Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 An 607/71
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29. Januar 1971 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 18. September 1968 verurteilt, dem Kläger Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe ab 1. April 1968 zu gewähren.
Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der im Jahre 1923 geborene Kläger war von 1940 bis 1942 als kaufmännischer Lehrling versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Abschluß der Lehre mit der Gehilfenprüfung leistete er Kriegsdienst. Im Juni 1946 trat er als Geschäftsführer in das väterliche Geschäft, einer Kohlen-, Düngemittel-, Getreide- und Futtermittelhandlung ein. Dieses Geschäft hat er von seinem Vater übernommen.
Seit 1954 ist der Kläger freiwillig weiterversichert. Er entrichtete zunächst Beiträge des Klasse XI, für 1957 bis 1961 für jedes 1962 12 Beiträge der Klasse M, für 1963 12 Beiträge der Klasse N, für 1964 12 Beiträge der Klasse P, für 1965 12 Beiträge der Klasse R, für 1966 12 Beiträge der Klasse T, für 1967 12 Beiträge der Klasse V und im Jahre 1968 12 Beiträge der klasse 1600.
Im März 1968 beantragte der Kläger nach einem Unfall im Januar 1968 die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Nach dem zum Rentenantrag eingeholten Gutachten des Chirurgen Dr. K. ist der Kläger noch in der Lage, als kaufmännischer Angestellter täglich 5 Stunden eine sitzende Beschäftigung auszuüben. Arbeiten im Stehen, Laufen und längeren belastenden Einhergehen sind dagegen nicht zumutbar. Auf Grund dieses Gutachtens hat die Beklagte durch Bescheid vom 18.9.1968 den Rentenantrag abgelehnt.
Im Klageverfahren trug der Kläger vor, er sei seit 1946 ununterbrochen als Kohlen-, Düngemittel-, Getreide- und Futtermittelhändler tätig. Sein Geschäft sei so klein, daß er es nur als Einmannbetrieb betreiben könne. Er müsse alle vorkommenden Arbeiten, wie z.B. Kohlen entladen, Säcke schleppen, Lastkraftwagen fahren, alleine ausführen. Seither habe er nur stundenweise bezahlte Aushilfskräfte beschäftigt. Wegen seines Gesundheitszustandes könne er die in seinem Geschäft anfallenden Arbeiten nicht mehr verrichten. Die Beklagte trug demgegenüber vor, der Kläger müsse sich auf die Tätigkeit eines kaufmännischen Angestellten in gehobener Position verweisen lassen. Die vom Kläger ausgeübte selbständige Tätigkeit sei für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit nicht maßgebend. Mit seinem Leistungsvermögen könne der Kläger noch mindestens halbtags in einem Handelsberuf (z.B. als Lagerverwalter) tätig sein. Insoweit sei der Arbeitsmarkt im gesamten Bundesgebiet nicht verschlossen.
Das Sozialgericht holte beim Kreiskrankenhaus H. einen Befundbericht über den Gesundheitszustand des Klägers ein. Hiernach ist der Kläger in der Lage, täglich 5 Stunden in seinem Betrieb tätig zu sein. Das Sozialgericht holte weiter eine Auskunft beim Finanzamt R. über die Ertragslage des vom Kläger betriebenen Geschäftes ein. Nach der Auskunft vom 2.9.1970 wurde im Jahre 1967 ein Umsatz von 328.131,70 DM der Veranlagung zugrunde gelegt, während im Kalenderjahr 1968 nur noch ein Umsatz von 276.591,52 DM erzielt wurde. Der Umsatzrückgang sei offensichtlich auf die Erkrankung des Klägers zurückzuführen. Aus den vom Kläger vorgelegten Bilanzen für 1967 und 1968 geht hervor, daß die Aufwendungen für Löhne von 10.136,75 DM im Jahre 1967 auf 21.744,10 DM im Jahre 1968 gestiegen sind.
Durch Urteil vom 29.1.1971 hat das Sozialgericht Kassel die Klage abgewiesen mit der Begründung, infolge eines Unfalls im Jahre 1968 sei der Kläger längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt gewesen, diese Arbeitsunfähigkeit sei jedoch nicht ohne weiteres identisch mit der Berufsunfähigkeit des § 23 AVG. Sein Gesundheitszustand habe ihn nicht gehindert, seinen Beruf als selbständiger Unternehmer bis zum Unfalltage auszuüben. Schließlich sei nach dem Gesetz auf den erlernten Beruf zurückzugreifen. Dies sei derjenige eines kaufmännischen Angestellten, der nicht größeren körperlichen Strapazen ausgesetzt sei. Als leitender Angestellter sei der Kläger nicht berufsunfähig.
Gegen dieses am 14.5.1971 zwecks Zustellung zur Post gegebene Urteil richtet sich die am 15.6.1971 beim Hess. Landessozialgericht eingelegte Berufung des Klägers. Der Kläger rügt, daß das Sozialgericht die Erwerbsunfähigkeit nach den Folgen des im Januar 1968 erlittenen Unfalles beurteilt habe. Aus dem im Verwaltungsverfahren erstatteten ärztlichen Gutachten gehe jedoch hervor, daß er berufs- und erwerbsunfähig sei. Eine weitere ärztliche Begutachtung, gegebenenfalls nach § 109 SGG, müsse dies bestätigen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29.1.1971 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18.9.1968 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend und führt weiter aus, daß der Kläger als selbständiger Unternehmer oder Geschäftsführer nicht den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung genieße. Der Kläger sei auch nicht auf abhängige Beschäftigungen als Geschäftsführer, leitender Angestellter bzw. Verkaufsleiter verweisbar, weil er hierfür keine Pflichtbeiträge entrichtet und auch nicht durch Selbstversicherungsbeiträge einen entsprechend hohen Berufsschutz erworben habe. Maßgebend als "bisheriger Beruf” sei vielmehr der eines kaufmännischen Lehrlings. Dieser gelte als angelernt. Hiernach sei der Kläger auf einfache Büroarbeiten, etwa in der Registratur oder Poststelle verweisbar. Der Arbeitsmarkt sei hierfür nach seinem Leistungsvermögen praktisch nicht verschlossen. Deswegen sei auch unbeachtlich, daß es Teilzeitbeschäftigungen für leitende Angestellte praktisch nicht gebe.
Das Gericht hat die Akten des Sozialgerichts Kassel S-10-V 315/63 und S-3/U 338/68 beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Auf ihren Inhalt wird verwiesen. Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die an sich statthafte und in rechter Form und Frist eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.
Das angefochtene Urteil konnte nicht aufrechterhalten werden. Der Kläger ist berufsunfähig im Sinne des § 23 Abs. 2 AVG, er hat Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente.
Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Berufsunfähigkeit des Klägers zu messen ist, umfaßt die eines kaufmännischen Angestellten der Leistungsgruppe 2 der Anlage 1 b zu § 22 FRG. Das Berufsleben des Klägers wie auch seine Beitragsleistung entsprechen der eines Angestellten mit einem gehobenen bis höheren Verantwortungsbereich; sie gehen über rein schematische oder angelernte Tätigkeiten weit hinaus. Die langjährige selbständige Führung eines Handelsgeschäftes erfordert kaufmännische Kenntnisse und Erfahrungen, die den Kläger in die Lage versetzen, in einer abhängigen Beschäftigung als Angestellter über die reine Sachbearbeitung hinaus qualifizierte und verantwortungsvolle Arbeiten etwa als Abteilungsleiter, Filialleiter oder in einer vergleichbaren Position auszuführen. Dies ergibt sich schon aus Umsatz und Gewinn des vom Kläger betriebenen Geschäftes in den Jahren 1967 und 1968, wie sie aus den vom Kläger vorgelegten Bilanzen und auch der Auskunft des Finanzamtes R. zu entnehmen sind. Danach hatte das Geschäft des Klägers einen nicht nur geringen Umfang. Das ausgewiesene Kapital überstieg in beiden Jahren den Betrag von 100.000,– DM. Die Gewinn- und Verlustrechnung wies einen Betrag von über 300.000,– DM aus. Ein derartiges Geschäftsvolumen kann von einem Einzelunternehmer nur auf Grund besonderer kaufmännischer Kenntnisse und Erfahrungen erreicht und erhalten werden. Es erfordert neben dem intensiven Einsatz der eigenen Arbeitskraft vorausschauende und verantwortungsbewußte kaufmännische Dispositionen. Die Beklagte räumt überdies selbst ein, daß die selbständige Tätigkeit des Klägers der eines gehobenen bis leitenden kaufmännischen Angestellten vergleichbar ist.
Die freiwilligen Beiträge des Klägers entsprechen zumindest in den letzten Jahren vor Stellung des Rentenantrages den Beiträgen, die ein Pflichtversicherter Angestellter in gehobener bis höherer Stellung (Leistungsgruppe 2) zu entrichten gehabt hatte. Vergleicht man die vom Kläger in den Jahren 1966 bis 1968 entrichteten freiwilligen Beiträge mit Pflichtbeiträgen, so entspricht dies einem Monatseinkommen von 1.100,– bis 1.600,– DM. Hierbei darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Kläger in jedem Jahr 12 Monatsbeiträge entrichtet, deren Höhe kontinuierlich gesteigert und der allgemeinen Einkommensentwicklung angepaßt hat. Ein der Beitragshöhe entsprechendes Arbeitseinkommen eines Pflichtversicherten entsprach nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes etwa dem eines kaufmännischen Angestellten der Leistungsgruppe 2 im Groß- und Einzelhandel. Es ging in jedem Falle über das Durchschnittseinkommen eines Angestellten der Leistungsgruppe 3 hinaus. Die Beitragsleistung entsprach so mit der beruflichen Stellung des Klägers.
Die vom Kläger geleisteten freiwilligen Beiträge können nach Ansicht des Senates für die Beurteilung des Berufsschutzes nicht außer Betracht bleiben; insbesondere kann der Berufsschutz des Klägers nicht allein aus den Beiträgen beurteilt werden, die er als versicherungspflichtiger Lehrling entrichtet hat.
Der Senat vermag der Rechtsprechung des BSG (BSG 7, 66, 19, 57, 59; 27, 263, 264; Soz. Recht RVO § 1246 Nr. 67, BSG vom 8.12.1970 – 11 RA 8/68 – SGb 72 S. 278–280), die eine Berücksichtigung des bisherigen Berufes i.S.d. § 23 Abs. 2 AVG generell auf die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit beschränkt und freiwillige Beiträge außer Betracht läßt, im vorliegenden Fall nicht zu folgen. Diese Rechtsprechung müßte zumindest hier zu einem unbilligen Ergebnis führen, das sich auch nicht durch die Eigenart der freiwilligen Weiterversicherung überzeugend begründen ließe.
Das BSG stützt seine Auffassung auf die ständige Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes, insbesondere auf die Entscheidung vom 10.2.1914 (EuM Bd. 4 S. 289) und die grundsätzliche Entscheidung vom 24.11.1936 (EuM Bd. 40 S. 328). In der erstgenannten Entscheidung des RVA ging es darum, ob ein versicherungsberechtigter Selbständiger bei der Prüfung der Invalidität auf ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis verwiesen werden kann. Das RVA hat dies verneint mit der Begründung, eine solche Verweisung sei für einen bisher Selbständigen jedenfalls dann eine unbillige Zumutung, wenn die Beitragsleistung ausschließlich auf der freiwilligen Versicherung beruhe. Damit hat das Reichsversicherungsamt freiwillige Beiträge eines Selbstversicherten dem Berufsschutz zugrunde gelegt. In seiner Entscheidung vom 24.11.1936 begründet das RVA seine Rechtsauffassung, daß es bei freiwillig Weiterversicherten nur auf die soziale Stellung ankomme, die ein Versicherter unmittelbar vor seinem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht oder aus der Selbstversicherung innegehabt habe, damit, daß nur die "Klassen der versicherungspflichtigen und der selbstversicherungsberechtigten Personen den eigentlichen Gegenstand der Invalidenfürsorge” bildeten. Vom Gegenstand der Versicherung her kommen also für die Verweisbarkeit eines Versicherten nur solche Berufstätigkeiten in Betracht, die der Versicherungspflicht unterliegen; denn es ging bei dieser Entscheidung darum, daß ein in der damaligen Invalidenversicherung freiwillig weiterversicherter Beamter als solcher keinen Berufsschutz in Anspruch nehmen konnte, weil dieser Personenkreis in diesem Versicherungszweig weder versicherungspflichtig noch versicherungsberechtigt war. In dem hier zu entscheidenden Fall geht es jedoch darum, was der bisherige Beruf des Klägers im Sinne des § 23 Abs. 2 AVG war und auf welche versicherungspflichtigen Berufstätigkeiten der Kläger verwiesen werden kann.
Wenn das BSG in einer anderen Entscheidung (Bd. 24 S. 7, 11) zum Ausdruck bringt, daß ein nicht pflichtversicherter Beruf den für die Rentenbewilligung maßgebenden "bisherigen Beruf” nicht ersetzen könne, weil es dann an einem pflichtversicherten. Risiko fehlen würde, so ist dem entgegenzuhalten, daß auch im vorliegenden Falle nur eine Zugrundelegung eines an sich versicherungspflichtigen Berufes in Betracht kommt. Der gesetzlichen Rentenversicherung soll hier nur ein Risiko zugemutet werden, das sie bei einer Vielzahl abhängig Beschäftigter ohnehin tragen muß und für das sie in der Form von Beiträgen eine wirtschaftliche Gegenleistung erhält. Der Unterschied liegt hier nur darin, daß der Kläger freiwillige Beiträge entrichtet hat, während ein vergleichbarer versicherungspflichtiger Arbeitnehmer Pflichtbeiträge in der gleichen Höhe leistet.
Indessen folgt hieraus nicht, daß die von einem Versicherten nach seinem Ausscheiden aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung entrichteten freiwilligen Beiträge für die Bestimmung des "bisherigen Berufs” i.S.d. § 23 Abs. 2 AVG stets die gleiche Bedeutung hätten wie Pflichtbeiträge, also insoweit integrierender Bestandteil des gesamten Versicherungsverhältnisses sind. Eine derartige Rechtsauffassung würde den Versicherten zwingen, zur Erhaltung eines sozialen Besitzstandes die frühere Pflichtversicherung zumindest mit den gleichen finanziellen Aufwendungen freiwillig fortzusetzen, weil er anderenfalls seines Berufsschutzes verlustig ginge. Dies kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, das es nach dem Wegfall der Anwartschaftsvorschriften dem Versicherten freistellt, ob und in welchem Umfang er von seinem Recht zur freiwilligen Weiterversicherung Gebrauch machen will. Tatsächlich werden auch im allgemeinen freiwillige Beiträge aus den verschiedensten Motiven heraus entrichtet, wobei oft der Aufbau oder Ausbau einer Altersversorgung, die Ausnutzung von steuerlichen Vorteilen und auch die Wertbeständigkeit der Ansprüche aus der Sozialversicherung im Vordergrund stehen. Alle diese Gesichtspunkte haben mit der Erhaltung eines sozialen Besitzstandes im Sinne eines Berufsschutzes nicht zu tun. Dabei ist es sogar möglich, daß ein Versicherter aus diesen Erwägungen heraus freiwillige Beiträge entrichtet, deren Höhe weit über die frühere soziale Stellung im Erwerbsleben hinausgehen und einem Beruf entsprechen, den der Versicherte nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten überhaupt nicht ausüben kann. So kann zum Beispiel eine ungelernte Arbeiterin nach ihrem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung wegen der Einkommensverhältnisse ihres Ehemannes durchaus kontinuierlich die höchsten Beiträge freiwillig weiter entrichten. Es wäre verfehlt, sie deshalb bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit nur noch auf höher qualifizierte Tätigkeiten zu verweisen und dabei die frühere Tätigkeit als Hilfsarbeiterin außer Betracht zu lassen, weil in diesem Falle nicht mehr der Beruf im Sinne eines im Arbeitsleben erlangten sozialen Besitzstandes, sondern nur noch der finanzielle Aufwand für die Beiträge versicherungsrechtlich geschützt wäre. Schließlich steht es einem freiwillig Weiterversicherten frei, ob er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln viele niedrige oder wenige, aber dafür hohe Beiträge leisten will. Diese Entscheidung wird der Versicherte in der Regel nicht von dem Schutz seines bisherigen Berufes, sondern von der Höhe des angestrebten Rentenanspruches abhängig machen. Auch hier wäre es verfehlt, den Versicherten mit wenigen hohen Beiträgen bei der Anwendung des § 23 Abs. 2 AVG besser zu stellen als den Versicherten mit einer kontinuierlichen niedrigen Beitragsleistung.
Auf der anderen Seite steht es jedoch für die Anwendung des § 23 Abs. 2 AVG dem Wesen der freiwilligen Weiterversicherung nicht entgegen, wenn ein Versicherter eine nach Beendigung der Pflichtversicherung erworbene höhere soziale Stellung durch die kontinuierliche Entrichtung entsprechender Beiträge versicherungsrechtlich absichert und sich auf diese Weise einem Versicherungspflichtigen gleichstellt. Er muß seinen beruflichen Aufstieg durch die Beitragsleistung gleichsam nachvollziehen. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des BSG zum Berufsschutz der Selbstversicherten (vgl. BSG 25, 129; SozR RVO § 1246 Nr. 66), wonach der bisherige Beruf nur insoweit zu berücksichtigen ist, als die entrichteten Beiträge ihm entsprechen. Die hierfür gegebene Begründung, daß bei dem Pflichtversicherten berufliche Qualifikation und damit die Einschränkung der zumutbaren Verweisungstätigkeiten mit der einkommensbedingten hohen Beitragsleistung gekoppelt ist, gilt auch für den freiwillig Weiterversicherten mit vergleichbar hoher Beitragsleistung. Hält man beim Selbstversicherten eine dem Pflichtversicherten vergleichbare hohe Beitragsleistung für erforderlich und ausreichend, so ist nicht einzusehen, warum dieser Grundsatz für freiwillig Weiterversicherte nicht gelten soll. Dies wird deutlich, wenn man bedenkt, daß im vorliegenden Falle der Kläger ohne seine früheren Pflichtbeiträge als Lehrling im Jahre 1954 die Selbstversicherung hätte beginnen können. In diesem Falle hätten im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG keine Bedenken dagegen bestanden, ihm wegen seiner beruflichen Stellung in Verbindung mit seiner Beitragsleistung den Berufsschutz eines gehobenen bis leitenden Angestellten zuteil werden zu lassen. Eine Lehrzeit ohne Pflichtbeiträge wäre hier ohne weiteres möglich gewesen, wenn der Kläger z.B. im väterlichen Geschäft seinen Beruf erlernt hätte, schon aus dieser Sicht ist eine Differenzierung zwischen den Beiträgen Selbstversicherter und freiwillig Weiterversicherter nicht zu rechtfertigen. Darüber hinaus sind Fälle denkbar, in denen ein pflichtversicherter Lehrling nach Abschluß seiner Lehre ein Studium aufgenommen hat und anschließend als Angestellter wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei war. Hat er von seinem Recht zur freiwilligen Weiterversicherung Gebrauch gemacht und fortgesetzt die höchsten Beiträge entrichtet, so durfte doch seine letzte, mit hoher Qualifikation und hohem Einkommen verbundene berufliche Stellung nicht berücksichtigt werden; er wäre als kaufmännischer Angestellter mit abgeschlossener Lehre ohne Berufserfahrung zu beurteilen. Der gleiche Angestellte dagegen, der nach Abschluß seines Studiums zunächst wegen seines niedrigen Einkommens zunächst etwa 1–2 Jahre in einer gehobenen Position versicherungspflichtig beschäftigt war, wäre in dieser Position, die über derjenigen eines kaufmännischen Angestellten ohne Berufserfahrung liegen würde, geschützt, weil insoweit eine Pflichtversicherung vorlag. Bei diesen Überlegungen kann das Erfordernis der Erfüllung der Wartezeit in einem Beruf deshalb außer Betracht bleiben, weil in beiden Fällen ohne weiteres die Möglichkeit besteht, daß nach Entrichtung des ersten Pflichtbeitrages die zur Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Beiträge, z.B. im Wege der Sachversicherung als Referendar oder Zeitsoldat entrichtet wurde.
Hiernach sind die nach dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung entrichteten freiwilligen Beiträge für die Beurteilung des bisherigen Berufes i.S.d. § 23 Abs. 2 AVG insoweit zugrunde zu legen, als sie allenfalls mit geringfügigen Unterbrechungen fortgesetzt entrichtet werden und sie ihrer Höhe nach den von einem Pflichtversicherten in einer vergleichbaren beruflichen Stellung zu entrichtenden Pflichtbeiträgen entsprechen. Der berufliche Aufstieg muß mit anderen Worten durch die freiwillige Beitragsleistung so nachvollzogen werden, wie sich diese bei einem Pflichtversicherten entwickelt hätte. Auf diese Weise stehen dem Versicherungsträger für die Übernahme des Versicherungsrisikos in beiden Fällen gleich hohe Einnahmen gegenüber und die Versichertengemeinschaft wie auch die Allgemeinheit wird hier prinzipiell beim freiwillig Versicherten nicht stärker belastet als beim Pflichtversicherten.
Nach dem medizinisch festgestellten Leistungsvermögen ist dem Kläger der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen. Er kann nach dem zum Rentenantrag erstatteten überzeugenden Gutachten nur noch 5 Stunden am Tage eine sitzende Beschäftigung als kaufmännischer Angestellter ausüben. Dem entspricht auch der Befundbericht des Kreiskrankenhauses H. vom 28.9.1969. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die den Kläger befähigen würde, einer geregelten Ganztagsbeschäftigung als Angestellter in gehobener Stellung nachzugehen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Teilzeitbeschäftigungen für Angestelltentätigkeiten in gehobener bis höherer Stellung nach dem Merkmalen der Leistungsgruppe 2 sind, wie gerichtsbekannt ist, nicht in ausreichendem Umfang vorhanden. Wie die Beklagte selbst einräumt, erfassen die Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit nur die sachbearbeitenden Funktionen, also höchstens die Angestellten der Leistungsgruppe 3. Auch die Beklagte hat nicht vorgetragen, daß es einen Teilzeitarbeitsmarkt für gehobene und leitende Angestellte gibt. Auch hieraus gewinnt der Senat die Überzeugung, daß dem Kläger der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist.
Schließlich kann der Kläger auch nicht auf seine Tätigkeit im eigenen Betrieb verwiesen werden. Er ist nicht in der Lage, aus seiner selbständigen Tätigkeit mindestens die Hälfte des Einkommens zu verdienen, das durchschnittlich in einer vergleichbaren abhängigen Beschäftigung erreicht wird (vgl. BSG 22, 265). Der Kläger trägt glaubhaft vor, daß alle in seinem Betrieb anfallenden Arbeiten, insbesondere die körperlicher Art, im wesentlichen von ihm selbst ausgeführt werden müssen. Schwere Arbeiten (Säcke schleppen) fallen in nicht unerheblichem Umfang an. Nach der Auskunft des Finanzamts R. vom 2.9.1970 ist der Umsatz des Geschäftes infolge der Erkrankung des Klägers im Jahre 1968 um rund 20 % zurückgegangen. Nach den Bilanzen betrug der Gewinn im Jahre 1967 noch über 33.000,– DM, während er im Jahre 1968 unter 10.000,– DM lag. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß ein Eigenkapital von über 100.000,– DM besteht, für das eine angemessene Verzinsung von 3–4 % – ca. 4.000,– DM in Ansatz zu bringen ist. Diese Umstände sprechen deutlich für die Notwendigkeit und den wirtschaftlichen Wert der persönlichen Arbeitsleistung des Klägers. Es ist nicht ersichtlich, daß der Kläger ohne die Einstellung weiterer Arbeitskräfte in der Lage wäre, mindestens die Hälfte des auf frühere Arbeitsleistung beruhenden Einkommens (wie auch des eines vergleichbaren Versicherten in abhängiger Beschäftigung, wie sie bereits dargestellt wurde) zu erzielen. Nach der Struktur seines Betriebes bezieht seine persönliche Mitarbeit nicht mindestens halbtags in sitzender Tätigkeit. Nach den Bilanzen würde die Einstellung einer weiteren Arbeitskraft den Betrieb unangemessen belasten, so daß dies dem Kläger nicht zugemutet werden kann. Seine gesundheitlich noch mögliche Arbeitsleistung im eigenen Geschäft hat somit nicht den Wert der durchschnittlichen Lohnhälfte eines vergleichbaren Versicherten, so daß der Kläger auch aus dieser Sicht berufsunfähig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der im Jahre 1923 geborene Kläger war von 1940 bis 1942 als kaufmännischer Lehrling versicherungspflichtig beschäftigt. Nach Abschluß der Lehre mit der Gehilfenprüfung leistete er Kriegsdienst. Im Juni 1946 trat er als Geschäftsführer in das väterliche Geschäft, einer Kohlen-, Düngemittel-, Getreide- und Futtermittelhandlung ein. Dieses Geschäft hat er von seinem Vater übernommen.
Seit 1954 ist der Kläger freiwillig weiterversichert. Er entrichtete zunächst Beiträge des Klasse XI, für 1957 bis 1961 für jedes 1962 12 Beiträge der Klasse M, für 1963 12 Beiträge der Klasse N, für 1964 12 Beiträge der Klasse P, für 1965 12 Beiträge der Klasse R, für 1966 12 Beiträge der Klasse T, für 1967 12 Beiträge der Klasse V und im Jahre 1968 12 Beiträge der klasse 1600.
Im März 1968 beantragte der Kläger nach einem Unfall im Januar 1968 die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Nach dem zum Rentenantrag eingeholten Gutachten des Chirurgen Dr. K. ist der Kläger noch in der Lage, als kaufmännischer Angestellter täglich 5 Stunden eine sitzende Beschäftigung auszuüben. Arbeiten im Stehen, Laufen und längeren belastenden Einhergehen sind dagegen nicht zumutbar. Auf Grund dieses Gutachtens hat die Beklagte durch Bescheid vom 18.9.1968 den Rentenantrag abgelehnt.
Im Klageverfahren trug der Kläger vor, er sei seit 1946 ununterbrochen als Kohlen-, Düngemittel-, Getreide- und Futtermittelhändler tätig. Sein Geschäft sei so klein, daß er es nur als Einmannbetrieb betreiben könne. Er müsse alle vorkommenden Arbeiten, wie z.B. Kohlen entladen, Säcke schleppen, Lastkraftwagen fahren, alleine ausführen. Seither habe er nur stundenweise bezahlte Aushilfskräfte beschäftigt. Wegen seines Gesundheitszustandes könne er die in seinem Geschäft anfallenden Arbeiten nicht mehr verrichten. Die Beklagte trug demgegenüber vor, der Kläger müsse sich auf die Tätigkeit eines kaufmännischen Angestellten in gehobener Position verweisen lassen. Die vom Kläger ausgeübte selbständige Tätigkeit sei für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit nicht maßgebend. Mit seinem Leistungsvermögen könne der Kläger noch mindestens halbtags in einem Handelsberuf (z.B. als Lagerverwalter) tätig sein. Insoweit sei der Arbeitsmarkt im gesamten Bundesgebiet nicht verschlossen.
Das Sozialgericht holte beim Kreiskrankenhaus H. einen Befundbericht über den Gesundheitszustand des Klägers ein. Hiernach ist der Kläger in der Lage, täglich 5 Stunden in seinem Betrieb tätig zu sein. Das Sozialgericht holte weiter eine Auskunft beim Finanzamt R. über die Ertragslage des vom Kläger betriebenen Geschäftes ein. Nach der Auskunft vom 2.9.1970 wurde im Jahre 1967 ein Umsatz von 328.131,70 DM der Veranlagung zugrunde gelegt, während im Kalenderjahr 1968 nur noch ein Umsatz von 276.591,52 DM erzielt wurde. Der Umsatzrückgang sei offensichtlich auf die Erkrankung des Klägers zurückzuführen. Aus den vom Kläger vorgelegten Bilanzen für 1967 und 1968 geht hervor, daß die Aufwendungen für Löhne von 10.136,75 DM im Jahre 1967 auf 21.744,10 DM im Jahre 1968 gestiegen sind.
Durch Urteil vom 29.1.1971 hat das Sozialgericht Kassel die Klage abgewiesen mit der Begründung, infolge eines Unfalls im Jahre 1968 sei der Kläger längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt gewesen, diese Arbeitsunfähigkeit sei jedoch nicht ohne weiteres identisch mit der Berufsunfähigkeit des § 23 AVG. Sein Gesundheitszustand habe ihn nicht gehindert, seinen Beruf als selbständiger Unternehmer bis zum Unfalltage auszuüben. Schließlich sei nach dem Gesetz auf den erlernten Beruf zurückzugreifen. Dies sei derjenige eines kaufmännischen Angestellten, der nicht größeren körperlichen Strapazen ausgesetzt sei. Als leitender Angestellter sei der Kläger nicht berufsunfähig.
Gegen dieses am 14.5.1971 zwecks Zustellung zur Post gegebene Urteil richtet sich die am 15.6.1971 beim Hess. Landessozialgericht eingelegte Berufung des Klägers. Der Kläger rügt, daß das Sozialgericht die Erwerbsunfähigkeit nach den Folgen des im Januar 1968 erlittenen Unfalles beurteilt habe. Aus dem im Verwaltungsverfahren erstatteten ärztlichen Gutachten gehe jedoch hervor, daß er berufs- und erwerbsunfähig sei. Eine weitere ärztliche Begutachtung, gegebenenfalls nach § 109 SGG, müsse dies bestätigen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29.1.1971 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18.9.1968 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend und führt weiter aus, daß der Kläger als selbständiger Unternehmer oder Geschäftsführer nicht den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung genieße. Der Kläger sei auch nicht auf abhängige Beschäftigungen als Geschäftsführer, leitender Angestellter bzw. Verkaufsleiter verweisbar, weil er hierfür keine Pflichtbeiträge entrichtet und auch nicht durch Selbstversicherungsbeiträge einen entsprechend hohen Berufsschutz erworben habe. Maßgebend als "bisheriger Beruf” sei vielmehr der eines kaufmännischen Lehrlings. Dieser gelte als angelernt. Hiernach sei der Kläger auf einfache Büroarbeiten, etwa in der Registratur oder Poststelle verweisbar. Der Arbeitsmarkt sei hierfür nach seinem Leistungsvermögen praktisch nicht verschlossen. Deswegen sei auch unbeachtlich, daß es Teilzeitbeschäftigungen für leitende Angestellte praktisch nicht gebe.
Das Gericht hat die Akten des Sozialgerichts Kassel S-10-V 315/63 und S-3/U 338/68 beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Auf ihren Inhalt wird verwiesen. Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die an sich statthafte und in rechter Form und Frist eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.
Das angefochtene Urteil konnte nicht aufrechterhalten werden. Der Kläger ist berufsunfähig im Sinne des § 23 Abs. 2 AVG, er hat Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente.
Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Berufsunfähigkeit des Klägers zu messen ist, umfaßt die eines kaufmännischen Angestellten der Leistungsgruppe 2 der Anlage 1 b zu § 22 FRG. Das Berufsleben des Klägers wie auch seine Beitragsleistung entsprechen der eines Angestellten mit einem gehobenen bis höheren Verantwortungsbereich; sie gehen über rein schematische oder angelernte Tätigkeiten weit hinaus. Die langjährige selbständige Führung eines Handelsgeschäftes erfordert kaufmännische Kenntnisse und Erfahrungen, die den Kläger in die Lage versetzen, in einer abhängigen Beschäftigung als Angestellter über die reine Sachbearbeitung hinaus qualifizierte und verantwortungsvolle Arbeiten etwa als Abteilungsleiter, Filialleiter oder in einer vergleichbaren Position auszuführen. Dies ergibt sich schon aus Umsatz und Gewinn des vom Kläger betriebenen Geschäftes in den Jahren 1967 und 1968, wie sie aus den vom Kläger vorgelegten Bilanzen und auch der Auskunft des Finanzamtes R. zu entnehmen sind. Danach hatte das Geschäft des Klägers einen nicht nur geringen Umfang. Das ausgewiesene Kapital überstieg in beiden Jahren den Betrag von 100.000,– DM. Die Gewinn- und Verlustrechnung wies einen Betrag von über 300.000,– DM aus. Ein derartiges Geschäftsvolumen kann von einem Einzelunternehmer nur auf Grund besonderer kaufmännischer Kenntnisse und Erfahrungen erreicht und erhalten werden. Es erfordert neben dem intensiven Einsatz der eigenen Arbeitskraft vorausschauende und verantwortungsbewußte kaufmännische Dispositionen. Die Beklagte räumt überdies selbst ein, daß die selbständige Tätigkeit des Klägers der eines gehobenen bis leitenden kaufmännischen Angestellten vergleichbar ist.
Die freiwilligen Beiträge des Klägers entsprechen zumindest in den letzten Jahren vor Stellung des Rentenantrages den Beiträgen, die ein Pflichtversicherter Angestellter in gehobener bis höherer Stellung (Leistungsgruppe 2) zu entrichten gehabt hatte. Vergleicht man die vom Kläger in den Jahren 1966 bis 1968 entrichteten freiwilligen Beiträge mit Pflichtbeiträgen, so entspricht dies einem Monatseinkommen von 1.100,– bis 1.600,– DM. Hierbei darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Kläger in jedem Jahr 12 Monatsbeiträge entrichtet, deren Höhe kontinuierlich gesteigert und der allgemeinen Einkommensentwicklung angepaßt hat. Ein der Beitragshöhe entsprechendes Arbeitseinkommen eines Pflichtversicherten entsprach nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes etwa dem eines kaufmännischen Angestellten der Leistungsgruppe 2 im Groß- und Einzelhandel. Es ging in jedem Falle über das Durchschnittseinkommen eines Angestellten der Leistungsgruppe 3 hinaus. Die Beitragsleistung entsprach so mit der beruflichen Stellung des Klägers.
Die vom Kläger geleisteten freiwilligen Beiträge können nach Ansicht des Senates für die Beurteilung des Berufsschutzes nicht außer Betracht bleiben; insbesondere kann der Berufsschutz des Klägers nicht allein aus den Beiträgen beurteilt werden, die er als versicherungspflichtiger Lehrling entrichtet hat.
Der Senat vermag der Rechtsprechung des BSG (BSG 7, 66, 19, 57, 59; 27, 263, 264; Soz. Recht RVO § 1246 Nr. 67, BSG vom 8.12.1970 – 11 RA 8/68 – SGb 72 S. 278–280), die eine Berücksichtigung des bisherigen Berufes i.S.d. § 23 Abs. 2 AVG generell auf die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit beschränkt und freiwillige Beiträge außer Betracht läßt, im vorliegenden Fall nicht zu folgen. Diese Rechtsprechung müßte zumindest hier zu einem unbilligen Ergebnis führen, das sich auch nicht durch die Eigenart der freiwilligen Weiterversicherung überzeugend begründen ließe.
Das BSG stützt seine Auffassung auf die ständige Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes, insbesondere auf die Entscheidung vom 10.2.1914 (EuM Bd. 4 S. 289) und die grundsätzliche Entscheidung vom 24.11.1936 (EuM Bd. 40 S. 328). In der erstgenannten Entscheidung des RVA ging es darum, ob ein versicherungsberechtigter Selbständiger bei der Prüfung der Invalidität auf ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis verwiesen werden kann. Das RVA hat dies verneint mit der Begründung, eine solche Verweisung sei für einen bisher Selbständigen jedenfalls dann eine unbillige Zumutung, wenn die Beitragsleistung ausschließlich auf der freiwilligen Versicherung beruhe. Damit hat das Reichsversicherungsamt freiwillige Beiträge eines Selbstversicherten dem Berufsschutz zugrunde gelegt. In seiner Entscheidung vom 24.11.1936 begründet das RVA seine Rechtsauffassung, daß es bei freiwillig Weiterversicherten nur auf die soziale Stellung ankomme, die ein Versicherter unmittelbar vor seinem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht oder aus der Selbstversicherung innegehabt habe, damit, daß nur die "Klassen der versicherungspflichtigen und der selbstversicherungsberechtigten Personen den eigentlichen Gegenstand der Invalidenfürsorge” bildeten. Vom Gegenstand der Versicherung her kommen also für die Verweisbarkeit eines Versicherten nur solche Berufstätigkeiten in Betracht, die der Versicherungspflicht unterliegen; denn es ging bei dieser Entscheidung darum, daß ein in der damaligen Invalidenversicherung freiwillig weiterversicherter Beamter als solcher keinen Berufsschutz in Anspruch nehmen konnte, weil dieser Personenkreis in diesem Versicherungszweig weder versicherungspflichtig noch versicherungsberechtigt war. In dem hier zu entscheidenden Fall geht es jedoch darum, was der bisherige Beruf des Klägers im Sinne des § 23 Abs. 2 AVG war und auf welche versicherungspflichtigen Berufstätigkeiten der Kläger verwiesen werden kann.
Wenn das BSG in einer anderen Entscheidung (Bd. 24 S. 7, 11) zum Ausdruck bringt, daß ein nicht pflichtversicherter Beruf den für die Rentenbewilligung maßgebenden "bisherigen Beruf” nicht ersetzen könne, weil es dann an einem pflichtversicherten. Risiko fehlen würde, so ist dem entgegenzuhalten, daß auch im vorliegenden Falle nur eine Zugrundelegung eines an sich versicherungspflichtigen Berufes in Betracht kommt. Der gesetzlichen Rentenversicherung soll hier nur ein Risiko zugemutet werden, das sie bei einer Vielzahl abhängig Beschäftigter ohnehin tragen muß und für das sie in der Form von Beiträgen eine wirtschaftliche Gegenleistung erhält. Der Unterschied liegt hier nur darin, daß der Kläger freiwillige Beiträge entrichtet hat, während ein vergleichbarer versicherungspflichtiger Arbeitnehmer Pflichtbeiträge in der gleichen Höhe leistet.
Indessen folgt hieraus nicht, daß die von einem Versicherten nach seinem Ausscheiden aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung entrichteten freiwilligen Beiträge für die Bestimmung des "bisherigen Berufs” i.S.d. § 23 Abs. 2 AVG stets die gleiche Bedeutung hätten wie Pflichtbeiträge, also insoweit integrierender Bestandteil des gesamten Versicherungsverhältnisses sind. Eine derartige Rechtsauffassung würde den Versicherten zwingen, zur Erhaltung eines sozialen Besitzstandes die frühere Pflichtversicherung zumindest mit den gleichen finanziellen Aufwendungen freiwillig fortzusetzen, weil er anderenfalls seines Berufsschutzes verlustig ginge. Dies kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, das es nach dem Wegfall der Anwartschaftsvorschriften dem Versicherten freistellt, ob und in welchem Umfang er von seinem Recht zur freiwilligen Weiterversicherung Gebrauch machen will. Tatsächlich werden auch im allgemeinen freiwillige Beiträge aus den verschiedensten Motiven heraus entrichtet, wobei oft der Aufbau oder Ausbau einer Altersversorgung, die Ausnutzung von steuerlichen Vorteilen und auch die Wertbeständigkeit der Ansprüche aus der Sozialversicherung im Vordergrund stehen. Alle diese Gesichtspunkte haben mit der Erhaltung eines sozialen Besitzstandes im Sinne eines Berufsschutzes nicht zu tun. Dabei ist es sogar möglich, daß ein Versicherter aus diesen Erwägungen heraus freiwillige Beiträge entrichtet, deren Höhe weit über die frühere soziale Stellung im Erwerbsleben hinausgehen und einem Beruf entsprechen, den der Versicherte nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten überhaupt nicht ausüben kann. So kann zum Beispiel eine ungelernte Arbeiterin nach ihrem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung wegen der Einkommensverhältnisse ihres Ehemannes durchaus kontinuierlich die höchsten Beiträge freiwillig weiter entrichten. Es wäre verfehlt, sie deshalb bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit nur noch auf höher qualifizierte Tätigkeiten zu verweisen und dabei die frühere Tätigkeit als Hilfsarbeiterin außer Betracht zu lassen, weil in diesem Falle nicht mehr der Beruf im Sinne eines im Arbeitsleben erlangten sozialen Besitzstandes, sondern nur noch der finanzielle Aufwand für die Beiträge versicherungsrechtlich geschützt wäre. Schließlich steht es einem freiwillig Weiterversicherten frei, ob er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln viele niedrige oder wenige, aber dafür hohe Beiträge leisten will. Diese Entscheidung wird der Versicherte in der Regel nicht von dem Schutz seines bisherigen Berufes, sondern von der Höhe des angestrebten Rentenanspruches abhängig machen. Auch hier wäre es verfehlt, den Versicherten mit wenigen hohen Beiträgen bei der Anwendung des § 23 Abs. 2 AVG besser zu stellen als den Versicherten mit einer kontinuierlichen niedrigen Beitragsleistung.
Auf der anderen Seite steht es jedoch für die Anwendung des § 23 Abs. 2 AVG dem Wesen der freiwilligen Weiterversicherung nicht entgegen, wenn ein Versicherter eine nach Beendigung der Pflichtversicherung erworbene höhere soziale Stellung durch die kontinuierliche Entrichtung entsprechender Beiträge versicherungsrechtlich absichert und sich auf diese Weise einem Versicherungspflichtigen gleichstellt. Er muß seinen beruflichen Aufstieg durch die Beitragsleistung gleichsam nachvollziehen. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des BSG zum Berufsschutz der Selbstversicherten (vgl. BSG 25, 129; SozR RVO § 1246 Nr. 66), wonach der bisherige Beruf nur insoweit zu berücksichtigen ist, als die entrichteten Beiträge ihm entsprechen. Die hierfür gegebene Begründung, daß bei dem Pflichtversicherten berufliche Qualifikation und damit die Einschränkung der zumutbaren Verweisungstätigkeiten mit der einkommensbedingten hohen Beitragsleistung gekoppelt ist, gilt auch für den freiwillig Weiterversicherten mit vergleichbar hoher Beitragsleistung. Hält man beim Selbstversicherten eine dem Pflichtversicherten vergleichbare hohe Beitragsleistung für erforderlich und ausreichend, so ist nicht einzusehen, warum dieser Grundsatz für freiwillig Weiterversicherte nicht gelten soll. Dies wird deutlich, wenn man bedenkt, daß im vorliegenden Falle der Kläger ohne seine früheren Pflichtbeiträge als Lehrling im Jahre 1954 die Selbstversicherung hätte beginnen können. In diesem Falle hätten im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG keine Bedenken dagegen bestanden, ihm wegen seiner beruflichen Stellung in Verbindung mit seiner Beitragsleistung den Berufsschutz eines gehobenen bis leitenden Angestellten zuteil werden zu lassen. Eine Lehrzeit ohne Pflichtbeiträge wäre hier ohne weiteres möglich gewesen, wenn der Kläger z.B. im väterlichen Geschäft seinen Beruf erlernt hätte, schon aus dieser Sicht ist eine Differenzierung zwischen den Beiträgen Selbstversicherter und freiwillig Weiterversicherter nicht zu rechtfertigen. Darüber hinaus sind Fälle denkbar, in denen ein pflichtversicherter Lehrling nach Abschluß seiner Lehre ein Studium aufgenommen hat und anschließend als Angestellter wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei war. Hat er von seinem Recht zur freiwilligen Weiterversicherung Gebrauch gemacht und fortgesetzt die höchsten Beiträge entrichtet, so durfte doch seine letzte, mit hoher Qualifikation und hohem Einkommen verbundene berufliche Stellung nicht berücksichtigt werden; er wäre als kaufmännischer Angestellter mit abgeschlossener Lehre ohne Berufserfahrung zu beurteilen. Der gleiche Angestellte dagegen, der nach Abschluß seines Studiums zunächst wegen seines niedrigen Einkommens zunächst etwa 1–2 Jahre in einer gehobenen Position versicherungspflichtig beschäftigt war, wäre in dieser Position, die über derjenigen eines kaufmännischen Angestellten ohne Berufserfahrung liegen würde, geschützt, weil insoweit eine Pflichtversicherung vorlag. Bei diesen Überlegungen kann das Erfordernis der Erfüllung der Wartezeit in einem Beruf deshalb außer Betracht bleiben, weil in beiden Fällen ohne weiteres die Möglichkeit besteht, daß nach Entrichtung des ersten Pflichtbeitrages die zur Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Beiträge, z.B. im Wege der Sachversicherung als Referendar oder Zeitsoldat entrichtet wurde.
Hiernach sind die nach dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung entrichteten freiwilligen Beiträge für die Beurteilung des bisherigen Berufes i.S.d. § 23 Abs. 2 AVG insoweit zugrunde zu legen, als sie allenfalls mit geringfügigen Unterbrechungen fortgesetzt entrichtet werden und sie ihrer Höhe nach den von einem Pflichtversicherten in einer vergleichbaren beruflichen Stellung zu entrichtenden Pflichtbeiträgen entsprechen. Der berufliche Aufstieg muß mit anderen Worten durch die freiwillige Beitragsleistung so nachvollzogen werden, wie sich diese bei einem Pflichtversicherten entwickelt hätte. Auf diese Weise stehen dem Versicherungsträger für die Übernahme des Versicherungsrisikos in beiden Fällen gleich hohe Einnahmen gegenüber und die Versichertengemeinschaft wie auch die Allgemeinheit wird hier prinzipiell beim freiwillig Versicherten nicht stärker belastet als beim Pflichtversicherten.
Nach dem medizinisch festgestellten Leistungsvermögen ist dem Kläger der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen. Er kann nach dem zum Rentenantrag erstatteten überzeugenden Gutachten nur noch 5 Stunden am Tage eine sitzende Beschäftigung als kaufmännischer Angestellter ausüben. Dem entspricht auch der Befundbericht des Kreiskrankenhauses H. vom 28.9.1969. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die den Kläger befähigen würde, einer geregelten Ganztagsbeschäftigung als Angestellter in gehobener Stellung nachzugehen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Teilzeitbeschäftigungen für Angestelltentätigkeiten in gehobener bis höherer Stellung nach dem Merkmalen der Leistungsgruppe 2 sind, wie gerichtsbekannt ist, nicht in ausreichendem Umfang vorhanden. Wie die Beklagte selbst einräumt, erfassen die Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit nur die sachbearbeitenden Funktionen, also höchstens die Angestellten der Leistungsgruppe 3. Auch die Beklagte hat nicht vorgetragen, daß es einen Teilzeitarbeitsmarkt für gehobene und leitende Angestellte gibt. Auch hieraus gewinnt der Senat die Überzeugung, daß dem Kläger der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist.
Schließlich kann der Kläger auch nicht auf seine Tätigkeit im eigenen Betrieb verwiesen werden. Er ist nicht in der Lage, aus seiner selbständigen Tätigkeit mindestens die Hälfte des Einkommens zu verdienen, das durchschnittlich in einer vergleichbaren abhängigen Beschäftigung erreicht wird (vgl. BSG 22, 265). Der Kläger trägt glaubhaft vor, daß alle in seinem Betrieb anfallenden Arbeiten, insbesondere die körperlicher Art, im wesentlichen von ihm selbst ausgeführt werden müssen. Schwere Arbeiten (Säcke schleppen) fallen in nicht unerheblichem Umfang an. Nach der Auskunft des Finanzamts R. vom 2.9.1970 ist der Umsatz des Geschäftes infolge der Erkrankung des Klägers im Jahre 1968 um rund 20 % zurückgegangen. Nach den Bilanzen betrug der Gewinn im Jahre 1967 noch über 33.000,– DM, während er im Jahre 1968 unter 10.000,– DM lag. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß ein Eigenkapital von über 100.000,– DM besteht, für das eine angemessene Verzinsung von 3–4 % – ca. 4.000,– DM in Ansatz zu bringen ist. Diese Umstände sprechen deutlich für die Notwendigkeit und den wirtschaftlichen Wert der persönlichen Arbeitsleistung des Klägers. Es ist nicht ersichtlich, daß der Kläger ohne die Einstellung weiterer Arbeitskräfte in der Lage wäre, mindestens die Hälfte des auf frühere Arbeitsleistung beruhenden Einkommens (wie auch des eines vergleichbaren Versicherten in abhängiger Beschäftigung, wie sie bereits dargestellt wurde) zu erzielen. Nach der Struktur seines Betriebes bezieht seine persönliche Mitarbeit nicht mindestens halbtags in sitzender Tätigkeit. Nach den Bilanzen würde die Einstellung einer weiteren Arbeitskraft den Betrieb unangemessen belasten, so daß dies dem Kläger nicht zugemutet werden kann. Seine gesundheitlich noch mögliche Arbeitsleistung im eigenen Geschäft hat somit nicht den Wert der durchschnittlichen Lohnhälfte eines vergleichbaren Versicherten, so daß der Kläger auch aus dieser Sicht berufsunfähig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zuzulassen.
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