L 6 Ar 1224/94

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 11 Ar 272/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 1224/94
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§§ 135 a, 242 q Abs. 10, 110 AFG sind nach der Gesetzessystematik dahin auszulegen, daß am 1. April 1994 rückschauend geprüft wird, ob der Bezieher von originärer Arbeitslosenhilfe bereits für 312 Tage die Leistung erhalten hat. Dem entspricht auch der Wille des Gesetzgebers, eine Übergangsregelung nur für 3 Monate zu schaffen.
Soweit damit in Leistungsbewilligungen über den 31. März 1994 hinaus eingegriffen wird, liegt eine zulässige unechte Rückwirkung des Gesetzes vor.
Ein Bescheid, mit dem unter Hinweis auf das 1. SKWPG das vorzeitige Ende der bewilligten Arbeitslosenhilfe-Leistung zum 31. März 1994 mitgeteilt wird, ist i.S. einer Aufhebung nach § 48 SGB X zu verstehen.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 21. September 1994 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Es geht in dem Rechtsstreit um die Gewährung sog. originärer Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. April 1994 an, unter Berücksichtigung des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogrammes (1. SKWPG).

Der 1941 geborene Kläger ist Diplomchemiker, der nach seinen Angaben nach seinem Examen lediglich von 1978 bis 1982 Gelegenheitsarbeiten an der Technischen Universität verrichtet hat. Am 1. Dezember 1982 begann der Kläger in der Praxis eines Patentanwaltes in gegen ein monatliches Bruttogehalt von DM 2000,– ein Arbeitsverhältnis mit dem Ziel, Patentanwalt zu werden. Der Patentanwalt kündigte das Arbeitsverhältnis (als Patentsachbearbeiter) zum Ablauf der Probezeit am 31. Mai 1983. Seit 1. Juni 1983 stand der Kläger bei der Beklagten im Leistungsbezug von Arbeitslosenhilfe.

Mit Bescheid vom 4. Juni 1993 bewilligte die Beklagte Arbeitslosenhilfe in Höhe von wöchentlich DM 340,80 bis zum Ablauf des Bewilligungsabschnittes am 31. Mai 1994. Mit Änderungsbescheid vom 11. Januar 1994 mit Wirkung ab 1. Januar 1994 wurde die Höhe der Leistung auf DM 316,80 herabgesetzt unter Hinweis auf die Leistungsverordnung 1994.

Mit Änderungsbescheid vom 4. Februar 1994 wurde die Arbeitslosenhilfe begrenzt bis 31. März 1994 und hierfür folgende Begründung gegeben:

"Durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogrammes wurde die Dauer des Anspruchs auf originäre Arbeitslosenhilfe auf längstens 312 Tage begrenzt. Diese Anspruchsdauer haben Sie ausgeschöpft. Ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe besteht nach dem 31.03.1994 nicht mehr. Diese Entscheidung beruht auf § 135 a i.V. mit § 242 q Abs. 10 AFG”

Den hiergegen erhobenen Widerspruch hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 1994 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe am 1. Juni 1983 einen Anspruch auf originäre Arbeitslosenhilfe erfüllt (kein Vorbezug von Arbeitslosengeld) und seitdem Arbeitslosenhilfe bezogen. Somit sei die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe von 312 Tagen am 1. Januar 1994 bereits verbraucht gewesen. § 135 a AFG sei bis 31. März 1994 im Rahmen der Übergangsregelung des § 242 q Abs. 10 AFG nicht anzuwenden und der Kläger könne Arbeitslosenhilfe bis längstens 31. März 1994 erhalten.

Hiergegen hat der Kläger am 31. März 1994 Klage erhoben, die das Sozialgericht Wiesbaden am 21. September 1994 abgewiesen hat. Das Sozialgericht hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe der Entscheidung die einfachgesetzliche Rechtslage zutreffend zugrunde gelegt, deshalb werde darauf verwiesen. Die vorliegend anzuwendenden gesetzlichen Regelungen seien auch nicht verfassungswidrig. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sei nicht verletzt, da ein wesentlicher Unterschied bestehe zwischen den Empfängern von originärer Arbeitslosenhilfe und Anschluß-Arbeitslosenhilfe, da letztere die höheren versicherungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllten und mit § 135 a AFG die vorrangige Funktion der Arbeitslosenhilfe als Ergänzung zum Arbeitslosengeld-Anspruch nach dessen Erschöpfung betont werde. Dies bedeute einen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung, ohne daß es darauf ankäme, daß damit die gerechteste Lösung gefunden worden sei.

Gegen das ihm am 17. November 1994 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9. Dezember 1994 Berufung eingelegt.

Der Kläger trägt vor, die Bezieher von Anschluß-Arbeitslosenhilfe und originärer Arbeitslosenhilfe würden durch § 135 a AFG ungleich behandelt, obwohl bei beiden die gleichen Voraussetzungen bestünden, nämlich Verfügbarkeit und Bedürftigkeit. Ein sachlicher Grund dafür, daß der "originäre Arbeitslose” die Arbeitslosenhilfe weniger lang erhalte als der nicht "originär Arbeitslose” sei nicht ersichtlich. Alleiniges Motiv für die Einführung des § 135 a AFG sei rein fiskalischer Natur gewesen, da die Zahl der Arbeitslosen zu hoch gelegen habe. Daher wäre es allein richtig gewesen, die Arbeitslosenhilfezeit insgesamt zu verkürzen. So sei früher auch nie zwischen "originären Arbeitslosenhilfe-Empfängern” und "nicht-originären Arbeitslosenhilfe-Empfängern” unterschieden worden. Das Verfahren solle daher ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt werden.

Der im Termin am 21. Februar 1996 nicht anwesende und nicht vertretene Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 21. September 1994 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 1994 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosenhilfe über den 31. März 1994 hinaus zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob § 135 a AFG verfassungswidrig ist.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Senat konnte im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 21. Februar 1996 in der Sache verhandeln und eine Entscheidung treffen, obwohl der Kläger nicht erschienen und auch nicht vertreten gewesen ist. Denn alle Beteiligten sind rechtzeitig und ordnungsgemäß geladen und dabei darauf hingewiesen worden, daß auch im Falle ihrer Abwesenheit verhandelt und entschieden werden könne. Die Berufung ist auch zulässig, jedoch unbegründet.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 21. September 1994 ist nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 1994 ist zu Recht ergangen.

Die Beklagte hat zu Recht die bis zum 31. Mai 1994 reichende Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Bescheid vom 4. Juni 1993) mit den angefochtenen Bescheiden nachträglich befristet zum 31. März 1994. Darin liegt ein Eingriff in den Bestand des Bescheides vom 4. Juni 1993, der entsprechend § 139 a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) Arbeitslosenhilfe für ein Jahr bewilligt hatte (1. Juni 1993 bis 31. Mai 1994). Streitgegenstand des anhängigen Verfahrens ist damit nur der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. April 1994 bis 31. Mai 1994 (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. November 1985 – 7 RAr 123/84), weshalb im Ergebnis eine reine Anfechtungsklage vorliegt und dem zusätzlichen Begehren des Klägers, die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosenhilfe über den 31. März 1994 hinaus zu gewähren, keine eigene prozessuale Bedeutung zukommt. Auch wenn die Beklagte sich weder im Bescheid vom 4. Februar 1994 noch im Widerspruchsbescheid vom 25. März 1994 ausdrücklich auf § 48 Sozialgesetzbuch X (SGB X) bezogen hat, hat sie doch ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die bisherige Bewilligung über den 31. März 1994 hinaus keinen Bestand haben sollte, da der Gesetzgeber durch das 1. SKWPG den Anspruch auf originäre Arbeitslosenhilfe auf 312 Tage begrenzt und der Kläger diese Anspruchsdauer ausgeschöpft habe und ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nach dem 31. März 1994 nicht mehr bestehe. Damit ist nach Auffassung des erkennenden Senats inhaltlich eine Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zukunft ab 1. April 1994 entsprechend § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfolgt (vgl. Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 29. Juni 1995 – L-12/S-Ar 32/95). § 48 SGB X findet auch Anwendung, da eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist und die ursprünglich rechtmäßige Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab 1. April 1994 nach dem Willen des Gesetzgebers rechtswidrig geworden ist. Dabei kommt dem Änderungsbescheid vom 11. Januar 1994 keine weitergehende Bedeutung zu. Die darin enthaltene Regelung betrifft lediglich die Höhe der Leistung dergestalt, daß unter Anwendung der Leistungsverordnung 1994 die wöchentliche Leistung ab 1. Januar 1994 auf DM 316,80 herabgesetzt wurde. Zur Frage der Dauer der Leistung enthält der Bescheid weder einen Hinweis noch eine eigenständige Regelung. Es kann deshalb unter keinem Gesichtspunkt der Bescheid vom 11. Januar 1994 hinsichtlich der Bewilligungsdauer als anfänglich rechtswidrig angesehen werden, so daß die vorzeitige Befristung der zunächst bis 31. Mai 1994 bewilligten Arbeitslosenhilfe durch die angefochtenen Bescheide nicht der Vorschrift des § 45 SGB X unterliegt, und die Beklagte damit auch kein Ermessen auszuüben hatte.

Durch § 135 a AFG wurde der Anspruch auf sog. originäre Arbeitslosenhilfe, § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b AFG, auf 312 Tage begrenzt. Bei dem Kläger handelte es sich um einen Anspruch auf sog. originäre Arbeitslosenhilfe, da er ohne vorhergehenden Anspruch auf Arbeitslosengeld durch eine Beschäftigung von mindestens 150 Kalendertagen (hier: 6 Monate) die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Damit wurde der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe durch das 1. SKWPG auf 312 Tage begrenzt. § 135 a AFG macht auch keinen Unterschied zwischen bestehenden und erst künftigen Ansprüchen auf originäre Arbeitslosenhilfe. Nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 i.V. § 134 Abs. 4 Satz 1 AFG mindert sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe um Tage, für die der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erfüllt worden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß § 110 Abs. 1 Nr. 1 AFG vor dem 1. Januar 1994 für die Arbeitslosenhilfe keine Bedeutung hatte, da der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe dem Grunde nach hinsichtlich der Dauer nicht begrenzt war und eine Minderung der Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe damit nicht eintreten konnte. Mit dem Inkrafttreten des 1. SKWPG und der Begrenzung des Anspruchs auf originäre Arbeitslosenhilfe auf 312 Tage findet § 110 AFG insoweit über § 134 Abs. 4 Satz 1 AFG entsprechende Anwendung. Nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 AFG mindert sich der Anspruch um Tage, für die der Anspruch erfüllt worden ist. Dies ergibt aus der Sicht des 1. Januar 1994, daß der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe (in der Vergangenheit ab Juni 1983) für mehr als 312 Tage erfüllt worden ist. Der Kläger hatte am 1. Juni 1983 einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erworben, der bis 31. Dezember 1993 fortbestand und am 1. Januar 1994 darauf zu untersuchen war, inwieweit der nunmehr auf 312 Tage begrenzte Anspruch erfüllt worden ist. Nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift hat § 110 AFG die entscheidende Bedeutung bei rückschauender Betrachtung, etwa bei der Frage, ob ein (zeitlich begrenzter) Anspruch durch vollständige Erfüllung erloschen ist. Bei rückschauender Betrachtung am 1. Januar 1994 kann entsprechend § 110 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 AFG im vorliegenden Fall nur eine mögliche Feststellung getroffen werden, nämlich, daß der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe für mehr als 312 Tage erfüllt worden ist. Zu berücksichtigen ist, daß § 110 AFG durch das 1. SKWPG nicht geändert wurde. Damit hätte ein Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe ab 1. Januar 1994 nicht mehr bestanden, wenn nicht der Gesetzgeber durch § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG eine Übergangsvorschrift geschaffen hätte. Da bei dem Kläger zwischen dem 1. Oktober 1993 und 31. Dezember 1993 die Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe vorgelegen haben, sind im vorliegenden Fall bis zum 31. März 1994 § 135 a i.V. mit § 134 Abs. 4 Satz 1, § 110 AFG nicht anzuwenden. Durch Anwendung am 1. April 1994 ergibt sich bei rückschauender Betrachtung, daß die auf 312 Tage begrenzte Dauer des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosenhilfe um 312 Tage gemindert ist, da in der Vergangenheit der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe bereits im Zeitraum von Juni 1983 bis Dezember 1993 für mehr als 312 Tage erfüllt worden ist. Es kommt im vorliegenden Fall deshalb nicht darauf an, ob die durch § 110 Abs. 1 Nr. 1 AFG normierte Erfüllungswirkung (jeder Leistungstag mindert den Anspruch) durch § 242 q Abs. 10 AFG für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1994 nur vorübergehend nicht angewendet werden sollte, wofür sowohl Wortlaut als auch Sinn sprechen, oder ob eine Verbrauchswirkung in dieser Zeit (1. Januar bis 31. März 1994) überhaupt nicht eintreten sollte, da jedenfalls der Arbeitslosenhilfe-Anspruch des Klägers auch in der Zeit vor dem 1. Januar 1994 für mehr als 312 Tage erfüllt wurde. Soweit Niesel (Komm, zum AFG, 1995, § 135 a Rdnr. 6) unter Hinweis auf ein Urteil des SG Berlin (30. November 1994 – S-62/Ar-1662/94, vgl. auch Urteil des SG Berlin vom 26. Januar 1995 – S-1/Ar-1605/94 = info also 1995, S. 85) die Auffassung vertritt, daß die Verbrauchswirkung erst ab 1. April 1994 einsetzt, vermochte der erkennende Senat dem nicht zu folgen. Neben der oben aufgezeigten systematischen Auslegung des Gesetzes, insbesondere der Bedeutung des § 110 AFG (mit dessen rückschauender Bewertung) spricht auch der im Gesetzgebungsverfahren erkennbare Wille des Gesetzgebers gegen die von Niesel und SG Berlin vertretene Ansicht.

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 4. September 1993 (BT-Drucksache 12/5502) für das 1. SKWPG war ein Haushaltsentlastungsvolumen für 1994 in Höhe von 21 Milliarden DM (davon seitens der Beklagten von 9,35 Milliarden DM) vorgesehen, wobei eine Mehrbelastung der Gemeinden durch Sozialhilfe in Höhe von 4 Milliarden DM prognostiziert wurde. Dabei sollte § 134 AFG so geändert werden (Nr. 33), daß die sog. originäre Arbeitslosenhilfe ersatzlos wegfallen sollte, während durch § 135 a (Nr. 35) die Dauer des Anspruchs auf (die dann nur noch mögliche) Anschluß-Arbeitslosenhilfe auf 624 Tage begrenzt werden sollte. Nach der Übergangsvorschrift des § 242 q Abs. 10 (Nr. 61) sollten die alten Vorschriften noch drei Monate nach dem Inkrafttreten weiter gelten. In der Begründung wurde zum einen auf die dramatische Haushaltslage hingewiesen (ohne Eingriffe Anstieg der Nettokreditaufnahme von 67 Milliarden 1993 auf über 90 Milliarden 1994) und zum anderen, daß die Begrenzung der Arbeitslosenhilfe-Bezugsdauer und Streichung der originären Arbeitslosenhilfe 1994 zu einer Entlastung von 3,52 Milliarden DM und 1995 von 5,02 Milliarden DM führen werde. Zu Nr. 61 wurde ausgeführt, daß die Rechtsänderungen bei der Arbeitslosenhilfe mit einer nur dreimonatigen Übergangsfrist erfolge, da der Lebensunterhalt der betroffenen arbeitslosen Arbeitnehmer auch zukünftig, wenn auch nicht durch Leistungen nach dem AFG, so doch durch Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz gesichert seien. Zu Abs. 10 (Nr. 61) wurde begründet, daß diese Leistung (u.a. originäre Arbeitslosenhilfe) aus Gründen des Vertrauensschutzes für eine dreimonatige Übergangszeit weitergezahlt oder wieder bewilligt werden könne. Die Regelung solle es dem Betroffenen ermöglichen, sich auf die neue Rechtslage einzustellen und den Sozialhilfeträgern die erforderliche Zeit für die Bearbeitung von Anträgen geben. Der vom Bundestag am 22. Oktober 1993 angenommene und dem Bundesrat zugeleitete Entwurf (BR-Drucksache 786/93) enthielt als Übergangsvorschrift bereits § 242 q Abs. 10 Nr. 2 in der später Gesetz gewordenen Fassung, während der Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe (§ 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4) und die Begrenzung der verbliebenen Anschluß-Arbeitslosenhilfe auf 624 Tage (§ 135 a) noch enthalten waren.

In den Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates vom 15. November 1993 (BR-Drucksache 786/1/93) wurde die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe sowie die Begrenzung der Arbeitslosenhilfe auf 2 Jahre abgelehnt. Der eingeschaltete Vermittlungsausschuß hat als Veränderung u.a. vorgeschlagen (BT-Drucksache vom 9. Dezember 1993 – 12/6375), §§ 134 und 135 in der bisherigen Gesetzesfassung zu belassen, während §§ 135 a und 242 q Abs. 10 die später Gesetz gewordenen Formulierungen erhielten. Das 1. SKWPG wurde sodann am 21. Dezember 1993 vom Bundestag beschlossen (BGBl. I, S. 2353).

Danach steht zur Überzeugung des erkennenden Senats fest, daß der Wille des Gesetzgebers dahin ging, die allein noch verbliebene Begrenzung der originären Arbeitslosenhilfe mit einer Übergangsfrist von 3 Monaten wirksam werden zu lassen und noch 1994 dadurch Einsparungen zu erzielen. Dieser Absicht würde die Auslegung der Übergangsvorschrift des § 242 q Abs. 10 AFG durch Niesel nicht gerecht.

§§ 135 a, 242 q Abs. 10 AFG (i.d.F. des 1. SKWPG) verstoßen nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Außer in Art. 103 Abs. 2 GG gibt es kein allgemeines Verbot der Rückwirkung von Gesetzen (vgl. Herzog in Maunz-Dürig GG Art. 20 Rdnr. 65). Nur die echte Rückwirkung führt zur Nichtigkeit eines Gesetzes (Maunz-Dürig Art. 20 Rdnr. 69).

Entgegen der Auffassung des SG Berlin (Urteil vom 26.01.1995 s.o.) liegt keine echte Rückwirkung des 1. SKWPG vor, da es nicht in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt eingreift, sondern sich erst in einem Zeitraum auswirkt, der nach Erlaß und Wirksamwerden des Gesetzes liegt. Nach Art. 14 Abs. 1 des 1. SKWPG traten die hier einschlägigen Änderungen am 01.01.1994 in Kraft, der Wegfall des streitbefangenen Arbeitslosenhilfe-Anspruchs erfolgte mit dem 1. April 1994. Da es jedoch in durch Leistungsbescheide bereits zugebilligte Ansprüche eingriff, liegt eine sog. unechte Rückwirkung vor, indem in einen Sachverhalt eingegriffen wird, der in der Vergangenheit liegt (hier Leistungsbewilligung), sich aber erst in der Zukunft auswirkt. Bei dieser sog. unechten Rückwirkung ist auf den verfassungsrechtlich herleitbaren Vertrauensschutz des Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Dabei ist der Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem kein Vertrauen (etwa hier auf unbegrenzten Fortbezug der originären Arbeitslosenhilfe) mehr bestehen kann. Spätestens mit Erlaß des 1. SKWPG konnte ein Vertrauen nicht mehr fortbestehen. Bei Arbeitslosenhilfe-Bescheiden kann sich Vertrauen höchstens auf den Bewilligungszeitraum erstrecken, hier also höchstens bis 31. Mai 1994. Wenn überwiegende Gründe des Gemeinwohls gegen eine Fortgeltung stehen, führt dies zu einer Einschränkung des Vertrauensschutzes. Grundlage des 1. SKWPG sind die dramatischen Verschlechterungen des Bundeshaushaltes und ein sich daraus ergebender Zwang, eine alsbald greifende Verminderung der Ausgaben zu erreichen. Unter Berücksichtigung der 3-monatigen Übergangsfrist ist davon auszugehen, daß die Abwägung zwischen Vertrauensschutz und Gemeinwohl stattgefunden und nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes geführt hat, zumal der Gesetzgeber in der Begründung ausdrücklich darauf hinweist, daß die Arbeitslosenhilfe nur bei Bedürftigkeit gewährt wird und bei deren Wegfall Ansprüche auf Sozialhilfe eintreten, die die Existenz der Betroffenen sichern.

Nach Auffassung des erkennenden Senats liegt auch keine Verletzung der Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG vor. Voraussetzung für einen Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen ist eine Vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist; diese genießt den Schutz der Eigentumsgarantie dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruht und zudem der Sicherung seiner Existenz dient (vgl. Bundesverfassungsgericht, 15. Juli 1987 – 1 BvR 488/86 u.a. in BVerfGE 76, S. 220 ff.). Bei der bewilligten originären Arbeitslosenhilfe handelt es sich um eine Vermögenswerte Rechtsposition, die dem Anspruchsberechtigten zumindest nach der Bewilligung ausschließlich privatnützig zugeordnet ist. Sie dient auch der Existenzsicherung, Sie beruht allerdings nicht auf nicht unerheblichen Eigenleistungen. Zum einen wird die Arbeitslosenhilfe nicht aus Beitragsmitteln der Bundesanstalt, sondern aus Bundesmitteln finanziert, zum anderen standen die Bezieher von originärer Arbeitslosenhilfe entweder überhaupt nicht (Beamte, Richter, Soldaten) oder nur kurze Zeit in einer die Beitragspflicht zur Bundesanstalt begründenden Beschäftigung. Nicht unerhebliche Eigenleistungen der originären Arbeitslosenhilfe-Bezieher liegen deshalb weder im Sinne einer individuellen noch globalen Äquivalenz vor (vgl. Bundesverfassungsgericht s.o. S. 236).

Soweit der Kläger eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 3 rügt, kann dem nicht gefolgt werden. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 12/5502 S. 34) wird ausgeführt, daß die Bezieher originärer Arbeitslosenhilfe in Zukunft keine Arbeitslosenhilfe mehr erhalten sollen, da sie keinen oder einen nur geringen Bezug zum Arbeitsmarkt hätten. Damit ist ein hinreichendes Unterscheidungsmerkmal zu den Beziehern von Anschluß-Arbeitslosenhilfe aufgezeigt, die immerhin eine Anwartschaftszeit von mindestens 360 Tagen zurückgelegt haben müssen. Diese Unterscheidung ist auch nicht willkürlich, da sie an eine Mindestdauer der Zugehörigkeit zu dem versicherten Personenkreis (Solidargemeinschaft) anknüpft. Ob dies die beste, sinnvollste oder gerechteste Lösung ist, oder die vom Kläger diskutierte gleichmäßige Verkürzung sowohl der Anschluß-Arbeitslosenhilfe als auch der originären Arbeitslosenhilfe nach objektiven Gesichtspunkten hätte vorgezogen werden müssen, reicht für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Regelung nicht aus, da nach Auffassung des erkennenden Senats jedenfalls keine Willkür des Gesetzgebers vorliegt. Eine Vorlage des Rechtsstreits an das Bundesverfassungsgericht kam deshalb nicht in Frage.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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