Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 12 Ar 1482/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AL 179/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Lösen die Arbeitsvertragsparteien ein bereits vom Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gekündigtes Arbeitsverhältnis zu einem vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist liegenden Zeitpunkt unter Zahlung einer Abfindung vorzeitig auf, so tritt eine Sperrzeit nach § 119 AFG jedenfalls dann nicht ein, wenn der Arbeitslose erst für die Zeit nach Ablauf der ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigungsfrist Arbeitslosengeld beantragt. Eine Minderung des Leistungsanspruchs nach § 110 Nr. 2 AFG scheidet unter diesen Voraussetzungen gleichfalls aus. Auch eine nachträgliche Antragsrücknahme hinsichtlich des Zeitraums bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist kann dieses Ergebnis bewirken.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 17. Dezember 1996 sowie die Bescheide der Beklagten vom 20. Februar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 1996 insoweit aufgehoben, als sie Rechtsfolgen zu Lasten des Klägers für die Zeit über den 31. Mai 1996 hinaus beinhalten. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab dem 1. Juni 1996 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens sowie zwei Drittel der Kosten der 1. Instanz zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist in der Berufungsinstanz noch streitig, ob dem Kläger für die Zeit vom 1. bis 11. Juni 1996 Arbeitslosengeld zusteht und ob der Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit eine Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld über die Dauer der Sperrzeit hinaus zur Folge hat.
Der Kläger ist am geboren. Er war seit dem 14. Juni 1976 bei Fa. S. , beschäftigt. Zuletzt war er dort als Betonbauer tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTVB) Anwendung.
Der Kläger erzielte in den bis zum 31. Januar 1996 abgerechneten letzten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses – ohne einmalige Zuwendungen – folgende Bruttoarbeitsentgelte:
Juli 1995 4.287,40 DM
August 1995 3.880,85 DM
September 1995 3.733,99 DM
Oktober 1995 4.065,74 DM
November 1995 3.692,03 DM
Dezember 1995 3.429,78 DM 23.089,79 DM.
Mit Schreiben vom 27. November 1995 kündigte Fa. S. das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Wirkung zum 31. Mai 1996. Die Rückfrage des Arbeitsamtes Gießen beim seinerzeitigen Arbeitgeber des Klägers ergab, daß diese Kündigung aus Arbeitsmangel erfolgt war. Im Anschluß an das Kündigungsschreiben wurde dem Kläger ein schriftlicher Vorschlag für den Abschluß eines Aufhebungsvertrages zugeleitet. Dieser auf den 9. Dezember 1995 datierte Vertragsentwurf sah ein Ende des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 1996 gegen Zahlung einer Abfindung vor. Die Höhe der vorgesehenen Abfindung war in diesem schriftlichen Vertragsentwurf nicht aufgenommen. Nach dem Vortrag des Klägers war von Seiten des damaligen Arbeitgebers des Klägers ein Abfindungsbetrag in Höhe von 10.000,– DM vorgesehen gewesen.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 1995 schlugen die heutigen Prozeßbevollmächtigten des Klägers Fa. S. ihrerseits den Abschluß eines Aufhebungsvertrages vor. In dem übersandten Vertragsentwurf war gleichfalls der 31. Januar 1996 als Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorgesehen. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sollte gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 34.000,– DM erfolgen. Unter dem Datum des 11. Dezember 1995 wurde dieser Auflösungsvertrag sowohl vom Kläger als auch von Fa. S. KG unterzeichnet.
Am 22. Januar 1996 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 1. Februar 1996 arbeitslos und beantragte die Zahlung von Arbeitslosengeld.
Am 20. Februar 1996 ergingen durch die Beklagte drei Bescheide mit folgendem Inhalt:
1) Bescheid über eine 12-wöchige Sperrzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld in der Zeit vom 1. Februar 1996 bis zum 24. April 1996 und der damit einhergehenden Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um 169 Tage. Dieser Bescheid wurde damit begründet, der Kläger habe seine Beschäftigung bei der Fa. S. selbst aufgegeben. Zwar habe der ehemalige Arbeitgeber des Klägers eine Kündigung ausgesprochen. Diese Kündigung sei vom Kläger hingenommen worden. Tatsächlich habe es sich dabei jedoch um eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber gehandelt. Denn einer rechtmäßigen Kündigung durch den Arbeitgeber hätten Kündigungsschutzbestimmungen entgegengestanden, auf deren Einhaltung der Kläger gegen Zahlung einer Abfindung verzichtet habe. Ohne diesen Verzicht habe das Arbeitsverhältnis nicht zum 31. Januar 1996 gelöst werden können. Der Kläger habe voraussehen müssen, daß er infolge seines Verhaltens arbeitslos würde, da er keine konkreten Aussichten auf einen Anschlußarbeitsplatz gehabt habe. Ihrem gesetzlichen Normalmaß entsprechend umfasse die Sperrzeit nach §§ 119, 119 a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) den Zeitraum von 12 Wochen. Diese Sperrzeit mindere den Anspruch auf Arbeitslosengeld um 169 Tage (§ 110 Satz 1 Nr. 2 AFG).
2) Bescheid über das Ruhen des Leistungsanspruchs wegen Zahlung einer Abfindung bis zum 31. Mai 1996 nach Maßgabe des § 117 Abs. 2 und Abs. 3 AFG. Die Beklagte ging dabei von einem zu berücksichtigenden Anteil der Abfindung in Höhe von 15.300,– DM aus. Unter Zugrundelegung der in den Monaten Juli 1995 bis Dezember 1995 abgerechneten Bruttoarbeitsentgelte ohne einmalige Zahlungen errechnete die Beklagte ein Entgelt pro Kalendertag in Höhe von 125,49 DM und damit ein Ruhen für insgesamt 121 Kalendertage.
3) Bescheid über das weitere Ruhen des Leistungsanspruchs nach § 117 a AFG nach Ablauf des Ruhenszeitraums gemäß § 117 AFG für die Zeit vom 1. Juni 1996 bis zum 11. Juni 1996.
Gegen die ergangenen Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein. Durch Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 1996 wurden die Widersprüche zurückgewiesen.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Gießen durch Urteil vom 17. Dezember 1996 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht hat die Rechtmäßigkeit des Sperrzeitbescheides bestätigt. Es hat die Auffassung vertreten, durch seine Zustimmung zu einem Aufhebungsvertrag habe der Kläger sein Arbeitsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich, zumindest aber grob fahrlässig, seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt. Nicht entscheidend sei dabei, von wem die Initiative zur einverständlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen sei. Von daher sei es unerheblich, daß dem Aufhebungsvertrag eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorausgegangen sei. Einen wichtigen Grund zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 1996 habe der Kläger nicht gehabt. Ihm sei bewußt gewesen, daß eine fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erst zum 31. Mai 1996 möglich gewesen und die erfolgte Kündigung zum 31. Januar 1996 wäre. Er habe selbst dazu beigetragen, daß es zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 1996 gekommen sei. Denn er habe von der angedrohten Kündigungsschutzklage Abstand genommen und als Ausgleich dafür die Zahlung einer Abfindung von 34.000,– DM sowie die bezahlte Freistellung von der Arbeit erreicht. Damit habe er seine Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig verursacht. Einen wichtigen Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe er nicht gehabt. Eine besondere Härte gemäß § 119 Abs. 2 Satz 1 AFG liege nicht vor.
Auch die weiteren Bescheide der Beklagten vom 20. Februar 1996 seien nicht zu beanstanden. Die Rechtsgrundlage für das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruches für die Zeit bis zum 31. Mai 1996 finde sich in § 117 Abs. 2 und Abs. 3 AFG. Für das Ruhen des Leistungsanspruchs in der Zeit vom 1. Juni 1996 bis zum 11. Juni 1996 sei § 117 a AFG anzuwenden gewesen. Zur Frage der Minderung der Anspruchsdauer nach § 110 Nr. 2 AFG hat sich das Sozialgericht nicht geäußert.
Gegen das dem Kläger am 17. Januar 1997 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. Februar 1997 eingegangene Berufung. Im Berufungsverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Arbeitslosengeld auf die Zeit ab dem 1. Juni 1996 beschränkt und den darüber hinausgehenden Leistungsantrag zurückgenommen. Er vertritt die Auffassung, durch die Beschränkung seines Leistungsantrags auf die Zeit ab dem 1. Juni 1996 bestehe für den Eintritt einer Sperrzeit kein Anlaß mehr. Denn das Arbeitsverhältnis hätte ohnehin auch ohne sein Zutun, durch die arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigung zum 31. Mai 1996 geendet. Der Umstand, daß es zu dieser Antragsrücknahme für die Zeit vor dem 1. Juni 1996 erst im Verlauf des Berufungsverfahrens gekommen sei, könne nicht zu seinen Lasten gehen. Denn bei einer ordnungsgemäßen Beratung durch das Arbeitsamt hätte er sich zur Vermeidung weitergehender Folgen von Anfang an auf einen Leistungsantrag ab dem 1. Juni 1996 beschränkt. Daß es zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 1996 gekommen sei, sei im übrigen allein auf den Druck der zuvor ausgesprochenen Kündigung zurückzuführen gewesen. Sein Arbeitgeber habe zum Zeitpunkt der ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigung noch 50 Beschäftigte gehabt, im März 1997 seien es noch 35 Beschäftigte gewesen. Deshalb sei auch seitens des Betriebsrats seiner Kündigung zugestimmt worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 17. Dezember 1996 sowie die Bescheide der Beklagten vom 20. Februar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 1996 insoweit aufzuheben, als sie Rechtsfolgen für die Zeit über den 31. Mai 1996 hinaus beinhalten und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Juni 1996 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte hält die ergangenen Bescheide sowie das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend. Aus ihrer Sicht kann der Kläger aufgrund der nachträglichen Rücknahme seines Leistungsantrags, soweit dieser sich auf die Zeit bis zum 31. Mai 1996 bezieht, für die Zeit danach keine für ihn günstigen Rechtsfolgen ableiten. Auch § 46 Abs. 2 Sozialgesetzbuch I (SGB I) stehe einer solchen Rechtsfolge entgegen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vertrags der Beteiligten wird im übrigen auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogene Leistungsakte der Beklagten (St.Nr.: XXXXX) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist in dem Umfang, wie sie vom Kläger zuletzt noch weiterverfolgt worden ist, auch begründet. Dem Kläger steht bereits ab dem 1. Juni 1996 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu. Nachdem der Kläger seinen Leistungsantrag in der Berufungsinstanz teilweise zurückgenommen und auf die Zeit ab dem 1. Juni 1996 beschränkt hat, ist eine Minderung des nach § 106 Abs. 1 AFG für 676 Leistungstage bestehenden Anspruchs nicht eingetreten; auch zu einem Ruhen des Leistungsanspruchs wegen der gezahlten Abfindung ist es nicht gekommen.
Durch diese Antragsrücknahme ist der dem Arbeitsmarkt unzweifelhaft zur Verfügung stehende Kläger so zu stellen, als ob er sich von Anfang an erst mit Wirkung zum 1. Juni 1996 arbeitslos gemeldet und für die Zeit danach einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt hätte. Bei einer Meldung und Antragstellung zum 1. Juni 1998 bestand aber kein Anlaß zur Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit, so daß es auch zu keiner Minderung des Leistungsanspruchs kommen kann.
Zwar tritt eine Sperrzeit nach § 119 AFG im allgemeinen unabhängig davon ein, wann der Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt wird bzw. der Anspruch auf Arbeitslosengeld entsteht (BSG, Urt. v. 9.2.1995 – 7 Rar 34/94 = SozR 3-4100 § 119 a Nr. 2). Ob Ausnahmen hiervon gemacht werden können, wenn der Arbeitslose Arbeitslosengeld für eine Zeit beansprucht, in der sein Arbeitsverhältnis ohnehin geendet hätte, ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bisher unbeantwortet geblieben (vgl. insoweit BSG a.a.O.; Urt. v. 12.12.1984 – 7 RAr 49/84 = SozR 4100 § 119 Nr. 24). Bei der vorliegenden Fallgestaltung kann die Beantwortung dieser Frage allerdings nicht mehr dahingestellt bleiben, da auch eine Minderung der Anspruchsdauer nach § 110 Nr. 2 AFG im Streit steht und diese Minderung selbst bei einer Anwendung der Härteregelung des § 119 Abs. 2 AFG nicht hinfällig würde.
Der Senat hält bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden den Eintritt einer Sperrzeit nicht für gerechtfertigt. Insoweit fehlt es nämlich bereits an der für den Sperrzeittatbestand erforderlichen Kausalität zwischen dem Sperrzeitereignis und dem Eintritt der Arbeitslosigkeit (vgl. insoweit Gagel, AFG, Stand Januar 1998, RdNr. 57 zu § 119). Die gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 27. November 1997 ausgesprochene fristgerechte Kündigung, die ausschließlich aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochen worden war, hätte nämlich in jedem Falle des Arbeitsverhältnisses zum 31. Mai 1996 beendet. Eine solchermaßen eingetretene Arbeitslosigkeit konnte einen Sperrzeittatbestand jedoch nicht begründen, da sie ohne eigenes Zutun des Arbeitslosen eingetreten ist.
Nach Auffassung des Senats kann es unter diesen Umständen keine Rolle spielen, in welcher Weise die Arbeitsvertragsparteien die Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist regeln, sofern bis zu diesem Zeitpunkt die Versichertengemeinschaft nicht in Anspruch genommen wird. Denn der Sperrzeittatbestand dient lediglich der Risikoabgrenzung und ist nicht als Disziplinierungsinstrument gedacht (vgl. dazu Gagel, a.a.O. RdNr. 48 zu § 119). Durch die mit einer Sperrzeit einhergehenden Rechtsfolgen soll sich die Versichertengemeinschaft lediglich gegen Risikofälle wehren können, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft (BSG, Urt. v. 29.4.1998 – B 7 AL 56/97 R m.w.N.).
Die Sperrzeit würde sich aber als ein solches Disziplinierungsinstrument erweisen, wollte man mit ihr den Arbeitsvertragsparteien letztlich vorschreiben, wie sie sich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist und bis zu der späteren Inanspruchnahme der Versichertengemeinschaft in bezug auf ihre Vertragsbeziehungen verhalten sollen. Auch im Falle des Klägers käme es zu diesem nicht gerechtfertigten Ergebnis, würde man trotz der nicht erfolgten Inanspruchnahme der Versichertengemeinschaft den Eintritt einer Sperrzeit annehmen.
Der Kläger hat auch nicht etwa auf tarifliche Rechte, die einer Wirksamkeit der zuvor ausgesprochenen fristgerechten Kündigung zum 31. Mai 1998 möglicherweise entgegengestanden hätten (vgl. dazu BSG, Urt. v. 9.11.1995 – 11 RAr 27/95 = SozR 3-4100 § 119 Nr. 9), in bezug auf eben diese Kündigung verzichtet. Die bloße Hinnahme einer Kündigung und das Unterlassen einer Kündigungsschutzklage begründet den Eintritt einer Sperrzeit jedoch nicht (BSG, Urt. v. 20.4.1977 – 7 RAr 81/75 = DienstblBA C § 117 Nr. 2226 a).
Die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses, verbunden mit der erst nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgten Inanspruchnahme der Versichertengemeinschaft, kann unter diesen Voraussetzungen im Falle des Klägers ein Sperrzeittatbestand nicht auslösen.
Da eine Sperrzeit nach § 119 AFG nicht eingetreten ist, kann es auch nicht zu einer Minderung des Leistungsanspruchs gem. § 110 Nr. 2 AFG kommen. Auch in bezug auf die Anwendung des § 117 Abs. 2 AFG bleibt nach den vorangegangenen Ausführungen der 31. Mai 1996 der rechtlich allein maßgebliche Beendigungszeitpunkt, so daß auch eine Anrechnung der an den Kläger gezahlten Abfindung ausscheidet.
Soweit die Beklage in der mündlichen Verhandlung unter Berufung auf § 46 SGB I die nachträgliche Beschränkung des Leistungsanspruchs als unwirksam angesehen hat und deshalb weiterhin davon ausgeht, die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses könne den Eintritt der sich aus §§ 119, 110 Nr. 2 und 117 Abs. 2 AFG ergebenden Rechtsfolgen nicht verhindern, kann der Senat diese Auffassung nicht teilen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob auf die zu Protokoll erklärte Antragsrücknahme § 46 Abs. 2 SGB I überhaupt Anwendung finden kann. Denn selbst wenn man diese Regelung der vorliegenden Fallgestaltung zugrunde legen wollte, könnte sie nicht zu dem von der Beklagten angenommenen Ergebnis fuhren.
Nach § 46 Abs. 2 SGB I ist ein gegenüber dem zuständigen Leistungsträger ausgesprochener Verzicht auf Sozialleistungen unwirksam, soweit durch ihn andere Personen oder Leistungsträger belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden.
Beides trifft vorliegend nicht zu. Die vom Kläger abgegebene Erklärung "belastet” die Beklagte nicht; sie stellt auch keinen Umgehungstatbestand dar. Vielmehr wurde mit ihr lediglich ein Gestaltungsrecht ausgeübt, das zwar zu einer für den Kläger günstigeren Rechtsfolge führt, das jedoch andererseits hinsichtlich der Zeit bis zum 31. Mai 1996 gleichzeitig endgültige Klarheit insoweit schafft, als für die Zeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nunmehr ein Leistungsanspruch endgültig ausscheidet. Der Versichertengemeinschaft entstehen durch diese Antragsrücknahme keine ungerechtfertigten Nachteile. Denn mit der vom Kläger abgegebenen Erklärung erfolgte lediglich die Korrektur eines Ergebnisses, das bei zutreffender Beratung seitens der Beklagten von Anfang an hätte erreicht werden können und nach der vom Kläger abgegebenen Erklärung auch erreicht worden wäre, sofern diesem eine entsprechende Beratung zuteil geworden wäre.
Mit der im Tenor der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Maßgabe war nach alledem der Berufung stattzugeben. Einer vollständigen Aufhebung der angefochtenen Bescheide bedurfte es dabei nicht, nachdem der Kläger für die Zeit bis zum 31. Mai 1996 keine Ansprüche mehr geltend macht und die Versagung des Leistungsanspruchs bis zu diesem Zeitpunkt auch zum Regelungsgehalt der angefochtenen Bescheide gehört.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision hat der Senat nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens sowie zwei Drittel der Kosten der 1. Instanz zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist in der Berufungsinstanz noch streitig, ob dem Kläger für die Zeit vom 1. bis 11. Juni 1996 Arbeitslosengeld zusteht und ob der Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit eine Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld über die Dauer der Sperrzeit hinaus zur Folge hat.
Der Kläger ist am geboren. Er war seit dem 14. Juni 1976 bei Fa. S. , beschäftigt. Zuletzt war er dort als Betonbauer tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTVB) Anwendung.
Der Kläger erzielte in den bis zum 31. Januar 1996 abgerechneten letzten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses – ohne einmalige Zuwendungen – folgende Bruttoarbeitsentgelte:
Juli 1995 4.287,40 DM
August 1995 3.880,85 DM
September 1995 3.733,99 DM
Oktober 1995 4.065,74 DM
November 1995 3.692,03 DM
Dezember 1995 3.429,78 DM 23.089,79 DM.
Mit Schreiben vom 27. November 1995 kündigte Fa. S. das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Wirkung zum 31. Mai 1996. Die Rückfrage des Arbeitsamtes Gießen beim seinerzeitigen Arbeitgeber des Klägers ergab, daß diese Kündigung aus Arbeitsmangel erfolgt war. Im Anschluß an das Kündigungsschreiben wurde dem Kläger ein schriftlicher Vorschlag für den Abschluß eines Aufhebungsvertrages zugeleitet. Dieser auf den 9. Dezember 1995 datierte Vertragsentwurf sah ein Ende des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 1996 gegen Zahlung einer Abfindung vor. Die Höhe der vorgesehenen Abfindung war in diesem schriftlichen Vertragsentwurf nicht aufgenommen. Nach dem Vortrag des Klägers war von Seiten des damaligen Arbeitgebers des Klägers ein Abfindungsbetrag in Höhe von 10.000,– DM vorgesehen gewesen.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 1995 schlugen die heutigen Prozeßbevollmächtigten des Klägers Fa. S. ihrerseits den Abschluß eines Aufhebungsvertrages vor. In dem übersandten Vertragsentwurf war gleichfalls der 31. Januar 1996 als Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorgesehen. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sollte gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 34.000,– DM erfolgen. Unter dem Datum des 11. Dezember 1995 wurde dieser Auflösungsvertrag sowohl vom Kläger als auch von Fa. S. KG unterzeichnet.
Am 22. Januar 1996 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 1. Februar 1996 arbeitslos und beantragte die Zahlung von Arbeitslosengeld.
Am 20. Februar 1996 ergingen durch die Beklagte drei Bescheide mit folgendem Inhalt:
1) Bescheid über eine 12-wöchige Sperrzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld in der Zeit vom 1. Februar 1996 bis zum 24. April 1996 und der damit einhergehenden Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um 169 Tage. Dieser Bescheid wurde damit begründet, der Kläger habe seine Beschäftigung bei der Fa. S. selbst aufgegeben. Zwar habe der ehemalige Arbeitgeber des Klägers eine Kündigung ausgesprochen. Diese Kündigung sei vom Kläger hingenommen worden. Tatsächlich habe es sich dabei jedoch um eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber gehandelt. Denn einer rechtmäßigen Kündigung durch den Arbeitgeber hätten Kündigungsschutzbestimmungen entgegengestanden, auf deren Einhaltung der Kläger gegen Zahlung einer Abfindung verzichtet habe. Ohne diesen Verzicht habe das Arbeitsverhältnis nicht zum 31. Januar 1996 gelöst werden können. Der Kläger habe voraussehen müssen, daß er infolge seines Verhaltens arbeitslos würde, da er keine konkreten Aussichten auf einen Anschlußarbeitsplatz gehabt habe. Ihrem gesetzlichen Normalmaß entsprechend umfasse die Sperrzeit nach §§ 119, 119 a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) den Zeitraum von 12 Wochen. Diese Sperrzeit mindere den Anspruch auf Arbeitslosengeld um 169 Tage (§ 110 Satz 1 Nr. 2 AFG).
2) Bescheid über das Ruhen des Leistungsanspruchs wegen Zahlung einer Abfindung bis zum 31. Mai 1996 nach Maßgabe des § 117 Abs. 2 und Abs. 3 AFG. Die Beklagte ging dabei von einem zu berücksichtigenden Anteil der Abfindung in Höhe von 15.300,– DM aus. Unter Zugrundelegung der in den Monaten Juli 1995 bis Dezember 1995 abgerechneten Bruttoarbeitsentgelte ohne einmalige Zahlungen errechnete die Beklagte ein Entgelt pro Kalendertag in Höhe von 125,49 DM und damit ein Ruhen für insgesamt 121 Kalendertage.
3) Bescheid über das weitere Ruhen des Leistungsanspruchs nach § 117 a AFG nach Ablauf des Ruhenszeitraums gemäß § 117 AFG für die Zeit vom 1. Juni 1996 bis zum 11. Juni 1996.
Gegen die ergangenen Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein. Durch Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 1996 wurden die Widersprüche zurückgewiesen.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Gießen durch Urteil vom 17. Dezember 1996 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht hat die Rechtmäßigkeit des Sperrzeitbescheides bestätigt. Es hat die Auffassung vertreten, durch seine Zustimmung zu einem Aufhebungsvertrag habe der Kläger sein Arbeitsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich, zumindest aber grob fahrlässig, seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt. Nicht entscheidend sei dabei, von wem die Initiative zur einverständlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen sei. Von daher sei es unerheblich, daß dem Aufhebungsvertrag eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorausgegangen sei. Einen wichtigen Grund zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 1996 habe der Kläger nicht gehabt. Ihm sei bewußt gewesen, daß eine fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erst zum 31. Mai 1996 möglich gewesen und die erfolgte Kündigung zum 31. Januar 1996 wäre. Er habe selbst dazu beigetragen, daß es zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 1996 gekommen sei. Denn er habe von der angedrohten Kündigungsschutzklage Abstand genommen und als Ausgleich dafür die Zahlung einer Abfindung von 34.000,– DM sowie die bezahlte Freistellung von der Arbeit erreicht. Damit habe er seine Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig verursacht. Einen wichtigen Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe er nicht gehabt. Eine besondere Härte gemäß § 119 Abs. 2 Satz 1 AFG liege nicht vor.
Auch die weiteren Bescheide der Beklagten vom 20. Februar 1996 seien nicht zu beanstanden. Die Rechtsgrundlage für das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruches für die Zeit bis zum 31. Mai 1996 finde sich in § 117 Abs. 2 und Abs. 3 AFG. Für das Ruhen des Leistungsanspruchs in der Zeit vom 1. Juni 1996 bis zum 11. Juni 1996 sei § 117 a AFG anzuwenden gewesen. Zur Frage der Minderung der Anspruchsdauer nach § 110 Nr. 2 AFG hat sich das Sozialgericht nicht geäußert.
Gegen das dem Kläger am 17. Januar 1997 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. Februar 1997 eingegangene Berufung. Im Berufungsverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Arbeitslosengeld auf die Zeit ab dem 1. Juni 1996 beschränkt und den darüber hinausgehenden Leistungsantrag zurückgenommen. Er vertritt die Auffassung, durch die Beschränkung seines Leistungsantrags auf die Zeit ab dem 1. Juni 1996 bestehe für den Eintritt einer Sperrzeit kein Anlaß mehr. Denn das Arbeitsverhältnis hätte ohnehin auch ohne sein Zutun, durch die arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigung zum 31. Mai 1996 geendet. Der Umstand, daß es zu dieser Antragsrücknahme für die Zeit vor dem 1. Juni 1996 erst im Verlauf des Berufungsverfahrens gekommen sei, könne nicht zu seinen Lasten gehen. Denn bei einer ordnungsgemäßen Beratung durch das Arbeitsamt hätte er sich zur Vermeidung weitergehender Folgen von Anfang an auf einen Leistungsantrag ab dem 1. Juni 1996 beschränkt. Daß es zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 1996 gekommen sei, sei im übrigen allein auf den Druck der zuvor ausgesprochenen Kündigung zurückzuführen gewesen. Sein Arbeitgeber habe zum Zeitpunkt der ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigung noch 50 Beschäftigte gehabt, im März 1997 seien es noch 35 Beschäftigte gewesen. Deshalb sei auch seitens des Betriebsrats seiner Kündigung zugestimmt worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 17. Dezember 1996 sowie die Bescheide der Beklagten vom 20. Februar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 1996 insoweit aufzuheben, als sie Rechtsfolgen für die Zeit über den 31. Mai 1996 hinaus beinhalten und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Juni 1996 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte hält die ergangenen Bescheide sowie das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend. Aus ihrer Sicht kann der Kläger aufgrund der nachträglichen Rücknahme seines Leistungsantrags, soweit dieser sich auf die Zeit bis zum 31. Mai 1996 bezieht, für die Zeit danach keine für ihn günstigen Rechtsfolgen ableiten. Auch § 46 Abs. 2 Sozialgesetzbuch I (SGB I) stehe einer solchen Rechtsfolge entgegen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vertrags der Beteiligten wird im übrigen auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogene Leistungsakte der Beklagten (St.Nr.: XXXXX) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist in dem Umfang, wie sie vom Kläger zuletzt noch weiterverfolgt worden ist, auch begründet. Dem Kläger steht bereits ab dem 1. Juni 1996 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu. Nachdem der Kläger seinen Leistungsantrag in der Berufungsinstanz teilweise zurückgenommen und auf die Zeit ab dem 1. Juni 1996 beschränkt hat, ist eine Minderung des nach § 106 Abs. 1 AFG für 676 Leistungstage bestehenden Anspruchs nicht eingetreten; auch zu einem Ruhen des Leistungsanspruchs wegen der gezahlten Abfindung ist es nicht gekommen.
Durch diese Antragsrücknahme ist der dem Arbeitsmarkt unzweifelhaft zur Verfügung stehende Kläger so zu stellen, als ob er sich von Anfang an erst mit Wirkung zum 1. Juni 1996 arbeitslos gemeldet und für die Zeit danach einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt hätte. Bei einer Meldung und Antragstellung zum 1. Juni 1998 bestand aber kein Anlaß zur Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit, so daß es auch zu keiner Minderung des Leistungsanspruchs kommen kann.
Zwar tritt eine Sperrzeit nach § 119 AFG im allgemeinen unabhängig davon ein, wann der Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt wird bzw. der Anspruch auf Arbeitslosengeld entsteht (BSG, Urt. v. 9.2.1995 – 7 Rar 34/94 = SozR 3-4100 § 119 a Nr. 2). Ob Ausnahmen hiervon gemacht werden können, wenn der Arbeitslose Arbeitslosengeld für eine Zeit beansprucht, in der sein Arbeitsverhältnis ohnehin geendet hätte, ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bisher unbeantwortet geblieben (vgl. insoweit BSG a.a.O.; Urt. v. 12.12.1984 – 7 RAr 49/84 = SozR 4100 § 119 Nr. 24). Bei der vorliegenden Fallgestaltung kann die Beantwortung dieser Frage allerdings nicht mehr dahingestellt bleiben, da auch eine Minderung der Anspruchsdauer nach § 110 Nr. 2 AFG im Streit steht und diese Minderung selbst bei einer Anwendung der Härteregelung des § 119 Abs. 2 AFG nicht hinfällig würde.
Der Senat hält bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden den Eintritt einer Sperrzeit nicht für gerechtfertigt. Insoweit fehlt es nämlich bereits an der für den Sperrzeittatbestand erforderlichen Kausalität zwischen dem Sperrzeitereignis und dem Eintritt der Arbeitslosigkeit (vgl. insoweit Gagel, AFG, Stand Januar 1998, RdNr. 57 zu § 119). Die gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 27. November 1997 ausgesprochene fristgerechte Kündigung, die ausschließlich aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochen worden war, hätte nämlich in jedem Falle des Arbeitsverhältnisses zum 31. Mai 1996 beendet. Eine solchermaßen eingetretene Arbeitslosigkeit konnte einen Sperrzeittatbestand jedoch nicht begründen, da sie ohne eigenes Zutun des Arbeitslosen eingetreten ist.
Nach Auffassung des Senats kann es unter diesen Umständen keine Rolle spielen, in welcher Weise die Arbeitsvertragsparteien die Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist regeln, sofern bis zu diesem Zeitpunkt die Versichertengemeinschaft nicht in Anspruch genommen wird. Denn der Sperrzeittatbestand dient lediglich der Risikoabgrenzung und ist nicht als Disziplinierungsinstrument gedacht (vgl. dazu Gagel, a.a.O. RdNr. 48 zu § 119). Durch die mit einer Sperrzeit einhergehenden Rechtsfolgen soll sich die Versichertengemeinschaft lediglich gegen Risikofälle wehren können, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft (BSG, Urt. v. 29.4.1998 – B 7 AL 56/97 R m.w.N.).
Die Sperrzeit würde sich aber als ein solches Disziplinierungsinstrument erweisen, wollte man mit ihr den Arbeitsvertragsparteien letztlich vorschreiben, wie sie sich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist und bis zu der späteren Inanspruchnahme der Versichertengemeinschaft in bezug auf ihre Vertragsbeziehungen verhalten sollen. Auch im Falle des Klägers käme es zu diesem nicht gerechtfertigten Ergebnis, würde man trotz der nicht erfolgten Inanspruchnahme der Versichertengemeinschaft den Eintritt einer Sperrzeit annehmen.
Der Kläger hat auch nicht etwa auf tarifliche Rechte, die einer Wirksamkeit der zuvor ausgesprochenen fristgerechten Kündigung zum 31. Mai 1998 möglicherweise entgegengestanden hätten (vgl. dazu BSG, Urt. v. 9.11.1995 – 11 RAr 27/95 = SozR 3-4100 § 119 Nr. 9), in bezug auf eben diese Kündigung verzichtet. Die bloße Hinnahme einer Kündigung und das Unterlassen einer Kündigungsschutzklage begründet den Eintritt einer Sperrzeit jedoch nicht (BSG, Urt. v. 20.4.1977 – 7 RAr 81/75 = DienstblBA C § 117 Nr. 2226 a).
Die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses, verbunden mit der erst nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgten Inanspruchnahme der Versichertengemeinschaft, kann unter diesen Voraussetzungen im Falle des Klägers ein Sperrzeittatbestand nicht auslösen.
Da eine Sperrzeit nach § 119 AFG nicht eingetreten ist, kann es auch nicht zu einer Minderung des Leistungsanspruchs gem. § 110 Nr. 2 AFG kommen. Auch in bezug auf die Anwendung des § 117 Abs. 2 AFG bleibt nach den vorangegangenen Ausführungen der 31. Mai 1996 der rechtlich allein maßgebliche Beendigungszeitpunkt, so daß auch eine Anrechnung der an den Kläger gezahlten Abfindung ausscheidet.
Soweit die Beklage in der mündlichen Verhandlung unter Berufung auf § 46 SGB I die nachträgliche Beschränkung des Leistungsanspruchs als unwirksam angesehen hat und deshalb weiterhin davon ausgeht, die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses könne den Eintritt der sich aus §§ 119, 110 Nr. 2 und 117 Abs. 2 AFG ergebenden Rechtsfolgen nicht verhindern, kann der Senat diese Auffassung nicht teilen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob auf die zu Protokoll erklärte Antragsrücknahme § 46 Abs. 2 SGB I überhaupt Anwendung finden kann. Denn selbst wenn man diese Regelung der vorliegenden Fallgestaltung zugrunde legen wollte, könnte sie nicht zu dem von der Beklagten angenommenen Ergebnis fuhren.
Nach § 46 Abs. 2 SGB I ist ein gegenüber dem zuständigen Leistungsträger ausgesprochener Verzicht auf Sozialleistungen unwirksam, soweit durch ihn andere Personen oder Leistungsträger belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden.
Beides trifft vorliegend nicht zu. Die vom Kläger abgegebene Erklärung "belastet” die Beklagte nicht; sie stellt auch keinen Umgehungstatbestand dar. Vielmehr wurde mit ihr lediglich ein Gestaltungsrecht ausgeübt, das zwar zu einer für den Kläger günstigeren Rechtsfolge führt, das jedoch andererseits hinsichtlich der Zeit bis zum 31. Mai 1996 gleichzeitig endgültige Klarheit insoweit schafft, als für die Zeit bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nunmehr ein Leistungsanspruch endgültig ausscheidet. Der Versichertengemeinschaft entstehen durch diese Antragsrücknahme keine ungerechtfertigten Nachteile. Denn mit der vom Kläger abgegebenen Erklärung erfolgte lediglich die Korrektur eines Ergebnisses, das bei zutreffender Beratung seitens der Beklagten von Anfang an hätte erreicht werden können und nach der vom Kläger abgegebenen Erklärung auch erreicht worden wäre, sofern diesem eine entsprechende Beratung zuteil geworden wäre.
Mit der im Tenor der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Maßgabe war nach alledem der Berufung stattzugeben. Einer vollständigen Aufhebung der angefochtenen Bescheide bedurfte es dabei nicht, nachdem der Kläger für die Zeit bis zum 31. Mai 1996 keine Ansprüche mehr geltend macht und die Versagung des Leistungsanspruchs bis zu diesem Zeitpunkt auch zum Regelungsgehalt der angefochtenen Bescheide gehört.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision hat der Senat nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
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