L 6 KG 925/96

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 22 Kg 998/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KG 925/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Einem in der Bundesrepublik Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigten Bürgerkriegsflüchtling aus Bosnien-Herzegowina steht Kindergeld für seine Kinder jedenfalls in Höhe der sich aus dem Deutsch-jugoslawischen Abkommen über Soziale Sicherheit ergebenden Sätze zu. Die in diesem Abkommen geregelte eingeschränkte Gleichstellung hat durch die zum 1. Januar 1994 erfolgte Neufassung des § 1 Abs. 3 BKGG insoweit keine Änderung erfahren.
I. Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. April 1996 abgeändert. Unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 7. Februar 1994 sowie des Widerspruchsbescheides vom 11. März 1994 und unter Berücksichtigung des angenommenen Anerkenntnisses wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit ab Januar 1994 bis Dezember 1995 für dessen Tochter Kindergeld nach Maßgabe des Deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit zu gewähren. Im übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger 1/7 der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob und ggf. in welcher Höhe dem Kläger ab Juli 1993 ein Anspruch auf Kindergeld zusteht.

Der 1963 geborene Kläger, von Beruf Diplom Ingenieur, reiste im April 1992 aus Bosnien-Herzegowina gemeinsam mit seiner Ehefrau (geb. 1969) und seiner Tochter (geb. 1991) in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er nach dem Übergreifen des Bürgerkrieges auf seine Heimatregion als Bürgerkriegsflüchtling verblieb. Er lebt seither mit seiner Familie im Bundesland Hessen.

Der Kläger besitzt – ebenso wie seine Ehefrau – die Staatsangehörigkeit von Bosnien-Herzegowina. Sein Aufenthalt war nach seiner Einreise zunächst geduldet worden. Die erstmals am 9. Juni 1992 vom Landrat des Main-Kinzig-Kreises ausgesprochene Duldung beruht auf dem Erlaß des Hessischen Ministeriums des Innern und für Europaangelegenheiten vom 7. Mai 1992 (unveröffentlicht; Az. II A 51–23 d). Mit diesem Erlaß wurde im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern die Abschiebung von Personen aus Bosnien-Herzegowina gem. § 54 Ausländergesetz (AuslG) ausgesetzt und die nachgeordneten Behörden angewiesen, den Aufenthalt dieses Personenkreises nach §§ 55, 56 AuslG zu dulden. Der Erlaß vom 7. Mai 1992 galt ursprünglich bis zum 7. November 1992. Er wurde in der Folgezeit – wiederum im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern – für die Dauer von jeweils sechs Monaten verlängert (Erlasse vom 10.9.1992, 10.3.1993, 22.9.1993 usw.).

Nach Maßgabe dieser Erlasse wurde auch beim Kläger verfahren. Die zunächst bis zum 7. November 1992 ausgesprochene Duldung wurde am 8. Oktober 1992 bis zum 31. März 1993 und danach sukzessive für jeweils sechs Monate bis zum 30. September 1995 verlängert. Am 12. Juli 1995 wurde dem Kläger vom Landrat des Main-Kinzig-Kreises eine Aufenthaltsbefugnis erteilt, die am 29. November 1995 jedenfalls bis zum 28. November 1996 verlängert worden ist.

Seit Juni 1992 ist der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland ohne Unterbrechung durch Zeiten von Arbeitslosigkeit versicherungspflichtig beschäftigt. Für die ausgeübten Tätigkeiten verfügte der Kläger jeweils über eine Arbeitserlaubnis. In den streitbefangenen Jahren 1993, 1994 und 1995 wurden die Eheleute zur Einkommensteuer herangezogen. Für das Jahr 1993 wurde eine Einkommensteuer in Höhe von 6.083,– DM festgesetzt, für 1994 in Höhe von 3.412,– DM und für 1995 in Höhe von 7.801,– DM zuzüglich eines Solidaritätszuschlags in Höhe von 585,07 DM.

Erstmals beantragte der Kläger im Mai 1993 für seine Tochter die Gewährung von Kindergeld. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 16. September 1993 bindend abgelehnt.

Am 31. Januar 1994 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Kindergeld. Auch diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 7.2.1994). Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 11. März 1994 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dem Kläger habe weder nach der bis zum 31. Dezember 1993 maßgeblichen Rechtslage ein Anspruch auf Kindergeld zugestanden, noch nach der ab Januar 1994 geltenden Regelung des Bundeskindergeldgesetzes. Für die Zeit bis Dezember 1993 habe ein Anspruch auf Kindergeld gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) nur bestanden, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Für Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hätten, sei dabei nach § 1 Abs. 3 BKGG ein Anspruch nur gegeben gewesen, wenn sie nach den §§ 51, 53 oder 54 AuslG auf unbestimmte Zeit nicht hätten abgeschoben werden können, frühestens jedoch für die Zeit nach einem gestatteten oder geduldeten ununterbrochenen Aufenthalts von einem Jahr. Der Kläger sei zwar im Besitz einer Duldung für bosnische Kriegsflüchtlinge gewesen; im vorliegenden Falle habe jedoch kein generelles Abschiebungshindernis bestanden. Von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sei allenfalls befristet abgesehen worden. Damit liege kein Daueraufenthaltsrecht vor, was insoweit einen Anspruch auf Kindergeld ausschließe. Für die Zeit ab Januar 1994 sei es demgegenüber nicht mehr auf eine Mindestdauer des aufenthaltsrechtlichen Status angekommen. Vielmehr habe es nach § 1 Abs. 1 BKGG zur Anspruchserfüllung einer Aufenthaltsgenehmigung in Form einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 AuslG) oder Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG) bedurft. Der Kläger habe jedoch weder über eine Aufenthaltsberechtigung noch über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt, so daß ihm für die Zeit ab Januar 1994 der Anspruch auf Kindergeld habe versagt werden müssen.

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Frankfurt am Main durch Urteil vom 29. April 1996 die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte dazu verurteilt, dem Kläger Kindergeld in gesetzlichem Umfang von Juli 1993 bis Dezember 1993 zu gewähren. Im übrigen wurde die Klage abgewiesen. Nach Maßgabe dieses Urteils hatten die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten. Die Berufung gegen dieses Urteil wurde zugelassen. Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, in der bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Fassung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 BKGG habe der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Kindergeld gehabt. Denn die besondere Lage des Klägers als Bürgerkriegsflüchtling aus Bosnien-Herzegowina und seine aufenthaltsrechtliche Behandlung durch die Ausländerbehörden hätten die Annahme gerechtfertigt, daß diese Personen auf unbestimmte Zeit nicht aus dem Bundesgebiet abgeschoben werden würden. Zwar sei bei dem Personenkreis, dem der Kläger angehöre, der Aufenthaltsstatus durch die Ausländerbehörden in unterschiedlichen Rechtsformen festgeschrieben worden; teilweise seien Duldungen nach dem Ausländergesetz ausgesprochen, teilweise aber auch Aufenthaltsbefugnisse nach §§ 32, 32 a AuslG erteilt worden. Die Praxis der Ausländerbehörden lasse allerdings ungeachtet des ausländerrechtlichen Status der Betroffenen ersichtlich das Ziel erkennen, dieser Personengruppe einen rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik zu ermöglichen, um sie Verfolgungen und Beeinträchtigungen aufgrund der anhaltenden Kriegsgeschehnisse in deren Heimatgebiet nicht auszusetzen, so lange von einer entsprechenden kriegsbedingten Gefährdung auszugehen sei. Dies ergebe sich sowohl aus den Erlassen des Hessischen Ministeriums des Innern als auch aus der praktischen Handhabung der ausländerrechtlichen Vorschriften durch die Ausländerbehörden. Aufgrund dieser Handhabung sei davon auszugehen, daß Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina in der Bundesrepublik Deutschland einen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt haben (Hinweis auf §§ 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch I – SGB I –, § 1 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 3 BKGG a.F.). Da auch der von § 1 Abs. 3 BKGG a.F. geforderte einjährige ununterbrochene Aufenthalt jedenfalls ab dem Monat Juli 1993 vorgelegen habe, bestehe für die Zeit von Juli 1993 bis einschließlich Dezember 1993 ein Anspruch auf Kindergeld.

Für die Zeit ab Januar 1994 könne aufgrund der Neufassung des § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I, S. 2353) ein Anspruch jedoch nicht mehr begründet werden. Denn der Kläger sei nicht im Besitz der in der gesetzlichen Neuregelung geforderten Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis. Der insoweit eindeutige Gesetzeswortlaut stelle klar, daß nicht darauf abzustellen sei, ob der betroffene Ausländer möglicherweise ausländerrechtlich einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung habe. Maßgeblich sei vielmehr allein der tatsächlich bestehende ausländerrechtliche Status. Der Kläger könne auch keinen Anspruch aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Konvention, BGBl. II, S. 359, 619) ableiten. Ein Anspruch auf Gewährung von Kindergeld in Anwendung von Kapitel IV, Art. 24 Nr. 1 b der Genfer Konvention sei nämlich nicht bereits dann gegeben, wenn der Betreffende dem Flüchtlingsbegriff von Kapitel I, Art. 1 der Konvention unterfalle. Die Inanspruchnahme der Rechte der Genfer Konvention sei vielmehr von einem besonderen Anerkennungsverfahren abhängig. Für den Kläger bedeute dies, daß er unmittelbare Rechte aus der Genfer Konvention nur ableiten könne, wenn das Vorliegen einer individuellen Verfolgungssituation in dem hierfür in der Bundesrepublik Deutschland vorgesehenen Verfahren nachgeprüft und festgestellt worden sei. Als solche einen Status als Konventionsflüchtling begründende Verfahren kämen die Verfahren zur Anerkennung als Asylberechtigter nach § 51 Abs. 1 AuslG bzw. § 2 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVerfG) oder die Anerkennung als Kontingentflüchtling nach dem Kontingentflüchtlingsgesetz in Betracht. Solche Anerkennungen seien jedoch gegenüber dem Kläger nicht ausgesprochen worden. Der Kläger unterliege auch nicht dem Kontingentflüchtlingsgesetz, da er nicht aufgrund einer Übernahmeerklärung des Bundesministers des Innern gem. § 33 Abs. 1 AuslG in der Bundesrepublik Deutschland lebe. Die Anordnung einer obersten Landesbehörde nach §§ 32, 32 a AuslG reiche zur Begründung der Rechtsstellung als Konventionsflüchtling nicht aus.

Gegen das dem Kläger am 4. Juli 1996 zugestellte Urteil richtet sich dessen am 22. Juli 1996 eingegangene Berufung. Gegenüber der Beklagten wurde das sozialgerichtliche Urteil am 15. Juli 1996 zugestellt. Ihre Berufung ist am 5. August 1996 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangen.

Der Kläger geht weiterhin davon aus, ihm stehe auch für die Zeit ab dem 1. Januar 1994 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu. Er befinde sich als Kriegsflüchtling in der Bundesrepublik Deutschland. Sein Ausschluß vom Anspruch auf Kindergeld widerspreche der Genfer Flüchtlingskonvention. Auf den Besitz eines besonderen Aufenthaltstitels könne demgegenüber nicht abgestellt werden, ebenso wenig wie darauf, ob er als Asylberechtigter anzuerkennen sei. Das Land Hessen habe sich im Sinne der Genfer Konvention richtig verhalten und ihm den Status eines Kriegsflüchtlings zuerkannt, auch wenn hierüber kein ausdrücklicher Bescheid vorliege. Maßgeblich sei vielmehr allein der Beschluss der Innenministerkonferenz vom 22. Mai 1992. Sein Anspruch ergebe sich deshalb unmittelbar aus Art. 24 b der Genfer Konvention. Nach Maßgabe dieser Bestimmung dürfe er nicht dem Begriff des "Ausländers” im Sinne von § 1 Abs. 3 BKGG zugeordnet werden, vielmehr sei insoweit allein darauf abzustellen, daß er Kriegsflüchtling sei. Schließlich müsse ihm auch deshalb Kindergeld gewährt werden, weil er im streitbefangenen Zeitraum zur Einkommensteuer herangezogen worden sei.

Hinsichtlich der Zeit bis zum 31. Dezember 1993 sei demgegenüber das sozialgerichtliche Urteil nicht zu beanstanden. Am Vorliegen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes könne kein vernünftiger Zweifel bestehen, so daß auch die Berufung der Beklagten zurückzuweisen sei.

In der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 1998 wurde von der Beklagten für die Zeit von Juli 1993 bis Dezember 1993 ein Anspruch auf Kindergeld nach Maßgabe der Leistungssätze des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 i.d.F. des Änderungsabkommens vom 30. September 1994 (Deutsch-jugoslawisches Abkommen über Soziale Sicherheit) anerkannt. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.

Er beantragt nunmehr,
unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten und unter Berücksichtigung des angenommenen Teilanerkenntnisses das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. April 1996 abzuändern und die Beklagte unter vollständiger Aufhebung des Bescheides vom 7. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 1994 zu verurteilen, ihm auch für die Zeit von Januar 1994 bis einschließlich Dezember 1995 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,
unter Zurückweisung der Berufung des Klägers nach Maßgabe des abgegebenen Teilanerkenntnisses das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. April 1996 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Die Beklagte hält die sozialgerichtliche Entscheidung für die Zeit ab Januar 1994 für zutreffend. Für die Zeit bis Dezember 1993 stehe dem Kläger lediglich ein Anspruch auf Kindergeld nach den Leistungssätzen des Deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit zu. Denn bis zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger über keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland verfugt. Sein Aufenthalt sei vielmehr auf die Dauer der Kriegshandlungen in Jugoslawien zeitlich begrenzt gewesen.

Dies ergebe sich auch aus § 132 a AuslG, wonach Bürgerkriegsflüchtlingen nur ein vorübergehender Aufenthalt in Deutschland ermöglicht werden solle. Die Abschiebestopregelungen seien jeweils nur zeitlich befristet gewesen. Aus der Praxis der regelmäßig für jeweils sechs Monate erfolgten Verlängerung könne nicht geschlossen werden daß Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina auf der Grundlage des § 54 AuslG ein Daueraufenthaltsrecht in Deutschland eingeräumt werden sollte. Die wiederholt befristet erteilten Duldungen könnten keineswegs als "zukunftsoffen” angesehen werden. Ein Kindergeldanspruch könne auch nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 BKGG begründet werden. Auch wenn das Existenzminimum für Kinder grundsätzlich steuerfrei bleiben müsse, könne dies im Kindergeldrecht nicht zu einem eigenständigen Leistungsanspruch fuhren. Dem Kläger stehe lediglich ein Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen zu, nicht jedoch ein Anspruch auf Leistungen die – wie das Kindergeld – aus Steuermitteln finanziert würden. Für die Zeit ab Januar 1994 bis zum Ende des streitbefangenen Zeitraums komme auch ein Anspruch in Höhe der Leistungssätze des Deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit nicht in Betracht. Die durch das 1. Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I, S 2310) eingeführte Änderung des § 1 Abs. 3 BKGG schließe eine Anwendung der Abkommensregelung insoweit aus.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vertrags der Beteiligten wird im übrigen auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte, die beigezogene Ausländerakte des Landrates des Main-Kinzig-Kreises sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (XXXXXX) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegten Berufungen (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) sind zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Abs. 1 SGG liegen nicht vor.

Die Berufungen sind jedoch nur teilweise begründet. Dem Kläger steht – über das von der Beklagten abgegebene Teilanerkenntnis hinaus – Kindergeld nach den Sätzen des Deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit auch für die Zeit bis Dezember 1995 zu. Der Kläger hat jedoch für den streitbefangenen Zeitraum keinen weitergehenden Anspruch auf Kindergeld nach den Kindergeldsätzen des Bundeskindergeldgesetzes in der bis zum 31. Dezember 1995 maßgeblichen Fassung.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich für die Zeit bis einschließlich Dezember 1993 nach den Bestimmungen des Bundeskindergeldgesetzes i.d.F. des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I, S. 1354).

Nach § 1 Abs. 3 dieser Gesetzesfassung haben Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Geltungsbereich des Bundeskindergeldgesetzes aufhalten, nur dann einen Anspruch auf Kindergeld, wenn sie nach den §§ 51, 53 oder 54 Ausländergesetz (AuslG) auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können, frühestens jedoch für die Zeit nach einem gestatteten oder geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr.

Zwar hielt sich der Kläger im Juli 1993 ununterbrochen bereits seit mehr als einem Jahr in der Bundesrepublik Deutschland auf. Für ihn lag im streitbefangenen Zeitraum jedoch keine Aufenthaltsgenehmigung vor. Für die vorliegende Fallgestaltung kann dabei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 22.1.1998 – B 14 KG 2/97 R) auch nicht von einem Abschiebehindernis von unbestimmter Dauer ausgegangen werden, da der Abschiebestopp, wie er vom Hessischen Ministerium des Innern für Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern verfügt worden war, jeweils zeitlich befristet gewesen ist. Auch auf die "Zukunftsoffenheit” der erteilten Duldungen (vgl dazu BSG Urteil v. 30.9.1993 – 4 RA 49/92 = SozR 3 – 6710 Art. 1 Nr. 1) kommt es nicht an, da Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina aufgrund der bloßen Duldung nach dieser Rechtsprechung des 14. Senats des BSG (a.a.O.) kein materielles Aufenthaltsrecht gehabt haben, vielmehr nach § 56 Abs. 1 AuslG ausreisepflichtig gewesen sind. Die frühere Prognose-Rechtsprechung des 10. Senats des BSG zum gewöhnlichen Aufenthalt von Asylbewerbern (vgl. z.B. Urteil vom 25.7.1995 – 10 RKg 13/93 m.w.N.) kann unter diesen Voraussetzungen nach der Neufassung des § 1 Abs. 3 BKGG durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (a.a.O.) nicht mehr zur Anwendung kommen. Daß der Kläger im streitbefangenen Zeitraum in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stand und mit seinem Einkommen zur Einkommensteuer und zur Zahlung von Solidaritätszuschlag veranlagt worden ist, ist nach dieser Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 21.1.1998, a.a.O.) ohne Belang. Soweit der erkennende Senat dazu eine andere Auffassung vertreten hat (vgl. insoweit zuletzt Urteil vom 16.4.1997 – L 6 KG 240/95 = E-LSG KGg 018), wird die insoweit entgegenstehende Rechtsprechung vom Senat aufgegeben.

Auch für die Zeit ab Januar 1994 kann nach den vorherigen Ausführungen nichts anderes gelten. Denn in der durch das 1. Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2353) eingeführten Neuregelung des § 1 Abs. 3 BKGG wird nunmehr für ausländische Staatsangehörige ausdrücklich der Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Aufenthaltserlaubnis gefordert, wenn ein Anspruch auf Kindergeld gegeben sein soll. Über keinen dieser Aufenthaltstitel hat der Kläger im streitbefangenen Zeitraum verfügt, so daß ihm von Januar 1994 bis Dezember 1995 ebenfalls kein Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz zusteht.

Allerdings hat der Kläger einen Anspruch auf Kindergeld nach Maßgabe des Deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit in Höhe der nach diesem Abkommen maßgeblichen Leistungssätze. Dieser Anspruch besteht über den Monat Dezember 1993 hinaus, also auch für denjenigen Teil des streitbefangenen Zeitraums, für den die Beklagte insoweit kein Anerkenntnis abgegeben hat.

Das Deutsch-jugoslawische Abkommen über Soziale Sicherheit i.d.F. des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (a.a.O.) findet im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bosnien-Herzegowina auch weiterhin Anwendung. In der "Bekanntmachung über die Fortgeltung der deutsch-jugoslawischen Verträge im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bosnien-Herzegowina” vom 16. November 1992 (BGBl. 1992 II, S. 1196) ist dies ausdrücklich klargestellt worden.

Das Abkommen sieht in Art. 28 Abs. 1 vor, daß eine Person, die im Gebiet des einen Vertragsstaates beschäftigt ist und den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt, nach dessen Rechtsvorschriften für Kinder, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten, Anspruch auf Kindergeld so hat, als hielten sich die Kinder gewöhnlich im Gebiet des ersten Vertragsstaates auf.

Von dieser an das Beschäftigungsland gebundenen Gleichstellung wird im Bezug auf das Kindergeld auch der Kläger umfaßt. Daß die Tochter Adela des Klägers nicht in Bosnien-Herzegowina, sondern – mit dem Kläger – in der Bundesrepublik Deutschland lebt, kann nach Auffassung des Senats nicht zu einem Ausschluß des nach Abkommensrecht zu zahlenden Kindergeldes fuhren. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, daß das Abkommen dem Grundsatz nach allerdings für solche Lebenssachverhalte geschaffen worden ist, bei denen der Wohnsitz insbesondere von Familienangehörigen nicht im Beschäftigungsland liegt. Dies kann dem Kläger jedoch in Bezug auf das Kindergeld nicht zum Nachteil gereichen. Denn seine Situation und die seiner Familie ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß es sich um Bürgerkriegsflüchtlinge handelt, denen – jedenfalls für die Dauer des streitbefangenen Zeitraums – eine Rückkehr in den anderen Vertragsstaat – also nach Bosnien-Herzegowina, nicht zumutbar gewesen ist. Der Aufenthalt der Familie des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland war gerade aus diesem Grunde nach der maßgeblichen Erlaßlage geduldet worden. In Bezug auf das Kindergeld kann der Kläger deshalb nicht schlechter gestellt werden, als wenn sich sein Kind – wie dies dem Wortlaut des Abkommens entspräche – in Bosnien-Herzegowina aufhalten würde (vgl. insoweit zum Recht der Familienversicherung BSG Urteil vom 30.4.1997 – 12 RK 29/96 = SozR 3-2500 § 10 Nr. 11).

Diese durch das Beschäftigungsland-Prinzip erfolgte Gleichstellung ist allerdings in Art. 28 Abs. 2 des Abkommens hinsichtlich der Höhe der Leistungsansprüche eingeschränkt worden. Da der Kläger für seine Tochter Adela keinen unmittelbaren Anspruch auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz in der bis zum 31. Dezember 1995 maßgeblichen Fassung ableiten kann, sein Anspruch vielmehr lediglich auf dem Abkommensrecht beruht, muß er sich auch diese eingeschränkte Gleichstellung entgegenhalten lassen. Er kann deshalb lediglich Kindergeld in Höhe der Abkommensätze beanspruchen, wie dies in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 vorgesehen ist. Der darin enthaltene Verweis auf die mit anderen Anwerbeländern vereinbarten höchsten Sätze führt zu den Kindergeldsätzen nach Maßgabe des Dritten Abkommen vom 12. Juli 1974 zur Änderung des Abkommens vom 29. Oktober 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit (BGBl. II 1975, S. 376). Für das erste Kind ist danach ein Betrag von 10,– DM monatlich festgelegt worden, der auch durch die nachfolgend abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen bisher nicht erhöht worden ist und der deshalb in gleichfalls unveränderter Form in Art. 46 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz (EG-EStRG (hier in der Fassung vom 26.2.1993, BGBl. I S. 278)) Eingang gefunden hat.

An dieser – wenn auch nur eingeschränkt geltenden – Gleichstellung durch das Deutsch-Jugoslawische Abkommen über Soziale Sicherheit hat sich – entgegen der Ansicht der Beklagten – für die Zeit ab Januar 1994 nichts geändert. Die Neufassung des § 1 Abs. 3 BKGG ist insoweit ohne Einfluß auf die durch das Abkommen eingeräumten Rechte geblieben.

In dem durch das Abkommen begründeten Umfang steht dem Kläger nach alledem bis zum Ende des streitbefangenen Zeitraums Kindergeld zu. Hinsichtlich der weitergehenden Ansprüche war demgegenüber seine Berufung abzuweisen und auf die Berufung der Beklagten das sozialgerichtliche Urteil entsprechend abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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