L 6/10 AL 1618/97

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 11 Ar 1018/95
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6/10 AL 1618/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Erstattung stellt eine unzumutbare Belastung dar, wenn eine GmbH ohne laufende erhebliche Zuwendungen ihrer Gesellschafterin die Betriebstätigkeit hätte einstellen müssen, § 128 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 AFG.
Eine (ausnahmsweise) Erweiterung des Begriffs des Arbeitgebers bzw. des Unternehmens, etwa auf den Konzern, kommt nicht in Betracht, wenn keine Verpflichtung der Gesellschafterin zur Zuführung weiterer liquider Mittel bestand.
Weitere Ermittlungen zur Durchleuchtung eines Konzerns sind ohne konkrete Anhaltspunkte unzulässig und würden gleichsam „ins Blaue hinein” erfolgen.
Ein kurzfristiger drastischer Personalabbau ist für den örtlichen Arbeitsmarkt nicht von erheblicher Bedeutung, wenn die Arbeitslosigkeit im Bezirk deutlich schwächer ausgeprägt ist als im übrigen Bundesgebiet (West).
I. Auf die Klage wird der Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 1998 aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Es geht in dem Rechtsstreit um die Erstattung nach § 128 AFG betreffend die frühere Arbeitnehmerin der Rechtsvorgängerin der Klägerin, , hinsichtlich der Zeit vom 1. Oktober 1993 bis zum 28. September 1995. Klägerin war zunächst die die 1992 von der übernommen wurde. Sie ist ein Unternehmen der chemischen Industrie und hat ihren Sitz in und unterhält mehrere Betriebe in Deutschland, u.a. auch ein Werk in NX ... Sie ist mit 85 % ihrer Produktion Zulieferer der Automobilindustrie. In ihrem Werk in NX. produziert die Klägerin Preß-, Stanz- und Rohrteile ausschließlich für ihre anderen Werke.

Zum 1. Januar 1997 wurde Rechtsnachfolgerin der ursprünglichen Klägerin die die seit 1. Januar 1998 unter firmiert.

Die frühere Arbeitnehmerin (am 2. März 1935 geboren) war von 1976 bis zum 30. September 1993 bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin im Betrieb in beschäftigt, zuletzt als Maschinenbedienerin gegen einen Bruttolohn in Höhe von DM 9.807,– bei 495 Stunden in der Zeit vom 1. Juli 1993 bis 30. September 1993. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung betrug die maßgebliche Kündigungsfrist 5 Monate zum Vierteljahresschluß; mit Aufhebungsvertrag vom 19. März 1993 vereinbarten die Rechtsvorgängerin der Klägerin und ihre frühere Arbeitnehmerin das Ende des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 1993. Im Aufhebungsvertrag heißt es u.a., ohne die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses wäre das Arbeitsverhältnis zum selben Zeitpunkt aus betrieblichen Gründen gekündigt worden. Die frühere Arbeitnehmerin erhielt eine Abfindung in Höhe von DM 20.000,–.

Am 21. September 1993 meldete sich die frühere Arbeitnehmerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld, das ihr mit Bescheid vom 7. Oktober 1993 für 832 Tage ab 1. Oktober 1993 in Höhe von DM 338,40 wöchentlich bewilligt wurde. Als Bemessungsentgelt waren DM 750,– wöchentlich zugrunde gelegt worden, ferner Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse 3) sowie Kindermerkmal 0. Die Krankenversicherung wurde durchgeführt bei der AOK Rhein-Lahn mit einem Beitragssatz in Höhe von 14,6 %. Ab 1. Januar 1994 (Leistungsverordnung 1994) betrug das Arbeitslosengeld DM 317,40 wöchentlich (der Beitragssatz der AOK ermäßigte sich bis zum Ende des streitbefangenen Zeitraums auf 13,9 %). Ab 1. Oktober 1994 veränderte sich das Arbeitslosengeld auf DM 324,60 (Dynamisierung des Bemessungsentgeltes auf DM 770,–), ab 2. Januar 1995 auf DM 322,20 (Leistungsverordnung 1995).

Auf die schriftliche Befragung zur Klärung des Eintritts einer Sperrzeit gab die frühere Arbeitnehmerin als Gründe für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses an: "Aufhebungsvertrag wird nachgereicht.”

Der Erlaß eines Sperrzeitbescheides unterblieb, ohne dass die Gründe hierfür aus der Verwaltungsakte ersichtlich sind. Die frühere Arbeitnehmerin bezieht Altersrente wegen Arbeitslosigkeit seit 1. Juni 1996.

Im Antrag vom 21. September 1993 hatte die frühere Arbeitnehmerin keine Einschränkungen der Vermittlungsfähigkeit angegeben. Mit Schreiben vom 25. Juni 1994 hörte die Beklagte die Rechtsvorgängerin der Klägerin zur Frage der Erstattung nach § 128 AFG dem Grunde nach an.

Mit Grundlagenbescheid vom 16. Februar 1995 stellte die Beklagte die Erstattungspflicht der Rechtsvorgängerin der Klägerin nach § 128 AFG ab 1. Oktober 1993 für längstens 624 Tage fest. Den Widerspruch der Rechtsvorgängerin der Klägerin vom 7. März 1995 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 1995 zurück. Dabei ging sie insbesondere auf die Überprüfung ein, ob der Personalabbau bei der Klägerin i.S. von § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 AFG für den örtlichen Arbeitsmarkt von erheblicher Bedeutung gewesen sei und verneinte dies. Der Betrieb befinde sich nicht in einem anerkannten Fördergebiet der regionalen Strukturpolitik. Im Bezirk des Arbeitsamtes Montabaur sei die Arbeitslosigkeit (6,8 %) deutlich schwächer ausgeprägt als im Durchschnitt des Bundesgebietes (West = 9,1 %). Im Nebenstellenbezirk NX. liege weder die Arbeitslosenquote (6,9 %) noch die mittlere Dauer der Arbeitslosigkeit über dem Bundesdurchschnitt. Auch die Struktur im Hinblick auf den Anteil älterer Arbeitnehmer sei unauffällig. Seinerzeit seien auch nicht zeitgleich weitere Entlassungen in größerem Umfang im Bezirk angesagt gewesen. Dabei sei in der Arbeitslosenquote bereits ein Aussiedleranteil von 20 % enthalten.

Ohne vorherige Anhörung verlangte die Beklagte unter Hinweis auf den Grundlagenbescheid von der Rechtsvorgängerin der Klägerin mit Bescheid vom 29. Mai 1995 für die Zeit vom 1.10.1993 bis zum 31. März 1995 (469 Leistungstage) folgende Erstattung:

Arbeitslosengeld DM 25.243,–
Beiträge zur Krankenversicherung DM 8.015,57
Beiträge zur Rentenversicherung DM 5.447,50
Beiträge zur Pflegeversicherung DM 79,05
insgesamt DM 38.785,02

Den hiergegen am 8. Juni 1995 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 1995 zurück. Am 8. Juli 1995 hat die Rechtsvorgängerin der Klägerin Klage erhoben und im wesentlichen vorgetragen, wegen erheblicher Umsatzrückgänge im Jahr 1993 habe sie Personal abbauen müssen und zwar im Werk in dem die frühere Arbeitnehmerin gearbeitet habe, von 120 Arbeitnehmern in der Zeit zwischen September und Dezember 1993 25 Arbeitnehmer. Damit liege ein kurzfristiger und drastischer Personalabbau vor. Soweit die Beklagte die Bedeutung des Personalabbaus für den örtlichen Arbeitsmarkt bestreite, stelle die entsprechende Regelung in § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 AFG einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar. Mit dem Gesamtbetriebsrat sei ein Interessenausgleich und Sozialplan vereinbart worden. Die Abfindung der früheren Arbeitnehmerin habe sich aus dem Sozialplan errechnet. Der geschlossene Aufhebungsvertrag entspreche in seinem materiellen Gehalt einer sozial gerechtfertigten Kündigung. In der mündlichen Verhandlung am 1. Oktober 1997 hob die Beklagte wegen fehlender Anhörung den Bescheid vom 29. Mai 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 1995 auf.

Mit Urteil vom 1. Oktober 1997 hat das Sozialgericht Darmstadt die Klage abgewiesen, die sich nur noch gegen den Grundlagenbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides richtete. In der Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht die Erstattungspflicht dem Grunde nach festgestellt. Die Grundvoraussetzungen für die Erstattungspflicht der Rechtsvorgängerin der Klägerin seien gegeben. Die frühere Arbeitnehmerin erfülle für die streitbefangenen Zeiträume auch nicht die Voraussetzungen für eine andere Leistung. Der von Amts wegen obliegenden Ermittlungspflicht sei die Beklagte nachgekommen. Sie habe den Antrag auf Arbeitslosengeld ausgewertet, in dem nach Leistungseinschränkungen und nach anderen Sozialleistungen gefragt werde. Weitergehende Ermittlungen, auch des Gerichtes, über die Angaben im Antrag hinaus seien nur bei konkreten Umständen erforderlich. Zu weiteren Ermittlungen sei die Beklagte mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht verpflichtet gewesen. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht durch eine sozial gerechtfertigte Kündigung, sondern durch einen Aufhebungsvertrag beendet worden, der mit einer Kündigung nicht gleichzusetzen sei. Für eine Berechtigung der Rechtsvorgängerin der Klägerin zu einer Kündigung aus wichtigem Grund, habe diese weder etwas vorgetragen, noch ergäben sich hierfür irgendwelche Anhaltspunkte. Es liege zwar ein kurzfristiger drastischer Personalabbau vor, es fehle jedoch an der erheblichen Bedeutung für den örtlichen Arbeitsmarkt.

Gegen das ihr am 5. Dezember 1997 zugestellte Urteil hat die Rechtsvorgängerin der Klägerin am 30. Dezember 1997 Berufung eingelegt.

Eine Reaktion der früheren Arbeitnehmerin auf die schriftliche Befragung vom 18. Februar 1998 durch die Beklagte hinsichtlich anderweitiger Sozialleistungen ist aus den Akten nicht ersichtlich.

Mit Bescheid vom 8. Juli 1998 verlangt die Beklagte nunmehr nach erfolgter Anhörung der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 1993 bis zum 28.9.1995 (624 Leistungstage) folgende Erstattung:

Arbeitslosengeld DM 33.566,50
Beiträge zur Krankenversicherung DM 10.227,52
Beiträge zur Rentenversicherung DM 8.407,48
Beiträge zur sozialen Pflegevers. DM 238,19
insgesamt DM 52.439,69

Die Klägerin trägt vor, bereits in erster Instanz habe sie dargelegt und unter Beweis gestellt, dass die Befreiungstatbestände des § 128 Abs. 1 Satz 2 Ziffern 4 und 7 AFG erfüllt seien. Darüber hinaus werde ihr durch die nunmehr vorgelegte gutachterliche Stellungnahme vom 30. Juni 1998 (Schitag Ernst & Young) bescheinigt, dass sie aufgrund nachhaltiger Verluste unmittelbar existenzgefährdet sei und die Erstattung die verbliebenen Arbeitsplätze gefährden würde. Damit sei der Befreiungstatbestand des § 128 Abs. 2 Ziffer 2 AFG erfüllt. Hinsichtlich der unzumutbaren Belastung in Form der Arbeitsplatzgefährdung sei die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu § 16 BetrAVG heranzuziehen. Dabei finde keine konzernbezogene Betrachtung statt, wie sich auch aus dem Dienstblatt-Runderlaß der Beklagten (11/93 i.d.F. vom 28.5.1997 – 26/97 unter 3.11 Abs. 3) ergebe. Die zu § 16 BetrAVG ergangene Rechtsprechung des BAG zur Frage, wann auf die wirtschaftliche Lage des Konzernunternehmens abzustellen sei (sog. Berechnungsdurchgriff) sei damit gerade nicht zu berücksichtigen. Deshalb komme es auf die wirtschaftliche Lage jedes einzelnen Konzernunternehmens an. In den Jahren 1995, 1996 und 1997 seien bei ihr erhebliche Verluste eingetreten und auch für 1998 sei mit einem negativen Jahresergebnis zu rechnen. Die Erstattungsforderung könne, daher nur aus der Substanz finanziert werden. Das Reinvermögen habe nur durch Zuzahlungen und Forderungsverzichte der Konzernmutter positiv gestaltet werden können. So habe die Konzernmutter im Jahr 1993 30 Millionen DM zugeschossen und auf eine Rückzahlung in Höhe von 15 Millionen DM verzichtet; 1996 habe sie liquide Mittel in Höhe von 50 Millionen DM und 1997 in Höhe von 30 Millionen DM zugeschossen. Ohne diese Zuzahlungen hätte Konkurs angemeldet werden müssen. Die Erstattungsforderungen in den 5 Parallelverfahren beliefen sich auf insgesamt ca. DM 274.000,–, die nur durch Eingriffe in die Substanz beglichen werden könnten. Seit 1991 seien die Arbeitsplätze kontinuierlich abgebaut worden von 1.786 (31.12.1991) auf 1.068 (31.12.1997). Trotzdem hätte sich bei kontinuierlichem Umsatzrückgang der prozentuale Personalaufwand (in Prozent der Umsatzerlöse) erhöht. Vorsorglich würden die vom Berichterstatter gestellten Fragen beantwortet. Die Gesellschafterin der Klägerin sei die , die eine reine Holding sei. Hinter dieser verberge sich die , die die ehemalige im Jahr 1992 vom übernommen habe. Der Forderungsverzicht sowie die Zuführung weiterer liquider Mittel der beruhten auf keiner vertraglichen Grundlage, sondern auf der Einsicht, dass die Klägerin sonst zahlungsunfähig geworden wäre und Konkurs hätte anmelden müssen. Es bestehe kein Gewinn- und Verlustabführungsvertrag zwischen der Klägerin und der ; diese nehme als reine Holding auch keinen Einfluß auf die Geschäftsführung der Klägerin und bilde mit dieser auch keinen faktischen Konzern. Der Geschäftsführer der Holding, , sei lediglich Mitglied des Aufsichtsrates der Klägerin. Die Klägerin hat eine gutachterliche Stellungnahme vom 30. Juni 1998 ( ) entsprechend § 128 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 AFG vorgelegt, ferner Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen für die Jahre 1993 bis 1998, ein Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 29. April 1997, sowie Jahresabschluß und Lagebericht 31. Dezember 1996 und Urkunde Nr. des Notars vom 20. Februar 1998.

Die Klägerin beantragt,
auf die Klage den Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 1998 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage gegen den Bescheid vom 8. Juli 1998 abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Die Beklagte trägt vor, die Voraussetzungen für den Eintritt der Erstattungspflicht nach § 128 AFG seien erfüllt. Die verfahrensfehlerhaften Abrechnungsbescheide seien durch den verfahrensfehlerfreien Bescheid vom 8. Juli 1998 ersetzt worden. Ein Befreiungstatbestand nach § 128 Abs. 2 Ziffer 2 AFG liege nicht vor. Maßgebender Beurteilungszeitpunkt sei der 1. Oktober 1993 (Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld der ehemaligen Arbeitnehmerin). Dieser Befreiungstatbestand liege nur vor, wenn infolge der Erstattung die Existenz des Unternehmens gefährdet werde. Auch die im Gesetz geregelte Gefährdung der verbleibenden Arbeitsplätze müsse als Vorstufe der Existenzgefährdung des Unternehmens verstanden werden. Hier wiege das finanzielle Gewicht der Erstattungsforderungen nicht so schwer. Auch wenn keine vertragliche Grundlage für den Verlustausgleich durch die bestehe, müsse von einer ständigen Übung ausgegangen werden.

Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz eine Kopie des Abrechnungsbescheides vom 8. Juli 1998 vorgelegt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichtes Darmstadt vom 1. Oktober 1997 war zulässig, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der neue Abrechnungsbescheid vom 8. Juli 1998 wurde Gegenstand des Verfahrens nach §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG. Durch die Einigung der Beteiligten, dass der Grundlagenbescheid vom 16. Februar 1995, der allein noch Gegenstand der zunächst angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichtes war, nicht mehr zur Überprüfung des erkennenden Senats gestellt werde, war nur noch über die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 1998 zu entscheiden.

Der Abrechnungsbescheid der Beklagten vom 8. Juli 1998 ist rechtswidrig und war deshalb auf die Klage aufzuheben. Die Erstattungspflicht der Klägerin nach § 128 Abs. 1 Satz 1 AFG entfällt, da die Klägerin dargelegt und nachgewiesen hat, dass die Erstattung für sie eine unzumutbare Belastung bedeuten würde, § 128 Abs. 2 Nr. 2 AFG.

Die frühere Arbeitnehmerin hatte bei Beginn der Gewährung von Arbeitslosengeld das 56. Lebensjahr vollendet, war innerhalb der letzten vier Jahre vor Beginn der Arbeitslosigkeit bei der Klägerin (bzw. bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin) beitragspflichtig beschäftigt und hatte am 1. Oktober 1993 das 58. Lebensjahr vollendet. Dabei trifft die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der bisherigen Arbeitgeberin die Pflicht zur Erstattung nach § 128 AFG ebenso, wie die Rechtsvorgängerin selbst (vgl. Urteil BSG vom 18. September 1997 – 11 RAr 55/96). Die frühere Arbeitnehmerin hatte auch nicht die Voraussetzungen für eine der in § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 4 AFG genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erfüllt; hinsichtlich einer Altersrente für Frauen bzw. nach 52-wöchiger Arbeitslosigkeit gilt dies jedoch nur für die Zeit bis 31. März 1995, da die frühere Arbeitnehmerin am 2. März 1995 das 60. Lebensjahr vollendet hatte. Für die Zeit ab 1. April 1995 ist die Erstattungsforderung der Beklagten bereits wegen des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 128 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz AFG rechtswidrig.

Der geschlossene Aufhebungsvertrag kann auch nicht einer sozial gerechtfertigten Kündigung i.S. § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG gleichgestellt werden (vgl. Urteil des BSG vom 25. Juni 1998 – B 7 AL 82/97 R).

Es sind auch nicht die Voraussetzungen des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 AFG erfüllt. Zwar schied die frühere Arbeitnehmerin im Rahmen eines kurzfristigen drastischen Personalabbaus von über 20 % aus, jedoch hatte dies für den örtlichen Arbeitsmarkt keine erhebliche Bedeutung, wie die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 1995 nachvollziehbar dargelegt hat. Weder liegt der Betrieb ( ) in einem anerkannten Fördergebiet der regionalen Strukturpolitik, noch hatte der Personalabbau der (Rechtsvorgängerin der) Klägerin eine erhebliche Bedeutung für den örtlichen Arbeitsmarkt, da die Arbeitslosigkeit im dortigen Bezirk deutlich schwächer ausgeprägt war als im übrigen Bundesgebiet (West).

Die Erstattungspflicht der Klägerin entfällt jedoch, da die Erstattung für sie eine unzumutbare Belastung bedeuten würde, weil dadurch der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Arbeitsplätze gefährdet wären, § 128 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 AFG.

Hierzu hat die Klägerin in Übereinstimmung mit § 128 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 AFG die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vom 30. Juni 1998 (Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ) vorgelegt. Daraus, aus den vorgelegten Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen der Jahre 1993 bis 1998, sowie den Erläuterungen des im Termin anwesenden Controllers W. ergibt sich zur Überzeugung des erkennenden Senats, dass die Klägerin ohne die erheblichen Zuwendungen der Gesellschafterin (als Eigenkapital ersetzende Maßnahmen) ihre Betriebstätigkeit hätte einstellen müssen. Die Erstattung würde damit eine unzumutbare Belastung der Klägerin bedeuten und zwar für die Zeit ab 1993 bis Ende 1998, so dass es nicht darauf ankam, ob der Beginn der Zahlung von Arbeitslosengeld (Oktober 1993) oder das Datum des allein verbliebenen und zu überprüfenden Bescheides vom 8. Juli 1998 als ausschlaggebender Zeitpunkt angesehen wird. Anfang 1998 bestand ein Verlustvortrag in Höhe von fast 109 Millionen DM zuzüglich eines Jahresfehlbetrages für 1998 in Höhe von 13 Millionen DM. 1993 verzichtete die Gesellschafterin auf eine Forderung in Höhe von 15 Millionen DM, 1996 brachte die Gesellschafterin 50 Millionen DM, 1997 30 Millionen DM und 1998 weitere 25 Millionen DM liquide Mittel ein. Unter diesen Bedingungen kommt dem für 1993 ausgewiesenen Gewinn in Höhe von knapp 2 Millionen DM und für 1994 von ca. 7 ½ Millionen DM keine erhebliche Bedeutung zu. Damit einhergehend hat sich die Zahl der Beschäftigten von 1.786 (Ende 1991) auf 1.068 (Ende 1997) verringert. Trotz dieses erheblichen Abbaus von Arbeitsplätzen ergab sich eine Erhöhung des Personalaufwandes (in % der Umsatzerlöse) von 34 % (1992) auf 36 % (1997). Eine Gefährdung der verbleibenden Arbeitsplätze durch die Erstattungsforderung der Beklagten muss damit angenommen worden. Soweit die Beklagte wegen des wiederholt durchgeführten Verlustausgleichs durch die Gesellschafterin der Klägerin eine wirtschaftliche Gefährdung der Klägerin verneint, konnte dem nicht gefolgt werden. Eine Erweiterung des Begriffs des Arbeitgebers bzw. des Unternehmens über die Klägerin hinaus, etwa auf den Konzern, kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht (vgl. hierzu etwa Urteil des BAG vom 28.4.1992 – AZR 244/91 zu § 16 BetrAVG bzw. EzA Nr. 23 zu § 16 BetrAVG). Es konnte nicht festgestellt werden, dass eine wie auch immer geartete Verpflichtung der Gesellschafterin zum Verlustausgleich bzw. zur Zuführung weiterer liquider Mittel bestand. Damit konnte die festgestellte unzumutbare Belastung der Klägerin (GmbH) nicht in Wegfall kommen durch eine möglicherweise bestehende positive wirtschaftliche Situation ihrer Gesellschafterin bzw. des dahinter stehenden Konzerns. Mangels konkreter Anhaltspunkte brauchte der erkennende Senat nicht zu entscheiden, ob und ggf. wann sich die Prüfung der unzumutbaren Belastung ausnahmsweise über den betroffenen Arbeitgeber (hier die GmbH) hinaus auf einen dahinter stehenden Konzern zu erstrecken hat. Von der Klägerin war sowohl eine vertragliche Grundlage für den Forderungsverzicht und die Zuführung weiterer liquider Mittel als auch das Vorhandensein eines Gewinn- und Verlustabführungsvertrages verneint worden. Es war ferner das Vorliegen eines faktischen Konzerns verneint worden. Zu weiteren Ermittlungen sah sich der erkennende Senat nicht veranlasst. Nach den eindeutigen Erklärungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wären weitere Ermittlungen des erkennenden Senats unzulässig gewesen und gleichsam "ins Blaue hinein” erfolgt, § 103 SGG (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl. § 103, 8a).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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