S 4 AS 88/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AS 88/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 22/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Kosten des Widerspruchsverfahrens.

Die 1987 geborene Klägerin erhielt seit dem 01.10.2005 von dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie besucht in N. das I.-Gymnasium und hat u.a. Leistungskurs Deutsch belegt.

Mit Bescheid vom 25.11.2005 wurde von dem Beklagten zu Unrecht ein vermeidliches Einkommen i.H.v. 100,- EUR als Unterhaltsbeitrag für Kinder von verheirateten Eltern zugrundegelegt. Noch im Oktober 2004 hatte der Vater der Klägerin, Herr X., bestätigt, 100,- EUR monatlichen Unterhalt zu zahlen. Da er zwischenzeitlich jedoch selbst hilfebedürftig wurde, konnte er seine Tochter nicht weiter finanziell unterstützen.

Aufgrund des von dem Bevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 27.12.2005 eingelegten Widerspruch, dem der Beklagte mit Bescheid vom 15.03.2006 abhalf, erhielt die Klägerin eine Nachzahlung für den Zeitraum Oktober 2005 - März 2006 i.H.v. 600,- EUR. Die Übernahme der im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten für die anwaltliche Vertretung lehnte der Beklagte ab, da diese nicht notwendig gewesen seien.

Hiergegen legte die Klägerin am 18.04.2006 durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch ein. Sie machte im Wesentlichen geltend, die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes sei zum Zwecke der entsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen. Der Fehler (Anrechnung des Unterhaltsbeitrages i.H.v. 100,- EUR als Einkommen) sei durch die erfolgte Akteneinsicht des Rechtsanwalts aufgefallen. Desweiteren habe der Rechtsanwalt auf die schriftliche Erklärung ihres Vaters hingewiesen, dass dieser keinen Unterhalt mehr zahlen könne. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 18.04.2006 verwiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2006 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Er führte im Wesentlichen aus, Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes seien im Vorverfahren nach § 63 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig gewesen sei. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren sei nur dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt einer verständigen Person ohne spezielle Rechtskenntnisse geboten gewesen wäre. Dabei sei nicht die subjektive Sicht des Widerspruchsführers maßgebend, sondern die Frage, wie ein verständiger Dritter in dessen Situation gehandelt hätte. Der Gesetzgeber gehe zunächst davon aus, dass im Vorverfahren eine Bevollmächtigung in der Regel nicht üblich und auch nicht notwendig sei. Der unmittelbare Kontakt zwischen der Behörde und dem Betroffenen werde als zweckmäßig und auch ausreichend angesehen. Es sei somit dem Betroffenen grds. zuzumuten, zunächst den kostensparenden Weg der Zusammenarbeit mit der Behörde einzuschlagen, ohne vorher einen Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen. Die Klägerin habe sich nicht selbst mit dem Fachbereich Soziales in Verbindung gesetzt, sondern von Beginn an einen Anwalt eingeschaltet. Die Anrechnung des Unterhaltsbetrages von 100,- EUR als Einkommen sei dem Bewilligungsbescheid vom 25.11.2005 zu entnehmen gewesen. Sie sei offensichtlich gewesen und hätte von der Klägerin als verständiger Bürgerin ohne spezielle Rechtskenntnisse bemerkt werden können. Hierfür habe es nicht erst der Akteneinsicht durch den Bevollmächtigten und seinen Hinweis auf die schriftliche Erklärung des Vaters der Klägerin bedurft. Die Klägerin hätte sich die Berechnung der Leistungen, die in ihrem Fall sehr einfach sei und keine komplizierten Sachverhalte enthalte, vom Fachbereich Soziales der Stadt N. erklären lassen können. Im Gespräch hätte die Klägerin dann klarstellen können, dass sie keine Unterhaltsleistungen mehr von ihrem Vater erhielte. Die Angelegenheit hätte ohne zumutbare Erschwernisse aufgeklärt werden können.

Hiergegen hat die Klägerin am 17.07.2006 Klage erhoben.

Sie ist weiterhin der Auffassung, die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts sei zum Zwecke der entsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen. Sie verfüge über keine speziellen Rechtskenntnisse. Ohne die von ihrem Bevollmächtigten genommene Akteneinsicht wäre der Berechnungsfehler nicht aufgefallen. Wenn die fehlerhafte Anrechnung des Unterhaltsbeitrages so offensichtlich sei, wie der Beklagte behaupte, stelle sich die Frage, warum es dem sachverständigen Mitarbeiter der Stadt N. nicht aufgefallen sei.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Bescheid vom 15.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2006 dahingehend abzuändern, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes notwendig gewesen sei und den Beklagten zur Erstattung der Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts nach § 63 Abs. 2 SGB X zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält an der getroffenen Entscheidung unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 06.07.2006 fest. Er trägt ergänzend vor, es habe sich vorliegend nicht um einen schwierigen oder komplizierten Sachverhalt gehandelt, bei dem die sofortige Beauftragung eines Rechtsanwaltes notwendig erscheine. Im vorliegenden Fall habe durchaus von der Klägerin erwartet werden können, dass sie sich zunächst selbst an die Behörde wende und im Gespräch mitteile, dass sie keine Unterhaltsleistungen mehr von ihrem Vater erhalte. Die Aufforderung an ihren Kindesvater, er möge dieses sodann schriftlich bestätigen, hätte - und wäre auch - sodann von der Behörde erfolgt. Hierfür sei in keinster Weise das Tätigwerden des Rechtsanwaltes der Klägerin notwendig gewesen. Wäre sodann keine "Klärung" gefunden worden, hätte die Klägerin immer noch einen Rechtsanwalt beauftragen können. Die Kosten müssten nicht übernommen werden in Fällen, in denen ein Bürger, nur weil er einfach ein Schreiben der Behörde "nicht ganz nachvollziehen könne", sich sofort an einen Rechtsanwalt wende. Bei der Frage der Notwendigkeit sei desweiteren abzustellen auf den Bildungs- und Kenntnisstand des Bürgers, die Schwierigkeit und den Bekanntheitsgrad der einschlägigen Rechtsmaterie, die Intensität der Rechtsbeziehung zwischen Bürger und Behörde und die Frage, ob der Schwerpunkt des Streits eher im rechtlichen oder im tatsächlichen Bereich liege. Sei letztes zu bejahen, sei die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes eher zu verneinen, als wenn es sich um Rechtsprobleme handele. Bei der im vorliegenden Fall allein streitigen Frage, ob der Unterhaltsbeitrag zu Recht als Einkommen angerechnet worden sei, habe es sich mitnichten um eine schwierige Rechtsfrage gehandelt, sondern vielmehr zunächst um eine Sachfrage.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte des Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

II.

Gemäß § 105 Sozialgesetzgesetz (SGG) kann das Gericht ohne mündiche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid vom 15.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2006 ist nicht rechtswidrig und beschwert die Klägerin nicht in ihren Rechten gem. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass die Zuziehung eines Rechtsanwaltes nach § 63 Abs. 3 Satz 2 SGB X im vorliegenden Fall nicht notwendig war. Der Beklagte ist demzufolge nicht verpflichtet, der Klägerin die ihr durch die Beauftragung eines Rechtsanwaltes entstandenen Kosten des Widerspruchsverfahrens nach § 63 Abs. 2 SGB II zu erstatten.

Das Gericht verweist gem. § 105 Abs. 1 Satz 3 SGG i.H.v. § 136 Abs. 3 SGG auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 06.07.2006 in Verbindung mit den überzeugenden Ausführungen des Beklagten in der Klageerwiderungsschrift vom 13.02.2007, denen sich das Gericht aufgrund eigener Überzeugung anschließt, und sieht von einer ausführlichen weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe.

In Fällen wie dem vorliegenden, in denen es um den Wegfall anrechenbaren Einkommens geht, weil beispielsweise ein Unterhaltsverpflichteter tatsächlich ab einem bestimmten Zeitpunkt keine Unterhaltsleistungen mehr erbringt oder Nebeneinkommen infolge des Verlustes eines Arbeitsplatzes tatsächlich nicht mehr gezahlt wird, ist dem Hilfebedürftigen, der von dem Alg-II-Leistungsträger vor diesem Hintergrund höhere Leistungen begehrt, regelmäßig eine vorherige Kontaktaufnahme mit der zuständigen Behörde zuzumuten. Einem Leistungsberechtigten ist es trotz des existenzsichernden Charakters der begehrten Leistung regelmäßig zumutbar, der Behörde Gelegenheit zur Abhilfe der geltend gemachten Notlage zu geben (so auch LSG NW im Beschluss vom 22.12.2006 - L 1 B 43/06 AS ER - ). Der Leistungsempfänger muss zunächst versuchen, auch ohne anwaltliche Hilfe zeitnahe höhere Leistungen zu erlangen, wenn es - wie im vorliegenden Fall - um einfache Sachfragen geht.

Nach allem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 193, 183 SGG.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hat das Gericht die Berufung gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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