L 8 Kr 834/79

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 9 Kr 20/78
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kr 834/79
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Wöchnerin, die aus Anlaß einer Frühgeburt vier Tage vor dem vereinbarten Termin der erstmaligen Arbeitsaufnahme in stationäre Krankenhausbehandlung aufgenommen wurde, vermag allein auf Grund des vorher geschlossenen Arbeitsvertrages weder eine echte Mitgliedschaft noch ein formales Versicherungsverhältnis bei einer Ersatzkasse zu begründen, wenn sie nicht bereits aus anderen Gründen das satzungsmäßige Recht hatte, der Ersatzkasse beizutreten.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. März 1979 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin rechtswirksam Mitglied der beklagten Arbeiter-Ersatzkasse (GEK) geworden ist.

Die im Jahre 1951 geborene Klägerin ist Lehrerin von Beruf. Nach ihren Angaben war sie bis zum 31 – Juli 1977 als Lehramtsreferendarin (Beamtin auf Widerruf) im Schulvorbereitungsdienst des Lande Hessen beschäftigt und wohnte in F ... Zu dieser Zeit war sie im 6. Monat schwanger. Ihre Niederkunft war auf den 26. Oktober 1977 vorausberechnet. Als ihr von ihrem Dienstherrn, mitgeteilt worden war, daß sie voraussichtlich erst am 1. Februar 1978 eine Planstelle als Lehrerin erhalten könne, traf sie im Sommer 1977 mit ihrem Vater, dem selbständigen, bisher ohne Gehilfen tätig gewesenen Schmucksteinschleifer K. W. (W.) in V. bei I. die Vereinbarung, vom 1. August 1977 ab bei ihm als Poliererin gegen ein monatliches Arbeitsentgelt von 1.000,– DM zu arbeiten. Zur Vorbereitung dessen hielt sie sich vor dem geplanten Arbeitsbeginn zuletzt am 13. Juli 1977 in V. und I. auf. Anschließend fuhr sie nach F. zurück. Dort traten vorzeitig Geburtswehen ein, so daß sie am Donnerstag, dem 28. Juli 1977, in die Universitätsklinik F. eingeliefert und am Sonntag, dem 31. Juli 1977, von einer Tochter (Frühgeburt) entbunden wurde. Auf Antrag der Klägerin und entsprechend dem von W. bestätigten Beschäftigungsbeginn stellte die Geschäftsstelle I. der Beklagten am 8. August 1977 eine Mitgliedsbescheinigung für die Klägerin ab 1. August 1977 aus. Unter dem 25. August 1977 bat die Klägerin diese Geschäftsstelle, ihre Pflichtmitgliedschaft ab 1. September 1977 in eine freiwillige Weiterversicherung umzuwandeln, weil ihr "Beschäftigungsverhältnis bei der Fa. W. zum 31. August 1977” ende. Vom 1. September 1977 ab werde sie als Beamtin auf Probe in den Hessischen Schuldienst eingestellt. Ihre Versicherungsunterlagen sollten deshalb zur Geschäftsstelle F. der Beklagten übersandt werden. Die Hauptverwaltung der Beklagten erklärte der Klägerin unter dem 16. September 1977, trotz des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis bei W. bleibe ihre Mitgliedschaft bei der GEK mit allen Rechten und Pflichten bestehen. Zur Feststellung der Beiträge solle sie aber noch nähere Angaben machen. Für die Klägerin und ihre Tochter erbrachte die Beklagte Sachleistungen der Kranken- und Krankenhauspflege im Werte von 21.424,19 DM. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. November 1977 ohne Rechtsbehelfsbelehrung erklärte die Beklagte, nach Kenntnis des wahren Sachverhalts annuliere sie die Mitgliedschaft der Klägerin rückwirkend vom 1. August 1977 ab und gewähre die gezahlten Beiträge zurück. Da die Klägerin die angegebene Beschäftigung aufgrund der vorzeitigen Entbindung überhaupt nicht aufgenommen habe, sei weder eine Krankenversicherungspflicht noch eine Mitgliedschaft bei der GEK rechtswirksam zustande gekommen. Demzufolge habe auch die beantragte freiwillige Versicherung ab 1. September 1977 nicht rechtswirksam werden können. Den dagegen am 28. November 1977 eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 1978 zurück, indem sie feststellte, daß ab 1. August 1977 weder eine Versicherungspflicht noch eine rechtswirksame Mitgliedschaft der Klägerin entstanden sei. Zur Begründung führte sie u.a. an, bei der Ausstellung der Mitgliedschaftsbescheinigung sei ihr nur die Angabe der Klägerin und des W. bekannt gewesen, daß der Beschäftigungsbeginn auf Montag, den 1. August 1977 fallen. Die entsprechende Anmeldung ohne Datum sei am 8. August 1977 bei ihr eingegangen. Erst am 9. August 1977 habe sie das Schreiben der Klägerin vom 7. August 1977 erhalten, mit dem als Beschäftigungsbeginn erneut der 1. August 1977 angegeben und zugleich mitgeteilt worden sei, daß die Klägerin am 31. Juli 1977 eine Frühgeburt gehabt habe. Bei Abfassung des Schreibens vom 16. September 1977 sei ihrer Hauptverwaltung nicht bekannt gewesen, daß die Klägerin ihre nur geplante Beschäftigung als Poliererin niemals aufgenommen habe.

Gegen diesen ihr am 9. Januar 1978 zugestellten Bescheid hat die Klägerin am 7. Februar 1978 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) erhoben.

Sie hat u.a. geltend gemacht, daß sie sich bereits vor Beschäftigungsbeginn eine Wohnung in V. beschafft und W. im Hinblick auf ihre Beschäftigung einen größeren Auftrag konkret in Aussicht gehabt habe. Zum Beschäftigungsbeginn habe sie bereits dienstbereit der Verfügungsgewalt des Arbeitgebers unterstanden. Nur deshalb sei es zur tatsächlichen Arbeitsaufnahme nicht gekommen, weil sie wegen Krankheit verhindert gewesen sei. Ihr sei auch das vereinbarte Arbeitsentgelt in Höhe von 1.000,– DM für den Monat August 1977 ausgezahlt worden. Mit Urteil vom 23. März 1979 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 23. November 1977 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 1978 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten sei am 1. August 1977 gemäß & 306 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) rechtswirksam begründet worden. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei dazu nicht erforderlich, daß die Arbeit tatsächlich aufgenommen werde. Es genüge, daß der Arbeitnehmer sich der Verfügungsgewalt des neuen Arbeitgebers unterstelle. Das sei im vorliegenden Rechtsstreit erfüllt.

Gegen dieses ihr am 13. Juli 1979 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. Juli 1979 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Sie meint, die Klägerin sei zwar ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts eingegangen, ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis als Voraussetzung für die Mitgliedschaft bei der GEK sei aber nicht begründet werden. Sie habe weder gegen Entgelt gearbeitet noch rechtlich und tatsächlich (dienstbereit) dem Arbeitgeber zur Verfügung gestanden. Nach § 6 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes sei die Beschäftigung von Wöchnerinnen nach der Entbindung bis zum Ablauf von 8 Wochen, nach Mehrlings- und Frühgeburten bis zum Ablauf von 12 Wochen strikt verboten. Allein die Zahlung des vereinbarten Lohnes bewirke keine Versicherungspflicht.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. März 1979 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und somit zulässig (§§ 143, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).

Sie ist auch begründet.

Zu Unrecht hat das SG der zulässigen Anfechtungsklage stattgegeben. Streitgegenstand ist gemäß § 95 SGG der Bescheid der Beklagten vom 23. November 1977 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 1978, mit dem sie – praktisch unter Aufhebung ihrer früheren Mitgliedschaftsbestätigungen – festgestellt hat, daß die Klägerin von Anfang an nicht rechtswirksam Mitglied der GEK geworden sei. Diese Entscheidung ist rechtmäßig. Der zwischen den Beteiligten geschlossene öffentlich-rechtliche Versicherungsvertrag (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand: 53. Nachtrag 1980, Bd. II, S. 340 d) hat nicht rechtswirksam die Mitgliedschaft der Klägerin begründet, weder als Versicherungspflichtige noch als Versicherungsberechtigte, weil die gesetzlichen und satzungsmäßigen Voraussetzungen dafür gefehlt haben (§ 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO; Artikel 2 § 4 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung – Ersatzkassen der Krankenversicherung – vom 24. Dezember 1935 – RGBl. I S. 1537 –, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 15. Dezember 1979 – BGBl. I S. 2241 – 12. Aufbau-VO; § 5 der Satzung der Beklagten). Durch den danach unzulässigen Beitritt der Klägerin zur Beklagten ist noch nicht einmal ein formales Versicherungsverhältnis bei der beklagten GEK entstanden (vgl. Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 25. Februar 1966, 3 RK 38/65, in BSGE 24, 266). Auch die Grundsätze des Vertrauensschutzes auf begünstigende Verwaltungsakte sind jedenfalls nicht geeignet, ein solches gesetzwidriges Rechtsverhältnis wirksam zu begründen.

Die Klägerin gehörte als Lehramtsreferendarin und spätere Lehrerin (ab 1. September 1977) nicht zum Mitgliederkreis der Beklagten, der nach § 5 Abs. 1 ihrer Satzung auf Arbeiter einschließlich der Lehrlinge und Anlernlinge zu Arbeiterberufen begrenzt ist. Im Schulvorbereitungsdienst als Lehramtsreferendarin übte sie keinen Arbeiterberuf aus.

Daran hat auch der von ihr vorgetragene Arbeitsvertrag mit ihrem Vater, durch den sie nach Abschluß des Vorbereitungsdienstes vom 1. August 1977 ab zur Arbeit als Schmucksteinpoliererin verpflichtet war, nichts geändert. Sie hat die hiernach konkret geschuldete Arbeit niemals aufgenommen und verrichtet. Sie war stattdessen aus Gründen, die in ihrer eigenen Person lagen, bereits zu Beginn des verabredeten ersten Arbeitstages von vornherein tatsächlich und rechtlich nicht fähig, die vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen (vgl. § 6 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes). Unter diesen Umständen kann ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis als weitere Voraussetzung für die Mitgliedschaft bei der Beklagten (vgl. Artikel 2 § 4 der 12. Aufbau-VO) nicht wirksam begründet werden, gleichgültig, ob bei der Klägerin Krankheit als Versicherungsfall für eine Krankenversicherungsleistung vorgelegen hat oder nicht. Entscheidend ist hier der persönliche Ausschlußgrund, der es verhinderte, daß die Klägerin die vereinbarte Leistung erbracht.

Die Mitgliedschaft eines Versicherten beginnt gemäß § 306 Abs. 1 RVO mit dem Tage des Eintritts in die Versicherungspflichtige Beschäftigung. Dabei ist zu berücksichtigen, daß jeder Art von Tätigkeit die Qualifikation als Versicherungspflichtige Beschäftigung von vornherein fehlt, wenn lediglich ein sogenannter mißglückter Arbeitsversuch vorgelegen hat. Das ist dann anzunehmen, wenn objektiv feststeht, daß der Beschäftigte bei Aufnahme der Arbeit zu ihrer Verrichtung nicht fähig war oder die Arbeit nur unter schwerwiegender Gefährdung seiner Gesundheit – etwa unter der Gefahr einer weiteren Verschlimmerung seines Leidens – würde verrichten können, und wenn er die Arbeit entsprechend der darauf zu gründenden Erwartung vor Ablauf einer wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeit aufgegeben hat (vgl. BSG in SozR Nr. 63 und 75 zu § 165 RVO; Urteil vom 19. Dezember 1978, 3 RK 82/76, in SozR 2200 § 165 Nr. 33). Diese gefestigten Grundsätze der Rechtsprechung auf dem Gebiete der gesetzlichen Krankenversicherung erhellen, daß die Klägerin zwar keinen mißglückten Arbeitsversuch unternommen hat, daß es ihr aber aus den gleichen Gründen nicht möglich war, in eine Versicherungspflichtige Beschäftigung bei W. einzutreten. Bereits seit dem 28. Juli 1977, also vier volle Tage vor der geplanten Arbeitsaufnahme, mußte sie wegen der einsetzenden Wehen stationär behandelt werden und am Tage vor diesem Arbeitsaufnahmetermin kam sie nieder. Zu dieser Zeit wohnte sie noch in F. und hatte auch noch keine Anstalten gemacht, sich auf die Reise nach Veitsrodt zur Arbeitsaufnahme zu begeben. Unter diesen Umständen stand sie noch nicht derart unter der Verfügungsmacht des Arbeitgebers, daß sie damit in die Versicherungspflichtige Beschäftigung eingetreten war (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 1967, 3 RK 17/65, in BSGE 26, 124; vom 22. November 1968, 3 RK 9/67, in BSGE 29, 30; vom 18. September 1973, 12 RK 15/72, in BSGE 36, 161). Zwar trifft es zu, daß das für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses wesentliche Merkmal der Verfügungsmacht des Arbeitgebers keinen ein für allemal vorgesehenen Inhalt hat. Vor allem braucht sich die Verfügungsmacht nicht notwendig auf die Verwertung der Arbeitskraft des Beschäftigten (auf die Erteilung von Weisungen am Arbeitsplatz) zu beziehen. Voraussetzung für jede Form des Eintritts in die Versicherungspflichtige Beschäftigung, für alle rechtswirksamen Grundlegungen eines Pflichtkrankenversicherungsverhältnisses ist aber, daß der Beschäftigte zu Beginn der Versicherungspflichtigen Beschäftigung nach allen maßgeblichen Umständen tatsächlich die Fähigkeit besitzt, die Arbeit aufnehmen und verrichten zu können. Wenn hiervon ausgehend der Eintritt in die versicherungspflichtige Beschäftigung durch die Anreise zum Arbeitsplatz (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 1967, a.a.O.) oder die Entgegennahme einer Freistellung von der Arbeit (vgl. BSG, Urteil vom 22. November 1968, a.a.O., und vom 18. September 1973, a.a.O.) erfolgt, dann läßt sich mit der Rechtsprechung des BSG aufgrund des Schutzzweckes der gesetzlichen Krankenversicherung ein wirksames Versicherungsverhältnis annehmen. Andernfalls aber ist der zur Arbeitsaufnahme Verpflichtete nicht in eine Versicherungspflichtige Beschäftigung eingetreten. Es fehlt dann an den schutzwürdigen Grundtatsachen einer Versicherungspflichtigen Beschäftigung. Das gilt für den Fall der Klägerin. Weder der zeitliche Zusammenhang zum Termin der Arbeitsaufnahme noch konkrete Vorbereitungshandlungen der Arbeitsaufnahme selbst noch ein vorbehaltloses, zur Verwirklichung geeignetes Arbeitsangebot bieten eine Grundlage, im vorliegenden Rechtsstreit einen Eintritt in die Versicherungspflichtige Beschäftigung anzunehmen. Stattdessen ereigneten sich alle Hinderungsgründe für die Arbeitsaufnahme nach dem eigenen Vortrag der Klägerin noch während der Zeit der Beschäftigung als Lehramtsreferendarin.

Die Feststellung ist daher zu Recht erfolgt, daß die Klägerin nicht wirksam Mitglied der Beklagten geworden ist.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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