L 7 Ka 940/82

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 Ka 940/82
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Kassenarzt hat keinen Anspruch auf Zinsen für in der Vergangenheit zurückliegende und rechtskräftig zugestandene Honoraransprüche.
2. Bei den Honoraransprüchen des Kassenarztes handelt es sich nicht um Sozialleistungen i.S. des § 11 SGB I.
3. Ein entsprechender Anspruch gemäß §§ 288, 291 BGB besteht nicht, weil § 44 SGB I die Verzinsung von Geldansprüchen auf Sozialleistungen abschließend regelt.
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 30. Juni 1982 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Zinsforderung der Kläger in einer Gesamthöhe von DM 9.629,82.

Die Beklagte nahm für die Quartale III/73 bis III/74, für I/75 bis III/75 und für I/76 bei den Klägern Honorarkürzungen vor und zwar im Hinblick auf die Abrechnung von Besuchen, Wegegeld und Laborleistungen. In einem daraus entstehenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Frankfurt unter dem Aktenzeichen S-5/Ka-37/76 wurde wegen der Besuchsleistungen und dem Wegegeld ein Vergleich geschlossen. Wegen der Laborleistungen entschied das Sozialgericht Frankfurt mit Urteil vom 31. Januar 1979, daß alle Kürzungen, die über 15 % hinausgingen, rechtswidrig und insoweit die Kürzungsbescheide aufzuheben seien.

Die von den Klägern gegen dieses Urteil am 3. Mai 1979 eingelegte Berufung nahmen sie am 13. Juli 1979 zurück. Die aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Sozialgerichts Frankfurt von der Beklagten zu erbringenden Nachzahlungen an die Kläger erfolgten am 31. Juli 1979 mit DM 12.076,01 und am 7. November 1979 mit DM 49.554,19.

Mit Schreiben vom 21. September 1981 forderten die Kläger die Beklagte auf, 4 % Zinsen für die jeweils fällig gewordenen Honorarforderungen zu leisten und zwar insgesamt eine Summe von zunächst 7.545,69 DM. Die Beklagte lehnte diese Zinsforderung dem Grunde nach mit Schreiben vom 5. Oktober 1981 ab.

Am 9. Dezember 1981 erhoben die Kläger Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt mit dem Ziel, die Beklagte zur Zahlung von 9.629,82 DM zu verurteilen. Die Forderung ergab sich aus einer Zinsberechnung wie folgt:

4 % aus 2.449,05 DM vom 01.04.74 bis 31.08.79 = 530,63 DM
4 % aus 2.617,21 DM vom 01.07.74 bis 31.08.79 = 540,89 DM
4 % aus 2.915,84 DM vom 01.10.74 bis 31.08.79 = 573,12 DM
4 % aus 2.069,07 DM vom 01.01.75 bis 31.08.79 = 386,23 DM
4 % aus 3.174,04 DM vom 01.04.75 bis 31.08.79 = 560,75 DM
4 % aus 7.215,07 DM vom 01.10.75 bis 31.08.79 = 1.129,56 DM
4 % aus 10.186,33 DM vom 01.01.76 bis 31.08.79 = 1.494,00 DM
4 % aus 7.139,29 DM vom 01.04.76 bis 31.08.79 = 975,70 DM
4 % aus 9.473,94 DM vom 01.10.76 bis 31.08.79 = 1.104,24 DM
4 % aus 12.076,01 DM vom 01.10.74 bis 31.07.79 = 2.334,70 DM insgesamt 9.629,82 DM.

Die Grundlage für die Zinsforderung wurde im § 44 SGB 1 gesehen.

Mit Urteil vom 30. Juni 1982 hat das Sozialgericht Frankfurt die Klage abgewiesen. Das Sozialgericht Frankfurt hat keine gesetzliche Grundlage für die Zinsforderung der Kläger gesehen. Die §§ 288 und 291 BGB fänden wegen der Zulässigkeit des Sozialrechtswegs keine Anwendung. Der Anspruch ergebe sich aber auch nicht aus § 44 SGB I, da Honoraransprüche keine Sozialleistungen seien. Der Gesetzgeber habe es auch vermieden, Kassenarzthonorare entsprechend § 11 SGB 1 zu behandeln. Die Berufung hat das Sozialgericht Frankfurt nicht ausdrücklich zugelassen.

Gegen das am 11. August 1982 zugestellte Urteil legen die Kläger durch ihren Prozeßbevollmächtigten am 7. September 1982 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht ein. Die Berufung wird vor allem damit begründet, daß der Verzug, der den Zinsanspruch nach § 286 BGB rechtfertige, durch Verschulden der Beklagten entstanden sei.

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 30. Juni 1982 sowie den Bescheid vom 5. Oktober 1981 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von Zinsen in Höhe von 9.629,82 DM zu verurteilen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Die Beklagte und die Beigeladenen zu 1) und 3) bis 5) beantragen,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und auf den Inhalt der Gerichtsakte, die beide Inhalt und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 158 SGG).

Bei dem von den Klägern geltend gemachten Zinsanspruch handelt es sich nicht um eine einmalige Leistung, die gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Berufung unzulässig machen würde. Unter einmaligen Leistungen sind solche Leistungen zu verstehen, die nicht wie bei den wiederkehrenden Leistungen in größeren und kleineren, regelmäßigen oder unregelmäßigen Abständen aufgrund desselben Rechtsverhältnisses wiederkehren, sondern nur einmal unter bestimmten Voraussetzungen zu gewähren sind, ohne daß die Leistung in einzelnen Teilen zu verschiedenen Zeiten – also in zeitlicher Trennung – erfolgt (Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz Anm. 2 zu § 144). Der Begriff der Einmaligkeit beinhaltet ein Geschehen, das sich seiner Natur nach in einer bestimmten, verhältnismäßig kurzen Zeitdauer abspielt und sich in einer einzigen Gewährung erschöpft (BSG SozR SGG § 144 Rd.Nr. 27 und 29, Meyer-Ladewig Anm. 6 zu § 144). Der geforderte Zinsbetrag wird zwar in einem Betrag verlangt; dies spricht jedoch nicht für die Einmaligkeit der geforderten Leistungen (vgl. hierzu in SozR SGG § 144 Nr. 28). Auch wiederkehrende Leistungen können in einem Betrag gefordert werden, weil z.B. die einzelnen Zeitabschnitte, aus denen sich der Betrag zusammensetzt, bereits abgelaufen sind (BSG SozR a.a.O.).

Der geforderte Zinsbetrag ergibt sich hier daraus, daß für mehrere Honorarforderungen für mehrere Quartale Verzugszinsen geltend gemacht werden, die zusammen die Klageforderung von 9.629,82 DM ergeben. Die Verzugszinsen sind aber insoweit abhängig von der Fälligkeit der jeweiligen Honorarforderung für das jeweilige Quartal und entstehen somit im Moment des Überschreitens des Fälligkeitszeitpunktes der rechtskräftig anerkannten jeweiligen Honorarforderung. Es sind somit – ebenso wie die Honorarforderung selbst (Peters-Sautter-Wolff Anm. 3 zu § 144) – wiederkehrende Leistungen i.S. von § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG, die sich über einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen erstrecken und die aus demselben Rechtsverhältnis herrühren, den Honoraransprüchen des Klägers gegenüber der Beklagten. Das Sozialgericht Hamburg hat in seiner Entscheidung vom 2. Februar 1981 – 25 U 236/80 – zwar Zinsforderungen als einmalige Leistungen i.S. des § 144 Nr. 1 anerkannt (so auch Grüner, Kommentar zum Sozialgesetzbuch Anm. 9 zu § 44 SGB 1); es geht jedoch fehl in seiner Rechtsauffassung, weil es den Charakter von Verzugszinsen, als akzessorische Forderung des Hauptanspruches verkennt. Der Zinsanspruch entsteht nicht erst, wenn die Voraussetzungen des § 44 SGB 1 vorliegen, sondern in dem Moment, in dem die Hauptforderung fällig und nicht beglichen wird. Dabei entsteht kein Anspruch auf eine auch in der Höhe einmalige Zahlung, da der Zins sich ständig wegen des Bestands der nicht beglichenen Hauptforderung erhöht und somit verändert. Der schließlich eingeklagte Zinsbetrag ist in der Höhe abhängig von der Höhe der Hauptforderung und der Dauer ihrer Nichtbegleichung.

Das Sozialgericht Frankfurt hat in den Entscheidungsgründen die Berufung ohnehin für zulässig nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG erachtet, ohne sie aber ausdrücklich zuzulassen. Die insofern fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung schließt die Berufung nicht aus, ebensowenig wie bei Unzulässigkeit der Berufung die fehlerhafte Zulassung der Berufung in der Rechtsmittelbelehrung die Berufung zulässig werden ließe (Meyer-Ladewig § 150 Randziffer 7, BSGE 5, 92, 95).

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das Sozialgericht Frankfurt hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß den Klägern keine Zinsen für ihre inzwischen rechtskräftig zugestandenen Honoraransprüche zustehen. Im Verwaltungsrecht gibt es keinen allgemeinen Grundsatz, der zur Zahlung von Verzugszinsen verpflichtet. Vielmehr richtet sich die Verzinsung von Geldforderungen nach dem im Einzelfall einschlägigen Spezialrecht (Bundesverwaltungsgericht E 14, 1, 3; 15, 78, 81; 21, 44; 37, 239, 242; Bundesverwaltungsgericht DÖV 1979, 761). Auch für das Recht der Sozialversicherung ist seit jeher der Anspruch auf Verzugszinsen, von besonderen gesetzlichen Regelungen (so z.B. in § 397 a RVO) abgesehen, verneint worden (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl. S. 242 b). Daran hat sich im Grundsatz durch das Inkrafttreten des § 44 Abs. 1 SGB I nichts geändert. Nach dieser Vorschrift sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eintritt der Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 v.H. zu verzinsen. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber, entgegen der Ansicht der Kläger, nicht zum Ausdruck gebracht, daß nunmehr im Sozialrecht allgemeine rückständige Geldleistungen zu verzinsen seien (BSG vom 18. Dezember 1979 – 2 Ru 3/79 –). Der in § 11 SGB 1 definierte Begriff "Sozialleistungen” umfaßt alle Vorteile, die nach den Vorschriften des SGB zur Verwirklichung der sozialen Rechte dem einzelnen zu Gute kommen sollen, nicht jedoch z.B. Leistungen, die zwischen verschiedenen Leistungsträgern erbracht werden. Geldleistungen sind Sozialleistungen, die in der Zahlung eines Geldbetrages bestehen (Bundesratsdrucksache 5/72 S. 20 zu § 11; Bundesratsdrucksache 286/73 S. 24 zu § 11). Gemeint sind die Geldleistungen, die der Verwirklichung der sozialen Rechte i.S. von § 2 dienen (hierzu Horst Marburger, zur Verzinsung von Sozialversicherungsleistungen in: Sozialgerichtsbarkeit 1980 S. 286, sowie Peters, Kommentar zur Krankenversicherung Anm. 2 zu § 44 SGB 1). Im Gesetzgebungsverfahren hat niemals Zweifel daran bestanden, daß nur die Ansprüche auf Geldleistung zu verzinsen sind, die dem einzelnen als Sozialleistungen zustehen. Zu den Sozialleistungsbereichen im engeren Sinne gehört das Kassenarztrecht nicht. Die Kassenärzte erhalten von der Kassenärztlichen Vereinigung zwar Honorar, aber keine Sozialleistungen i.S. des § 11 SGB 1 (BSG vom 1. März 1979 – 6 Rka 17/77 –). Die Kassenärztliche Vereinigungen sind daher auch keine Leistungsträger i.S. des § 12 i.V.m. § 18–29 SGB 1. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 7. Juni 1958 (Bundesverwaltungsgericht E 95, 97) die Ansicht vertreten, es entspreche dem das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben, daß der Schuldner, der sich auf einen Prozeß einlasse, billigerweise dem Gläubiger für die Nutzungen Ersatz leisten müsse, die er ihm während der Dauer des Prozesses vorenthalten habe. Diese unbedingte generelle Zinsverpflichtung des Schuldners beruhe auf einer Schuld vor dem Inkrafttreten des SGB in Deutschland fast allgemein zur Anerkennung gelangter, im Verkehrsleben herrschender Auffassung. Diese Gedanken, an denen das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Entscheidungen festgehalten hat (vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht E 14, 1, 3), können jedoch nicht auf das Gebiet des Sozialversicherungsrechts übernommen werden. Der 1. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 22. September 1965 (BSGE 24, 16) zutreffend dargelegt, daß die Folgerung, die das Bundesverwaltungsgericht für das öffentliche Recht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben in gewissen Grenzen ziehe, sich im Bereich der Sozialversicherung auf das Verhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Versicherungsträger nicht übertragen ließe. Der Senat hat darüber hinaus in seinem Urteil vom 20. Februar 1968 (SozR Nr. 3 zu § 288 BGB) entschieden, daß auf dem Gebiet der Sozialversicherung bei verspäteter Erfüllung einer Leistungspflicht grundsätzlich keine Verzugszinsen zu zahlen seien (hierzu auch BSG vom 24. September 1968 – 6 Rka 17/66 –). Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in einer neueren Entscheidung nunmehr diesem Grundgedanken des BSG angeschlossen. Das Bundesverwaltungsgericht hat einen Anspruch auf Prozeßzinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB insofern verneint, weil die Verpflichtung zur Verzinsung von Geldansprüchen auf Sozialleistungen in § 44 SGB I umfassend, aber auch abschließend für das Sozialrecht geregelt sei (BVerwG vom 8.7.1982 – 5 C 96/81 in ZfS 1/83).

Ein über § 44 hinausgehender Zinsanspruch kann auch nicht nach den Grundsätzen der Folgenbeseitigung geltend gemacht werden. Jedoch hindert § 44 nicht die evtl. Möglichkeit, für die Kläger, ihren Zinsanspruch nach dem § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Grundgesetz als Schadensersatzanspruch geltend zu machen, wofür es aber an der sachlichen Zuständigkeit der Sozialgerichte fehlt (hierzu auch Peters, Komm, zur Krankenversicherung Anm. 3 zu § 44 SGB 1).

Nach alledem war der Zinsanspruch der Kläger für die Honorarforderungen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision war zuzulassen, da gemäß § 160 II Nr. 1 SGG der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
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