Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 9 Kr 133/76
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kr 255/79
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Krankenkasse hat dem Versicherten auch bei Verletzung von Betreuungs- und Aufklärungspflichten oder bei Verletzung der Sicherstellungspflicht aus § 368 RVO nicht die Kosten zu erstatten, die er für, die Behandlung eines privat in Anspruch genommenen Diplom-Psychologen aufgewendet hat.
2. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch steht dem Versicherten grundsätzlich nicht zu, weil dieser Anspruch nicht auf eine Leistung gerichtet sein kann, für die das Gesetz keinerlei Grundlage bietet (Abweichung von BSG 1979-11-28 – 3 RK 64/77 – SozR 2200 § 182 Nr. 57 und 1981-02-18 – 3 RK 34/79).
2. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch steht dem Versicherten grundsätzlich nicht zu, weil dieser Anspruch nicht auf eine Leistung gerichtet sein kann, für die das Gesetz keinerlei Grundlage bietet (Abweichung von BSG 1979-11-28 – 3 RK 64/77 – SozR 2200 § 182 Nr. 57 und 1981-02-18 – 3 RK 34/79).
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 1978 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für eine verhaltenstherapeutische Behandlung durch einen Diplom-Psychologen.
Der Kläger ist bei der Beklagten pflichtversichert mit Anspruch auf Familienhilfe für seinen 1961 geborenen Sohn H.-P ... Am 23. September 1975 ging bei der Beklagten das privatärztliche Attest des Kassenarztes Dr. K. vom 9. September 1975 ein, worin ausgeführt wird, daß der Sohn des Klägers in letzter Zeit erhebliche Verhaltensstörungen zeige und sich weigere, zur Schule zu gehen; bei dem organisch gesunden Jungen handele es sich zweifellos um seelische Probleme, die dringend einer psychotherapeutischen Behandlung bedürften. Der Kläger legte ferner eine Rechnung des Diplom-Psychologen S. vom 18. September 1975 für eine testpsychologische Untersuchung des Sohnes H.-P. am 8. September 1975 und eine Elternberatung am 15. September 1975 in Höhe von 200,– DM vor. Gleichzeitig überreichte er eine Bescheinigung des Diplom-Psychologen S. vom 18. September 1975 "zur Vorlage bei der Krankenkasse”, die folgenden Inhalt hat:
"Wie neben einer ärztlichen Untersuchung auch eine eingehende psychologische Untersuchung ergab, bedarf H.-P. dringend einer Verhaltens therapeutischen Psychotherapie. Es werden voraussichtlich 90 Sitzungen à mindestens 20 Minuten benötigt. Unser Honorar pro Sitzung beträgt 20,– DM. Die im Falle von H.-P. F. durchzuführende Therapie entspricht der GOÄ-Ziff. 2559”.
Die Beklagte reichte dem Kläger die Rechnung unter dem 26. September 1975 mit dem Bemerken zurück, daß Diplom-Psychologen nicht zu dem Personenkreis gehörten, die Untersuchungen oder Behandlungen im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung durchführen dürften. Die Kosten einer Untersuchung oder Behandlung könnten daher nicht übernommen werden. Für die Behandlung seines Sohnes beim Diplom-Psychologen S. vom 8. September 1975 bis April 1976 entstanden dem Kläger Kosten in Höhe von insgesamt 2.350,– DM. Mit am 2. August 1976 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben bat er durch seinen Prozeßbevollmächtigten um einen rechtsmittelfähigen Bescheid, den die Beklagte am 3. August 1976 erteilte. Den am 23. August 1976 eingelegten Widerspruch, zu dessen Begründung der Kläger einen Bericht des Zentrums der Psychiatrie des Klinikums der J.-Universität F. vom 9. Januar 1976 mit der Diagnose "Schulphobie” vorlegte, wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 24. September 1976 – dem Kläger zugestellt am 30. September 1976 – zurück.
Die am 25. Oktober 1976 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main durch Urteil vom 1. Dezember 1978 abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Bei der psychotherapeutischen Behandlung durch den Diplom-Psychologen S. handele es sich weder um eine der Krankenkasse gemäß § 182 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) obliegende Maßnahme der Krankenpflege noch um eine Notfallbehandlung nach § 368 Abs. 1 Satz 2 RVO. Der Kläger habe auch gar nicht den Versuch unternommen, einen Arzt aufzusuchen, der gleichzeitig Psychotherapeut sei, sondern sich sofort an den Diplom-Psychologen S. gewandt.
Gegen das seinem Prozeßbevollmächtigten am 20. Februar 1979 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. März 1979 Berufung eingelegt. Er trägt vor: Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. November 1979 – 3 RK-64/77 – sei die Krankenkasse verpflichtet, dem Versicherten den Weg zu einer psychotherapeutischen Behandlung als Kassenleistung aufzuzeigen. Dieser Verpflichtung sei die Beklagte nicht nachgekommen, obgleich Art, Umfang und zu erwartende Kosten der erforderlichen verhaltenstherapeutischen Maßnahme aus den ihr eingereichten Bescheinigungen unzweideutig zu ersehen gewesen seien. Es sei auch nicht richtig, daß er sich sofort an den Diplom-Psychologen S. gewandt habe. Am 26. August 1975 habe er seinen Sohn zunächst der Erziehungsberatung der C. in O. vorgestellt, wo ihm eine psychologische Untersuchung und Behandlung seines Sohnes dringend angeraten worden sei. Nach der Diagnosestellung des Dr. K. am 9. September 1975 habe er sich zum Gesundheitsamt der Stadt O. zu einem Herrn Sch. begeben, der ihn an die Psychologische Beratungsstelle in O. verwiesen habe. Dort habe man ihm erklärt, daß eine Behandlung durch die Psychologische Beratungsstelle nicht möglich sei; er möge zum Diplom-Psychologen S. gehen. Er selbst habe niemals nur eine "privatärztliche Behandlung” begehrt. Von Seiten der C.-Beratungsstelle und des Gesundheitsamtes O. sei ihm vielmehr mitgeteilt worden, daß Kassenärzte die bei seinem Sohn erforderliche Behandlung nicht bzw. nicht in angemessener Zeit durchzuführen bereit seien. Daß bei den zugelassenen Kassenärzten für eine psychotherapeutische Behandlung Wartezeiten von 1 Jahr und länger bestünden, sei außerdem hinlänglich bekannt. Es müsse davon ausgegangen werden, daß auch die Beklagte oder die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung keinen Psychotherapeuten hätten benennen können, der bereit und in der Lage gewesen wäre, die Behandlung in angemessener Zeit durchzuführen. Nach Erhalt des Ablehnungsschreibens vom 26. September 1975 sei es aus seiner Sicht jedenfalls völlig aussichtslos gewesen, nochmals bei der Beklagten vorzusprechen und sich um eine verhaltenstherapeutische Behandlung durch einen Kassenarzt zu bemühen, da die Beklagte in diesem Schreiben unzweideutig habe erkennen lassen, daß sie selbst keine andere Möglichkeit der Leistungsgewährung sehe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 1978 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. August 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die verhaltenstherapeutische Behandlung seines Sohnes H.-P. durch den Diplom-Psychologen S. zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, die Kosten für die verhaltenstherapeutische Behandlung des Kindes H.-P F. bei dem Diplom-Psychologen S. aus der Kassenärztlichen Gesamtvergütung zu bezahlen.
Anders als in dem vom BSG am 28. November 1979 entschiedenen Fall habe der Kläger keine Kostenübernahme für die Fortführung einer psychotherapeutischen Behandlung, sondern den Umständen nach von Anfang an eine privatärztliche Behandlung begehrt. Erst nach Konsultation des Diplom-Psychologen S. habe er sich um ein privatärztliches Attest des Dr. K. bemüht. Auch dem Ablehnungsbescheid habe er fast 11 Monate nicht widersprochen. Um Rat sei sie niemals gefragt worden, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Der Kläger könne nun nicht den Eindruck erwecken, als ob er überall um den Rat nachgesucht habe, der ihm von ihr – der Beklagten – versagt worden sei. Sofern sie Anlaß zu der Annahme gehabt hätte, daß der Kläger für seinen Sohn eine Kassenleistung in Anspruch habe nehmen wollen, hätte sie ihm ein Ärzteverzeichnis mit den berechtigten ärztlichen Psychotherapeuten zur Verfügung gestellt oder ihn an die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung Hessen verwiesen. Seinerzeit wären auf Grund der Ermächtigung zur "Großen Psychotherapie” im Kassenbezirk fünf Ärzte in Betracht gekommen.
Die Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Hilfsantrag der Beklagten zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen,
hilfsweise,
darüber Beweis zu erheben, daß sich der Kläger um die Behandlung durch Kassenärzte bei zugelassenen Kassenärzten bemüht hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere auf den der Kassenakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG–). Der mit der Berufung verfolgte Anspruch betrifft Leistungen der Krankenpflege im Rahmen einer einheitlichen, sich über einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen (3 Monaten) erstreckenden Behandlung und damit wiederkehrende Leistungen in einem die Grenze des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG überschreitenden Umfang (BSGE 19, 270).
In der Sache konnte die Berufung jedoch keinen Erfolg haben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für die ohne Krankenschein in Anspruch genommene, selbstbeschaffte psychotherapeutische Behandlung seines Sohnes durch den Diplom-Psychologen S ... Das System der deutschen sozialen Krankenversicherung wird nicht vom Kostenerstattungs-, sondern vom Sachleistungsprinzip geprägt. Eine wahlweise Möglichkeit der Privatbehandlung auf eigene Kosten und nachfolgende Kostenerstattung ist diesem System fremd. Eine Kostenerstattung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn eine Notfallversorgung im Sinne des § 368 d RVO vorliegt oder der Krankenversicherungsträger die Sachleistung zuvor rechtswidrig abgelehnt hat oder nicht in der Lage war, sie zu erbringen und der Versicherte deshalb gezwungen war, vom regelmäßigen Beschaffungswege abzuweichen (vgl. hierzu BSGE 42, 117; SozR 2200 § 508 Nr. 2; SozR 2200 § 184 Nrn. 4, 13; SozR 2200 § 182 Nr. 32). Grundvoraussetzung für eine Kostenerstattung ist dabei jedoch immer, daß die Maßnahme, für die die Erstattung begehrt wird, vom Versicherungsträger als Sachleistung hätte erbracht werden müssen, und es sich also um eine gesetzlich vorgesehene Leistung handelt. Schon daran fehlt es aber hier.
Bei der verhaltenstherapeutischen Behandlung durch den Diplom-Psychologen S. handelt es sich um die Behandlung eines Nicht-Arztes, die dieser ohne ärztliche Anordnung, Leitung und Überwachung selbständig durchgeführt hat. Soweit in dem privatärztlichen Attest des Kassenarztes Dr. K. eine psychotherapeutische Behandlung als erforderlich bezeichnet wird, erfolgte damit keine Delegation auf den Diplom-Psychologen S., sondern es wird nur allgemein zur Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer psychotherapeutischen Behandlung Stellung genommen. Das SG hat zutreffend entschieden, daß eine derart selbständige Behandlung durch einen nichtärztlichen Diplom-Psychologen keine der Krankenkasse im Rahmen der Familienkrankenhilfe (§ 205 Abs. 1 RVO) nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO obliegende Leistung der Krankenpflege ist. Das ist ständige Rechtsprechung des BSG und des erkennenden Senats (vgl. BSG, SozR 2200 § 368 Nr. 4; SozR 2200 § 182 Nrn. 47, 48, 57; Urteile vom 25. Juli 1979 – 3 RK-97/78 –; 25. September 1979 – 3 RK-7/79 –; 28. November 1979 – 3 RK-11/79 –; 28. Februar 1980 – 8 a RK-13/79 – und vom 18. Februar 1981 – 3 RK-34/79 –; Hessisches Landessozialgericht –HLSG– vom 18. März 1981 – L-8/Kr-1040/80 – und vom 21. Januar 1981 – L-8/Kr-289/79 –). Denn eine solche Maßnahme stellt weder eine ärztliche Behandlung im Sinne von § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a RVO i.Verb.m. § 122 Abs. 1 Satz 1 RVO, d.h. eine Behandlung durch einen zugelassenen (approbierten) Arzt oder eine ärztlich angeordnete Hilfeleistung durch einen Angehörigen eines Heilhilfsberufs oder die Hilfeleistung eines solchen Angehörigen in einem dringenden Fall im Sinne von § 122 Abs. 1 Satz 2 RVO dar (BSG, a.a.O. und SozR 2200 § 508 Nr. 12), noch ist sie der Versorgung mit einem Heilmittel im Sinne von § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchs, b RVO zuzuordnen. Aus dem Wort "insbesondere” in § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO geht zwar hervor, daß die Aufzählung der wesentlichen, zur Krankenpflege gehörenden Leistungen nicht abschließend ist. Dadurch ist jedoch lediglich der Leistungsumfang im Rahmen der jeweiligen Leistungsgruppen des § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a–f um andere, auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Erkennungs- und Therapiemethoden erweitert worden. Hingegen ist nichts für eine Absicht des Gesetzgebers zu ersehen, durch des Wort "insbesondere” auch das "wie” der Leistungsgewährung zu regeln und eine Leistungserbringung durch nichtärztliche Berufe zu ermöglichen (u.a. BSG vom 25. September 1979 – 3 RK-7/79 –). Dieser Ausschluß der "Nicht-Ärzte” von der selbständigen Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung dient nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat angeschlossen hat (a.a.O.), dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen und ist mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar.
Die vom Kläger begehrte Erstattung der Kosten für den Diplom-Psychologen S. läßt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs mit Rücksicht auf den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben erreichen. Nach diesem von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsinstitut (vgl. u.a. BSGE 41, 126) ist unter bestimmten Gegebenheiten, nämlich bei pflichtwidriger Verletzung von Pflichten, die im Verantwortungsbereich des Versicherungsträgers liegen, eine sozialrechtliche Voraussetzung als erfüllt anzusehen, sofern sie vom Versicherten nur infolge der Pflichtwidrigkeit des Versicherungsträgers tatsächlich nicht erfüllt wurde. Es ist jedoch anerkannt und ständige Rechtsprechung des BSG, daß im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs immer nur ein Zustand herbeigeführt werden kann, der dem Gesetz entspricht (vgl. u.a. BSGE 44, 114; 49, 76; SozR 2200 § 886 Nr. 1; SozR 4100 § 44 Nr. 9; Urteile vom 24. April 1980 – 1 RA-33/79 – und vom 10. Dezember 1980 – 7 RAr-14/78 –). Diese Grenzen sind auch dort nicht überschritten worden, wo die Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes durch einen im Gesetz an sich nicht vorgesehenen Verwaltungsakt für zulässig und geboten erachtet wurde (so z.B. BSGE 50, 12). Die Vornahme einer gesetzwidrigen Amtshandlung bzw. die Bewilligung einer Leistung, die auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Versicherungsträgers nicht erbracht werden könnte oder die ihrer Art nach im Gesetz nicht vorgesehen ist, kann hingegen nicht begehrt werden. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß auch in der Krankenversicherung im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Sachleistungsanspruch sich ausnahmsweise in einen Kostenerstattungsanspruch umwandelt, stets darauf abgestellt wurde, ob der Gegenstand, für den die Kostenerstattung begehrt wird, zu den Leistungen gehört, zu deren Erbringung der Versicherungsträger von Gesetzes wegen verpflichtet ist (u.a. BSG, SozR 2200 § 184 Nr. 4; 2200 § 182 Nr. 32). Das ist hier deshalb bedeutsam, weil die ausnahmsweise Zubilligung eines Kostenerstattungsanspruchs über den Fall des § 368 d Abs. 1 Satz 2 RVO hinaus (bereits) auf dem für den öffentlichrechtlichen Nachteilsausgleich wesentlichen Rechtsstaatsprinzip beruht. Zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen Leistung würde die Beklagte hier jedoch verpflichtet, wenn sie entgegen den dargelegten Bestimmungen der RVO die Kosten für die nichtärztliche psychotherapeutische Behandlung des Sohnes des Klägers übernehmen müßte.
Der 3. Senat des BSG hat in zwei Entscheidungen (Urteile vom 28. November 1979 – 3 RK-64/77 – = SozR 2200 § 182 Nr. 57 und 18. Februar 1981 – 3 RK-34/79 –) in denen – wie hier – im Zeitpunkt des Antrags auf Kostenerstattung die Behandlung noch nicht abgeschlossen war, einen Herstellungsanspruch allerdings für möglich erachtet, wenn den Umständen nach angenommen werden kann, daß der Versicherte bei entsprechender Beratung durch den Versicherungsträger zumindest hilfsweise eine psychotherapeutische Behandlung durch einen dazu berechtigten Arzt bzw. durch einen vom Arzt zugezogenen nichtärztlichen Therapeuten beantragt hätte. Daß ein fehlender Antrag im Wege des öffentlich-rechtlichen Herstellungsanspruchs bei einem pflichtwidrigen und für das Unterlassen ursächlichen Verhalten des Versicherungsträgers ersetzt werden kann, ist auch sonst anerkannt. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 18. Februar 1981 a.a.O. dann aber weiter ausgeführt, daß bei einer derartigen, den Antrag auf die zulässige Sachleistung hindernden Pflichtwidrigkeit die Kosten für den Nicht-Arzt zu ersetzen sind, wenn der Versicherungsträger dem Versicherten nicht auch konkret einen behandlungsfähigen und behandlungsbereiten Arzt benennt oder deshalb nicht benennen kann, weil unter Verstoß gegen die Sicherstellungspflicht aus § 368 RVO eine Unterversorgung besteht, der Versicherte deswegen die Behandlung durch den Nicht-Arzt wählt bzw. fortsetzt und dessen Leistungen einer Maßnahme gleichgestellt werden können, die auch im Rahmen einer ärztlichen Behandlung, nach der RVO zu erbringen ist (ähnlich auch Urteil vom 9. September 1981 – 3 RK-20/80 – zu § 184 a RVO). Außerdem wird die Zumutbarkeit des Wechsels zu einem anderen Behandler als Beurteilungskriterium genannt, und es soll ein Kostenvergleich stattfinden. Damit wird im Ergebnis der Grundsatz verlassen, daß im Wege des Herstellungsanspruchs nur ein gesetzmäßiger Zustand geschaffen werden kann. Denn der 3. Senat des BSG verzichtet in diesen Entscheidungen letztendlich auf das zuvor und auch in zahlreichen anderen Urteilen als unverzichtbaren Kernbestandteil kassenärztlicher Versorgung hervorgehobene Prinzip, daß die Leistung "ärztliche Behandlung” nur durch einen approbierten Arzt erfolgen kann und läßt die Qualität – den vergleichbaren Leistungsinhalt – der Krankheitsbehandlung ausreichen. Insbesondere ist weder – was ggf. naheliegend gewesen wäre – der Gedanke der Notfallbehandlung ergänzend und analog auf nichtärztliche Behandlungen erstreckt worden noch ist – wie im Zusammenhang mit anderen Leistungen – der Gedanke des wichtigen Grundes (vgl. BSG, SozR 2200 § 184 Nr. 2 für Transportkosten) oder der Gleichwertigkeit der Maßnahme (BSG, SozR 2200 § 185 Nr. 4, wo dies für den Fall der häuslichen Krankenpflege aus dem Gesetz hergeleitet wurde) allgemein als Kriterium anerkannt worden, unter denen das Gesetz eine Behandlung durch einen Nicht-Arzt zuläßt. Ein Kostenerstattungsanspruch könnte sich danach allenfalls dann ergeben, wenn nicht nur bestimmte Voraussetzungen dafür, nämlich der Antrag des Versicherten auf die Sachleistung und deren Verweigerung durch den Versicherungsträger vorliegen bzw. als vorliegend anzuerkennen sind, sondern wenn der Versicherte außerdem nach dem Grundsatz von Treu und Glauben so zu stellen ist, als ob er eine psychotherapeutische Behandlung durch einen Arzt vorgenommen hätte. Das ist nach Auffassung des Senats jedoch nicht möglich. Die Behandlung durch einen Arzt ist eine gesetzliche Voraussetzung für den Anspruch, die tatsächlich vorgelegen haben muß. Sie ist grundsätzlich und auch hinsichtlich ihrer Einzelheiten der Gestaltung und Einflußnahme des Versicherungsträgers entzogen; die Wahl des Arztes liegt beim Versicherten, die Art, Weise und Dauer der Behandlung beim Arzt (BSG, SozR 2200 § 508 Nr. 2). Sie ist infolgedessen auch nicht durch eine Amtshandlung herstellbar (vgl. für das Tatbestandsmerkmal "deutsche Staatsangehörigkeit” Urteil des BSG vom 13. Mai 1980 – 12 RK-18/79 –; für das Tatbestandsmerkmal "Lohnsteuerklasse” Urteil vom 10. Dezember 1980 – 7 RAr-14/78 –). Hier ist noch einmal hervorzuheben, daß das Institut des Herstellungsanspruchs aus dem Rechtsstaatsprinzip entwickelt wurde: Es soll der Zustand hergestellt werden, der bei ordnungsgemäßem Vorgehen der Verwaltung dem Gesetz entsprechend herbeigeführt worden wäre. Nur daraus rechtfertigt sich auch, daß der Herstellungsanspruch unabhängig davon besteht, ob die Verwaltung ein Verschulden trifft (vgl. BSGE 49, 76). Darüber hinausgehende Bedürfnisse nach Ausgleich von Nachteilen, die dem Versicherten entstehen, können nur unter den erschwerten Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs (der ein Verschulden voraussetzt) zu Lasten der Kasse ausgeglichen werden.
Der Senat ist nach alledem der Auffassung, daß das Begehren des Klägers auch nicht über die Konstruktion des Herstellungsanspruchs begründbar ist. Vielmehr ist es, da es nur auf die Erstattung von Kosten für eine nicht als Krankenpflege zu gewährende Leistung gerichtet sein kann und tatsächlich auch gerichtet ist, nur im Wege eines auf Geldleistung gerichteten Amtshaftungsanspruchs verfolgbar, über den gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (BSGE 44, 114). Dem zitierten Urteil des BSG vom 18. Februar 1981 ist im übrigen nicht zu entnehmen, worauf dort der Herstellungsanspruch letztlich gestützt wird. Sollte der 3. Senat des BSG die maßgebliche Pflichtverletzung in der Unterversorgung gesehen haben, so würde dies bedeuten, daß (im Wege des Herstellungsanspruchs) generell über den gesetzlichen Rahmen hinaus neue Leistungen eingeführt würden. Sollte der 3. Senat des BSG jedoch in dem Beratungsfehler den maßgeblichen Umstand gesehen haben, so würde dies zu unvertretbaren Ungleichbehandlungen führen; denn der Anspruch hinge dann (bei bestehender Unversorgung) allein davon ob, daß zu Beginn oder während der Behandlung – zufällig – noch eine individuelle, für das Ergebnis aber letztlich bedeutungslose und auch nicht ursächliche Nachlässigkeit des Versicherungsträgers festzustellen ist. Außerdem bleibt auch hier, daß gesetzlich nicht vorgesehene Leistungen gewahrt werden sollen. Die Berufung darauf kann dem Versicherungsträger nicht allein deshalb verwehrt werden, weil es zu Pflichtverletzungen gekommen ist (so Urteil des BSG vom 9. September 1981 – 3 RK 20/80 zu § 184 a RVO). In diesem Falle wäre der Amtshaftungsanspruch überflüssig.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 1 SGG.
II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für eine verhaltenstherapeutische Behandlung durch einen Diplom-Psychologen.
Der Kläger ist bei der Beklagten pflichtversichert mit Anspruch auf Familienhilfe für seinen 1961 geborenen Sohn H.-P ... Am 23. September 1975 ging bei der Beklagten das privatärztliche Attest des Kassenarztes Dr. K. vom 9. September 1975 ein, worin ausgeführt wird, daß der Sohn des Klägers in letzter Zeit erhebliche Verhaltensstörungen zeige und sich weigere, zur Schule zu gehen; bei dem organisch gesunden Jungen handele es sich zweifellos um seelische Probleme, die dringend einer psychotherapeutischen Behandlung bedürften. Der Kläger legte ferner eine Rechnung des Diplom-Psychologen S. vom 18. September 1975 für eine testpsychologische Untersuchung des Sohnes H.-P. am 8. September 1975 und eine Elternberatung am 15. September 1975 in Höhe von 200,– DM vor. Gleichzeitig überreichte er eine Bescheinigung des Diplom-Psychologen S. vom 18. September 1975 "zur Vorlage bei der Krankenkasse”, die folgenden Inhalt hat:
"Wie neben einer ärztlichen Untersuchung auch eine eingehende psychologische Untersuchung ergab, bedarf H.-P. dringend einer Verhaltens therapeutischen Psychotherapie. Es werden voraussichtlich 90 Sitzungen à mindestens 20 Minuten benötigt. Unser Honorar pro Sitzung beträgt 20,– DM. Die im Falle von H.-P. F. durchzuführende Therapie entspricht der GOÄ-Ziff. 2559”.
Die Beklagte reichte dem Kläger die Rechnung unter dem 26. September 1975 mit dem Bemerken zurück, daß Diplom-Psychologen nicht zu dem Personenkreis gehörten, die Untersuchungen oder Behandlungen im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung durchführen dürften. Die Kosten einer Untersuchung oder Behandlung könnten daher nicht übernommen werden. Für die Behandlung seines Sohnes beim Diplom-Psychologen S. vom 8. September 1975 bis April 1976 entstanden dem Kläger Kosten in Höhe von insgesamt 2.350,– DM. Mit am 2. August 1976 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben bat er durch seinen Prozeßbevollmächtigten um einen rechtsmittelfähigen Bescheid, den die Beklagte am 3. August 1976 erteilte. Den am 23. August 1976 eingelegten Widerspruch, zu dessen Begründung der Kläger einen Bericht des Zentrums der Psychiatrie des Klinikums der J.-Universität F. vom 9. Januar 1976 mit der Diagnose "Schulphobie” vorlegte, wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 24. September 1976 – dem Kläger zugestellt am 30. September 1976 – zurück.
Die am 25. Oktober 1976 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main durch Urteil vom 1. Dezember 1978 abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Bei der psychotherapeutischen Behandlung durch den Diplom-Psychologen S. handele es sich weder um eine der Krankenkasse gemäß § 182 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) obliegende Maßnahme der Krankenpflege noch um eine Notfallbehandlung nach § 368 Abs. 1 Satz 2 RVO. Der Kläger habe auch gar nicht den Versuch unternommen, einen Arzt aufzusuchen, der gleichzeitig Psychotherapeut sei, sondern sich sofort an den Diplom-Psychologen S. gewandt.
Gegen das seinem Prozeßbevollmächtigten am 20. Februar 1979 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. März 1979 Berufung eingelegt. Er trägt vor: Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. November 1979 – 3 RK-64/77 – sei die Krankenkasse verpflichtet, dem Versicherten den Weg zu einer psychotherapeutischen Behandlung als Kassenleistung aufzuzeigen. Dieser Verpflichtung sei die Beklagte nicht nachgekommen, obgleich Art, Umfang und zu erwartende Kosten der erforderlichen verhaltenstherapeutischen Maßnahme aus den ihr eingereichten Bescheinigungen unzweideutig zu ersehen gewesen seien. Es sei auch nicht richtig, daß er sich sofort an den Diplom-Psychologen S. gewandt habe. Am 26. August 1975 habe er seinen Sohn zunächst der Erziehungsberatung der C. in O. vorgestellt, wo ihm eine psychologische Untersuchung und Behandlung seines Sohnes dringend angeraten worden sei. Nach der Diagnosestellung des Dr. K. am 9. September 1975 habe er sich zum Gesundheitsamt der Stadt O. zu einem Herrn Sch. begeben, der ihn an die Psychologische Beratungsstelle in O. verwiesen habe. Dort habe man ihm erklärt, daß eine Behandlung durch die Psychologische Beratungsstelle nicht möglich sei; er möge zum Diplom-Psychologen S. gehen. Er selbst habe niemals nur eine "privatärztliche Behandlung” begehrt. Von Seiten der C.-Beratungsstelle und des Gesundheitsamtes O. sei ihm vielmehr mitgeteilt worden, daß Kassenärzte die bei seinem Sohn erforderliche Behandlung nicht bzw. nicht in angemessener Zeit durchzuführen bereit seien. Daß bei den zugelassenen Kassenärzten für eine psychotherapeutische Behandlung Wartezeiten von 1 Jahr und länger bestünden, sei außerdem hinlänglich bekannt. Es müsse davon ausgegangen werden, daß auch die Beklagte oder die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung keinen Psychotherapeuten hätten benennen können, der bereit und in der Lage gewesen wäre, die Behandlung in angemessener Zeit durchzuführen. Nach Erhalt des Ablehnungsschreibens vom 26. September 1975 sei es aus seiner Sicht jedenfalls völlig aussichtslos gewesen, nochmals bei der Beklagten vorzusprechen und sich um eine verhaltenstherapeutische Behandlung durch einen Kassenarzt zu bemühen, da die Beklagte in diesem Schreiben unzweideutig habe erkennen lassen, daß sie selbst keine andere Möglichkeit der Leistungsgewährung sehe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 1978 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. August 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die verhaltenstherapeutische Behandlung seines Sohnes H.-P. durch den Diplom-Psychologen S. zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, die Kosten für die verhaltenstherapeutische Behandlung des Kindes H.-P F. bei dem Diplom-Psychologen S. aus der Kassenärztlichen Gesamtvergütung zu bezahlen.
Anders als in dem vom BSG am 28. November 1979 entschiedenen Fall habe der Kläger keine Kostenübernahme für die Fortführung einer psychotherapeutischen Behandlung, sondern den Umständen nach von Anfang an eine privatärztliche Behandlung begehrt. Erst nach Konsultation des Diplom-Psychologen S. habe er sich um ein privatärztliches Attest des Dr. K. bemüht. Auch dem Ablehnungsbescheid habe er fast 11 Monate nicht widersprochen. Um Rat sei sie niemals gefragt worden, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Der Kläger könne nun nicht den Eindruck erwecken, als ob er überall um den Rat nachgesucht habe, der ihm von ihr – der Beklagten – versagt worden sei. Sofern sie Anlaß zu der Annahme gehabt hätte, daß der Kläger für seinen Sohn eine Kassenleistung in Anspruch habe nehmen wollen, hätte sie ihm ein Ärzteverzeichnis mit den berechtigten ärztlichen Psychotherapeuten zur Verfügung gestellt oder ihn an die beigeladene Kassenärztliche Vereinigung Hessen verwiesen. Seinerzeit wären auf Grund der Ermächtigung zur "Großen Psychotherapie” im Kassenbezirk fünf Ärzte in Betracht gekommen.
Die Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Hilfsantrag der Beklagten zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen,
hilfsweise,
darüber Beweis zu erheben, daß sich der Kläger um die Behandlung durch Kassenärzte bei zugelassenen Kassenärzten bemüht hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere auf den der Kassenakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG–). Der mit der Berufung verfolgte Anspruch betrifft Leistungen der Krankenpflege im Rahmen einer einheitlichen, sich über einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen (3 Monaten) erstreckenden Behandlung und damit wiederkehrende Leistungen in einem die Grenze des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG überschreitenden Umfang (BSGE 19, 270).
In der Sache konnte die Berufung jedoch keinen Erfolg haben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für die ohne Krankenschein in Anspruch genommene, selbstbeschaffte psychotherapeutische Behandlung seines Sohnes durch den Diplom-Psychologen S ... Das System der deutschen sozialen Krankenversicherung wird nicht vom Kostenerstattungs-, sondern vom Sachleistungsprinzip geprägt. Eine wahlweise Möglichkeit der Privatbehandlung auf eigene Kosten und nachfolgende Kostenerstattung ist diesem System fremd. Eine Kostenerstattung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn eine Notfallversorgung im Sinne des § 368 d RVO vorliegt oder der Krankenversicherungsträger die Sachleistung zuvor rechtswidrig abgelehnt hat oder nicht in der Lage war, sie zu erbringen und der Versicherte deshalb gezwungen war, vom regelmäßigen Beschaffungswege abzuweichen (vgl. hierzu BSGE 42, 117; SozR 2200 § 508 Nr. 2; SozR 2200 § 184 Nrn. 4, 13; SozR 2200 § 182 Nr. 32). Grundvoraussetzung für eine Kostenerstattung ist dabei jedoch immer, daß die Maßnahme, für die die Erstattung begehrt wird, vom Versicherungsträger als Sachleistung hätte erbracht werden müssen, und es sich also um eine gesetzlich vorgesehene Leistung handelt. Schon daran fehlt es aber hier.
Bei der verhaltenstherapeutischen Behandlung durch den Diplom-Psychologen S. handelt es sich um die Behandlung eines Nicht-Arztes, die dieser ohne ärztliche Anordnung, Leitung und Überwachung selbständig durchgeführt hat. Soweit in dem privatärztlichen Attest des Kassenarztes Dr. K. eine psychotherapeutische Behandlung als erforderlich bezeichnet wird, erfolgte damit keine Delegation auf den Diplom-Psychologen S., sondern es wird nur allgemein zur Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer psychotherapeutischen Behandlung Stellung genommen. Das SG hat zutreffend entschieden, daß eine derart selbständige Behandlung durch einen nichtärztlichen Diplom-Psychologen keine der Krankenkasse im Rahmen der Familienkrankenhilfe (§ 205 Abs. 1 RVO) nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO obliegende Leistung der Krankenpflege ist. Das ist ständige Rechtsprechung des BSG und des erkennenden Senats (vgl. BSG, SozR 2200 § 368 Nr. 4; SozR 2200 § 182 Nrn. 47, 48, 57; Urteile vom 25. Juli 1979 – 3 RK-97/78 –; 25. September 1979 – 3 RK-7/79 –; 28. November 1979 – 3 RK-11/79 –; 28. Februar 1980 – 8 a RK-13/79 – und vom 18. Februar 1981 – 3 RK-34/79 –; Hessisches Landessozialgericht –HLSG– vom 18. März 1981 – L-8/Kr-1040/80 – und vom 21. Januar 1981 – L-8/Kr-289/79 –). Denn eine solche Maßnahme stellt weder eine ärztliche Behandlung im Sinne von § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a RVO i.Verb.m. § 122 Abs. 1 Satz 1 RVO, d.h. eine Behandlung durch einen zugelassenen (approbierten) Arzt oder eine ärztlich angeordnete Hilfeleistung durch einen Angehörigen eines Heilhilfsberufs oder die Hilfeleistung eines solchen Angehörigen in einem dringenden Fall im Sinne von § 122 Abs. 1 Satz 2 RVO dar (BSG, a.a.O. und SozR 2200 § 508 Nr. 12), noch ist sie der Versorgung mit einem Heilmittel im Sinne von § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchs, b RVO zuzuordnen. Aus dem Wort "insbesondere” in § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO geht zwar hervor, daß die Aufzählung der wesentlichen, zur Krankenpflege gehörenden Leistungen nicht abschließend ist. Dadurch ist jedoch lediglich der Leistungsumfang im Rahmen der jeweiligen Leistungsgruppen des § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a–f um andere, auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Erkennungs- und Therapiemethoden erweitert worden. Hingegen ist nichts für eine Absicht des Gesetzgebers zu ersehen, durch des Wort "insbesondere” auch das "wie” der Leistungsgewährung zu regeln und eine Leistungserbringung durch nichtärztliche Berufe zu ermöglichen (u.a. BSG vom 25. September 1979 – 3 RK-7/79 –). Dieser Ausschluß der "Nicht-Ärzte” von der selbständigen Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung dient nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat angeschlossen hat (a.a.O.), dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen und ist mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar.
Die vom Kläger begehrte Erstattung der Kosten für den Diplom-Psychologen S. läßt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs mit Rücksicht auf den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben erreichen. Nach diesem von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsinstitut (vgl. u.a. BSGE 41, 126) ist unter bestimmten Gegebenheiten, nämlich bei pflichtwidriger Verletzung von Pflichten, die im Verantwortungsbereich des Versicherungsträgers liegen, eine sozialrechtliche Voraussetzung als erfüllt anzusehen, sofern sie vom Versicherten nur infolge der Pflichtwidrigkeit des Versicherungsträgers tatsächlich nicht erfüllt wurde. Es ist jedoch anerkannt und ständige Rechtsprechung des BSG, daß im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs immer nur ein Zustand herbeigeführt werden kann, der dem Gesetz entspricht (vgl. u.a. BSGE 44, 114; 49, 76; SozR 2200 § 886 Nr. 1; SozR 4100 § 44 Nr. 9; Urteile vom 24. April 1980 – 1 RA-33/79 – und vom 10. Dezember 1980 – 7 RAr-14/78 –). Diese Grenzen sind auch dort nicht überschritten worden, wo die Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes durch einen im Gesetz an sich nicht vorgesehenen Verwaltungsakt für zulässig und geboten erachtet wurde (so z.B. BSGE 50, 12). Die Vornahme einer gesetzwidrigen Amtshandlung bzw. die Bewilligung einer Leistung, die auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Versicherungsträgers nicht erbracht werden könnte oder die ihrer Art nach im Gesetz nicht vorgesehen ist, kann hingegen nicht begehrt werden. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß auch in der Krankenversicherung im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Sachleistungsanspruch sich ausnahmsweise in einen Kostenerstattungsanspruch umwandelt, stets darauf abgestellt wurde, ob der Gegenstand, für den die Kostenerstattung begehrt wird, zu den Leistungen gehört, zu deren Erbringung der Versicherungsträger von Gesetzes wegen verpflichtet ist (u.a. BSG, SozR 2200 § 184 Nr. 4; 2200 § 182 Nr. 32). Das ist hier deshalb bedeutsam, weil die ausnahmsweise Zubilligung eines Kostenerstattungsanspruchs über den Fall des § 368 d Abs. 1 Satz 2 RVO hinaus (bereits) auf dem für den öffentlichrechtlichen Nachteilsausgleich wesentlichen Rechtsstaatsprinzip beruht. Zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen Leistung würde die Beklagte hier jedoch verpflichtet, wenn sie entgegen den dargelegten Bestimmungen der RVO die Kosten für die nichtärztliche psychotherapeutische Behandlung des Sohnes des Klägers übernehmen müßte.
Der 3. Senat des BSG hat in zwei Entscheidungen (Urteile vom 28. November 1979 – 3 RK-64/77 – = SozR 2200 § 182 Nr. 57 und 18. Februar 1981 – 3 RK-34/79 –) in denen – wie hier – im Zeitpunkt des Antrags auf Kostenerstattung die Behandlung noch nicht abgeschlossen war, einen Herstellungsanspruch allerdings für möglich erachtet, wenn den Umständen nach angenommen werden kann, daß der Versicherte bei entsprechender Beratung durch den Versicherungsträger zumindest hilfsweise eine psychotherapeutische Behandlung durch einen dazu berechtigten Arzt bzw. durch einen vom Arzt zugezogenen nichtärztlichen Therapeuten beantragt hätte. Daß ein fehlender Antrag im Wege des öffentlich-rechtlichen Herstellungsanspruchs bei einem pflichtwidrigen und für das Unterlassen ursächlichen Verhalten des Versicherungsträgers ersetzt werden kann, ist auch sonst anerkannt. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 18. Februar 1981 a.a.O. dann aber weiter ausgeführt, daß bei einer derartigen, den Antrag auf die zulässige Sachleistung hindernden Pflichtwidrigkeit die Kosten für den Nicht-Arzt zu ersetzen sind, wenn der Versicherungsträger dem Versicherten nicht auch konkret einen behandlungsfähigen und behandlungsbereiten Arzt benennt oder deshalb nicht benennen kann, weil unter Verstoß gegen die Sicherstellungspflicht aus § 368 RVO eine Unterversorgung besteht, der Versicherte deswegen die Behandlung durch den Nicht-Arzt wählt bzw. fortsetzt und dessen Leistungen einer Maßnahme gleichgestellt werden können, die auch im Rahmen einer ärztlichen Behandlung, nach der RVO zu erbringen ist (ähnlich auch Urteil vom 9. September 1981 – 3 RK-20/80 – zu § 184 a RVO). Außerdem wird die Zumutbarkeit des Wechsels zu einem anderen Behandler als Beurteilungskriterium genannt, und es soll ein Kostenvergleich stattfinden. Damit wird im Ergebnis der Grundsatz verlassen, daß im Wege des Herstellungsanspruchs nur ein gesetzmäßiger Zustand geschaffen werden kann. Denn der 3. Senat des BSG verzichtet in diesen Entscheidungen letztendlich auf das zuvor und auch in zahlreichen anderen Urteilen als unverzichtbaren Kernbestandteil kassenärztlicher Versorgung hervorgehobene Prinzip, daß die Leistung "ärztliche Behandlung” nur durch einen approbierten Arzt erfolgen kann und läßt die Qualität – den vergleichbaren Leistungsinhalt – der Krankheitsbehandlung ausreichen. Insbesondere ist weder – was ggf. naheliegend gewesen wäre – der Gedanke der Notfallbehandlung ergänzend und analog auf nichtärztliche Behandlungen erstreckt worden noch ist – wie im Zusammenhang mit anderen Leistungen – der Gedanke des wichtigen Grundes (vgl. BSG, SozR 2200 § 184 Nr. 2 für Transportkosten) oder der Gleichwertigkeit der Maßnahme (BSG, SozR 2200 § 185 Nr. 4, wo dies für den Fall der häuslichen Krankenpflege aus dem Gesetz hergeleitet wurde) allgemein als Kriterium anerkannt worden, unter denen das Gesetz eine Behandlung durch einen Nicht-Arzt zuläßt. Ein Kostenerstattungsanspruch könnte sich danach allenfalls dann ergeben, wenn nicht nur bestimmte Voraussetzungen dafür, nämlich der Antrag des Versicherten auf die Sachleistung und deren Verweigerung durch den Versicherungsträger vorliegen bzw. als vorliegend anzuerkennen sind, sondern wenn der Versicherte außerdem nach dem Grundsatz von Treu und Glauben so zu stellen ist, als ob er eine psychotherapeutische Behandlung durch einen Arzt vorgenommen hätte. Das ist nach Auffassung des Senats jedoch nicht möglich. Die Behandlung durch einen Arzt ist eine gesetzliche Voraussetzung für den Anspruch, die tatsächlich vorgelegen haben muß. Sie ist grundsätzlich und auch hinsichtlich ihrer Einzelheiten der Gestaltung und Einflußnahme des Versicherungsträgers entzogen; die Wahl des Arztes liegt beim Versicherten, die Art, Weise und Dauer der Behandlung beim Arzt (BSG, SozR 2200 § 508 Nr. 2). Sie ist infolgedessen auch nicht durch eine Amtshandlung herstellbar (vgl. für das Tatbestandsmerkmal "deutsche Staatsangehörigkeit” Urteil des BSG vom 13. Mai 1980 – 12 RK-18/79 –; für das Tatbestandsmerkmal "Lohnsteuerklasse” Urteil vom 10. Dezember 1980 – 7 RAr-14/78 –). Hier ist noch einmal hervorzuheben, daß das Institut des Herstellungsanspruchs aus dem Rechtsstaatsprinzip entwickelt wurde: Es soll der Zustand hergestellt werden, der bei ordnungsgemäßem Vorgehen der Verwaltung dem Gesetz entsprechend herbeigeführt worden wäre. Nur daraus rechtfertigt sich auch, daß der Herstellungsanspruch unabhängig davon besteht, ob die Verwaltung ein Verschulden trifft (vgl. BSGE 49, 76). Darüber hinausgehende Bedürfnisse nach Ausgleich von Nachteilen, die dem Versicherten entstehen, können nur unter den erschwerten Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs (der ein Verschulden voraussetzt) zu Lasten der Kasse ausgeglichen werden.
Der Senat ist nach alledem der Auffassung, daß das Begehren des Klägers auch nicht über die Konstruktion des Herstellungsanspruchs begründbar ist. Vielmehr ist es, da es nur auf die Erstattung von Kosten für eine nicht als Krankenpflege zu gewährende Leistung gerichtet sein kann und tatsächlich auch gerichtet ist, nur im Wege eines auf Geldleistung gerichteten Amtshaftungsanspruchs verfolgbar, über den gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (BSGE 44, 114). Dem zitierten Urteil des BSG vom 18. Februar 1981 ist im übrigen nicht zu entnehmen, worauf dort der Herstellungsanspruch letztlich gestützt wird. Sollte der 3. Senat des BSG die maßgebliche Pflichtverletzung in der Unterversorgung gesehen haben, so würde dies bedeuten, daß (im Wege des Herstellungsanspruchs) generell über den gesetzlichen Rahmen hinaus neue Leistungen eingeführt würden. Sollte der 3. Senat des BSG jedoch in dem Beratungsfehler den maßgeblichen Umstand gesehen haben, so würde dies zu unvertretbaren Ungleichbehandlungen führen; denn der Anspruch hinge dann (bei bestehender Unversorgung) allein davon ob, daß zu Beginn oder während der Behandlung – zufällig – noch eine individuelle, für das Ergebnis aber letztlich bedeutungslose und auch nicht ursächliche Nachlässigkeit des Versicherungsträgers festzustellen ist. Außerdem bleibt auch hier, daß gesetzlich nicht vorgesehene Leistungen gewahrt werden sollen. Die Berufung darauf kann dem Versicherungsträger nicht allein deshalb verwehrt werden, weil es zu Pflichtverletzungen gekommen ist (so Urteil des BSG vom 9. September 1981 – 3 RK 20/80 zu § 184 a RVO). In diesem Falle wäre der Amtshaftungsanspruch überflüssig.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 1 SGG.
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