Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ar 346/82
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 1647/84
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine durch den DAAD vermittelte ledige Lektorin, die hintereinander zwei jeweils auf ein Jahr begrenzte Arbeitsverträge mit einer Universität in England erfüllt, vom DAAD zu dem Gehalt der Universität eine Aufstockung nach BAT mit Auslandszulage in DM auf ihr deutsches Bankkonto erhält, ihre deutsche voll möblierte Wohnung beibehält, die fast 5 Monate jährlich dauernden Trimesterferien fast ausschließlich in ihrer deutschen Wohnung verbringt, dort auch Arbeitsvorbereitungen für die Kurse in England trifft und ihre wesentlichen sozialen Bindungen in Deutschland beibehält, wohnt weiterhin in Deutschland. Die Tätigkeit in England wirkt deshalb nach Art. 71 Abs. 1 b (ii) EWG-VO 1408/71 anwartschaftsbegründend, wenn sie sich nach Abschluß der Tätigkeit in England bei einem deutschen Arbeitsamt arbeitslos meldet, ohne daß es hier zu einer Zwischenbeschäftigung gekommen ist.
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 9. Oktober 1984 sowie der Bescheid der Beklagten vom 30. September 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 1982 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 11. November 1982 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 5. November 1982 bis 31. März 1983 zu gewähren.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Es geht in dem Rechtsstreit um Arbeitslosengeld für die Zeit ab 5. November 1982 bis zum 31. März 1983.
Die 1952 geborene Klägerin arbeitete von April bis Oktober 1978 als Sprachlehrerin bei dem G.-Institut in M. war vom 1. November 1978 bis zum 30. April 1980 in K. als Studienreferendarin Beamtin auf Widerruf, bestand die zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien, arbeitete vom 9. Juni bis 30. September 1980 wieder als Sprachlehrerin im G.-Institut und vom 1. Oktober 1980 bis 30. Juni 1982 als Lektorin an der University of N ... Diese Tätigkeit wurde ihr durch den Deutschen Akademischen A. vermittelt, von dem sie auf ihr K. Bankkonto noch eine Ausgleichszahlung zu dem Gehalt der Universität erhielt. Auf ihre Arbeitslosmeldung und Antragstellung vom 27. Mai 1980 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 3. Juni 1980 Arbeitslosengeld ab 27. Mai 1980 für 78 Tage. Auf die erst an 8. August 1980 bei der Beklagten zugegangene Mitteilung über die Arbeitsaufnahme von 9. Juni 1980 hob die Beklagte mit Bescheid vom 18. September 1980 die Bewilligung ab Arbeitsaufnahme auf und forderte DM 2.489,40 zuviel gezahltes Arbeitslosengeld zurück, die die Klägerin auch alsbald bezahlte. Die Beklagte erließ deswegen unter dem 10. November 1980 einen Bußgeldbescheid. Vom Amtsgericht Göttingen wurde das Verfahren mit Beschluss von 24. März 1981 nach § 47 Abs. 2 Ordnungswidrigkeitengesetz (OwiG) eingestellt.
Am 19. August 1982 meldete sich die Klägerin erneut bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 30. September 1982 lehnte die Beklagte den Antrag unter Hinweis auf Art. 67 Abs. 3 BWG-Verordnung 1408/71 ab, da zwischen der Beschäftigung in E. und der Arbeitslosmeldung am 19. August 1982 keine versicherungspflichtige Beschäftigung vorgelegen habe. Auf den Widerspruch der Klägerin vom 28. Oktober 1982 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 11. November 1982 Arbeitslosengeld entsprechend einem Restanspruch von 67 Tagen. Mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 1982 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, daß die Klägerin in der Rahmenfrist vom 18. August 1982 bis zum 27. Mai 1980 nur eine Anwartschaftszeit von 114 Kalendertagen (09.06. –30.09.1980) zurückgelegt habe. Die berufliche Tätigkeit in G. habe nicht der Beitragspflicht zur Beklagten unterlegen und könne gemäß Art. 67 Abs. 3 der EWG-Verordnung nicht berücksichtigt werden, da nicht unmittelbar zuvor hier Versicherungszeiten zurückgelegt worden seien. Art. 71 der EWG-Verordnung finde keine Anwendung, da die Klägerin während ihrer Beschäftigung im Geltungsgebiet des zuständigen Mitgliedstaates gewohnt habe.
Gegen den ihr am 20. November 1982 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 20. Dezember 1982 Klage erhoben und vorgetragen, die Beklagte verkenne den Inhalt von Art. 67 Abs. 3 der EWG-Verordnung 1408/71. Mit der Verordnung solle die Freizügigkeit innerhalb der EG-Staaten gewährleistet werden, deshalb die schlichte Anrechnung von Auslandstätigkeiten; es werde allein vorausgesetzt, daß der Arbeitslose unmittelbar vor Beginn seiner Auslandstätigkeit im Inland beschäftigt gewesen sei.
Mit Urteil vom 9. Oktober 1984 hat das Sozialgericht Kassel (S-5/Ar-346/82) die Klage abgewiesen und dies unter anderem damit begründet, der Arbeitslose habe nach Gemeinschaftsrecht grundsätzlich keinen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates als desjenigen, in dem er arbeitslos geworden sei (Gerichtshof der europäischen Gemeinschaften – Urteil vom 9. Juli 1975 – 20/75). Ein Ausnahmefall nach Art. 71 Abs. 1 a (ii) oder b (ii) liege nicht vor. Die Klägerin sei weder Grenzgängerin gewesen, noch habe sie ihren Wohnort während ihrer Beschäftigung in G. in der Bundesrepublik Deutschland gehabt. Unter Wohnort sei der Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes zu verstehen (Urteil des EuGH von 17. Februar 1977 – 76/76 und Urteil des BSG vom 8. Oktober 1981 – 7 RAr 30/80).
Gegen das ihr am 5. November 1984 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3. Dezember 1984 Berufung eingelegt. Die Klägerin trägt vor, das Sozialgericht habe zu Unrecht ihren Wohnort in der Bundesrepublik Deutschland während der Beschäftigung in G. verneint. Sie habe weiterhin in K. ihre Wohnung beibehalten, dort den Mittelpunkt ihrer Interessen, ihre Freunde und hauptsächlichen sozialen Beziehungen gehabt. Die Tätigkeit in England sei von vornherein zeitlich begrenzt gewesen. Unter Berücksichtigung der Grundsätze des EuGH (Urteil von 17. Februar 1977 – 76/76 – SozR 6050 Art. 71 Nr. 2) müsse ihre Beschäftigung in E. gemäß Art. 67 Abs. 1, Abs. 3 i.V. Art. 71 Abs. 1 b (ii) EWG-VO 1408/71 angerechnet werden.
Die Klägerin hat einen Mietvertrag vom 5. November 1978 sowie eine Bescheinigung ihres Vermieters vom 12. August 1985 vorgelegt, wonach sie seit dem 1. Dezember 1978 in der Erdgeschoßwohnung rechts in der D. 9 in K. wohnt. Die Klägerin trägt hierzu ferner vor, die Wohnung sei auch während ihres Aufenthaltes in G. voll möbliert gewesen, da sie nur Bücher und Kleidung mit nach E. genommen habe. Sie habe die Wohnung in dieser Zeit nicht untervermietet gehabt. In den Semesterferien (4 bis 5 Monate pro Jahr) habe sie in der Wohnung gewohnt, ihre zahlreichen Freunde in K. und ehemalige Studienkollegen getroffen, die neuen Kurse für E. vorbereitet, Unterlagen zusammengestellt, Texte ausgesucht und selektiert und Tonbandaufnahmen für den Unterricht gefertigt. Der Vertrag mit der Universität of N. sei von DAAD für ein Jahr vermittelt und später – wie üblich – um ein Jahr verlängert worden. Zu dem Monatsgehalt der Universität in Höhe von 300 Pfund habe sie vom D. auf ihr K. Bankkonto eine Aufstockung auf die Bezahlung nach BAT 2 a sowie eine Auslandszulage erhalten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 9. Oktober 1984 sowie die Bescheide der Beklagten vom 30. September 1982 und von 18. November 1982 aufzuheben, den Bescheid vom 11. November 1982 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 5. November 1982 bis 31. März 1983 Arbeitslosengeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid von 11. November 1982 abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, entgegen der Auffassung der Klägerin seien die Voraussetzungen nach Art. 71 Abs. 1 b (ii) der EWGVO 1408/71 nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift sei eine unmittelbar der Arbeitslosmeldung vorhergehende Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland (Art. 67 Abs. 3) nicht erforderlich bei Arbeitnehmern, die während ihrer Auslandsbeschäftigung ihren Wohnort weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland haben. Art. 1 h der EWG-VO definiere den Wohnort als Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes. Davon sei auch in Rahmen des Art. 71 der Verordnung auszugehen (Urteil des EuGH von 17. Februar 1979 in SozR 6050 Art. 71 Nr. 2, BSG vom 8. Oktober 1981 – 7 RAr 30/80 in DBlR. Nr. 2746 a zu § 104 AFG). Ihren gewöhnlichen Aufenthalt habe die Klägerin während ihrer letzten Beschäftigung vom 1. Oktober 1980 bis 3. Juli 1982 aber in G. gehabt. Darauf, ob die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt während ihres Aufenthaltes in G. weiterhin in K. gehabt habe, komme es nicht an.
Das Gericht hat Beweis erhoben bezüglich der Frage des Wohnortes der Klägerin während der Beschäftigung in E. durch Vernehmung des Zeugen P ... Auf das Protokoll vom 3. Juni 1981 wird Bezug genommen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Leistungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist zulässig, § 143 SGG. Berufungsausschließungsgründe nach §§ 144 ff. SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist auch in vollem Umfang begründet. Dabei ist nach Auffassung des erkennenden Senats der Bescheid der Beklagten vom 11. November 1982 nach § 96 SGG in den Rechtsstreit einzubeziehen gewesen, durch den ein Restanspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld für 67 Tage anerkannt wurde. Die durch Bescheid vom 30. September 1982 zunächst ausgesprochene vollständige Leistungsablehnung wurde durch Bescheid vom 11. November 1982 zu Gunsten der Klägerin dahin geändert, daß für einen begrenzten Zeitraum Arbeitslosengeld zugesprochen wurde. Da das erstinstanzliche Gericht versehentlich über den Bescheid vom 11. November 1982 nicht entschieden hat, hatte der erkennende Senat auch über diesen Bescheid mit zu entscheiden, da die Klägerin dies beantragt und die Beklagte nicht widersprochen hat (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl., § 96 RdNr. 12).
Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 9. Oktober 1984 (S-5/Ar-346/82) sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten von 30. September 1982 und vom 11. November 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 1982 sind rechtsfehlerhaft. Das Urteil sowie der Bescheid vom 30. September 1982 und der Widerspruchsbescheid vom 18. November 1982 waren aufzuheben; der Bescheid vom 11. November 1982 war zu ändern, soweit der Klägerin ein lediglich auf die Zeit vom 19. August bis 4. November 1982 begrenzter Arbeitslosengeld-Anspruch zugebilligt wurde.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 5. November 1982 bis 31. März 1983.
Nach § 100 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt hat.
Unstreitig zwischen den Beteiligten und auch zur Überzeugung des erkennenden Senats steht fest, daß die Klägerin sich am 19. August 1982 bei der Beklagten arbeitslos gemeldet hat und auch arbeitslos war, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand und Arbeitslosengeld beantragt hat.
Der erkennende Senat geht ferner davon aus, daß die Klägerin auch die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Nach § 104 Abs. 1 AFG (i.d.F. des AFKG vom 22. Dezember 1981, BGBl. I S. 1479) hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168) gestanden hat. Nach § 104 Abs. 3 AFG beträgt die Rahmenfrist 3 Jahre; sie reicht nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte. Die Klägerin hatte mit ihrer Arbeitslosmeldung vom 27. Mai 1980 eine Anwartschaftszeit erfüllt und für kurze Zeit auch Arbeitslosengeld bezogen. Die neue Rahmenfrist reichte deshalb vom 27. Mai 1980 bis zum 18. August 1982. Innerhalb dieser Zeit hat die Klägerin nur vom 9. Juni bis 30. September 1980 in der Bundesrepublik Deutschland in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden. Die Anwartschaftszeit konnte also nur erfüllt sein, wenn die Beschäftigung vom 1. Oktober 1980 bis 30. Juni 1982 in E. zu berücksichtigen war.
Eine Berücksichtigung nach Art. 67 EWG-VO 1408/71 kommt nicht in Betracht, da die Klägerin zwischen der Beschäftigung in E. und der Antragstellung bei der Beklagten am 19. August 1982 nicht mindestens einen Tag in der Bundesrepublik Deutschland in einer (die Beitragspflicht begründenden) Beschäftigung gestanden hat, Art. 67 Abs. 3 EWG-VO 1408/71. Eine Anrechnung kann auch nicht erfolgen nach Art. 71 Abs. 1 a (ii) der Verordnung, da die Klägerin keine Grenzgängerin war. Grenzgänger ist nach Art. 1 b der Verordnung "jeder Arbeitnehmer , der seine Berufstätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaates ausübt und im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt, in das er in der Regel täglich, mindestens aber einmal wöchentlich zurückkehrt.” Die Klägerin kehrte nicht mindestens einmal die Woche in ihre Wohnung nach K. zurück.
Eine Berücksichtigung hatte jedoch nach Art. 71 Abs. 1 b (ii) der Verordnung zu erfolgen. Danach erhalten Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und die sich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaates zur Verfügung stellen, in dessen Gebiet sie wohnen, oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren, bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie dort zuletzt beschäftigt gewesen wären.
Der erkennende Senat geht davon aus, daß die Klägerin während der vom 1. Oktober 1980 bis 30. Juni 1982 in England ausgeübten Beschäftigung als Lektorin weiterhin im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gewohnt hat; Beschäftigungsort und Wohnort also in zwei verschiedenen Ländern der Gemeinschaft lagen (vgl. Urteil des EuGH von 17. Februar 1977 – 76/76 – in SozR 6050 Art. 71 Nr. 2, Urteil des EuGH vom 11. Oktober 1984 – 128/83 – in SozR 6050 Art. 71 Nr. 7). Dabei hat der EuGH klargestellt, daß diese Vorschrift eng auszulegen ist, allerdings nicht so eng, wie dies die Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer mit Beschluss Nr. 94 vom 24. Januar 1974 (Amtsblatt 1974, C 126 S. 22) dahingehend getan hat, daß nur Saisonarbeiter und die in Art. 14 Abs. 1 b, c und d EWG-VO 1408/71 aufgeführten Arbeitnehmer davon erfaßt würden. Vielmehr stellt der EuGH darauf ab, ob der Arbeitnehmer trotz der Beschäftigung in einem Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat weiterhin gewöhnlich wohne, in dem sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt seiner Interessen befinde. Daß er seine Familie in dem genannten Mitgliedstaat zurückgelassen habe, sei zwar ein Indiz, könne für sich allein aber nicht genügen; es seien vielmehr auch die Gründe zu berücksichtigen, die ihn zu der Abwanderung bewogen hätten und die Art seiner Tätigkeit und seine weiteren Absichten (so EuGH vom 17. Februar 1977 s.o., vgl. Urteil des BSG vom 20. März 1984 – 7 RAr 69/82, in dem die Rede ist vom Schwerpunkt seines gesellschaftlichen Lebens und der sonstigen alltäglichen Bindungen). In Urteil vom 8. Oktober 1981 (7 RAr 30/80) geht das BSG davon aus, daß der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthaltes” aus § 30 Abs. 3 Sozialgesetzbuch erstes Buch (SGB I) zu entnehmen sei und sich nicht vom EWG-Recht unterscheide. Danach hat einen Wohnsitz jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.
Im Falle der Klägerin ergibt sich, daß sie etwa zu Beginn ihrer 1 1/2-jährigen Tätigkeit als Studienreferendarin die Wohnung in K. D. 9 angemietet hat (ab 1. Dezember 1978). In G. hatte sie vom Studium her ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft, das sie noch eine Zeitlang wegen ihrer Promotion beibehielt. Die Tätigkeit bei dem G. Institut war von vornherein befristet auf die Zeit vom 17. April bis 31. Dezember 1978, wurde von der Klägerin vorzeitig gekündigt zum 31. Oktober 1978, damit sie die ebenfalls von vornherein befristete Tätigkeit einer Lektorin an der Universität von N. ausüben konnte. Sowohl während der Tätigkeit bei dem G.-Institut, als auch während der Tätigkeit in B. behielt die Klägerin die voll möblierte Wohnung in K. bei. Sie benutzte diese auch während der 4 bis 5 Monate im Jahre dauernden Semesterferien. Bei der Klägerin ist gut nachvollziehbar zu erkennen, daß sie sich mit einer gewissen Übergangszeit vom letzten Studienort gelöst hat und den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen nach K. verlegt hat. Dort verbrachte sie kontinuierlich die 1 1/2 Jahre dauernde Studienreferendarzeit und behielt K. auch als Lebensmittelpunkt während der von Beginn an auf 8 1/2 Monate begrenzten Tätigkeit bei dem G.-Institut. Sie hatte dort nach ihren Angaben unter der Woche ein Studentenzimmer. Die Befristung der Tätigkeit in E. und die Beibehaltung der Wohnung in K. und deren Benutzung in den recht ausgiebigen Trimesterferien zeigt ebenfalls, daß die Klägerin nicht den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen nach E. verlegen, sondern daß sie dort nur eine vorübergehende Beschäftigung ausüben und dann wieder nach K. zurückkehren wollte. Große Bedeutung kommt dabei der Tatsache zu, daß der Klägerin die Tätigkeit über den D. vermittelt wurde, zunächst nur ein Jahresvertrag abgeschlossen wurde, der dann – wie üblich – noch um ein weiteres Jahr verlängert wurde und daß sie zusätzlich zu der Bezahlung durch die e. Universität von dem D. eine Aufstockung ihres Gehalts auf BAT 2 a mit Auslandszulage in DM auf ihr K. Konto erhielt. Die vom D. vermittelten Tätigkeiten sind üblicherweise, wenn keine Besonderheiten dagegen sprechen, als vorübergehende Auslandsbeschäftigungen gedacht, die nicht zu einer Abwanderung des Beschäftigten aus der Bundesrepublik Deutschland sondern zum Kennenlernen eines anderen Landes führen sollen. Bei der Klägerin haben ihre glaubhaften Angaben sowie die Angaben des Zeugen P. dem erkennenden Senat die Überzeugung vermittelt, daß die Klägerin durchgehend sehr starke Bindungen in Kassel hatte und deshalb die dort voll möblierte Wohnung beibehalten und so oft und intensiv genutzt hat, wie es ihre Tätigkeit als Lektorin eben zuließ. Bis auf einen 2-wöchigen Sprachkurs in S. und wertige vorlesungsfreie Tage am Beginn oder Ende eines Trimesters verbrachte die Klägerin die gesamte jährlich fast 4-monatige vorlesungsfreie Zeit in Kassel. Dort ging sie nicht nur ihrer Freizeit nach, sondern bereitete die neuen Kurse für ihre Tätigkeit in E. vor, stellte Unterlagen zusammen, suchte Texte aus und selektierte sie und fertigte Tonbandaufnahmen. Der Zeuge P. hat eindrucksvoll bestätigt, daß die Klägerin die Wohnung intensiv nutzte, daß er während der Abwesenheit die Wohnung kontrolliert, Blumen gegossen, Post dem Kasten entnommen und bei Bedarf im Winter den Gasofen angemacht hat. Ferner hat die Klägerin jeweils Möbelstücke für ihre K. Wohnung aus E. mitgebracht. Sie hat auch intensive soziale Beziehungen im K. weiter unterhalten und in den Trimesterferien jeweils gepflegt. Ist schon bei einem Arbeitnehmer mit Familie die Beibehaltung der Familienwohnung ein Indiz gegen eine Verlegung des Wohnortes in das Land der Beschäftigung (vgl. Urteil des EuGH vom 17. Februar 1977 s.o.), dann muß dies noch mehr gelten bei einem ledigen Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer mit Familie muß während seiner Beschäftigung in einem anderen Land seine Familie irgendwo unterbringen, auch wenn er beabsichtigt, endgültig (bzw. nicht nur vorübergehend) im Beschäftigungsland zu bleiben und seine Familie nachzuholen. Der ledige Arbeitnehmer dagegen hat die Wahl, ob er seine bisherige Wohnung aufgibt und nur eine Wohnung im Beschäftigungsland nimmt, oder ob er seine bisherige Wohnung beibehält. Dabei dient die Beibehaltung der bisherigen Wohnung nicht auch der Unterbringung der Familie, sondern nur seinen eigenen Zwecken. Die Klägerin hat auch während der Beschäftigung in E. die Wohnung in K. so intensiv benutzt (4 bis 5 Monate im Jahr), wie es dem "normalen Arbeitnehmer” nicht möglich ist, der etwa bis zu 6 oder 7 Wochen Urlaub im Jahr hat. Die Klägerin beantragte Leistungen wegen Arbeitslosigkeit nicht in E. sondern kehrte nach Beendigung der Arbeitsverträge in ihre Wohnung nach K. zurück und stellte hier einen Antrag. Schließlich hat die Klägerin auch schon bei dem vorhergehenden Arbeitsverhältnis bei dem G. Institut gezeigt, daß sie den Lebensmittelpunkt in K. beibehielt.
Unter Berücksichtigung der Beschäftigungsverhältnisse vom 9. Juni bis 30. September 1980 als Sprachlehrerin und vom 1. Oktober 1980 bis 30. Juni 1982 hat die Klägerin die Anwartschaftszeit erfüllt und einen Anspruch auf Arbeitslosengeld mindestens für den noch streitigen Zeitraum vom 5. November 1982 bis 31. März 1983 erworben. Die Beklagte hat keine Feststellungen getroffen, die dem Anspruch der Klägerin im übrigen entgegenstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Es geht in dem Rechtsstreit um Arbeitslosengeld für die Zeit ab 5. November 1982 bis zum 31. März 1983.
Die 1952 geborene Klägerin arbeitete von April bis Oktober 1978 als Sprachlehrerin bei dem G.-Institut in M. war vom 1. November 1978 bis zum 30. April 1980 in K. als Studienreferendarin Beamtin auf Widerruf, bestand die zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien, arbeitete vom 9. Juni bis 30. September 1980 wieder als Sprachlehrerin im G.-Institut und vom 1. Oktober 1980 bis 30. Juni 1982 als Lektorin an der University of N ... Diese Tätigkeit wurde ihr durch den Deutschen Akademischen A. vermittelt, von dem sie auf ihr K. Bankkonto noch eine Ausgleichszahlung zu dem Gehalt der Universität erhielt. Auf ihre Arbeitslosmeldung und Antragstellung vom 27. Mai 1980 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 3. Juni 1980 Arbeitslosengeld ab 27. Mai 1980 für 78 Tage. Auf die erst an 8. August 1980 bei der Beklagten zugegangene Mitteilung über die Arbeitsaufnahme von 9. Juni 1980 hob die Beklagte mit Bescheid vom 18. September 1980 die Bewilligung ab Arbeitsaufnahme auf und forderte DM 2.489,40 zuviel gezahltes Arbeitslosengeld zurück, die die Klägerin auch alsbald bezahlte. Die Beklagte erließ deswegen unter dem 10. November 1980 einen Bußgeldbescheid. Vom Amtsgericht Göttingen wurde das Verfahren mit Beschluss von 24. März 1981 nach § 47 Abs. 2 Ordnungswidrigkeitengesetz (OwiG) eingestellt.
Am 19. August 1982 meldete sich die Klägerin erneut bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 30. September 1982 lehnte die Beklagte den Antrag unter Hinweis auf Art. 67 Abs. 3 BWG-Verordnung 1408/71 ab, da zwischen der Beschäftigung in E. und der Arbeitslosmeldung am 19. August 1982 keine versicherungspflichtige Beschäftigung vorgelegen habe. Auf den Widerspruch der Klägerin vom 28. Oktober 1982 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 11. November 1982 Arbeitslosengeld entsprechend einem Restanspruch von 67 Tagen. Mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 1982 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, daß die Klägerin in der Rahmenfrist vom 18. August 1982 bis zum 27. Mai 1980 nur eine Anwartschaftszeit von 114 Kalendertagen (09.06. –30.09.1980) zurückgelegt habe. Die berufliche Tätigkeit in G. habe nicht der Beitragspflicht zur Beklagten unterlegen und könne gemäß Art. 67 Abs. 3 der EWG-Verordnung nicht berücksichtigt werden, da nicht unmittelbar zuvor hier Versicherungszeiten zurückgelegt worden seien. Art. 71 der EWG-Verordnung finde keine Anwendung, da die Klägerin während ihrer Beschäftigung im Geltungsgebiet des zuständigen Mitgliedstaates gewohnt habe.
Gegen den ihr am 20. November 1982 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 20. Dezember 1982 Klage erhoben und vorgetragen, die Beklagte verkenne den Inhalt von Art. 67 Abs. 3 der EWG-Verordnung 1408/71. Mit der Verordnung solle die Freizügigkeit innerhalb der EG-Staaten gewährleistet werden, deshalb die schlichte Anrechnung von Auslandstätigkeiten; es werde allein vorausgesetzt, daß der Arbeitslose unmittelbar vor Beginn seiner Auslandstätigkeit im Inland beschäftigt gewesen sei.
Mit Urteil vom 9. Oktober 1984 hat das Sozialgericht Kassel (S-5/Ar-346/82) die Klage abgewiesen und dies unter anderem damit begründet, der Arbeitslose habe nach Gemeinschaftsrecht grundsätzlich keinen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates als desjenigen, in dem er arbeitslos geworden sei (Gerichtshof der europäischen Gemeinschaften – Urteil vom 9. Juli 1975 – 20/75). Ein Ausnahmefall nach Art. 71 Abs. 1 a (ii) oder b (ii) liege nicht vor. Die Klägerin sei weder Grenzgängerin gewesen, noch habe sie ihren Wohnort während ihrer Beschäftigung in G. in der Bundesrepublik Deutschland gehabt. Unter Wohnort sei der Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes zu verstehen (Urteil des EuGH von 17. Februar 1977 – 76/76 und Urteil des BSG vom 8. Oktober 1981 – 7 RAr 30/80).
Gegen das ihr am 5. November 1984 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3. Dezember 1984 Berufung eingelegt. Die Klägerin trägt vor, das Sozialgericht habe zu Unrecht ihren Wohnort in der Bundesrepublik Deutschland während der Beschäftigung in G. verneint. Sie habe weiterhin in K. ihre Wohnung beibehalten, dort den Mittelpunkt ihrer Interessen, ihre Freunde und hauptsächlichen sozialen Beziehungen gehabt. Die Tätigkeit in England sei von vornherein zeitlich begrenzt gewesen. Unter Berücksichtigung der Grundsätze des EuGH (Urteil von 17. Februar 1977 – 76/76 – SozR 6050 Art. 71 Nr. 2) müsse ihre Beschäftigung in E. gemäß Art. 67 Abs. 1, Abs. 3 i.V. Art. 71 Abs. 1 b (ii) EWG-VO 1408/71 angerechnet werden.
Die Klägerin hat einen Mietvertrag vom 5. November 1978 sowie eine Bescheinigung ihres Vermieters vom 12. August 1985 vorgelegt, wonach sie seit dem 1. Dezember 1978 in der Erdgeschoßwohnung rechts in der D. 9 in K. wohnt. Die Klägerin trägt hierzu ferner vor, die Wohnung sei auch während ihres Aufenthaltes in G. voll möbliert gewesen, da sie nur Bücher und Kleidung mit nach E. genommen habe. Sie habe die Wohnung in dieser Zeit nicht untervermietet gehabt. In den Semesterferien (4 bis 5 Monate pro Jahr) habe sie in der Wohnung gewohnt, ihre zahlreichen Freunde in K. und ehemalige Studienkollegen getroffen, die neuen Kurse für E. vorbereitet, Unterlagen zusammengestellt, Texte ausgesucht und selektiert und Tonbandaufnahmen für den Unterricht gefertigt. Der Vertrag mit der Universität of N. sei von DAAD für ein Jahr vermittelt und später – wie üblich – um ein Jahr verlängert worden. Zu dem Monatsgehalt der Universität in Höhe von 300 Pfund habe sie vom D. auf ihr K. Bankkonto eine Aufstockung auf die Bezahlung nach BAT 2 a sowie eine Auslandszulage erhalten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 9. Oktober 1984 sowie die Bescheide der Beklagten vom 30. September 1982 und von 18. November 1982 aufzuheben, den Bescheid vom 11. November 1982 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 5. November 1982 bis 31. März 1983 Arbeitslosengeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid von 11. November 1982 abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, entgegen der Auffassung der Klägerin seien die Voraussetzungen nach Art. 71 Abs. 1 b (ii) der EWGVO 1408/71 nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift sei eine unmittelbar der Arbeitslosmeldung vorhergehende Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland (Art. 67 Abs. 3) nicht erforderlich bei Arbeitnehmern, die während ihrer Auslandsbeschäftigung ihren Wohnort weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland haben. Art. 1 h der EWG-VO definiere den Wohnort als Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes. Davon sei auch in Rahmen des Art. 71 der Verordnung auszugehen (Urteil des EuGH von 17. Februar 1979 in SozR 6050 Art. 71 Nr. 2, BSG vom 8. Oktober 1981 – 7 RAr 30/80 in DBlR. Nr. 2746 a zu § 104 AFG). Ihren gewöhnlichen Aufenthalt habe die Klägerin während ihrer letzten Beschäftigung vom 1. Oktober 1980 bis 3. Juli 1982 aber in G. gehabt. Darauf, ob die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt während ihres Aufenthaltes in G. weiterhin in K. gehabt habe, komme es nicht an.
Das Gericht hat Beweis erhoben bezüglich der Frage des Wohnortes der Klägerin während der Beschäftigung in E. durch Vernehmung des Zeugen P ... Auf das Protokoll vom 3. Juni 1981 wird Bezug genommen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Leistungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist zulässig, § 143 SGG. Berufungsausschließungsgründe nach §§ 144 ff. SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist auch in vollem Umfang begründet. Dabei ist nach Auffassung des erkennenden Senats der Bescheid der Beklagten vom 11. November 1982 nach § 96 SGG in den Rechtsstreit einzubeziehen gewesen, durch den ein Restanspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld für 67 Tage anerkannt wurde. Die durch Bescheid vom 30. September 1982 zunächst ausgesprochene vollständige Leistungsablehnung wurde durch Bescheid vom 11. November 1982 zu Gunsten der Klägerin dahin geändert, daß für einen begrenzten Zeitraum Arbeitslosengeld zugesprochen wurde. Da das erstinstanzliche Gericht versehentlich über den Bescheid vom 11. November 1982 nicht entschieden hat, hatte der erkennende Senat auch über diesen Bescheid mit zu entscheiden, da die Klägerin dies beantragt und die Beklagte nicht widersprochen hat (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl., § 96 RdNr. 12).
Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 9. Oktober 1984 (S-5/Ar-346/82) sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten von 30. September 1982 und vom 11. November 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 1982 sind rechtsfehlerhaft. Das Urteil sowie der Bescheid vom 30. September 1982 und der Widerspruchsbescheid vom 18. November 1982 waren aufzuheben; der Bescheid vom 11. November 1982 war zu ändern, soweit der Klägerin ein lediglich auf die Zeit vom 19. August bis 4. November 1982 begrenzter Arbeitslosengeld-Anspruch zugebilligt wurde.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 5. November 1982 bis 31. März 1983.
Nach § 100 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt hat.
Unstreitig zwischen den Beteiligten und auch zur Überzeugung des erkennenden Senats steht fest, daß die Klägerin sich am 19. August 1982 bei der Beklagten arbeitslos gemeldet hat und auch arbeitslos war, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand und Arbeitslosengeld beantragt hat.
Der erkennende Senat geht ferner davon aus, daß die Klägerin auch die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Nach § 104 Abs. 1 AFG (i.d.F. des AFKG vom 22. Dezember 1981, BGBl. I S. 1479) hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168) gestanden hat. Nach § 104 Abs. 3 AFG beträgt die Rahmenfrist 3 Jahre; sie reicht nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte. Die Klägerin hatte mit ihrer Arbeitslosmeldung vom 27. Mai 1980 eine Anwartschaftszeit erfüllt und für kurze Zeit auch Arbeitslosengeld bezogen. Die neue Rahmenfrist reichte deshalb vom 27. Mai 1980 bis zum 18. August 1982. Innerhalb dieser Zeit hat die Klägerin nur vom 9. Juni bis 30. September 1980 in der Bundesrepublik Deutschland in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden. Die Anwartschaftszeit konnte also nur erfüllt sein, wenn die Beschäftigung vom 1. Oktober 1980 bis 30. Juni 1982 in E. zu berücksichtigen war.
Eine Berücksichtigung nach Art. 67 EWG-VO 1408/71 kommt nicht in Betracht, da die Klägerin zwischen der Beschäftigung in E. und der Antragstellung bei der Beklagten am 19. August 1982 nicht mindestens einen Tag in der Bundesrepublik Deutschland in einer (die Beitragspflicht begründenden) Beschäftigung gestanden hat, Art. 67 Abs. 3 EWG-VO 1408/71. Eine Anrechnung kann auch nicht erfolgen nach Art. 71 Abs. 1 a (ii) der Verordnung, da die Klägerin keine Grenzgängerin war. Grenzgänger ist nach Art. 1 b der Verordnung "jeder Arbeitnehmer , der seine Berufstätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaates ausübt und im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt, in das er in der Regel täglich, mindestens aber einmal wöchentlich zurückkehrt.” Die Klägerin kehrte nicht mindestens einmal die Woche in ihre Wohnung nach K. zurück.
Eine Berücksichtigung hatte jedoch nach Art. 71 Abs. 1 b (ii) der Verordnung zu erfolgen. Danach erhalten Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und die sich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaates zur Verfügung stellen, in dessen Gebiet sie wohnen, oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren, bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie dort zuletzt beschäftigt gewesen wären.
Der erkennende Senat geht davon aus, daß die Klägerin während der vom 1. Oktober 1980 bis 30. Juni 1982 in England ausgeübten Beschäftigung als Lektorin weiterhin im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gewohnt hat; Beschäftigungsort und Wohnort also in zwei verschiedenen Ländern der Gemeinschaft lagen (vgl. Urteil des EuGH von 17. Februar 1977 – 76/76 – in SozR 6050 Art. 71 Nr. 2, Urteil des EuGH vom 11. Oktober 1984 – 128/83 – in SozR 6050 Art. 71 Nr. 7). Dabei hat der EuGH klargestellt, daß diese Vorschrift eng auszulegen ist, allerdings nicht so eng, wie dies die Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer mit Beschluss Nr. 94 vom 24. Januar 1974 (Amtsblatt 1974, C 126 S. 22) dahingehend getan hat, daß nur Saisonarbeiter und die in Art. 14 Abs. 1 b, c und d EWG-VO 1408/71 aufgeführten Arbeitnehmer davon erfaßt würden. Vielmehr stellt der EuGH darauf ab, ob der Arbeitnehmer trotz der Beschäftigung in einem Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat weiterhin gewöhnlich wohne, in dem sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt seiner Interessen befinde. Daß er seine Familie in dem genannten Mitgliedstaat zurückgelassen habe, sei zwar ein Indiz, könne für sich allein aber nicht genügen; es seien vielmehr auch die Gründe zu berücksichtigen, die ihn zu der Abwanderung bewogen hätten und die Art seiner Tätigkeit und seine weiteren Absichten (so EuGH vom 17. Februar 1977 s.o., vgl. Urteil des BSG vom 20. März 1984 – 7 RAr 69/82, in dem die Rede ist vom Schwerpunkt seines gesellschaftlichen Lebens und der sonstigen alltäglichen Bindungen). In Urteil vom 8. Oktober 1981 (7 RAr 30/80) geht das BSG davon aus, daß der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthaltes” aus § 30 Abs. 3 Sozialgesetzbuch erstes Buch (SGB I) zu entnehmen sei und sich nicht vom EWG-Recht unterscheide. Danach hat einen Wohnsitz jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.
Im Falle der Klägerin ergibt sich, daß sie etwa zu Beginn ihrer 1 1/2-jährigen Tätigkeit als Studienreferendarin die Wohnung in K. D. 9 angemietet hat (ab 1. Dezember 1978). In G. hatte sie vom Studium her ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft, das sie noch eine Zeitlang wegen ihrer Promotion beibehielt. Die Tätigkeit bei dem G. Institut war von vornherein befristet auf die Zeit vom 17. April bis 31. Dezember 1978, wurde von der Klägerin vorzeitig gekündigt zum 31. Oktober 1978, damit sie die ebenfalls von vornherein befristete Tätigkeit einer Lektorin an der Universität von N. ausüben konnte. Sowohl während der Tätigkeit bei dem G.-Institut, als auch während der Tätigkeit in B. behielt die Klägerin die voll möblierte Wohnung in K. bei. Sie benutzte diese auch während der 4 bis 5 Monate im Jahre dauernden Semesterferien. Bei der Klägerin ist gut nachvollziehbar zu erkennen, daß sie sich mit einer gewissen Übergangszeit vom letzten Studienort gelöst hat und den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen nach K. verlegt hat. Dort verbrachte sie kontinuierlich die 1 1/2 Jahre dauernde Studienreferendarzeit und behielt K. auch als Lebensmittelpunkt während der von Beginn an auf 8 1/2 Monate begrenzten Tätigkeit bei dem G.-Institut. Sie hatte dort nach ihren Angaben unter der Woche ein Studentenzimmer. Die Befristung der Tätigkeit in E. und die Beibehaltung der Wohnung in K. und deren Benutzung in den recht ausgiebigen Trimesterferien zeigt ebenfalls, daß die Klägerin nicht den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen nach E. verlegen, sondern daß sie dort nur eine vorübergehende Beschäftigung ausüben und dann wieder nach K. zurückkehren wollte. Große Bedeutung kommt dabei der Tatsache zu, daß der Klägerin die Tätigkeit über den D. vermittelt wurde, zunächst nur ein Jahresvertrag abgeschlossen wurde, der dann – wie üblich – noch um ein weiteres Jahr verlängert wurde und daß sie zusätzlich zu der Bezahlung durch die e. Universität von dem D. eine Aufstockung ihres Gehalts auf BAT 2 a mit Auslandszulage in DM auf ihr K. Konto erhielt. Die vom D. vermittelten Tätigkeiten sind üblicherweise, wenn keine Besonderheiten dagegen sprechen, als vorübergehende Auslandsbeschäftigungen gedacht, die nicht zu einer Abwanderung des Beschäftigten aus der Bundesrepublik Deutschland sondern zum Kennenlernen eines anderen Landes führen sollen. Bei der Klägerin haben ihre glaubhaften Angaben sowie die Angaben des Zeugen P. dem erkennenden Senat die Überzeugung vermittelt, daß die Klägerin durchgehend sehr starke Bindungen in Kassel hatte und deshalb die dort voll möblierte Wohnung beibehalten und so oft und intensiv genutzt hat, wie es ihre Tätigkeit als Lektorin eben zuließ. Bis auf einen 2-wöchigen Sprachkurs in S. und wertige vorlesungsfreie Tage am Beginn oder Ende eines Trimesters verbrachte die Klägerin die gesamte jährlich fast 4-monatige vorlesungsfreie Zeit in Kassel. Dort ging sie nicht nur ihrer Freizeit nach, sondern bereitete die neuen Kurse für ihre Tätigkeit in E. vor, stellte Unterlagen zusammen, suchte Texte aus und selektierte sie und fertigte Tonbandaufnahmen. Der Zeuge P. hat eindrucksvoll bestätigt, daß die Klägerin die Wohnung intensiv nutzte, daß er während der Abwesenheit die Wohnung kontrolliert, Blumen gegossen, Post dem Kasten entnommen und bei Bedarf im Winter den Gasofen angemacht hat. Ferner hat die Klägerin jeweils Möbelstücke für ihre K. Wohnung aus E. mitgebracht. Sie hat auch intensive soziale Beziehungen im K. weiter unterhalten und in den Trimesterferien jeweils gepflegt. Ist schon bei einem Arbeitnehmer mit Familie die Beibehaltung der Familienwohnung ein Indiz gegen eine Verlegung des Wohnortes in das Land der Beschäftigung (vgl. Urteil des EuGH vom 17. Februar 1977 s.o.), dann muß dies noch mehr gelten bei einem ledigen Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer mit Familie muß während seiner Beschäftigung in einem anderen Land seine Familie irgendwo unterbringen, auch wenn er beabsichtigt, endgültig (bzw. nicht nur vorübergehend) im Beschäftigungsland zu bleiben und seine Familie nachzuholen. Der ledige Arbeitnehmer dagegen hat die Wahl, ob er seine bisherige Wohnung aufgibt und nur eine Wohnung im Beschäftigungsland nimmt, oder ob er seine bisherige Wohnung beibehält. Dabei dient die Beibehaltung der bisherigen Wohnung nicht auch der Unterbringung der Familie, sondern nur seinen eigenen Zwecken. Die Klägerin hat auch während der Beschäftigung in E. die Wohnung in K. so intensiv benutzt (4 bis 5 Monate im Jahr), wie es dem "normalen Arbeitnehmer” nicht möglich ist, der etwa bis zu 6 oder 7 Wochen Urlaub im Jahr hat. Die Klägerin beantragte Leistungen wegen Arbeitslosigkeit nicht in E. sondern kehrte nach Beendigung der Arbeitsverträge in ihre Wohnung nach K. zurück und stellte hier einen Antrag. Schließlich hat die Klägerin auch schon bei dem vorhergehenden Arbeitsverhältnis bei dem G. Institut gezeigt, daß sie den Lebensmittelpunkt in K. beibehielt.
Unter Berücksichtigung der Beschäftigungsverhältnisse vom 9. Juni bis 30. September 1980 als Sprachlehrerin und vom 1. Oktober 1980 bis 30. Juni 1982 hat die Klägerin die Anwartschaftszeit erfüllt und einen Anspruch auf Arbeitslosengeld mindestens für den noch streitigen Zeitraum vom 5. November 1982 bis 31. März 1983 erworben. Die Beklagte hat keine Feststellungen getroffen, die dem Anspruch der Klägerin im übrigen entgegenstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
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