L 8 Kn 1180/95

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 6 Kn 680/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kn 1180/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird eine Teilrente nach § 42 SGB 6 in eine Vollrente umgewandelt, so stellt diese eine neue Rente mit neuem Rentenbeginn dar, die nach den dann geltenden Vorschriften zu berechnen ist und bei der insbesondere die Übergangsregelungen der begrenzten Gesamtleistungsbewertung des § 263 Abs. 3 SGB 6 für den Umwandlungszeitpunkt anzuwenden sind.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 8. August 1995 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Berechnung einer Altersrente.

Die Beklagte hatte dem 1929 geborenen Kläger auf seinen Antrag vom 30. April 1992 Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für Versicherte, die als Schwerbehinderte anerkannt sind, zu einem Drittel als Teilrente mit Rentenbeginn vom 1. April 1992 durch vorläufigen Rentenbescheid vom 22. September 1992 gewährt. Die Ausbildungszeiten des Klägers hatte die Beklagte entsprechend der begrenzten Gesamtleistungsbewertung nach § 263 Abs. 3 des 6. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 6) mit 99 % – maximal 0,0825 Entgeltpunkte – bewertet.

Am 25. Oktober 1993 beantragte der Kläger die Zahlung der bisherigen Teilrente als Vollrente ab 1. Januar 1994. In dem Bescheid vom 13. Dezember 1993 bewertete die Beklagte die Ausbildungszeiten des Klägers nunmehr mit einem Prozentsatz von 95 % – maximal 0,0792 Entgeltpunkte –. Dagegen legte der Kläger am 4. Januar 1994 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 1994 zurückwies. Zur Begründung führte sie aus, bei der Gewährung der Vollrente handele es sich gegenüber der Teilrente um eine neue Altersrente mit Rentenbeginn ab 1. Januar 1994. Für diesen Zeitpunkt sei entsprechend der stufenweisen Übergangsregelung des § 263 Abs. 3 SGB 6 eine neue Gesamtleistungsbewertung der Ausbildungszeiten mit 95 % vorzunehmen.

Dagegen hat der Kläger am 25. April 1994 Klage erhoben, der das Sozialgericht Gießen mit Urteil vom 8. August 1995 stattgegeben hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß es sich bei dem Obergang von der Teilrente zur Vollrente lediglich um die Weiterzahlung der bisherigen Rente unter Berücksichtigung des Hinzutretens weiterer Beitragszeiten handele. Es sei mit dem Grundsatz der Besitzstandswahrung unvereinbar, wenn bei Verzicht auf zwei Drittel der Altersrente dann eine Schlechterstellung eintrete, wenn später die Zahlung der Altersrente als Vollrente begehrt werde.

Gegen das ihr am 9. Oktober 1995 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 8. November 1995 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt, die sie mit Rechtsgründen begründete.

Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 8. August 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger, der das erstinstanzliche Urteil für zutreffend hält, beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–) ist sachlich begründet. Die Beklagte hat zu Recht bei der Berechnung der Vollrente die Ausbildungszeiten mit einem Prozentsatz von 95 v.H. berechnet. Das Urteil des Sozialgerichts ist aufzuheben.

Der Kläger bezog zunächst gemäß § 42 SGB 6 eine Teilrente einer Rente wegen Alters. Es handelte sich dabei um die erste Altersrente, so daß die Beklagte zutreffend gemäß § 66 SGB 6 die Entgeltpunkte für einen Rentenbeginn zum 1. April 1992 berechnete. Nach § 71 SGB 6 ff werden beitragsfreie Zeiten, zu denen auch Ausbildungszeiten gehören, nach im einzelnen angegebenen Durchschnittwerten berücksichtigt. Diese sogenannte Gesamtleistungsbewertung wird gemäß § 74 SGB 6 bei Ausbildungszeiten auf 75 % begrenzt (begrenzte Gesamtleistungsbewertung). Entsprechende Anrechnungszeiten dürfen für einen Kalendermonat 0,0625 Entgeltpunkte nicht übersteigen. Diese Regelung enthält gegenüber dem Recht des zuvor geltenden Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) eine Verschlechterung, für die gemäß § 263 Abs. 3 SGB 6 eine stufenweise Übergangsregelung vorgesehen ist. Danach wird bei Rentenbeginn im Jahre 1992 die Gesamtleistungsbewertung auf 99 %, bei Rentenbeginn im Jahre 1994 auf 95 %, begrenzt. Die Beklagte hat deshalb bei der Teilrente zutreffend eine begrenzte Gesamtleistungsbewertung der Ausbildungszeiten mit 99 % vorgenommen.

Die ab 1. April 1994 gewährte Vollrente stellt eine neue Rente mit neuem Rentenbeginn dar, bei der die Beklagte ebenfalls zu Recht eine begrenzte Gesamtleistungsbewertung der Ausbildungszeiten mit 95 % zugrunde gelegt hat. Der Ansicht des Sozialgerichtes, daß eine Teilrente nach § 43 SGB 6 als teilweise Auszahlung einer Vollrente und deren Übergang nur als Änderung des Zahlbetrages anzusehen sei, vermag der Senat nicht zu folgen. Diese Auffassung findet keine Stütze im Gesetzeswortlaut. Aus der Formulierung des § 42 SGB 6, daß Versicherte eine Rente wegen Alters in voller Höhe (Vollrente) oder als Teilrente in Anspruch nehmen können, ist zu ersehen, daß die Teilrente gleichwertig als eigenständige (Unter-) Rentenart neben der Vollrente besteht und sie nicht nur als teilweise Auszahlung der Vollrente anzusehen ist. Bestätigt wird dies durch den Wortlaut des § 100 Abs. 2 SGB 6. Dort heißt es, daß eine höhere Rente als die bisher bezogene Teilrente von dem Kalendermonat an geleistet werde, zu dessen Beginn bestimmte Voraussetzungen erfüllt seien. Die höhere Rente ist somit bei neuem Rentenbeginn eine eigene Rente gegenüber der zuvor gewährten. Die Vorschrift bezieht sich dabei sowohl auf Fälle, bei denen die Rentenart wechselt als auch solchen, bei denen eine höhere Rente neuer Art gezahlt wird. Vor allem ergibt sich aber aus der Auslegung des § 66 SGB 6, daß die nach einer Teilrente gewährte Vollrente eine neue Rente mit neuem Rentenbeginn darstellt. In Abs. 3 dieser Vorschrift ist geregelt, daß Grundlage für die Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte einer Teilrente die Summe aller Entgeltpunkte ist, die der ersten Rente wegen Alters zugrunde liegt. Hintergrund dieser Bestimmung ist die mit der Teilrente beabsichtigte Flexibilisierung der Altersgrenzen. Um einen gleitenden Übergang in den Ruhestand zu ermöglichen, soll ein Berechtigter neben einer Teilrente eine Teilzeitbeschäftigung aufrecht erhalten können. Die für diese Teilzeitbeschäftigung erworbenen zusätzlichen Entgeltpunkte werden jedoch nicht bei der Berechnung der Teilrente berücksichtigt, sondern erst dann, wenn eine Vollrente gewährt wird. Für sie ist somit bei neuem Rentenbeginn eine neue Rentenberechnung notwendig. Dabei sind dann auch die geänderten Begrenzungen der Gesamtleistungsbewertung des § 263 Abs. 3 SGB 6 zu berücksichtigen.

Nach § 88 Abs. 1 SGB 6 sind bei der Vollrente mindestens die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte der vorhergehenden (Teil-) Rente wegen Alters zugrunde zu legen. Dieser Bestandsschutz gewährleistet, daß die zweite Rente nicht auf der Grundlage einer niedrigeren Summe der persönlichen Entgeltpunkte berechnet wird und daß die bisherigen Entgeltpunkte an der Dynamisierung teilhaben. Der Besitzschutz bezieht sich aber nur auf die Summe der Entgeltpunkte, nicht auf die zugrundeliegenden Tatbestände. Diese sind bei der Neuberechnung nicht mehr zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.

Die Revision war zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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