L 7 Ka 624/82

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 Ka 624/82
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. März 1982 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Honorarkürzungen, die die Beklagte in den Quartalen I/76 bis I/77 in einer Gesamthöhe von 5.036,21 DM vorgenommen hat.

Die 1921 geborene Klägerin war seit 1964 als Ärztin für Allgemeinmedizin zur Kassenpraxis in zugelassen und an der Ersatzkassenpraxis beteiligt. Durch Beschluss vom 6. Juni 1978 wurde ihr die RVO-Kassenzulassung wegen gröblicher Verletzung der kassenärztlichen Pflichten entzogen. Die von ihr dagegen eingereichte Klage wurde vom Sozialgericht Frankfurt mit Urteil vom 4. April 1979 (Az.: S-5/Ka-78 und 79/78) abgewiesen. Ihre Berufung wies das Hessische Landessozialgericht durch rechtskräftiges Urteil vom 12. Dezember 1979 (Az.: L-7/Ka-662/79) zurück. Über die Frage der Beendigung der Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis wurde durch Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (5/Ka-37/81) vom 24. März 1982 entschieden, mit dem Ergebnis, daß die Beteiligten durch Wegzug der Klägerin aus beendet sei. Das hiergegen von der Klägerin eingeleitete Berufungsverfahren beim Hessischen Landessozialgericht war bei dem 7. Senat unter dem Aktenzeichen 7/Ka-625/81 anhängig. Durch Urteil vom 10. Oktober 1984 wurde die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Klägerin rechnete in den Quartalen I/76 bis I/77 wie folgt ihr Honorar ab:

In I/76 mit 59, 39/Fall (48, 37), II/76 mit 60, 23 (44, 79), III/76 mit 67, 33 (43, 51), IV/76 mit 57, 36 (44, 86), I/77 mit 65, 12 (51, 87).

Mit Bescheid vom 30. April 1980 forderte die Beklagte daraufhin von der Klägerin 5.036,21 DM an angeblich zuviel gezahltem Honorar zurück. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 1980 zurückgewiesen wurde. In der Begründung wird Bezug genommen auf ein Verfahren, der Klägerin die Beteiligung an der Ersatzkassenpraxis zu entziehen und außerdem auf die Entziehung der RVO-Kassenzulassung. Bei diesen Verfahren stellte sich heraus, daß die Klägerin in den Zeiten vom 19. März bis 2. April 1976, 12. Mai bis 29. Mai 1977 und 10. September bis 12. September 1977 nicht in ihrer Praxis anwesend gewesen sei. Die Beigeladene habe daraufhin die von der Klägerin ausgestellten Verordnungen in den fraglichen Zeiträumen überprüft und nachgewiesen, daß trotz der Abwesenheit der Klägerin von der Praxis Verordnungen ausgestellt worden seien. Darüber hinaus seien Behandlungen von der Klägerin abgerechnet worden an solchen Tagen, an denen die Patienten unstreitig entweder stationär behandelt oder im Kuraufenthalt gewesen wären. Aufgrund dieser Feststellungen, die auch der Beteiligungskommission für die Ersatzkassenpraxis bestätigt worden seien, sei davon auszugehen, daß die von der Klägerin für die Quartale I/76 bis I/77 geltend gemachten Honoraranforderungen nicht zutreffend seien. Hieraus folge, daß die Honorare für diese Abrechnungsquartale neu festzusetzen seien. Hierbei handele es sich um öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, der einerseits von dem Beigeladenen geltend gemacht werde, andererseits aber auch von Amts wegen von der Beklagten festgesetzt werde. Der Honoraranspruch für die Quartale I/76 bis I/77 werde zutreffend auf den Fachgruppendurchschnitt festgesetzt. Diese Festsetzung sei gem. § 267 der Zivilprozeßordnung und unter Zugrundelegung einer Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. September 1972 rechtmäßig. Die Festsetzung des Honoraranspruchs auf den Fachgruppendurchschnitt sei notwendig, aber auch ausreichend, um den geschädigten Krankenkassen die zuviel gezahlten Vergütungsbeträge erstatten zu können.

Die Klägerin hat gegen diesen Widerspruchsbescheid am 24. November 1980 bei dem Sozialgericht Frankfurt Klage erhoben.

In der Klagebegründung hat sich die Klägerin vor allem gegen die Kürzung auf den Fachgruppendurchschnitt gewandt. Bei weniger als 200 Scheinen sei dies nicht möglich. Die Klägerin hat eine Einzelaufführung der beanstandeten Fälle verlangt. Im übrigen hat die Klägerin deutlich gemacht, daß nach ihrer Auffassung die Krankenkassen sie als Ärztin verfolgen würden, um ihre Existenz zu vernichten.

Mit Urteil vom 24. März 1982 hat das Sozialgericht Frankfurt die Klage abgewiesen. Es hat die Honorarkürzung der Beklagten durch den Bescheid vom 30. April 1980 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 1980 für rechtens erachtet. Der Klägerin sei nachgewiesen worden, daß sie in einer beträchtlichen Anzahl von Fällen aus dem RVO-Kassenbereich, aber auch aus dem Ersatzkassenbereich Leistungen abgerechnet habe, die sie in Wirklichkeit nicht erbracht habe. Dies gelte für alle abgerechneten ärztlichen Leistungen während ihrer verschiedenen Urlaube vom 19. März bis 2. April 1976, vom 12. bis 29. Mai 1977 und vom 10. September bis 12. September 1977. Hier habe die Arzthelferin der Klägerin teilweise mit telefonischer Rückfrage Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt, Rezepte ausgeschrieben und Überweisungen getätigt auf Formularen, die von der Klägerin blanko unterschrieben worden seien. In Übereinstimmung mit dem von der Beklagten zitierten Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. September 1972 hat das Sozialgericht Frankfurt die Rücknahme der ursprünglichen Honorarabrechnungen als rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte für möglich angesehen, da das öffentliche Interesse an einer Rücknahme der Honorarfestsetzung überwiege gegenüber dem Interesse der Klägerin an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes. Das Vertrauen der Klägerin an den Bestand der ursprünglichen Honorarfestsetzung sei nicht schutzwürdig. Sie selbst habe durch falsche Abrechnungen dafür gesorgt, daß die Honorarfestsetzungen rechtswidrig wurden. Damit durfte sie gar nicht auf die Richtigkeit der früheren Honorarfestsetzungen vertrauen, da sie diesen Fehler kannte. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf eine Einzelaufführung der beanstandeten Fälle. Eine Einzelfallprüfung sei nicht möglich, da die Ermittlungen zwar Falschabrechnungen in nicht unerheblichem Umfange bestätigt hätten, jedoch die Nachprüfung für jeden einzelnen Fall unmöglich sei. Das Gericht sehe deshalb in dem von der Beklagten angewandten Verfahren der freien Schadensschätzung entsprechend dem Gedanken des § 287 ZPO keinen Ermessensfehlgebrauch. Durch die Herabsetzung des Honorars auf den Fachgruppendurchschnitt sei es sogar möglich, daß der Klägerin mehr Leistungen vergütet worden seien, als sie in Wirklichkeit erbracht habe.

Gegen das am 28. April 1982 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 7. Mai 1982 beim Sozialgericht Frankfurt und vom 27. Mai 1982 beim Hessischen Landessozialgericht. In der Begründung macht die Klägerin vor allem deutlich, daß durch ihr schwieriges Patientengut (hoher Ausländeranteil) sie Belästigungen und Repressalien ausgesetzt worden sei. So sei auch zu erklären, daß sie teilweise in der Praxis nicht anzutreffen gewesen sei. Sie habe deutschen Patienten, die laufende Bezieher von Medikamenten waren, auch in ihrer Abwesenheit im Urlaub Rezepte ausgeschrieben, und zwar in der Form, daß sie vor Abreise die Rezepte ausgestellt habe mit dem Datum, an dem sie der Apotheke vorgelegt werden sollten. Ebenso habe sie Patienten, die ihre gewohnten Medikamente während ihres Urlaubs schon geholt oder bezahlt hätten, nachträglich die ihnen fehlenden Rezepte ausgeschrieben. Die Verschreibungen seien in jedem Falle immer medizinisch notwendig gewesen. Es ginge nicht an, daß sie auf den Fachgruppendurchschnitt gekürzt werde mit ihren Honoraren. Sie fordere vielmehr eine Überprüfung jeder einzelnen Abrechnung.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 24. März 1982 sowie die Bescheide der Beklagten vom 30. April 1980 und vom 29. Oktober 1980 aufzuheben.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das erstinstanzliche Urteil für rechtsfehlerfrei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Beklagtenakte und auf den Inhalt der Gerichtsakte, die beide Inhalt und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig und statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 24. März 1982 ist ebenso wie die Bescheide der Beklagten vom 30. April 1980 und vom 29. Oktober 1980 rechtsfehlerfrei ergaben und war daher nicht aufzuheben. Das Sozialgericht Frankfurt hat die nachträgliche Honorarkürzung durch die Beklagte zu Recht als ordnungsgemäß erkannt. Die Rückforderungsbescheide der Beklagten sind somit rechtmäßig. Nach § 8 der Satzung der Beklagten war der Vorstand der KVH für den Erlaß des Rückforderungsbescheides zuständig.

Die Honorarbescheide für die Quartale I/76 bis I/77 waren rechtswidrig, weil der Klägerin in einer Reihe von Fällen Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung bzw. bei Verordnungen nachgewiesen worden waren. Die Unregelmäßigkeiten traten vor allem bei den abgerechneten ärztlichen Leistungen während der unterschiedlichen Urlaubsabwesenheit der Klägerin u.a. vom 19. März bis 2. April 1976, vom 12. bis 29. Mai 1977 und vom 10. September bis 12. September 1977 auf. In diesen Zeiten wurden, was unter den Beteiligten auch dem Grunde nach nicht strittig ist, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von der Helferin der Klägerin in Abwesenheit der Klägerin ausgestellt, Rezepte ausgeschrieben und Überweisungen auf Formularen veranlaßt, die von der Klägerin vorher blanko unterschrieben worden waren.

Bei den Honorarfestsetzungen für die genannten Quartale handelt es sich um begünstigende Verwaltungsakte, die nicht ohne weiteres zurückgenommen werden können. Die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte beurteilt sich an einer Interessenabwägung im Einzelfall. Hierbei muß das schutzwürdige Interesse des begünstigten Arztes an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen mit dem öffentlichen Interesse der Verwaltung an der Beseitigung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes abgewogen werden (hierzu u.a. BSG seit Urteil vom 24.8.1971 – 11 RLw 18/70; Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 24.4.1959 – VI C 51/57 – ständige Rechtsprechung). Bei dieser Interessenabwägung ergibt sich hier ein ganz eindeutiges überwiegendes öffentliches Interesse an der Rücknahme der Honorarfestsetzungen für die Klägerin in den genannten Quartalen. Die Beklagte hat die kassenärztliche Versorgung der Bevölkerung durch Kassenärzte zu gewährleisten. Zur Zuverlässigkeit eines Kassenarztes gehört nicht nur sein fachliches Können und seine Verpflichtung, kranken Menschen zu helfen, sondern auch die Einhaltung seiner Verpflichtungen im Rahmen des zwischen ihm und der Kassenärztlichen Vereinigung bestehenden Rechtsverhältnisses. Fehlt es an einer ordnungs- und wahrheitsgemäßen Abrechnung und werden dem Arzt im Vertrauen auf die Richtigkeit der Abrechnungen Honorare für tatsächlich nicht erbrachte Leistungen gewährt, dann gebietet es das öffentliche Interesse, diese Leistungen vom Arzt zurückzufordern und nicht die Krankenkassen und die Solidargemeinschaft aller Versicherten damit zu belasten. Die von der Versichertengemeinschaft durch Beiträge aufgebrachten Mittel dürfen nur bestimmungsgemäß verwendet werden, so daß es das öffentliche Interesse verbietet, einen fehlerhaften Honorarbescheid unbeanstandet zu lassen (hierzu Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. September 1972 – II KABf 2/72 –).

Darüber hinaus konnte das Vertrauen der Klägerin an den Bestand der ursprünglichen Honorarbescheide als nicht schutzwürdig erachtet werden. Sie selbst hat, wie sie einräumt, durch "Leistungen” in ihrer Abwesenheit dafür gesorgt, daß die Honorarbescheide rechtswidrig wurden. Die Klägerin konnte also gar nicht auf die Rechtmäßigkeit der früheren Honorarbescheide vertrauen.

Im übrigen konnte die Beklagte auch auf dem Wege der freien Schadensschätzung in entsprechender Anwendung des § 287 ZPO verfahren, ohne damit einen Ermessensfehler zu begehen. Eine Einzelfallprüfung war im vorliegenden Fall nicht durchführbar, weil mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten und Aufwendungen verbunden und damit auch nicht notwendig (BSG siehe Urteil vom 21.5.1962 – 6 BKA 24/59 ständige Rechtsprechung). Der Vergleich der Klägerin mit der Gruppe ihrer Fachkollegen und die Limitierung ihres Honoraranspruchs auf den Fachgruppendurchschnitt ist daher sachgemäß.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, da keine der in § 160 Abs. 2 genannten Gründe vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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