S 14 KR 78/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KR 78/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 50/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenübernahme für eine extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL) als Therapie zur Behandlung von Speichelsteinen der Ohrspeicheldrüse. Die Behandlung basiert dabei auf der bekannten Technologie zur Behandlung von Nieren-, Harnleiter- und Gallensteinen.

Der 1950 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert.

Mit Schreiben vom 02.10.2003 beantragte die Medizinische Hochschule I. -Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie-, für ihn die Kostenübernahme für eine ESWL zur Behandlung eines 1,4 mm großen Speichelsteines der rechtsseitigen Ohrspeicheldrüse; Leitlinien der Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde sähen die Lithotripsie eindeutig als Therapie der ersten Wahl zur Behandlung von Speichelsteinen der Kopfspeichel-drüsen vor; eine fehlende Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen stehe nicht entgegen, da die Behandlungsmethode in der medizinischen Fachwelt einstimmige Resonanz gefunden habe; im Vergleich zu bisherigen Behandlungsmethoden der Entfernung von Konkrementen durch Gangschlitzung oder Exstirpation der Speicheldrüse beinhalte die Behandlungsmethode geringere Risiken, insoweit Schädigungen des Gesichtsnerven verhindert würden. Die Kosten der Behandlung beliefen sich unter Zu-grundelegung des 2,3-fachen Satzes der entsprechend anwendbaren GOÄ-Ziffer 1860 pro Sitzung auf 804,37 Euro bei Begrenzung auf 5 Anwendungen.

Mit Bescheid vom 13.10.2003 lehnte es die Beklagte ab, dem Kläger für die nachgesuchte Behandlung eine Kostenzusage zu erteilen, da eine positive Empfehlung des Bundes-ausschusses der Ärzte und Krankenkassen (nunmehr: Gemeinsamer Bundesausschuss) nicht vorläge; obwohl ein Grundsatzgutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) die Behandlungsmethode positiv bewerte, sei eine Kostenübernahme nicht möglich; eine Ausnahme sei lediglich dann anzunehmen, wenn eine lebensbedroh-liche Erkrankung bestehe. Den hiergegen erhobenen Widerspruch, mit welchem der Kläger geltend machte, bei der Behandlungsmethode handele es sich um eine zu den bisherigen Behandlungsmethoden kostengünstigeres Verfahren, auch würden Komplikationen, insbesondere dauerhafte Schädigungen der Gesichtsnerven vermieden, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2003 zurück; sie führte aus, bei Fehlen einer positiven Empfehlung des zuständigen Ausschusses könne allenfalls ein sog. Systemmangel einen Anspruch begründen; aufgrund der bislang publizierten klinischen Studien seien jedoch wesentliche Umstände der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Behandlungsmethode noch nicht geklärt; ungeachtet dessen seien im Übrigen ausschließlich die Gerichte befugt, die Voraussetzungen für das Vorliegen eines System-mangels festzustellen. Allein deshalb es sei trotz positiver Beurteilung der Behandlungs-methode durch den MDK ihr verwehrt, die Kosten zu übernehmen.

Hiergegen richtet sich die am 23.12.2003 erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er vertritt die Auffassung, die Wirksamkeit der Behandlungs-methode sei, nicht zuletzt unter Berücksichtigung des MDK-Grundsatzgutachtens, nachgewiesen, so dass eine Überprüfung des Gemeinsamen Bundesausschusses veranlasst gewesen wäre; es läge von daher ein Mangel des gesetzlichen Leistungssystems vor.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2003 zu verurteilen, die Kosten für eine extrakorporale Stoßwellenlithotripsie zur Behandlung rechtsseitiger Speichelsteine der Ohrspeicheldrüse des Klägers zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht die Ausführungen ihres Widerspruchsbescheides zum Gegenstand ihrer Klageerwiderung.

Das Gericht hat vom Gemeinsamen Bundesausschuss -Unterausschuss "Ärztliche Behandlung"- eine Stellungnahme zu der in Streit stehenden Behandlungsmethode eingeholt (vom 23.03.2005), auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kostenübernahme der ESWL zur Behandlung seiner rechtsseitigen Ohrspeichelsteine zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung und ist von daher durch den angefochtenen Bescheid vom 13.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11. 2003 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG- beschwert.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 des 5. Sozialgesetzbuches -SGB V- (Gesetzliche Kranken-versicherung) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dabei dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinsichen Fortschritt zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).

Die Prüfung und Feststellung, ob eine neue Behandlungsweise diesem Versorgungsstandard entspricht, obliegt nach dem Gesetz grundsätzlich – von dem Sonderfall eines Systemversagens abgesehen - dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (nunmehr: Gemeinsamer Bundesausschuss), der durch seine Entscheidung einer an objektiven Maßstäben orientierte, sachgerechte und gleichmäßige Praxis der Leistungsgewähren sicherstellen soll. § 135 Abs. 1 SGB V schreibt insoweit vor, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur abgrechnet werden dürfen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat; diese Bestimmung regelt dabei nicht nur die Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern, sondern legt für ihren Anwendungsbereich zugleich den Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten Leistungen fest (grundlegend BSGE 81, 54, 59 ff). Die Funktion des Gemeinsamen Bundesausschusses hat bis zum 31.12.2003 der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen ausgeübt, welcher Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 SGB V (BUB-Richtlinien) erlassen hat; Anlage A der BUB-Richtlinien enthält anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. In diese ist die Behandlungsmethode der ESWL bei Kopfspeicheldrüsensteinbildung nicht aufgenommen; es fehlt eine positive Empfehlung des Ausschusses zugunsten der hier streitrigen Therapie, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist; von daher darf sie von den Krankenkassen grundsätzlich nicht als Sachleistung gewährt werden. Es handelt sich auch um eine "neue Behandlungsmethode" im Sinne von § 135 SGB V , nämlich um eine Behandlungsmethode, die auf einem bestimmten theoretisch-wissenschaftlichen Konzept zur Behandlung einer Krankheit fußt und bislang nicht Bestandteil des im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) beschriebenen vertragsärztlichen Leistungsspektrums ist. Nach der vom Gericht eingeholten Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses hat sich dieser mit der Behandlung bislang nicht befasst; es liegt auch kein Antrag zur Über-prüfung dieser Methode als einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Hinblick auf Nutzen, medizinische Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit für die vertrags-ärztliche Versorgung vor; des weiteren sind nach der erteilten Auskunft dem Bundesausschuss auch keine wissenschaftlich nachvollziehbaren Unterlagen zugeleitet worden, die erkennen lassen, ob die Methode den gesetzlich vorgegebenen Kriterien genügt.

Bei dem Ausschluss des Leistungsanspruchs aufgrund der insoweit fehlenden Empfeh-lung verbleibt es. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz greift nicht ein, weil die Untätigkeit des Gemeinsamen Bundesausschusses keinen sog. Systemmangel begründet. Ein solcher liegt ausnahmsweise dann vor, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Ausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wird; denn es ist dem gemeinsamen Bundes-ausschuss nicht freigestellt, ob und wann er sich mit einem Antrag auf Anerkennung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode befassen und hierzu eine Empfehlung abgeben will. Ebensowenig kann es im Belieben der Antragsberechtigten Körperschaften und Verbände stehen, ob überhaupt ein Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss in Gang gesetzt wird. Voraussetzung für die Annahme einer solchen Ausnahme ist insoweit, dass die Einleitung oder Durchführung des Verfahrens willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen blockiert oder verzögert wird.

Im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob Versäumnisse des Bundesausschusses oder der antragsberechtigten Stellen vorliegen; selbst wenn solche anzunehmen wären, ist eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht begründet, denn die Behandlungsmethode entspricht bislang nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Dabei ist vorab entgegen der unzutreffend von der Medizinischen Hochschule I. dargestellten Rechtslage festzuhalten, dass nicht allein die Verbreitung der Behandlungsmethode einen Versorgungsanspruch begründet; auch für Fälle eines Systemversagens ist Erfordernis und kann eine Behandlungsmethode erst dann zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, wenn die Erprobung abgeschlossen ist und über Qualität, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können; dies setzt einen Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen voraus, wobei sich der Erfolg grundsätzlich aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und Wirksamkeit der neuen Methode ablesen lassen muss; nur ausnahmsweise, wenn ein Wirksamkeitsnachweis wegen Art und Verlauf der Erkrankung oder wegen unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnisse auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, darf darauf abgestellt werden, ob sich die in Anspruch genommene Therapie in der medizinisichen Therapie durchgesetzt hat (BSGE 81, 54 ff; BSG in SozR 3-2500 § 27 Nr. 5; BSG, Urteil vom 28.03.2000 -Az.: B 1 KR 11/98 R). Insoweit sind gleiche Forderungen zu stellen, wie etwa im Berufskrankheitenrecht im Falle der Anerkennung bislang nicht in den Katalog der Berufskrankheiten aufgenommener Erkrankungen. Auch hier sind zur Anerkennung von Erkrankungen wie eine Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 2 des 7. Sozialgesetzbuches -SGB VII- gesicherte Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft erforderlich, d.h. Erkenntnisse, die methodisch erforscht, insoweit vom Vorgehen plausibel und in der Aussage als zutreffend ermittelt worden, mit gesicherten Verfahren jederzeit im Ergebnis wiederholbar erprobt wurden und Allgemeingeltung in der Fachwelt erworben haben, wobei epidemiologische Feststellungen als wissenschaftliche Erkenntnismethode besondere Bedeutung gewinnen.

Derartige hinreichend zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen über Qualität, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Lithotripsie zur Behandlung von Kopfspeicheldrüsensteinen liegen nicht vor, insbesondere sind sie nicht dem maßgeblich hier Streitgrundlage darstellenden Grundsatzgutachten des MDK Nordrhein zu entnehmen. Festzustellen ist zwar, dass es sich bei der Lithotripsie um ein relativ nebenwirkungsarmes Behandlungsverfahren handelt, im Rahmen dessen die Komplikationen der bisherigen Behandlungsmethoden, insbesondere Verletzung des Gesichtsnerven, vermieden werden; die dargelegten Studien lassen jedoch noch viele Umstände als nicht ausreichend geklärt erscheinen; was eine Beschwerdefreiheit nach Stoßwellenlithotripsie anbelangt, sind verlässliche Aussagen derzeit nicht möglich. Was die, insbesondere von dem maßgeblich publizierenden Autor Iro als oberstes Ziel der Therapie geforderte Steinfreiheit anbelangt, ist zum Einen festzustellen, dass derzeit eine Steinfreiheitsquote lediglich mit 30 v.H. anzusetzen ist, zum Anderen Langzeitbeobachtungen dahingehend fehlen, ob in wesentlicher Anzahl der Behandlungsfälle Restkonkremente verbleiben, welche Aus-gangspunkte neuerer Steinbildungen und damit Auftretens von Rezidiven sind. Von daher sind, was auch das Grundsatzgutachten fordert, weitergehende prospektive Studien dringend erforderlich; solche sind auch, da es sich bei Erkrankungen der Kopfspeicheldrüsen nach den Ausführungen des Gutachtens um keine nur in geringer Anzahl auftretende Erkrankung handelt, möglich. Gleiches gilt neben der Beurteilung der Wirksamkeit auch hinsichtlich der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit dahingehend, mit welcher Erfolgsquote bei der Behandlung zu rechnen ist und wieviel Anwendungen hierfür erforderlich sind, um hinreichend aussagefähige Feststellungen dahingehend zu treffen, ob die Behandlungsmethode kostenneutral, eventuell kostensparend ist. Derzeit ist, ausgehend von einer Erfolgswahrscheinlichkeit von 30 v.H. im Sinne von Steinfreiheit festzustellen, dass bei vorgeschalteter Stoßwellenlithotripsie vor Drüsenextirpation mit deutlichen Mehrkosten, insbesondere bei entsprechender Anwen-dung der GOÄ-Abrechnungsziffern, bei mehr als einer Behandlungssitzung im Krankheitsfall zu rechnen ist.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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