Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 9 Kr 31/78
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kr 425/79
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Sei der Beurteilung, ob ein besonderer Härtefall im Sinne von § 14 Satz 2 KVLG als Voraussetzung für eine Befreiung von der Zahlung des gesetzlichen Arzneikostenanteils vorliegt, darf der Krankenversicherungsträger die Grundrente nach dem BVG nicht als Einkommen berücksichtigen.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 28. Februar 1979 sowie der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 1978 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger ab 1. Februar 1978 gemäß § 14 Satz 2 KVLG von der Zahlung des gesetzlichen Arzneimittelkostenanteils zu befreien.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den Kläger von der Zahlung des gesetzlichen Arzneikostenanteils gemäß § 14 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) freizustellen hat.
Der 1901 geborene Kläger ist als Bezieher von Altersgeld Pflichtmitglied der Beklagten. Am 1. Februar 1978 beantragte er die Befreiung vom Kostenanteil für Arznei-, Verband- und Heilmittel. Er bezog zu diesem Zeitpunkt Altersgeld in Höhe von 265,60 DM monatlich das für das Jahr 1979 auf 277,60 DM und für das Jahr 1980 auf 288,70 DM monatlich erhöht wurde. Daneben erhielt der Kläger wegen des Verlustes des rechten 4. Fingers sowie einer Beugeverminderung der übrigen Finger und einer dadurch bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. eine Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Höhe von 123,– DM monatlich, die ab Januar 1979 auf 129,– DM im Monat angehoben wurde und seit 1. Januar 1980 134,– DM beträgt. Außergewöhnliche Belastungen und Verpflichtungen – z.B. Belastungen durch Pflege – oder Unterbringungskosten wurden nicht geltend gemacht. Der Kläger lebt mit seinem Sohn und seiner Schwiegertochter im gemeinsamen Haushalt und erhält freie Kost und Wohnung, über Grundbesitz verfügt der Kläger nicht. Der von ihm der Beklagten eingereichte Fragebogen enthielt die Bestätigung des behandelnden Arztes, daß er laufend Arzneimittel beziehe und der Bezug dieser Mittel dauernd erforderlich sei.
Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil das zu berücksichtigende Einkommen des Klägers in Höhe von 664,60 DM (Altersgeld + 300,– DM Sachbezüge + 123,– DM Grundrente) die in ihren Richtlinien festgelegte Einkommensgrenze von 650,– DM überschreite und deshalb ein Härtefall im Sinne von § 14 KVLG nicht gegeben sei. Bei der Feststellung des Bruttoeinkommens sei die Grundrente einzubeziehen, da es für die Beurteilung des Härtefalls im Sinne von § 14 KVLG nicht auf die Zweckbestimmung der Grundrente, sondern auf ihre tatsächliche Verwendbarkeit für den Lebensunterhalt ankomme (Bescheid vom 10. Februar 1978; Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 1978).
Die dagegen am 12. Juli 1978 erhobene Klage des Klägers hat das Sozialgericht (SG) Gießen durch Urteil vom 28. Februar 1979 aus den Gründen des angefochtenen Bescheides abgewiesen.
Gegen das am 14. März 1979 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9. April 1979 Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, daß die Funktion der Grundrente eine Berücksichtigung als Bruttoeinkommen ausschließe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 28. Februar 1979 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 1978 aufzuheben,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, ihm Befreiung von der Arznei-, Verband- und Heilmittelgebühr ab 1. Februar 1978 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Abgesehen davon, daß das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Rechtsprechung, u.a. im Urteil vom 20. Oktober 1977 – 11 RK 18/76 –, die Grundrente stets berücksichtigt habe, wenn es auf die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten angekommen sei, sei ihre Rechtsauffassung und diejenige des SG auch durch das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Januar 1980 – L-16/Kr-190/78 –, das unmittelbar die Regelung des § 14 Satz 2 KVLG betreffe, voll bestätigt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere auf den der Verwaltungsakte der Beklagten und der Versorgungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist begründet. Die Ablehnung des Befreiungsantrags des Klägers durch die Beklagte beruht auf einer unrichtigen Anwendung des § 14 KVLG in der ab 1. Juli 1977 geltenden und hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz – KVKG – Art. 1 § 3 Nr. 6 und Art. 2. § 17) vom 27. Juni 1977 (BGBl. I S. 1069).
Gemäß § 14 Satz 1 KVLG haben Versicherte bei der Abnahme von Arznei-, Verband- und Heilmitteln eine Deutsche Mark für jedes verordnete Mittel an die abgebende Stelle zu zahlen. Nach Satz 2 der Vorschrift kann die zuständige Krankenkasse in besonderen Härtefällen, vor allem, wenn laufend Arznei-, Verband- und Heilmittel benötigt werden, von der Zahlung befreien. Die Vorschrift entspricht wörtlich dem § 182 a Reichsversicherungsordnung (RVO). In beiden Fällen ist die Entscheidung über die Befreiung schon nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes – "kann” – in das Ermessen der Krankenkasse gestellt. Im gerichtlichen Verfahren kann daher grundsätzlich nur geprüft werden, ob diese die gesetzlichen Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zwecke der gesetzlichen Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG, § 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – SGB I).
Grenzen und Inhalt des pflichtgemäßen Ermessens werden dabei durch den Begriff "in besonderen Härtefällen” bestimmt. Dieser ist im Rahmen des § 14 KVLG nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht als unbestimmter, der gerichtlichen Überprüfung voll unterliegender Rechtsbegriff zu werten, an den sich die Ermessensausübung anschließt; er ist Ermessensrichtlinie und ragt somit ebenfalls in den Ermessensbereich der Beklagten hinein (so auch Urteil des BSG vom 28. März 1979 – 3 RK 29/78 –; Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen vom 31. Januar 1980 – L-16/Kr-190/78 –; Urteil des LSG Niedersachsen vom 7. November 1979 – L-4/Kr-42/78 –). Eine teilweise und von der Krankenkasse zwingend zu beachtende Konkretisierung des Begriffs ist von Gesetzes wegen allerdings insoweit erfolgt, als der laufende Bezug von Arznei-, Verband- und Heilmitteln ausdrücklich als Beispielfall für das Vorliegen einer besonderen Härte genannt ist (BSG a.a.O.). Insgesamt gesehen sind für die Beurteilung eines Härtefalls im Sinne von § 14 Satz 2 KVLG wesentlich die wirtschaftlichen und medizinischen Umstände des Antragstellers. Das folgt aus dem Zweck der durch das KVLG der Krankenkasse eingeräumten Befugnis zur Befreiung von der Zahlung des Arzneikostenanteils, der darin besteht, eine unzumutbare Belastung des Antragstellers zu vermeiden, die durch die Einkommensverhältnisse und die Häufigkeit der Inanspruchnahme von Arznei- und anderen Mitteln entstehen kann. Begünstigt werden sollten – abweichend vom früheren Recht – nicht mehr bestimmte Personengruppen schlechthin, sondern der tatsächlich bedürftige Versicherte (vgl. amtliche Begründung zum Entwurf der Bundesregierung – BT-Drucks. 8/166 S. 25). Die Ermittlung des Härtefalles läuft damit letztlich auf eine dem Krankenversicherungsrecht sonst fremde Bedürftigkeitsprüfung hinaus.
Im vorliegenden Fall durfte die Beklagte dem Kläger die Befreiung nicht mit der Begründung versagen, daß nach seinen Einkommensverhältnissen ein besonderer Härtefall nicht vorliegen könne. Sie kann sich dafür nicht auf ihre in Anlehnung an die Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen erlassenen Richtlinien berufen, wonach von der Zuzahlung gemäß § 14 KVLG in der Regel der Versicherte zu befreien ist, der voraussichtlich für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten laufend Arznei-, Verband- und Heilmittel benötigt, wenn sein Bruttoeinkommen (Einkünfte im Sinne des § 180 Abs. 4 Satz 1 RVO) ein Drittel der Bezugsgröße § 18 SGB IV (auf volle 10,– DM aufgerundet) nicht übersteigt. Diese Richtlinien dienen der näheren Bestimmung, ob dem Versicherten die Aufbringung des Arzneikostenanteils zuzumuten ist. Sie sind jedoch nur zu beachten, soweit sie eine gleichmäßige Ermessensausübung gewährleisten und mit dem Gesetz in Einklang stehen (Urteil des BSG vom 28. März 1979 – 3 RK 29/78 –). Der pauschalierte Einkommens-/Freibetrag, mit dem die Beklagte zugleich den (notwendigen) Bedarf für den Lebensunterhalt festlegt, den zu unterschreiten vom Versicherten nicht erwartet wird, betrug für unverheiratete Versicherte 1978 650,– DM (Bezugsgröße 1.950,– DM), 1979 700,– DM (Bezugsgröße 2.100,– DM) und 1980 740,– DM brutto (Bezugsgröße 2.200,– DM). Er kann mit Rücksicht auf die der Beklagten vom Gesetzgeber vorgeschriebenen individuellen Prüfung grundsätzlich ebenfalls nur ein allgemeiner Anhalt sein. Wird er überschritten, so hat die Beklagte Überlegungen anzustellen, ob der für den Regelfall angenommene Einkommens-/Freibetrag dem Einzelfall gerecht wird oder ob z.B. infolge besonderer Belastungen eine Erhöhung des Freibetrages anzunehmen oder das anzurechnende Einkommen entsprechend zu mindern ist, was auf das gleiche Ergebnis hinausläuft. Wird der angenommene Grenzbetrag unterschritten, so kann die Beklagte infolge der durch seine allgemeine Festlegung vorgenommene Selbstbindung die Befreiung allerdings nicht mehr allein unter Hinweis auf ausreichend vorhandenes Einkommen versagen. Ob der Freibetrag zu hoch angesetzt ist, ist in diesem Fall vom Gericht nicht zu prüfen.
Die von der Beklagten festgesetzte Einkommensgrenze hat der Kläger ab Antragstellung bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht überschritten. Entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten hat die Grundrente nach dem BVG im Rahmen des § 14 KVLG bei den Ermittlung der vom Versicherten selbst vorrangig – nämlich vor Inanspruchnahme der Vergünstigung des § 14 Satz 2 KVLG – für den Arzneikostenanteil einzusetzenden Mittel außer Betracht zu bleiben, so daß sich für die Jahre 1978 bis 1980 jeweils ein dem Grenzwert unterschreitendes Einkommen ergibt (1978: 265,60 DM Altersgeld + 300,– DM Sachleistungen % 650,– DM Freibetrag; 1979 277,60 DM Altersgeld + 300,– DM Sachleistungen % 700,– DM Freibetrag; 1980 288,70 DM Altersgeld + 300,– DM Sachleistungen % 740,– DM Freibetrag). Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers stellt die Grundrente eine Entschädigung für Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität dar und soll die Mehraufwendungen ausgleichen, die dem Beschädigten infolge der Schädigung gegenüber einem gesunden Menschen in den verschiedenen Lebenslagen erwachsen (BSGE 30, 21; 33, 112; SozR 3100 Nr. 13 zu § 30 BVG). Sie dient nicht dem Zweck, den normalen Unterhaltsbedarf des Beschädigten zu decken (so ausdrücklich BSGE 40, 225). Kosten für Arzneimittel sind – jedenfalls soweit sie nicht mit der Kriegsbeschädigung im Zusammenhang stehen – aber solche des allgemeinen Lebensunterhalts. Am allgemeinen Unterhaltsbedarf orientiert sich erkennbar auch der Freibetrag der Beklagten, da er unterschiedslos festgesetzt ist. Allerdings ist es richtig, daß das BSG mehrfach entschieden hat, daß die Grundrente unabhängig von der beschriebenen Zwecksetzung geeignet sei, den Unterhalt zu sichern und dafür zur Verfügung stehe. Es hat dementsprechend die Grundrente bei der Feststellung der Unterhaltsbedürftigkeit im Verhältnis zum geschiedenen Ehemann (BSGE 40, 225), der überwiegenden Unterhaltsgewährung (BSG SozR 2200 § 1266 Nr. 6) und der wirtschaftlichen Vertretbarkeit der Rückforderung überzahlter Ausgleichsrente (BSGE 21, 27) den Einkünften zugerechnet. Ob die Grundrente deswegen – wie die Beklagte meint – auch zum Einkommen im Sinne von § 180 Abs. 4 Satz 1 RVO, auf den die Richtlinien Bezug nehmen, zählt, ob sie also "Einnahme zum Lebensunterhalt” im Sinne dieser Bestimmung ist und die Beklagte (zumindest) ihren Richtlinien gemäß verfahren ist, kann jedoch dahinstehen. Bei der im Bereich des § 14 Satz 2 KVLG vorzunehmenden Bedürftigkeitsprüfung ist sie unbeschadet einer Bewertung als Einkommen im Sinne von § 180 Abs. 4 Satz 1 RVO nach dem Normzweck jedenfalls nicht einzubeziehen.
Die Befreiung von der Zahlung des gesetzlichen Arzneikostenanteils ist eine Sozialleistung im Sinne von § 11 SGB I, d.h. ein Vorteil, der dem Einzelnen zur Verwirklichung sozialer Rechte zugute kommen soll (vgl. amtl. Begründung zu § 11 SGB I, BT-Drucks. 7/868 S. 24). Sie ermöglicht ihm, kostenlos – ohne Gegenleistungen – Sachleistungen der Krankenkasse zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Gesundheit (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 SGB I) entgegenzunehmen und steht – sofern man den Arzneikostenanteil als "Beitrag” ansieht (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl., Teil II/1, Anm. 2 b zu § 182 a, S. 17/333) – im wirtschaftlichen Ergebnis einer Beitragserstattung oder einem Beitragszuschuß gleich. Insoweit gilt aber der Grundsatz, daß die Grundrente nach dem BVG einer anderen, von der Bedürftigkeit des Antragstellers abhängigen Sozialleistung nicht entgegensteht und auf andere Sozialleistungen nicht an zurechnen ist (so auch Urteil des LSG Niedersachsen a.a.O.). Dieser Grundsatz ist in den genannten Entscheidungen des BSG auch nicht infrage gestellt worden (vgl. insbesondere BSGE 40, 225, BSG SozR 2200 § 1266 Nr. 6). Es macht einen Unterschied, ob dem Versicherten angesichts der tatsächlichen Verwertbarkeit der Grundsatz für den Unterhalt zugemutet wird, sie vor Inanspruchnahme eines unterhaltspflichtigen Familienangehörigen dafür einzusetzen und sie im Rahmen seiner familienrechtlichen Bindung für den Unterhalt der Familie oder ggf. für die Rückzahlung von zu Unrecht empfangenen Leistungen (mit-) zu verwenden, oder ob von ihm verlangt wird, die Grundrente vorrangig vor einer anderen Sozialleistung die ihm andernfalls zustände, einzusetzen und den Sozialleistungsträger zu entlasten. Auf diesen Unterschied hat das BSG insbesondere in seiner Entscheidung vom 18. September 1975 (BSGE 40, 225) u.a. unter Nennung des Art. 3 Grundgesetz (GG) hingewiesen. Im Verhältnis zu Sozialleistungen kann zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen die tatsächliche Verwertbarkeit der Grundrente zum Unterhalt nicht im Vordergrund stehen und die Wiedergutmachungsfunktion unbeachtet bleiben. Für eine solche Absicht des Gesetzgebers und eine allgemeine Rückführung der Zwecksetzung der Grundrente auf eine bloße Leistung zum Lebensunterhalt, ist auch nichts ersichtlich. Daß die Grundrente die Gewährung sozialer und öffentlicher Leistungen mit Unterhaltsfunktion nicht hindern und deren Umfang nicht mindern kann, wird im Gegenteil aus einer Reis vergleichbarer Vorschriften deutlich. So ist sie als Einkommen nicht anzurechnen bei der Arbeitslosenhilfe (§ 138 Abs. 3 Nr. 5 Arbeitsförderungsgesetz – AFG –), der Sozialhilfe (§ 76 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz – BSHG –), der Unterhaltshilfe (§ 267 Abs. 2 Nr. 2 a Lastenausgleichsgesetz – LAG –), der Ausbildungsförderung (§ 21 Abs. 4 Nr. 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz – BAföG –), der Kriegsopferfürsorge (§ 25 d Abs. 1 S. 2 BVG) und bei der Gewährung von Wohngeld (§ 14 Abs. 1 Nr. 6 Wohngeldgesetz – WoGG –). Auch für diese, die Bedürftigkeit des Antragstellers voraussetzenden Leistungen gilt – wie regelmäßig im Sozialleistungsbereich – die von der Beklagten angesprochene wirtschaftliche Betrachtungsweise, d.h., bei der Ermittlung des anzurechnenden Einkommens ist grundsätzlich auf die effektiv zur Verfügung stehenden Einkünfte abzustellen, unabhängig von Quelle und Zwecksetzung. Die Grundrente ist insoweit auch Einkommen im Sinne der genannten anderen gesetzlichen Regelungen. Der Gesetzgeber hat sie jedoch jeweils ausdrücklich von der Anrechnung ausgenommen, in dem er entweder bestimmte, daß sie nicht als Einkommen "gilt” oder indem er einen Freibetrag in Höhe der Grundrente einräumte, eben weil dem Beschädigten ihre Verwertung zum allgemeinen Unterhalt zur Entlastung öffentlicher Kassen bei Beachtung ihrer rechtlichen Funktion billigerweise nicht angesonnen werden kann. Sachlich gerechtfertigte Gründe, die der Beklagten im Rahmen des § 14 KVLG ein anderes Verfahren erlaubten, sind angesichts der Identität der sich gegenüberstehenden Interessen nicht erkennbar.
Die Beklagte kann sich für ihre gegenteilige Rechtsauffassung schließlich auch nicht auf das Urteil des BSG vom 20. Oktober 1977 – 11 RK 18/76 – (SozR 5420 § 2 KVLG Nr. 8) stützen, wonach im Rahmen der Feststellung der Versicherungspflicht eines selbständigen Landwirts gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVLG die Grundrente den (Neben-)Einkünften zuzurechnen ist. Soweit für den Einkommensbegriff im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVLG auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise abgestellt wurde, ergeben sich aus den bereits dargelegten Gründen keine neuen Gesichtspunkte. Soweit als Ergebnis der Entscheidung des 11. Senats festzustellen ist, daß der Kläger des dortigen Verfahrens wegen des Bezugs der Grundrente von einer vom Gesetz angebotenen sozialen Vergünstigung – der Versicherungspflicht – ausgeschlossen wurde, vermag der Senat dem für den vorliegenden Fall ebenfalls keine Bedeutung beizumessen. Abgesehen davon daß das BSG sich letztendlich durch den Wortlaut des Gesetzes an einer differenzierenden Bewertung von Einkünften und an einem anderen Ergebnis gehindert sah (ähnlich BSGE 3, 64 im Zusammenhang mit der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung nach altem Recht), § 14 KVLG Einschränkungen irgendwelcher Art demgegenüber aber nicht enthält, ist der zu beurteilende Sachverhalt auch insgesamt ein wesentlich anderer. Im Rahmen der Auslegung des Begriffs der besonderen Härte im Sinne von § 14 Satz 2 KVLG und der dabei vorzunehmenden Bedürftigkeitsprüfung hat die Beklagte nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die für ihre Beurteilung einschlägig Grundentscheidungen des Gesetzgebers zu beachten. Da – wie dargelegt die Anrechnung nach dem der Grundrente beigelegten Sinn und Zweck und der Gesetzeswirklichkeit dem gesetzgeberischen Willen aber eindeutig zuwiderläuft, darf die Beklagte im Bereich des § 14 KVLG diese Anrechnung ebenfalls nicht vornehmen.
Das Urteil des Sozialgerichts Gießen und der angefochtene Bescheid der Beklagten waren danach aufzuheben. Daneben war unbeschadet dessen daß die Befreiung nach § 14 Satz 2 KVLG in das Ermessen der Krankenkassen gestellt ist, auf den Antrag des Klägers die Verurteilung der Beklagten zur Befreiung von der Zahlung des gesetzlichen Arzneikostenanteils ab dem Tag der Antragstellung – dem 1. Februar 1978 – auszusprechen. Denn die Erfüllung der einkommensmäßigen Voraussetzungen im Sinne der Richtlinien bedeutet hier, daß infolge einer entsprechenden Selbstbindung der Beklagten nur noch Raum für eine positive Ermessensentscheidung ist und der Anspruch des Klägers auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens sich ausnahmsweise zu einem Rechtsanspruch verdichtet. Die Beklagte hat die Befreiung in ihren Richtlinien zwar nicht nur vom Einkommen, sondern zusätzlich von einer gewissen Dauer des Bezugs von Arzneimitteln abhängig gemacht und sich im übrigen weitere Erwägungen (werden "in der Regel” befreit) vorbehalten. Es ist zwischen den Beteiligten jedoch völlig unstreitig, daß der Kläger entsprechend der Bestätigung seines behandelnden Arztes laufend Arzneimittel wegen anderer Leiden als dem Kriegsleiden benötigt, für die die Zahlung eines Arzneikostenanteils von der Beklagten nicht verlangt wird (vgl. § 18 c Abs. 5 BVG). Auch sonstige, die Befreiung hindernde Gesichtspunkte hat die Beklagte nicht geltend gemacht. Sie hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vielmehr erklären lassen, daß die Ablehnung der Befreiung gemäß § 14 Satz 2 KVLG allein auf die Überschreitung der Einkommensgrenze wegen der ihrer Auffassung nach in die Berechnung einzubeziehenden Grundrente gestützt und allein deswegen ein Härtefall im Sinne des Gesetzes verneint wurde und verneint wird. Da dieser Versagungsgrund nicht durchgreifen kann, mußte die Berufung in vollem Umfang Erfolg haben.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG, diejenige über die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den Kläger von der Zahlung des gesetzlichen Arzneikostenanteils gemäß § 14 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) freizustellen hat.
Der 1901 geborene Kläger ist als Bezieher von Altersgeld Pflichtmitglied der Beklagten. Am 1. Februar 1978 beantragte er die Befreiung vom Kostenanteil für Arznei-, Verband- und Heilmittel. Er bezog zu diesem Zeitpunkt Altersgeld in Höhe von 265,60 DM monatlich das für das Jahr 1979 auf 277,60 DM und für das Jahr 1980 auf 288,70 DM monatlich erhöht wurde. Daneben erhielt der Kläger wegen des Verlustes des rechten 4. Fingers sowie einer Beugeverminderung der übrigen Finger und einer dadurch bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. eine Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Höhe von 123,– DM monatlich, die ab Januar 1979 auf 129,– DM im Monat angehoben wurde und seit 1. Januar 1980 134,– DM beträgt. Außergewöhnliche Belastungen und Verpflichtungen – z.B. Belastungen durch Pflege – oder Unterbringungskosten wurden nicht geltend gemacht. Der Kläger lebt mit seinem Sohn und seiner Schwiegertochter im gemeinsamen Haushalt und erhält freie Kost und Wohnung, über Grundbesitz verfügt der Kläger nicht. Der von ihm der Beklagten eingereichte Fragebogen enthielt die Bestätigung des behandelnden Arztes, daß er laufend Arzneimittel beziehe und der Bezug dieser Mittel dauernd erforderlich sei.
Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil das zu berücksichtigende Einkommen des Klägers in Höhe von 664,60 DM (Altersgeld + 300,– DM Sachbezüge + 123,– DM Grundrente) die in ihren Richtlinien festgelegte Einkommensgrenze von 650,– DM überschreite und deshalb ein Härtefall im Sinne von § 14 KVLG nicht gegeben sei. Bei der Feststellung des Bruttoeinkommens sei die Grundrente einzubeziehen, da es für die Beurteilung des Härtefalls im Sinne von § 14 KVLG nicht auf die Zweckbestimmung der Grundrente, sondern auf ihre tatsächliche Verwendbarkeit für den Lebensunterhalt ankomme (Bescheid vom 10. Februar 1978; Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 1978).
Die dagegen am 12. Juli 1978 erhobene Klage des Klägers hat das Sozialgericht (SG) Gießen durch Urteil vom 28. Februar 1979 aus den Gründen des angefochtenen Bescheides abgewiesen.
Gegen das am 14. März 1979 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9. April 1979 Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, daß die Funktion der Grundrente eine Berücksichtigung als Bruttoeinkommen ausschließe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 28. Februar 1979 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 1978 aufzuheben,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, ihm Befreiung von der Arznei-, Verband- und Heilmittelgebühr ab 1. Februar 1978 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Abgesehen davon, daß das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Rechtsprechung, u.a. im Urteil vom 20. Oktober 1977 – 11 RK 18/76 –, die Grundrente stets berücksichtigt habe, wenn es auf die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten angekommen sei, sei ihre Rechtsauffassung und diejenige des SG auch durch das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Januar 1980 – L-16/Kr-190/78 –, das unmittelbar die Regelung des § 14 Satz 2 KVLG betreffe, voll bestätigt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere auf den der Verwaltungsakte der Beklagten und der Versorgungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist begründet. Die Ablehnung des Befreiungsantrags des Klägers durch die Beklagte beruht auf einer unrichtigen Anwendung des § 14 KVLG in der ab 1. Juli 1977 geltenden und hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz – KVKG – Art. 1 § 3 Nr. 6 und Art. 2. § 17) vom 27. Juni 1977 (BGBl. I S. 1069).
Gemäß § 14 Satz 1 KVLG haben Versicherte bei der Abnahme von Arznei-, Verband- und Heilmitteln eine Deutsche Mark für jedes verordnete Mittel an die abgebende Stelle zu zahlen. Nach Satz 2 der Vorschrift kann die zuständige Krankenkasse in besonderen Härtefällen, vor allem, wenn laufend Arznei-, Verband- und Heilmittel benötigt werden, von der Zahlung befreien. Die Vorschrift entspricht wörtlich dem § 182 a Reichsversicherungsordnung (RVO). In beiden Fällen ist die Entscheidung über die Befreiung schon nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes – "kann” – in das Ermessen der Krankenkasse gestellt. Im gerichtlichen Verfahren kann daher grundsätzlich nur geprüft werden, ob diese die gesetzlichen Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zwecke der gesetzlichen Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG, § 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – SGB I).
Grenzen und Inhalt des pflichtgemäßen Ermessens werden dabei durch den Begriff "in besonderen Härtefällen” bestimmt. Dieser ist im Rahmen des § 14 KVLG nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht als unbestimmter, der gerichtlichen Überprüfung voll unterliegender Rechtsbegriff zu werten, an den sich die Ermessensausübung anschließt; er ist Ermessensrichtlinie und ragt somit ebenfalls in den Ermessensbereich der Beklagten hinein (so auch Urteil des BSG vom 28. März 1979 – 3 RK 29/78 –; Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen vom 31. Januar 1980 – L-16/Kr-190/78 –; Urteil des LSG Niedersachsen vom 7. November 1979 – L-4/Kr-42/78 –). Eine teilweise und von der Krankenkasse zwingend zu beachtende Konkretisierung des Begriffs ist von Gesetzes wegen allerdings insoweit erfolgt, als der laufende Bezug von Arznei-, Verband- und Heilmitteln ausdrücklich als Beispielfall für das Vorliegen einer besonderen Härte genannt ist (BSG a.a.O.). Insgesamt gesehen sind für die Beurteilung eines Härtefalls im Sinne von § 14 Satz 2 KVLG wesentlich die wirtschaftlichen und medizinischen Umstände des Antragstellers. Das folgt aus dem Zweck der durch das KVLG der Krankenkasse eingeräumten Befugnis zur Befreiung von der Zahlung des Arzneikostenanteils, der darin besteht, eine unzumutbare Belastung des Antragstellers zu vermeiden, die durch die Einkommensverhältnisse und die Häufigkeit der Inanspruchnahme von Arznei- und anderen Mitteln entstehen kann. Begünstigt werden sollten – abweichend vom früheren Recht – nicht mehr bestimmte Personengruppen schlechthin, sondern der tatsächlich bedürftige Versicherte (vgl. amtliche Begründung zum Entwurf der Bundesregierung – BT-Drucks. 8/166 S. 25). Die Ermittlung des Härtefalles läuft damit letztlich auf eine dem Krankenversicherungsrecht sonst fremde Bedürftigkeitsprüfung hinaus.
Im vorliegenden Fall durfte die Beklagte dem Kläger die Befreiung nicht mit der Begründung versagen, daß nach seinen Einkommensverhältnissen ein besonderer Härtefall nicht vorliegen könne. Sie kann sich dafür nicht auf ihre in Anlehnung an die Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen erlassenen Richtlinien berufen, wonach von der Zuzahlung gemäß § 14 KVLG in der Regel der Versicherte zu befreien ist, der voraussichtlich für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten laufend Arznei-, Verband- und Heilmittel benötigt, wenn sein Bruttoeinkommen (Einkünfte im Sinne des § 180 Abs. 4 Satz 1 RVO) ein Drittel der Bezugsgröße § 18 SGB IV (auf volle 10,– DM aufgerundet) nicht übersteigt. Diese Richtlinien dienen der näheren Bestimmung, ob dem Versicherten die Aufbringung des Arzneikostenanteils zuzumuten ist. Sie sind jedoch nur zu beachten, soweit sie eine gleichmäßige Ermessensausübung gewährleisten und mit dem Gesetz in Einklang stehen (Urteil des BSG vom 28. März 1979 – 3 RK 29/78 –). Der pauschalierte Einkommens-/Freibetrag, mit dem die Beklagte zugleich den (notwendigen) Bedarf für den Lebensunterhalt festlegt, den zu unterschreiten vom Versicherten nicht erwartet wird, betrug für unverheiratete Versicherte 1978 650,– DM (Bezugsgröße 1.950,– DM), 1979 700,– DM (Bezugsgröße 2.100,– DM) und 1980 740,– DM brutto (Bezugsgröße 2.200,– DM). Er kann mit Rücksicht auf die der Beklagten vom Gesetzgeber vorgeschriebenen individuellen Prüfung grundsätzlich ebenfalls nur ein allgemeiner Anhalt sein. Wird er überschritten, so hat die Beklagte Überlegungen anzustellen, ob der für den Regelfall angenommene Einkommens-/Freibetrag dem Einzelfall gerecht wird oder ob z.B. infolge besonderer Belastungen eine Erhöhung des Freibetrages anzunehmen oder das anzurechnende Einkommen entsprechend zu mindern ist, was auf das gleiche Ergebnis hinausläuft. Wird der angenommene Grenzbetrag unterschritten, so kann die Beklagte infolge der durch seine allgemeine Festlegung vorgenommene Selbstbindung die Befreiung allerdings nicht mehr allein unter Hinweis auf ausreichend vorhandenes Einkommen versagen. Ob der Freibetrag zu hoch angesetzt ist, ist in diesem Fall vom Gericht nicht zu prüfen.
Die von der Beklagten festgesetzte Einkommensgrenze hat der Kläger ab Antragstellung bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht überschritten. Entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten hat die Grundrente nach dem BVG im Rahmen des § 14 KVLG bei den Ermittlung der vom Versicherten selbst vorrangig – nämlich vor Inanspruchnahme der Vergünstigung des § 14 Satz 2 KVLG – für den Arzneikostenanteil einzusetzenden Mittel außer Betracht zu bleiben, so daß sich für die Jahre 1978 bis 1980 jeweils ein dem Grenzwert unterschreitendes Einkommen ergibt (1978: 265,60 DM Altersgeld + 300,– DM Sachleistungen % 650,– DM Freibetrag; 1979 277,60 DM Altersgeld + 300,– DM Sachleistungen % 700,– DM Freibetrag; 1980 288,70 DM Altersgeld + 300,– DM Sachleistungen % 740,– DM Freibetrag). Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers stellt die Grundrente eine Entschädigung für Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität dar und soll die Mehraufwendungen ausgleichen, die dem Beschädigten infolge der Schädigung gegenüber einem gesunden Menschen in den verschiedenen Lebenslagen erwachsen (BSGE 30, 21; 33, 112; SozR 3100 Nr. 13 zu § 30 BVG). Sie dient nicht dem Zweck, den normalen Unterhaltsbedarf des Beschädigten zu decken (so ausdrücklich BSGE 40, 225). Kosten für Arzneimittel sind – jedenfalls soweit sie nicht mit der Kriegsbeschädigung im Zusammenhang stehen – aber solche des allgemeinen Lebensunterhalts. Am allgemeinen Unterhaltsbedarf orientiert sich erkennbar auch der Freibetrag der Beklagten, da er unterschiedslos festgesetzt ist. Allerdings ist es richtig, daß das BSG mehrfach entschieden hat, daß die Grundrente unabhängig von der beschriebenen Zwecksetzung geeignet sei, den Unterhalt zu sichern und dafür zur Verfügung stehe. Es hat dementsprechend die Grundrente bei der Feststellung der Unterhaltsbedürftigkeit im Verhältnis zum geschiedenen Ehemann (BSGE 40, 225), der überwiegenden Unterhaltsgewährung (BSG SozR 2200 § 1266 Nr. 6) und der wirtschaftlichen Vertretbarkeit der Rückforderung überzahlter Ausgleichsrente (BSGE 21, 27) den Einkünften zugerechnet. Ob die Grundrente deswegen – wie die Beklagte meint – auch zum Einkommen im Sinne von § 180 Abs. 4 Satz 1 RVO, auf den die Richtlinien Bezug nehmen, zählt, ob sie also "Einnahme zum Lebensunterhalt” im Sinne dieser Bestimmung ist und die Beklagte (zumindest) ihren Richtlinien gemäß verfahren ist, kann jedoch dahinstehen. Bei der im Bereich des § 14 Satz 2 KVLG vorzunehmenden Bedürftigkeitsprüfung ist sie unbeschadet einer Bewertung als Einkommen im Sinne von § 180 Abs. 4 Satz 1 RVO nach dem Normzweck jedenfalls nicht einzubeziehen.
Die Befreiung von der Zahlung des gesetzlichen Arzneikostenanteils ist eine Sozialleistung im Sinne von § 11 SGB I, d.h. ein Vorteil, der dem Einzelnen zur Verwirklichung sozialer Rechte zugute kommen soll (vgl. amtl. Begründung zu § 11 SGB I, BT-Drucks. 7/868 S. 24). Sie ermöglicht ihm, kostenlos – ohne Gegenleistungen – Sachleistungen der Krankenkasse zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Gesundheit (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 SGB I) entgegenzunehmen und steht – sofern man den Arzneikostenanteil als "Beitrag” ansieht (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl., Teil II/1, Anm. 2 b zu § 182 a, S. 17/333) – im wirtschaftlichen Ergebnis einer Beitragserstattung oder einem Beitragszuschuß gleich. Insoweit gilt aber der Grundsatz, daß die Grundrente nach dem BVG einer anderen, von der Bedürftigkeit des Antragstellers abhängigen Sozialleistung nicht entgegensteht und auf andere Sozialleistungen nicht an zurechnen ist (so auch Urteil des LSG Niedersachsen a.a.O.). Dieser Grundsatz ist in den genannten Entscheidungen des BSG auch nicht infrage gestellt worden (vgl. insbesondere BSGE 40, 225, BSG SozR 2200 § 1266 Nr. 6). Es macht einen Unterschied, ob dem Versicherten angesichts der tatsächlichen Verwertbarkeit der Grundsatz für den Unterhalt zugemutet wird, sie vor Inanspruchnahme eines unterhaltspflichtigen Familienangehörigen dafür einzusetzen und sie im Rahmen seiner familienrechtlichen Bindung für den Unterhalt der Familie oder ggf. für die Rückzahlung von zu Unrecht empfangenen Leistungen (mit-) zu verwenden, oder ob von ihm verlangt wird, die Grundrente vorrangig vor einer anderen Sozialleistung die ihm andernfalls zustände, einzusetzen und den Sozialleistungsträger zu entlasten. Auf diesen Unterschied hat das BSG insbesondere in seiner Entscheidung vom 18. September 1975 (BSGE 40, 225) u.a. unter Nennung des Art. 3 Grundgesetz (GG) hingewiesen. Im Verhältnis zu Sozialleistungen kann zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen die tatsächliche Verwertbarkeit der Grundrente zum Unterhalt nicht im Vordergrund stehen und die Wiedergutmachungsfunktion unbeachtet bleiben. Für eine solche Absicht des Gesetzgebers und eine allgemeine Rückführung der Zwecksetzung der Grundrente auf eine bloße Leistung zum Lebensunterhalt, ist auch nichts ersichtlich. Daß die Grundrente die Gewährung sozialer und öffentlicher Leistungen mit Unterhaltsfunktion nicht hindern und deren Umfang nicht mindern kann, wird im Gegenteil aus einer Reis vergleichbarer Vorschriften deutlich. So ist sie als Einkommen nicht anzurechnen bei der Arbeitslosenhilfe (§ 138 Abs. 3 Nr. 5 Arbeitsförderungsgesetz – AFG –), der Sozialhilfe (§ 76 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz – BSHG –), der Unterhaltshilfe (§ 267 Abs. 2 Nr. 2 a Lastenausgleichsgesetz – LAG –), der Ausbildungsförderung (§ 21 Abs. 4 Nr. 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz – BAföG –), der Kriegsopferfürsorge (§ 25 d Abs. 1 S. 2 BVG) und bei der Gewährung von Wohngeld (§ 14 Abs. 1 Nr. 6 Wohngeldgesetz – WoGG –). Auch für diese, die Bedürftigkeit des Antragstellers voraussetzenden Leistungen gilt – wie regelmäßig im Sozialleistungsbereich – die von der Beklagten angesprochene wirtschaftliche Betrachtungsweise, d.h., bei der Ermittlung des anzurechnenden Einkommens ist grundsätzlich auf die effektiv zur Verfügung stehenden Einkünfte abzustellen, unabhängig von Quelle und Zwecksetzung. Die Grundrente ist insoweit auch Einkommen im Sinne der genannten anderen gesetzlichen Regelungen. Der Gesetzgeber hat sie jedoch jeweils ausdrücklich von der Anrechnung ausgenommen, in dem er entweder bestimmte, daß sie nicht als Einkommen "gilt” oder indem er einen Freibetrag in Höhe der Grundrente einräumte, eben weil dem Beschädigten ihre Verwertung zum allgemeinen Unterhalt zur Entlastung öffentlicher Kassen bei Beachtung ihrer rechtlichen Funktion billigerweise nicht angesonnen werden kann. Sachlich gerechtfertigte Gründe, die der Beklagten im Rahmen des § 14 KVLG ein anderes Verfahren erlaubten, sind angesichts der Identität der sich gegenüberstehenden Interessen nicht erkennbar.
Die Beklagte kann sich für ihre gegenteilige Rechtsauffassung schließlich auch nicht auf das Urteil des BSG vom 20. Oktober 1977 – 11 RK 18/76 – (SozR 5420 § 2 KVLG Nr. 8) stützen, wonach im Rahmen der Feststellung der Versicherungspflicht eines selbständigen Landwirts gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVLG die Grundrente den (Neben-)Einkünften zuzurechnen ist. Soweit für den Einkommensbegriff im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVLG auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise abgestellt wurde, ergeben sich aus den bereits dargelegten Gründen keine neuen Gesichtspunkte. Soweit als Ergebnis der Entscheidung des 11. Senats festzustellen ist, daß der Kläger des dortigen Verfahrens wegen des Bezugs der Grundrente von einer vom Gesetz angebotenen sozialen Vergünstigung – der Versicherungspflicht – ausgeschlossen wurde, vermag der Senat dem für den vorliegenden Fall ebenfalls keine Bedeutung beizumessen. Abgesehen davon daß das BSG sich letztendlich durch den Wortlaut des Gesetzes an einer differenzierenden Bewertung von Einkünften und an einem anderen Ergebnis gehindert sah (ähnlich BSGE 3, 64 im Zusammenhang mit der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung nach altem Recht), § 14 KVLG Einschränkungen irgendwelcher Art demgegenüber aber nicht enthält, ist der zu beurteilende Sachverhalt auch insgesamt ein wesentlich anderer. Im Rahmen der Auslegung des Begriffs der besonderen Härte im Sinne von § 14 Satz 2 KVLG und der dabei vorzunehmenden Bedürftigkeitsprüfung hat die Beklagte nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die für ihre Beurteilung einschlägig Grundentscheidungen des Gesetzgebers zu beachten. Da – wie dargelegt die Anrechnung nach dem der Grundrente beigelegten Sinn und Zweck und der Gesetzeswirklichkeit dem gesetzgeberischen Willen aber eindeutig zuwiderläuft, darf die Beklagte im Bereich des § 14 KVLG diese Anrechnung ebenfalls nicht vornehmen.
Das Urteil des Sozialgerichts Gießen und der angefochtene Bescheid der Beklagten waren danach aufzuheben. Daneben war unbeschadet dessen daß die Befreiung nach § 14 Satz 2 KVLG in das Ermessen der Krankenkassen gestellt ist, auf den Antrag des Klägers die Verurteilung der Beklagten zur Befreiung von der Zahlung des gesetzlichen Arzneikostenanteils ab dem Tag der Antragstellung – dem 1. Februar 1978 – auszusprechen. Denn die Erfüllung der einkommensmäßigen Voraussetzungen im Sinne der Richtlinien bedeutet hier, daß infolge einer entsprechenden Selbstbindung der Beklagten nur noch Raum für eine positive Ermessensentscheidung ist und der Anspruch des Klägers auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens sich ausnahmsweise zu einem Rechtsanspruch verdichtet. Die Beklagte hat die Befreiung in ihren Richtlinien zwar nicht nur vom Einkommen, sondern zusätzlich von einer gewissen Dauer des Bezugs von Arzneimitteln abhängig gemacht und sich im übrigen weitere Erwägungen (werden "in der Regel” befreit) vorbehalten. Es ist zwischen den Beteiligten jedoch völlig unstreitig, daß der Kläger entsprechend der Bestätigung seines behandelnden Arztes laufend Arzneimittel wegen anderer Leiden als dem Kriegsleiden benötigt, für die die Zahlung eines Arzneikostenanteils von der Beklagten nicht verlangt wird (vgl. § 18 c Abs. 5 BVG). Auch sonstige, die Befreiung hindernde Gesichtspunkte hat die Beklagte nicht geltend gemacht. Sie hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vielmehr erklären lassen, daß die Ablehnung der Befreiung gemäß § 14 Satz 2 KVLG allein auf die Überschreitung der Einkommensgrenze wegen der ihrer Auffassung nach in die Berechnung einzubeziehenden Grundrente gestützt und allein deswegen ein Härtefall im Sinne des Gesetzes verneint wurde und verneint wird. Da dieser Versagungsgrund nicht durchgreifen kann, mußte die Berufung in vollem Umfang Erfolg haben.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG, diejenige über die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
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