L 7 Ka 1319/82

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ka 59/81
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 Ka 1319/82
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Neben der Abrechnung eines Honorars für Früherkennungsuntersuchungen nach Gebührenordnungsziffer 93 E-GO kommt der Ansatz eines zusätzlichen Beratungshonorars nach E-GO Nr. 1 auch dann nicht in Betracht, wenn die Beratung wegen eines aus Anlaß der Früherkennungsuntersuchung vorgetragenen Leidens erfolgt, das nicht im Zusammenhang mit dieser Untersuchung steht. Dies gilt selbst dann, wenn die Beratung erst nach einer gewissen Wartezeit oder aufgrund einer späteren Bestellung des Patienten erfolgt, da eine solche Behandlung – jedenfalls im Regelfall – als unwirtschaftlich angesehen werden müßte und bereits deshalb nicht zu einem zusätzlichen Honoraranspruch führen kann.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 3. November 1982 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtfertigung der rechnerischen Absetzung von drei Gebührenordnungspositionen aus den Honorarabrechnungen des Klägers für die Quartale IV/79 und I/80. Nach Auffassung der Beklagten war der Kläger bei den in Frage stehenden Quartalsabrechnungen nicht berechtigt, neben den Honoraren für vorgenommene Früherkennungsuntersuchungen gleichzeitig ein Honorar nach Gebührenziffer 1 der Ersatzkassen-Gebührenordnung für Beratung wegen anderer Beschwerden abzurechnen.

Der Kläger ist Arzt für Allgemeinmedizin. Er ist als Vertragsarzt an der ärztlichen Versorgung der Mitglieder von Ersatzkassen beteiligt. Am 9. Oktober 1979 sowie am 19. Oktober 1979 und am 5. Februar 1980 führte der Kläger bei drei männlichen Patienten Früherkennungsuntersuchungen durch und stellte dafür u.a. Honorare nach Gebührenordnungsziffer 93 E-GO in Rechnung. Gleichzeitig berechnete der Kläger ein Beratungshonorar nach Gebührenordnungsposition Nr. 1 E-GO. In den Abrechnungsbescheiden vom 18. August 1980 und vom 3. Oktober 1980 wurde dem Kläger die aus Anlaß dieser Behandlungen in Ansatz gebrachte Gebührenposition Nr. 1 E-GO auf Antrag der T.-Krankenkasse in Höhe von 3 × 7,45 DM, also insgesamt 22,35 DM, abgesetzt.

Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, die abgerechnete Beratung habe Behandlungen betroffen, die in keinem Zusammenhang mit der durchgeführten Vorsorgeuntersuchung gestanden hätten. So habe die am 9.10.1979 durchgeführte Beratung multiple Rißwunden seines Patienten an der rechten Hand betroffen, der am 19.10.1979 behandelte Patient sei wegen eines akuten BWS-Syndroms und des Verdachts auf eine rheumatoide Arthritis beraten worden. Auch bei der am 5.2.1980 erfolgten Beratung habe ein Zusammenhang mit der Früherkennungsuntersuchung nicht bestanden.

Durch Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 1981 wurde der Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, die Abrechnung der Gebührenordnungsposition Nr. 1 E-GO sei neben der Abrechnung für Früherkennungsmaßnahmen grundsätzlich ausgeschlossen.

Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Frankfurt durch Urteil vom 3. November 1982 abgewiesen. Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, die ausdrückliche Regelung in den allgemeinen Bestimmungen zu B IV der E-GO schließe eine gesonderte Honorierung nach Nr. 1 der Gebührenordnung aus. Da der Kläger die Patienten anläßlich oder im Anschluß an die Vorsorgeuntersuchung wegen zusätzlicher Beschwerden behandelt und beraten habe, habe es sich um dieselbe Inanspruchnahme gehandelt, die keinen erneuten Anspruch auf eine Beratungsgebühr hervorrufe. Dabei sei es unbeachtlich, ob der Kläger den Patienten sofort oder aus praxisorganisatorischen Gründen nach einer gewissen Wartezeit behandelt habe. Vielmehr handele es sich insoweit um einen einheitlichen gebührenrechtlichen Vorgang, der auch nicht durch Manipulation einer späteren Bestellung zum weiteren Ansatz einer Beratungsgebühr berechtige. In der Vorsorgeuntersuchung seien nicht nur die Beratungsgebühren nach E-GO Nr. 1, sondern auch die Honorierung nach Nr. 65 der Gebührenordnung (eingehende Untersuchung) enthalten, ohne daß dadurch ein weiterer Honoraranspruch ausgelöst werde. Die insoweit getroffene Regelung verstoße nicht gegen höherrangiges Recht.

Gegen das dem Kläger am 2. Dezember 1982 zugestellte Urteil richtet sich dessen am 22. Dezember 1982 eingegangene Berufung. Der Kläger hält die vom Sozialgericht vertretene Auffassung nicht für zutreffend. Soweit sich das Sozialgericht mit der Frage des Ansatzes der Gebührenposition Nr. 65 E-GO auseinandergesetzt habe, ergebe sich die Fehlerhaftigkeit seiner Auffassung bereits daraus, daß die neugeschaffene Gebührenordnungsposition Nr. 65 b E-GO eine zusätzliche Honorierung für die Untersuchung mehrerer Organsysteme vorstehe.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 3. November 1982 und die Bescheide vom 18. August 1980 sowie vom 3. Oktober 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1981 insoweit aufzuheben, als für die am 9. Oktober 1979 und am 19. Oktober 1979 sowie am 5. Februar 1980 erfolgten Behandlungen die Gebührenordnungsposition Nr. 1 E-GO abgesetzt wurde und die Beklagte zu verurteilen, für diese Behandlungen weitere DM 22,35 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vertrags der Beteiligten wird im übrigen auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Die Berufung ist auch an sich statthaft (§ 143 SGG). Mit seiner Berufung beanstandet der Kläger die Abrechnungsbescheide für die Quartale IV/79 und I/80 und macht damit – auch wenn nur die Absetzung von insgesamt drei Positionen beanstandet wird – aus dem gleichen Sachverhalt einen über 13 Wochen hinausgehenden Honoraranspruch geltend, der unabhängig von seiner Höhe der Berufung zugänglich ist (BSG SozR Nr. 21 zu § 144 SGG; SozR 1500 § 144 SGG Nr. 6).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Honoraransprüche aus Gebührenordnungsposition Nr. 1 der Ersatzkassen-Gebührenordnung (E-GO) neben den aus Anlaß der Früherkennungsuntersuchung seiner männlichen Patienten abgerechneten Honorare nicht zu.

Die Ersatzkassen-Gebührenordnung, die nach § 9 des Arzt-Ersatzkassenvertrages (EKV) die Grundlage der vertragsärztlichen Vergütung bildet, regelt – darauf hat das Sozialgericht bereits hingewiesen – die Fälle des Ansatzes eines Beratungshonorars neben einem Honorar für Früherkennungsmaßnahmen ausdrücklich in seinem Abschnitt B, der die Vergütung für sogenannte "Grundleistungen und Allgemeine Leistungen” enthält. Zwar bestimmt Ziffer 2 a Satz 1 des Abschnitts B IV (präventive Leistungen), daß dann, wenn bei einer Früherkennungsuntersuchung gem. den Nrn. 75 bis 82, 90 und 93 weitere ärztliche Leistungen anfallen, diese über Krankenschein abzurechnen sind. Aus dieser Regelung ergibt sich jedoch kein weitergehender Honoraranspruch des Klägers. Denn im Anschluß an diese Bestimmung ist in Satz 2 ausdrücklich festgelegt, daß "eine Beratung, eingehende Untersuchung oder eine andere im Früherkennungsprogramm genannte Sonderleistung bei derselben Inanspruchnahme neben dem Pauschbetrag für die Früherkennungsuntersuchung nicht berechnungsfähig” ist. Da unter Abs. 2 der Ziff. 2 der allgemeinen Bestimmungen weiterhin festgehalten ist, daß in den Leistungen nach Nrn. 70, 76 bis 82, 90 und 93 die Leistungen nach Nrn. 1 bis 4 a sowie 65, 65 a, 800 und 801 bereits enthalten sind, wird deutlich, daß eine Beratung bei einem Patienten, auch wenn diese wegen Beschwerden erfolgt, die nicht mit der Früherkennungsuntersuchung im Zusammenhang stehen, mit der Honorierung für die Früherkennungsuntersuchung bereits abgegolten ist, ohne daß dadurch etwa der Regelungsspielraum überschritten worden wäre, der den Organen der Selbstverwaltung bei der Beschreibung und Bewertung der ärztlichen Leistungen zusteht. Die Ersatzkassen-Gebührenordnung sieht hinsichtlich dieser ärztlichen Leistungen keine Teilbarkeit von kurativer und präventiver Beratung vor (vgl. insoweit auch Brück, Komm. z. Einheitlichen Bewertungsmaßstab, Anm. 3 zu Abschnitt B I 1 bis 4 b). Die Gebührenordnung betrachtet eine durchzuführende Beratung vielmehr als Einheit – jedenfalls soweit sie männliche Patienten betrifft, die eine Früherkennungsuntersuchung nach Gebührenordnungsposition Nr. 93 E-GO durchführen lassen –, so daß auch eine honorarmäßige Trennung insoweit ausscheidet.

Dem entspricht auch die Regelung in § 3 a der "Allgemeinen Bestimmungen” der Ersatzkassen-Gebührenordnung, wonach eine Beratungsgebühr nach Nr. 1 nicht neben einer Leistung nach den Abschnitten B III bis 0 in Ansatz gebracht werden kann. Auch § 5 Abs. 1 der Anlage 10 a zum Arzt/Ersatzkassenvertrag (Früherkennung von Krebserkrankungen) wiederholt diese Regelung und enthält gleichzeitig den Hinweis, daß es nicht statthaft sei, bei derselben Inanspruchnahme eine Beratung neben dem Pauschbetrag für die Früherkennungsuntersuchung abzurechnen. Auch hier wird also abgestellt auf "dieselbe Inanspruchnahme”, ein Hinweis, der deutlich macht, daß es sich bei den "weiteren” Untersuchungen nicht notwendigerweise um Untersuchungen und Behandlungen handeln muß, die zur endgültigen Klärung hinsichtlich einer Krebsdiagnose führen oder die abschließende Erkenntnisse im Hinblick auf den Ausschluß des Vorliegens einer Krebserkrankung erlauben, sondern auch die Beratung für ganz andere Arten der Behandlung und Untersuchung vom Ausschluß eines zusätzlichen Beratungshonorars umfaßt sind.

Dabei weist das Sozialgericht zu Recht darauf hin, daß der einheitliche gebührenrechtliche Vorgang auch nicht etwa im Wege über eine spätere Bestellung des Patienten oder dessen Behandlung nach einer bestimmten Wartezeit den Ansatz eines weiteren Beratungshonorars rechtfertigen würde. Eine solchermaßen vorgenommene Behandlung würde – jedenfalls im Regelfall – als unwirtschaftlich anzusehen sein und könnte, wenn diese weitere Inanspruchnahme bereits aus Anlaß der Früherkennungsuntersuchung erfolgt ist, schon aus diesem Grunde einen zusätzlichen Honoraranspruch nicht begründen. Eine wirtschaftliche Behandlungsweise i.S. von § 368 e RVO läge bei einer solchen Fallkonstellation eben nur dann vor, wenn die Beratung gleichzeitig im Zusammenhang mit der Besprechung der weiteren Beschwerden erfolgt, da nur so dem Grundsatz der Unteilbarkeit der Beratung, wie er in der Gebührenordnung zum Ausdruck gekommen ist, Rechnung getragen wird.

Soweit das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 15. September 1977 (6 RKa 6/77 = SozSich 1978, S. 23) in Fällen der Mutterschaftsvorsorge eine Trennung von kurativen und präventiven Beratungen und damit auch den mehrfachen Ansatz eines Beratungshonorars selbst bei einem zeitlichen Zusammentreffen für möglich gehalten hat, steht dies der Auffassung des Senats für den vorliegenden Fall nicht entgegen. Die damalige "Empfehlungsvereinbarung über die Abrechnung von Leistungen im Rahmen der ärztlichen Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung” vom 8.3.1966 ließ eine – so ausdrücklich – "gesonderte” Abrechnung von Leistungen hinsichtlich weiterer ärztlicher Maßnahmen vor, ohne dabei gleichzeitig eine ausdrückliche Regelung hinsichtlich des Ausschlusses weiterer Beratungs- bzw. Untersuchungsgebühren zu enthalten. Allein dies war der Grund, weshalb eine getrennte Beratungsgebühr für eine kurative und präventive Beratung für möglich gehalten wurde (BSG a.a.O.). Die in der Ersatzkassen-Gebührenordnung getroffene Regelung sieht einen solchen Ausschluß – wie bereits ausgeführt – in § 3 a der allgemeinen Bestimmungen bzw. in Abschnitt B IV Ziff. 2 sowie in der Anlage 10 a zum Arzt/Ersatzkassenvertrag jedoch ausdrücklich vor, eine Möglichkeit der Regelung, wie sie vom Bundessozialgericht zur Vermeidung eines zusätzlichen Ansatzes der Beratungsgebühr aus Anlaß derselben Inanspruchnahme bereits als mögliche Alternative vorgezeichnet worden war.

Ob die zusätzlichen Hinweise, die das Sozialgericht hinsichtlich der Gebührenordnungsziffern 65 (eingehende Untersuchung) gegeben hat, zutreffend sind und ob sich – wie der Kläger meint – durch die mit Wirkung zum 1. Januar 1983 erfolgte Einfügung der Gebührenordnungs-Nr. 65 b (Zuschlag für die eingehende Untersuchung von zwei und mehr Organ Systemen) im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen dieser Gebührenordnungsziffer und den Leistungen der Früherkennungsuntersuchung eine Änderung in honorarrechtlicher Beziehung ergeben hat, ist demgegenüber für die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung. Vorliegend war allein über die Frage einer zusätzlichen Abrechnung von Nr. 1 E-GO neben der Früherkennungsuntersuchung nach Nr. 93 E-GO zu entscheiden.

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision hat der Senat zugelassen, da er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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