahren ohne Bedeutung, so daß der Senat keine Veranlassung hatte, diesem Beschluss und seinen Gründen näher nachzugeben. Für die Versicherungspflicht ist vielmehr allein die Erfüllung des Begriffs des Hausgewerbetreibenden im Sinne des § 162 RVO entscheidend. Danach ist der Kläger Hausgewerbetreibender im Sinne der Reichsversicherungsordnung und die Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Die Klage ist daher zutreffend abgewiesen worden.

Die Berufung konnte nicht zum Erfolg führen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved