Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ar 32/84
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 1351/85
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Kündigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, um dessen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente zu unterstützen und sagt diesem die Wiedereinstellung für den Fall der Rentenablehnung zu, liegt bei verfassungskonformer Auslegung des § 128 Abs. 4 Satz 1 AFG a.F. eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers vor, die zum Wegfall der Erstattungspflicht führt, wenn der Arbeitnehmer nach Ablehnung des Rentenantrags sich weigert, die Arbeit wieder aufzunehmen.
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Oktober 1985 sowie die Bescheide der Beklagten vom 18. Oktober 1983, vom 21. November 1983 und vom 3. Januar 1984 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Es geht in dem Rechtsstreit um die Erstattung der Zahlung von Arbeitslosengeld (nebst Versicherungsbeiträgen) durch die Klägerin nach § 128 AFG für einen Arbeitnehmer.
Bei der Klägerin war vom 1. September 1972 bis 30. September 1982 der 1921 geborene Lagerarbeiter W. S. beschäftigt. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 21. Mai 1982 zum 30. September 1982. Ein Antrag des Herrn S. vom 10. März 1982 auf Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit wurde von der Landesversicherungsanstalt Hessen mit Bescheid vom 29. Oktober 1982 zurückgewiesen.
Auf den Antrag vom 1. Oktober 1982 gewährte die Beklagte Herrn S. Arbeitslosengeld vom 12. Oktober 1982 bis 10. Oktober 1983 in Höhe von DM 42,70 täglich. Der Arbeitsamtsarzt kam im Gutachten vom 18. Oktober 1982 nach ambulanter Untersuchung zu dem Ergebnis, Herr S. leide an einer coronaren Herzerkrankung und Bluthochdruck und könne nur noch 1 bis 3 Stunden täglich leichte Arbeiten im Sitzen, in geschlossenen Räumen, in Normalschicht, ohne Zeitdruck verrichten. Mit Stellungnahme vom 27. Dezember 1982 führte er aus, daß sich aus dem internistischen Rentengutachten der Frau Dr. N. vom 16. September 1982 eine deutliche Besserung der Herzleistung gegenüber März 1982 ergeben habe, so daß angenommen werden müßte, daß es sich um eine Herzmuskelentzündung gehandelt habe, die inzwischen überwunden sei.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 1983 gewährte die Landesversicherungsanstalt Hessen Herrn S. vorgezogenes Altersruhegeld ab 1. November 1983 (monatlich DM 1.559,90) unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles am 10. Oktober 1983.
Mit Schreiben vom 4. November 1982 kündigte die Beklagte der Klägerin an, daß sie die Erstattung nach § 128 AFG des an den Arbeitnehmer S. zu zahlenden Arbeitslosengeldes verlangen werde und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Schreiben vom 18. November 1982 gab die Klägerin an, daß Herr S. wegen des laufenden Rentenverfahrens aus gesundheitlichen Gründen gern seine Arbeit aufgeben wollte. Deshalb sei ihm gekündigt worden. Mündlich sei die Zusage gegeben worden, ihn im Fall der Ablehnung des Rentenantrags sofort wieder einzustellen. Am 3. November 1982 habe sie von der Rentenablehnung Kenntnis erhalten und ein Gespräch mit Herrn S. geführt. Dabei sei ihm die Wiedereinstellung angeboten und als erster Arbeitstag der 9. November 1982 vereinbart worden. Herr S. habe danach jedoch die Arbeitsaufnahme unter Hinweis auf seinen Gesundheitszustand abgelehnt. Die Klägerin kündigte Herrn S. nunmehr fristlos.
Mit Bescheid vom 18. Oktober 1983 verlangte die Beklagte von der Klägerin die Erstattung von gezahltem Arbeitslosengeld (nebst Versicherungsbeiträgen) für die Zeit, vom 12. Oktober 1982 bis 31. August 1983 in Höhe von DM 17.796,66. Hiergegen hat die Klägerin am 25. Oktober 1983 Widerspruch eingelegt. Mit Bescheid vom 21. November 1983 verlangte die Beklagte für die Zeit vom 1. September bis 10. Oktober 1983 einen weiteren Betrag in Höhe von DM 2.094,65.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 1984 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei nicht durch Kündigung wegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Herrn S. beendet worden, sondern wegen dessen Gesundheitszustandes. Die anschließende fristlose Kündigung sei ins Leere gegangen, da ein neues Vertragsverhältnis gar nicht erneut entstanden sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 26. Januar 1984 Klage erhoben und unter anderem vorgetragen, es sei seinerzeit nicht in Erwägung gezogen worden, daß Herr S. arbeitslos werden würde, da im Falle der Ablehnung des Rentenantrages die Wiedereinstellung fest zugesagt worden sei. Die Vereinbarung habe also zu keinem Zeitpunkt bezweckt, Mittel der Beklagten in Anspruch zu nehmen.
Mit Urteil vom 23. Oktober 1985 hat das Sozialgericht Kassel die Klage im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Voraussetzungen für die Erstattungspflicht seien gegeben. Die Erstattungspflicht entfiele selbst dann nicht, wenn man davon ausgehe, daß ab 9. November 1982 ein neues Arbeitsverhältnis begründet worden sei und Herr S. dieses nicht angetreten habe. Der Anspruch der Beklagten sei auch nicht verwirkt.
Gegen das ihr am 8. November 1985 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 2. Dezember 1985 Berufung eingelegt. Die Klägerin trägt vor, die Vorschrift des § 128 AFG sei verfassungswidrig 128 AFG könne im vorliegenden Falle, keine Anwendung finden, da zu keinem Zeitpunkt seitens der Klägerin die Absicht bestanden habe, einen Mitarbeiter zu Lasten der Solidargemeinschaft aus dem Arbeitsleben zu verabschieden. In Wirklichkeit habe es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers gehandelt. Dieser hätte jedoch mit einer Sperrzeit hinsichtlich des Arbeitslosengeldes rechnen müssen, wenn seinem Rentenantrag nicht stattgegeben werden sollte. Entsprechend der Einstellungszusage sei erneut ein Arbeitsvertrag zustande gekommen. Doch selbst, wenn kein erneutes Arbeitsverhältnis zustande gekommen wäre, hätte Herr S. wegen seiner Weigerung der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden und damit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld gehabt. Zumindest hätte er mit einer Sperrfrist nach § 119 AFG rechnen müssen. Die Beklagte habe gar nicht erst versucht, Herrn S. eine Sperre aufzuerlegen bzw. ihn zur Arbeitsaufnahme anzuhalten, da sie durch die Erstattungspflicht des Arbeitgebers das Arbeitslosengeld kostenneutral habe auszahlen können. Dies stelle einen Rechtsmißbrauch dar.
Die im Termin am 18. April 1990 nicht vertretene Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Oktober 1985 sowie die Bescheide der Beklagten vom 18. Oktober 1983, vom 21. November 1983 und vom 3. Januar 1984 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils würden zum Gegenstand des eigenen Vortrages gemacht. Die Ausführungen der Klägerin ließen eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht zu.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung ist auch zulässig.
Die Berufung ist auch in vollem Umfang begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Oktober 1985 ist rechtsfehlerhaft und war deshalb aufzuheben.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 18. Oktober 1983 und vom 21. November 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 1984 sind rechtswidrig und waren daher aufzuheben.
Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung des an Herrn S. für die Zeit vom 12. Oktober 1982 bis 10. Oktober 1983 gezahlten Arbeitslosengeldes nebst Versicherungsbeiträgen zur Krankenversicherung und Arbeiterrentenversicherung in Höhe von DM 19.891,31, § 128 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) a.F. (i.d.F. des Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetzes – AFKG – vom 22. Dezember 1981, BGBl. I S. 1497, gültig ab 1. Januar 1982). Danach erstattet der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose innerhalb der Rahmenfrist mindestens zwei Jahre in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, der Beklagten vierteljährlich das Arbeitslosengeld für die Zeit nach Vollendung des 59. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 312 Tage. Innerhalb der Rahmenfrist von drei Jahren nach § 104 Abs. 1 und 3 AFG war Herr S. bei der Klägerin beitragspflichtig beschäftigt und war am 12. Oktober 1982 zu Beginn der Arbeitslosigkeit 60 Jahre alt. Das Arbeitsverhältnis bei der Klägerin hat auch nicht weniger als 10 Jahre gedauert, nämlich 10 Jahre und einen Monat (§ 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AFG a.F.). Damit sind die Voraussetzungen des § 128 Abs. 1 und 2 AFG a.F. für die Erstattungspflicht erfüllt.
Die Erstattungspflicht entfällt jedoch, da die Erstattung für die Klägerin eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung bedeutet, § 128 Abs. 4 Satz 1 AFG a.F. Es kann allerdings nicht festgestellt werden, daß eine Existenzgefährdung der Klägerin im Sinne § 128 Abs. 4 Satz 2 AFG durch die verlangte Erstattung hervorgerufen wurde. Auch die Gewährung öffentlicher Kredite oder Bürgschaften bzw. öffentlicher Anpassungshilfen ist nicht gegeben. Der erkennende Senat geht auch nicht davon aus, daß die Erstattungsforderung im Verhältnis zum Geschäftsvolumen der Klägerin bzw. ihrer wirtschaftlichen Situation einen wesentlichen Umfang besitzt. Das Vorliegen einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung sieht der erkennende Senat jedoch darin, daß die Klägerin zunächst davon ausgehen konnte, daß der Arbeitnehmer S. seinen Arbeitsplatz aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausfüllen werde und die Kündigung zur Stützung des gestellten Antrags auf Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit aussprach in Kombination mit dem Angebot, den Arbeitnehmer S. wieder einzustellen, wenn dessen Rentenantrag abschlägig beschieden werde. Der Nachweis, daß Herr S. die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erbringen konnte i.S. der dauernden Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne, die die Klägerin berechtigt hätte, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grunde ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen (§ 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG a.F.), muß als gescheitert angesehen werden, selbst unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 23. Januar 1990 (1 BvL 44/86 und 1 BvL 48/87) geforderten verfassungskonformen weiten Auslegung ohne Berücksichtigung eventueller Kündigungsfristen bei konkreter arbeitsrechtlicher Beurteilung. Zwar hat der Arbeitsamtsarzt in seinem Gutachten vom 18. Oktober 1982 dem Kläger wegen einer koronaren Herzerkrankung und wegen Bluthochdrucks unter Berücksichtigung eines entsprechenden einschränkenden internistischen Gutachtens im Rentenverfahren vom 22. März 1982 nur noch 1–3 Stunden, täglich leichte Arbeiten im Sitzen, in geschlossenen Räumen, in Normalschicht, ohne Zeitdruck, zugemutet, diese Beurteilung wurde durch den leitenden Arzt des Arbeitsamtes am 27. Dezember 1982 nach Kenntnis eines Gutachtens der Frau Dr. N. vom 16. September 1982 ebenfalls im Rentenverfahren – mit Feststellung einer deutlichen Besserung jedoch nicht aufrecht erhalten. Dementsprechend wurde der Rentenantrag auch abgelehnt. Daraus zieht der erkennende Senat die Schlußfolgerung, daß Herr S. die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte weiter erbringen können, also nicht auf Dauer arbeitsunfähig war. Dabei spielt es im Rahmen des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG a.F. keine Rolle, ob die Klägerin zunächst etwa ohne jegliches Verschulden in Übereinstimmung mit früheren Gutachten davon ausgehen konnte, der Arbeitnehmer S. sei arbeitsunfähig auf Dauer, da es auf das objektive Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit ankommt, ohne daß bei dieser Konstellation zu klären wäre, wem die Nichtnachweisbarkeit von Arbeitsunfähigkeit zur Last fiele. Denn zur Überzeugung des erkennenden Senats steht fest, daß bei Herrn S. zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Arbeitsfähigkeit bestand.
Das Vorliegen einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung i.S. § 128 Abs. 4 Satz 1 AFG a.F. sieht der erkennende Senat jedoch darin, daß die Klägerin dem Arbeitnehmer S. bei der Kündigung die spätere Wiedereinstellung zugesagt hat und vor allem nach Ablehnung des Rentenantrages den Arbeitnehmer Saul geradezu bedrängt hat, die Arbeit wieder aufzunehmen. Letzteres ist durch die in Kopie vorgelegten Schreiben der Klägerin vom 9. und 18. November 1982 nachgewiesen. Dabei ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung, ob tatsächlich zum 9. November 1982 ein neues Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist, wie die Klägerin behauptet, während sich nach Aktenlage eher das Bild ergibt, daß Herr S. zwar wegen der drohenden Erstattung und der getroffenen Abrede bedrängt wurde, jedoch sich nicht recht festlegen wollte und die Arbeit dann auch tatsächlich nicht angetreten hat, möglicherweise wegen der gewonnenen Erkenntnis, nach Ablehnung der Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeitsrente nach einem Jahr Arbeitslosigkeit auf anderem Wege in den Genuß eines vorzeitigen Altersruhegeldes zu kommen. Als ausschlaggebend sieht es der erkennende Senat an, daß Herrn S. die Wiedereinstellung fest zugesagt war und die Klägerin nicht die Folgen davon zu tragen hat, daß Herr S. die Arbeitsaufnahme im November 1982 ablehnte. Der erkennende Senat sieht darin die vom Bundesverfassungsgericht (s.o.) genannten anderen als wirtschaftlichen Gründe, die die Erstattungsforderung wegen Bestehens einer unzumutbaren Härte bei verfassungskonformer Auslegung in Wegfall kommen läßt, da eine besondere Verantwortung der Klägerin für den Eintritt der Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers S. nicht festzustellen ist (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts s.o.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Es geht in dem Rechtsstreit um die Erstattung der Zahlung von Arbeitslosengeld (nebst Versicherungsbeiträgen) durch die Klägerin nach § 128 AFG für einen Arbeitnehmer.
Bei der Klägerin war vom 1. September 1972 bis 30. September 1982 der 1921 geborene Lagerarbeiter W. S. beschäftigt. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 21. Mai 1982 zum 30. September 1982. Ein Antrag des Herrn S. vom 10. März 1982 auf Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit wurde von der Landesversicherungsanstalt Hessen mit Bescheid vom 29. Oktober 1982 zurückgewiesen.
Auf den Antrag vom 1. Oktober 1982 gewährte die Beklagte Herrn S. Arbeitslosengeld vom 12. Oktober 1982 bis 10. Oktober 1983 in Höhe von DM 42,70 täglich. Der Arbeitsamtsarzt kam im Gutachten vom 18. Oktober 1982 nach ambulanter Untersuchung zu dem Ergebnis, Herr S. leide an einer coronaren Herzerkrankung und Bluthochdruck und könne nur noch 1 bis 3 Stunden täglich leichte Arbeiten im Sitzen, in geschlossenen Räumen, in Normalschicht, ohne Zeitdruck verrichten. Mit Stellungnahme vom 27. Dezember 1982 führte er aus, daß sich aus dem internistischen Rentengutachten der Frau Dr. N. vom 16. September 1982 eine deutliche Besserung der Herzleistung gegenüber März 1982 ergeben habe, so daß angenommen werden müßte, daß es sich um eine Herzmuskelentzündung gehandelt habe, die inzwischen überwunden sei.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 1983 gewährte die Landesversicherungsanstalt Hessen Herrn S. vorgezogenes Altersruhegeld ab 1. November 1983 (monatlich DM 1.559,90) unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles am 10. Oktober 1983.
Mit Schreiben vom 4. November 1982 kündigte die Beklagte der Klägerin an, daß sie die Erstattung nach § 128 AFG des an den Arbeitnehmer S. zu zahlenden Arbeitslosengeldes verlangen werde und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Schreiben vom 18. November 1982 gab die Klägerin an, daß Herr S. wegen des laufenden Rentenverfahrens aus gesundheitlichen Gründen gern seine Arbeit aufgeben wollte. Deshalb sei ihm gekündigt worden. Mündlich sei die Zusage gegeben worden, ihn im Fall der Ablehnung des Rentenantrags sofort wieder einzustellen. Am 3. November 1982 habe sie von der Rentenablehnung Kenntnis erhalten und ein Gespräch mit Herrn S. geführt. Dabei sei ihm die Wiedereinstellung angeboten und als erster Arbeitstag der 9. November 1982 vereinbart worden. Herr S. habe danach jedoch die Arbeitsaufnahme unter Hinweis auf seinen Gesundheitszustand abgelehnt. Die Klägerin kündigte Herrn S. nunmehr fristlos.
Mit Bescheid vom 18. Oktober 1983 verlangte die Beklagte von der Klägerin die Erstattung von gezahltem Arbeitslosengeld (nebst Versicherungsbeiträgen) für die Zeit, vom 12. Oktober 1982 bis 31. August 1983 in Höhe von DM 17.796,66. Hiergegen hat die Klägerin am 25. Oktober 1983 Widerspruch eingelegt. Mit Bescheid vom 21. November 1983 verlangte die Beklagte für die Zeit vom 1. September bis 10. Oktober 1983 einen weiteren Betrag in Höhe von DM 2.094,65.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 1984 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei nicht durch Kündigung wegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Herrn S. beendet worden, sondern wegen dessen Gesundheitszustandes. Die anschließende fristlose Kündigung sei ins Leere gegangen, da ein neues Vertragsverhältnis gar nicht erneut entstanden sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 26. Januar 1984 Klage erhoben und unter anderem vorgetragen, es sei seinerzeit nicht in Erwägung gezogen worden, daß Herr S. arbeitslos werden würde, da im Falle der Ablehnung des Rentenantrages die Wiedereinstellung fest zugesagt worden sei. Die Vereinbarung habe also zu keinem Zeitpunkt bezweckt, Mittel der Beklagten in Anspruch zu nehmen.
Mit Urteil vom 23. Oktober 1985 hat das Sozialgericht Kassel die Klage im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Voraussetzungen für die Erstattungspflicht seien gegeben. Die Erstattungspflicht entfiele selbst dann nicht, wenn man davon ausgehe, daß ab 9. November 1982 ein neues Arbeitsverhältnis begründet worden sei und Herr S. dieses nicht angetreten habe. Der Anspruch der Beklagten sei auch nicht verwirkt.
Gegen das ihr am 8. November 1985 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 2. Dezember 1985 Berufung eingelegt. Die Klägerin trägt vor, die Vorschrift des § 128 AFG sei verfassungswidrig 128 AFG könne im vorliegenden Falle, keine Anwendung finden, da zu keinem Zeitpunkt seitens der Klägerin die Absicht bestanden habe, einen Mitarbeiter zu Lasten der Solidargemeinschaft aus dem Arbeitsleben zu verabschieden. In Wirklichkeit habe es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers gehandelt. Dieser hätte jedoch mit einer Sperrzeit hinsichtlich des Arbeitslosengeldes rechnen müssen, wenn seinem Rentenantrag nicht stattgegeben werden sollte. Entsprechend der Einstellungszusage sei erneut ein Arbeitsvertrag zustande gekommen. Doch selbst, wenn kein erneutes Arbeitsverhältnis zustande gekommen wäre, hätte Herr S. wegen seiner Weigerung der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden und damit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld gehabt. Zumindest hätte er mit einer Sperrfrist nach § 119 AFG rechnen müssen. Die Beklagte habe gar nicht erst versucht, Herrn S. eine Sperre aufzuerlegen bzw. ihn zur Arbeitsaufnahme anzuhalten, da sie durch die Erstattungspflicht des Arbeitgebers das Arbeitslosengeld kostenneutral habe auszahlen können. Dies stelle einen Rechtsmißbrauch dar.
Die im Termin am 18. April 1990 nicht vertretene Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Oktober 1985 sowie die Bescheide der Beklagten vom 18. Oktober 1983, vom 21. November 1983 und vom 3. Januar 1984 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils würden zum Gegenstand des eigenen Vortrages gemacht. Die Ausführungen der Klägerin ließen eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht zu.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung ist auch zulässig.
Die Berufung ist auch in vollem Umfang begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Oktober 1985 ist rechtsfehlerhaft und war deshalb aufzuheben.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 18. Oktober 1983 und vom 21. November 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 1984 sind rechtswidrig und waren daher aufzuheben.
Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung des an Herrn S. für die Zeit vom 12. Oktober 1982 bis 10. Oktober 1983 gezahlten Arbeitslosengeldes nebst Versicherungsbeiträgen zur Krankenversicherung und Arbeiterrentenversicherung in Höhe von DM 19.891,31, § 128 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) a.F. (i.d.F. des Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetzes – AFKG – vom 22. Dezember 1981, BGBl. I S. 1497, gültig ab 1. Januar 1982). Danach erstattet der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose innerhalb der Rahmenfrist mindestens zwei Jahre in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, der Beklagten vierteljährlich das Arbeitslosengeld für die Zeit nach Vollendung des 59. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 312 Tage. Innerhalb der Rahmenfrist von drei Jahren nach § 104 Abs. 1 und 3 AFG war Herr S. bei der Klägerin beitragspflichtig beschäftigt und war am 12. Oktober 1982 zu Beginn der Arbeitslosigkeit 60 Jahre alt. Das Arbeitsverhältnis bei der Klägerin hat auch nicht weniger als 10 Jahre gedauert, nämlich 10 Jahre und einen Monat (§ 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AFG a.F.). Damit sind die Voraussetzungen des § 128 Abs. 1 und 2 AFG a.F. für die Erstattungspflicht erfüllt.
Die Erstattungspflicht entfällt jedoch, da die Erstattung für die Klägerin eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung bedeutet, § 128 Abs. 4 Satz 1 AFG a.F. Es kann allerdings nicht festgestellt werden, daß eine Existenzgefährdung der Klägerin im Sinne § 128 Abs. 4 Satz 2 AFG durch die verlangte Erstattung hervorgerufen wurde. Auch die Gewährung öffentlicher Kredite oder Bürgschaften bzw. öffentlicher Anpassungshilfen ist nicht gegeben. Der erkennende Senat geht auch nicht davon aus, daß die Erstattungsforderung im Verhältnis zum Geschäftsvolumen der Klägerin bzw. ihrer wirtschaftlichen Situation einen wesentlichen Umfang besitzt. Das Vorliegen einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung sieht der erkennende Senat jedoch darin, daß die Klägerin zunächst davon ausgehen konnte, daß der Arbeitnehmer S. seinen Arbeitsplatz aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausfüllen werde und die Kündigung zur Stützung des gestellten Antrags auf Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit aussprach in Kombination mit dem Angebot, den Arbeitnehmer S. wieder einzustellen, wenn dessen Rentenantrag abschlägig beschieden werde. Der Nachweis, daß Herr S. die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erbringen konnte i.S. der dauernden Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne, die die Klägerin berechtigt hätte, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grunde ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen (§ 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG a.F.), muß als gescheitert angesehen werden, selbst unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 23. Januar 1990 (1 BvL 44/86 und 1 BvL 48/87) geforderten verfassungskonformen weiten Auslegung ohne Berücksichtigung eventueller Kündigungsfristen bei konkreter arbeitsrechtlicher Beurteilung. Zwar hat der Arbeitsamtsarzt in seinem Gutachten vom 18. Oktober 1982 dem Kläger wegen einer koronaren Herzerkrankung und wegen Bluthochdrucks unter Berücksichtigung eines entsprechenden einschränkenden internistischen Gutachtens im Rentenverfahren vom 22. März 1982 nur noch 1–3 Stunden, täglich leichte Arbeiten im Sitzen, in geschlossenen Räumen, in Normalschicht, ohne Zeitdruck, zugemutet, diese Beurteilung wurde durch den leitenden Arzt des Arbeitsamtes am 27. Dezember 1982 nach Kenntnis eines Gutachtens der Frau Dr. N. vom 16. September 1982 ebenfalls im Rentenverfahren – mit Feststellung einer deutlichen Besserung jedoch nicht aufrecht erhalten. Dementsprechend wurde der Rentenantrag auch abgelehnt. Daraus zieht der erkennende Senat die Schlußfolgerung, daß Herr S. die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte weiter erbringen können, also nicht auf Dauer arbeitsunfähig war. Dabei spielt es im Rahmen des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG a.F. keine Rolle, ob die Klägerin zunächst etwa ohne jegliches Verschulden in Übereinstimmung mit früheren Gutachten davon ausgehen konnte, der Arbeitnehmer S. sei arbeitsunfähig auf Dauer, da es auf das objektive Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit ankommt, ohne daß bei dieser Konstellation zu klären wäre, wem die Nichtnachweisbarkeit von Arbeitsunfähigkeit zur Last fiele. Denn zur Überzeugung des erkennenden Senats steht fest, daß bei Herrn S. zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Arbeitsfähigkeit bestand.
Das Vorliegen einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung i.S. § 128 Abs. 4 Satz 1 AFG a.F. sieht der erkennende Senat jedoch darin, daß die Klägerin dem Arbeitnehmer S. bei der Kündigung die spätere Wiedereinstellung zugesagt hat und vor allem nach Ablehnung des Rentenantrages den Arbeitnehmer Saul geradezu bedrängt hat, die Arbeit wieder aufzunehmen. Letzteres ist durch die in Kopie vorgelegten Schreiben der Klägerin vom 9. und 18. November 1982 nachgewiesen. Dabei ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung, ob tatsächlich zum 9. November 1982 ein neues Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist, wie die Klägerin behauptet, während sich nach Aktenlage eher das Bild ergibt, daß Herr S. zwar wegen der drohenden Erstattung und der getroffenen Abrede bedrängt wurde, jedoch sich nicht recht festlegen wollte und die Arbeit dann auch tatsächlich nicht angetreten hat, möglicherweise wegen der gewonnenen Erkenntnis, nach Ablehnung der Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeitsrente nach einem Jahr Arbeitslosigkeit auf anderem Wege in den Genuß eines vorzeitigen Altersruhegeldes zu kommen. Als ausschlaggebend sieht es der erkennende Senat an, daß Herrn S. die Wiedereinstellung fest zugesagt war und die Klägerin nicht die Folgen davon zu tragen hat, daß Herr S. die Arbeitsaufnahme im November 1982 ablehnte. Der erkennende Senat sieht darin die vom Bundesverfassungsgericht (s.o.) genannten anderen als wirtschaftlichen Gründe, die die Erstattungsforderung wegen Bestehens einer unzumutbaren Härte bei verfassungskonformer Auslegung in Wegfall kommen läßt, da eine besondere Verantwortung der Klägerin für den Eintritt der Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers S. nicht festzustellen ist (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts s.o.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
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