Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 27 AS 155/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 366/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 105/11 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 4. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 1. Juli 2008.
Die 1947 geborene Klägerin ist litauische Staatsangehörige. Sie stand bei der Beklagten im Bezug von Arbeitslosengeld II, zuletzt aufgrund der Bescheide vom 28. November 2007 und vom 15. Februar 2008. Am 13. Dezember 2007 hatte sie erklärt, Arbeitslosengeld unter den erleichterten Voraussetzungen des § 65 Abs. 4 SGB II in Verbindung mit § 428 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) beziehen zu wollen.
Am 29. Mai 2008 beantragte die Klägerin die Weitergewährung von Arbeitslosengeld II für die Zeit ab 1. Juli 2008. Durch Bescheid vom 22. Juli 2008 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab, weil die Voraussetzungen für den Leistungsbezug wegen der Zuerkennung einer litauischen Altersrente entfallen seien.
In ihrem daraufhin bei dem Beigeladenen gestellten Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gab die Klägerin an, dass die ihr zuerkannte Altersrente 599,95 litauische Litas betrage; ihr Ehemann sei Bezieher einer Altersrente von 201,74 Euro sowie von Leistungen der Grundsicherung von 359,79 Euro. Durch Bescheid vom 26. August 2008 bewilligte der Beigeladene der Klägerin laufende Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ab 1. Juli 2008 in Höhe von 479,10 Euro monatlich.
Gegen den Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2008 legte die Klägerin am 15. August 2008 Widerspruch ein. Die Weisungen der Bundesagentur für Arbeit sähen vor, dass im Falle der Gewährung einer ausländischen Rente, die deutlich vor dem frühestmöglichen Eintrittsalter nach deutschem Rentenrecht erfolge, zu prüfen sei, ob der Hilfebedürftige weiterhin gewillt sei, eine Beschäftigung aufzunehmen. Über die Existenz einer solchen Prüfung sei sie - die Klägerin - nicht informiert worden. Sie sei weiterhin bereit, jede zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Durch Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Klägerin sei ab 12. Juli 2007 eine litauische Altersrente zuerkannt worden; hierbei handele es sich um eine Leistung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II. Sie habe schriftlich gegenüber der Beklagten erklärt, dass sie gar keine Beschäftigung mehr aufnehmen und Arbeitslosengeld II unter den erleichterten Voraussetzungen des § 65 Abs. 4 SGB II i. V. m. § 428 SGB III beziehen wolle. An diese Erklärung sei die Klägerin gebunden. Schon aus diesem Grunde finde die von ihr angeführte Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit keine Anwendung.
Die dagegen am 9. Februar 2009 erhobene Klage hat das Sozialgericht Gießen durch Gerichtsbescheid vom 4. Juni 2009 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass einer Weiterbewilligung von Arbeitslosengeld II § 7 Abs. 4 SGB II entgegenstehe. Danach erhalte Leistungen nach diesem Buch nicht, wer eine Rente wegen Alters beziehe. Da die Klägerin entsprechend ihrer Erklärung vom 13. Dezember 2007 Arbeitslosengeld unter den erleichterten Voraussetzungen des § 65 Abs. 4 SGB II in Verbindung mit § 428 SGB III bezogen habe, träfen die von ihr in dem Widerspruchsschreiben genannten Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zur Durchführung der Bestimmungen des § 7 Abs. 4 SGB II in ihrem Fall nicht zu. An ihre Erklärung vom 13. Dezember 2007 sei die Klägerin gebunden, da die Frist von drei Monaten, innerhalb der diese Erklärung ohne Folgen widerrufen werden könne, abgelaufen sei.
Gegen diesen ihr am 25. Juni 2009 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 24. Juli 2009 eingegangenen Berufung. Die Beklagte habe bei ihrer Entscheidung nicht berücksichtigt, dass die Klägerin weiterhin beabsichtigt habe, bis zu ihrem Renteneintritt nach deutschem Recht einer Beschäftigung nachzugehen, und sie beabsichtige dies auch derzeit noch. Im Übrigen sei ihr nicht bewusst gewesen, am 13. Dezember 2007 bestätigt zu haben, keine Beschäftigung mehr aufnehmen zu wollen. Dies habe sie auch gegenüber ihrer Sachbearbeiterin bei der Beklagten in persönlichen Gesprächen mitgeteilt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 4. Juni 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2009 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II unter Anrechnung der Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten auf den Inhalt der Akte der Beklagten, der Akte des Beigeladenen und der Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Gegenstand von Klage und Berufung sind ausschließlich Leistungen an die Klägerin. Da der Ehemann der Klägerin zweifelsfrei gemäß § 7 Abs. 4 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, kommt seine Einbeziehung als Kläger nicht in Betracht (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-4200 § 7 Nr. 4). Der Ehemann der Klägerin war auch nicht notwendig nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beizuladen, weil er über die Prüfung der Hilfebedürftigkeit der Klägerin - allenfalls in seinen wirtschaftlichen Interessen berührt wird (vgl. BSG SozR 4-4200 § 20 Nr. 3; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 9 Rdnr. 33a). Diese würden lediglich eine einfache Beiladung nach § 75 Abs. 1 SGG rechtfertigen.
In der Sache ist bereits zweifelhaft, ob die Klägerin die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 19 Satz 1 SGB II (i.d.F. des Gesetzes vom 23. Dezember 2007) erfüllt. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die Voraussetzungen der Nrn. 1, 2 und 4 dieser Regelung sind zwar gegeben, die Frage ist aber, ob die Klägerin auch hilfebedürftig ist. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit (Nr. 1) oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (Nr. 2) sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Die Klägerin erhält nämlich seit dem 1. Juli 2008 Leistungen zum Lebensunterhalt von dem Beigeladenen, so dass zumindest ihr Lebensunterhalt gesichert war und ist. Ob Hilfebedürftigkeit deshalb bejaht werden kann, weil sie über Leistungen zum Lebensunterhalt hinaus letztlich Leistungen der Eingliederung nach § 16 SGB II begehrt, welche nur von der Beklagten und nicht vom Sozialhilfeträger zu erbringen sind, kann dahinstehen. Einem Anspruch der Klägerin steht jedenfalls § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II entgegen.
Nach dieser Vorschrift erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Die Klägerin bezieht eine litauische Altersrente in Höhe von monatlich 599,95 Litas, was einem Betrag von ca. 173 Euro entspricht. Der Bezug dieser Altersrente stellt eine der deutschen Altersrente ähnliche öffentlich-rechtliche Leistung dar (vgl. - zu der vergleichbaren Regelung des § 142 Abs. 1 Nr. 4 SGB III - Urteil des BSG vom 29. Oktober 1997 - 7 RAr 10/97 - SozR 4100, § 118 Nr. 3; Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 7 Rdnr. 78; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 7 Rdnr. 72). Sie wird durch einen öffentlich-rechtlichen Träger gewährt, ist - wie die deutsche Altersrente - durch Beiträge finanziert, erfasst - für alle Arbeitnehmer und Selbständige obligatorisch - die erwerbstätige Bevölkerung und wird grundsätzlich nur nach einer Mindestversicherungsdauer gezahlt. Die Altersgrenze zur Inanspruchnahme der Altersrente für Männer beträgt 62 Jahre und 6 Monate, diejenige für Frauen beträgt 60 Jahre. Was ihre Höhe anbetrifft, so setzt sich die Altersrente aus der Grund- und der Zusatzrente zusammen. Die Grundaltersrente entspricht der Grundrente und ist für alle Versicherten gleich, die die Pflichtbeitragszeit zur staatlichen Altersrentenversicherung zurückgelegt haben. Die Zusatzaltersrente wird für die Arbeitsnehmer und Selbständigen berechnet, die entsprechend versichert waren. Die Höhe der Vollaltersrente wird nach einer besonderen Formel berechnet. Bei einer Person, die beide Renten bezieht, verringert sich die Zusatzrente der Sozialversicherung je nach Kumulierungsgrad und den Zusatzrentensätzen der Rentenversicherungsbeiträge. Die Grundrente kann durch Regierungsbeschluss erhöht werden. Die Zusatzrente wird je nach dem versicherten Durchschnittseinkommen des laufenden Jahres angepasst (vgl. Euro-päische Kommission, Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit, Mobilität in Europa unter http://ec.europa.eu/). Damit weist die litauische Altersrente im Wesentlichen die gleichen Strukturen wie die inländische Altersrente auf, was nach der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) die Gleichstellung rechtfertigt. Dass die litauische Rente vorliegend nicht geeignet ist, den Lebensunterhalt der Klägerin in Deutschland zu sichern, ist unerheblich.
Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf die Rechtsansicht der Bundesagentur für Arbeit (BA), die in ihren fachlichen Hinweisen zum SGB II (7. 49) ausführt, bei einer ausländischen Altersrente bzw. einer mit ihr vergleichbaren Sozialleistung, die deutlich vor dem frühestmöglichen Eintrittsalter nach deutschem Rentenrecht gewährt werde, sei im Einzelfall zu prüfen, ob der Hilfebedürftige weiterhin gewillt sei, bis zum Renteneintritt nach deutschem Recht eine Beschäftigung aufzunehmen. In diesen Fällen sei der Hilfebedürftige nicht an den kommunalen Träger (SGB XII) zu verweisen. Es seien Leistungen nach dem SGB II, unter Anrechnung der Rente, zu gewähren. Es kann dahingestellt bleiben, ob für diese Auffassung eine rechtliche Grundlage besteht. Dagegen spricht vor allem, dass es auf das Lebensalter des Rentenbeziehers nicht mehr ankommen kann, wenn eine ausländische Rente als Rente wegen Alters oder als ähnliche Leistung öffentlich-rechtlicher Art anzusehen ist (so ausdrücklich Spellbrink, in Eicher/Spellbrink a.a.O., § 7, Rdnr. 72).
Denn im Falle der Klägerin kann nicht davon ausgegangen werden, die litauische Altersrente werde deutlich vor dem frühestmöglichen Eintrittsalter nach deutschem Rentenrecht gewährt. Die Altersgrenze nach litauischem Recht liegt - wie ausgeführt - für Frauen bei 60 Jahren. Dem entsprach bis zum 31. Dezember 1999 die Altersgrenze für Frauen nach § 39 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Diese Sonderregelung ist zwar entfallen, jedoch gilt die genannte Altersgrenze weiter für Frauen, die - wie die Klägerin - vor dem 1. Januar 1952 geboren sind (vgl. § 237a Abs 1 SGB VI); sie können die Altersrente vorzeitig mit der Vollendung des 60. Lebensjahres in Anspruch nehmen. Im Übrigen sieht das deutsche Rentenrecht nach wie vor für weitere Personengruppen (§ 37 SGB VI: schwerbehinderte Menschen; § 36 SGB VI: langjährig Versicherte) eine vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente bereits nach Vollendung des 62. bzw. 63. Lebensjahres vor. Vor dem Hintergrund dieser - inländischen - Altersgrenzen kann von einem deutlich früheren Eintrittsalter in den Rentenbezug bei der Klägerin keine Rede sein.
Die Klägerin vermag sich schließlich auch nicht auf Vertrauensschutz zu berufen. Zwar hat der Gesetzgeber mit § 65 Abs. 4 SGB II i.V.m. § 428 SGB III für ältere Leistungsempfänger, bei denen die Vollendung des 58. Lebensjahres und die Entstehung des Leistungsanspruchs vor dem 1. Januar 2008 liegen, grundsätzlich einen gewissen Vertrauensschutz geschaffen. Denn er hat bezüglich der in der letztgenannten Vorschrift vorgesehenen Möglichkeit der Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung bestimmt, dass die Aufforderung zur Rentenantragstellung nicht für solche Altersrenten ergehen soll, die vor dem für den Versicherten maßgebenden Rentenalter in Anspruch genommen werden können. Damit soll deutlich gemacht werden, dass der Versicherte nur aufgefordert werden soll, wenn er eine Altersrente ohne Rentenminderung beziehen kann (vgl. Brand in Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 428 Rdnr. 9), was bei der Klägerin handelte es sich bei ihr um eine inländische Altersrente nach § 237a SGB VI - nicht der Fall wäre. Dies gilt auf Grund der Verweisung in § 65 Abs. 4 Satz 3 SGB II auch für Leistungsempfänger nach dem SGB II; sie haben ebenfalls nur eine ungeminderte Altersrente zu beanspruchen, wenn sie - wie vorliegend die Klägerin - die Leistungen unter erleichterten Voraussetzungen, nämlich trotz Beschränkung ihrer Arbeitsbereitschaft, bezogen haben (vgl. Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 3. November 2010 - L 7 AS 677/10 B ER; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl., § 65 Rdnr. 9; Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 65 Rdnr. 29 ff., Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 12a Rdnr. 29, Hünecke in Gagel, SGB II und III, § 65 SGB II Rdnr. 30). Diese Regelung kommt der Klägerin indes nicht zugute, weil sie die litauische Rente offensichtlich nicht nach Aufforderung der Beklagten, sondern freiwillig aus eigenem Antrieb beantragt hat. Denn in den der Erklärung der Klägerin vom 13. Dezember 2007 zugrunde liegenden Hinweisen der Beklagten ist ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht worden, die Klägerin sei nicht verpflichtet, eine nur abschlägig geminderte Rente zu beantragen. In einem solchen Fall gelangen aber weder § 428 Abs. 2 SGB III noch § 12a Satz 2 SGB II, wonach bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres Hilfebedürftige nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen, zur Anwendung.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
II. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab 1. Juli 2008.
Die 1947 geborene Klägerin ist litauische Staatsangehörige. Sie stand bei der Beklagten im Bezug von Arbeitslosengeld II, zuletzt aufgrund der Bescheide vom 28. November 2007 und vom 15. Februar 2008. Am 13. Dezember 2007 hatte sie erklärt, Arbeitslosengeld unter den erleichterten Voraussetzungen des § 65 Abs. 4 SGB II in Verbindung mit § 428 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) beziehen zu wollen.
Am 29. Mai 2008 beantragte die Klägerin die Weitergewährung von Arbeitslosengeld II für die Zeit ab 1. Juli 2008. Durch Bescheid vom 22. Juli 2008 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab, weil die Voraussetzungen für den Leistungsbezug wegen der Zuerkennung einer litauischen Altersrente entfallen seien.
In ihrem daraufhin bei dem Beigeladenen gestellten Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gab die Klägerin an, dass die ihr zuerkannte Altersrente 599,95 litauische Litas betrage; ihr Ehemann sei Bezieher einer Altersrente von 201,74 Euro sowie von Leistungen der Grundsicherung von 359,79 Euro. Durch Bescheid vom 26. August 2008 bewilligte der Beigeladene der Klägerin laufende Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ab 1. Juli 2008 in Höhe von 479,10 Euro monatlich.
Gegen den Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2008 legte die Klägerin am 15. August 2008 Widerspruch ein. Die Weisungen der Bundesagentur für Arbeit sähen vor, dass im Falle der Gewährung einer ausländischen Rente, die deutlich vor dem frühestmöglichen Eintrittsalter nach deutschem Rentenrecht erfolge, zu prüfen sei, ob der Hilfebedürftige weiterhin gewillt sei, eine Beschäftigung aufzunehmen. Über die Existenz einer solchen Prüfung sei sie - die Klägerin - nicht informiert worden. Sie sei weiterhin bereit, jede zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Durch Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Klägerin sei ab 12. Juli 2007 eine litauische Altersrente zuerkannt worden; hierbei handele es sich um eine Leistung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II. Sie habe schriftlich gegenüber der Beklagten erklärt, dass sie gar keine Beschäftigung mehr aufnehmen und Arbeitslosengeld II unter den erleichterten Voraussetzungen des § 65 Abs. 4 SGB II i. V. m. § 428 SGB III beziehen wolle. An diese Erklärung sei die Klägerin gebunden. Schon aus diesem Grunde finde die von ihr angeführte Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit keine Anwendung.
Die dagegen am 9. Februar 2009 erhobene Klage hat das Sozialgericht Gießen durch Gerichtsbescheid vom 4. Juni 2009 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass einer Weiterbewilligung von Arbeitslosengeld II § 7 Abs. 4 SGB II entgegenstehe. Danach erhalte Leistungen nach diesem Buch nicht, wer eine Rente wegen Alters beziehe. Da die Klägerin entsprechend ihrer Erklärung vom 13. Dezember 2007 Arbeitslosengeld unter den erleichterten Voraussetzungen des § 65 Abs. 4 SGB II in Verbindung mit § 428 SGB III bezogen habe, träfen die von ihr in dem Widerspruchsschreiben genannten Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zur Durchführung der Bestimmungen des § 7 Abs. 4 SGB II in ihrem Fall nicht zu. An ihre Erklärung vom 13. Dezember 2007 sei die Klägerin gebunden, da die Frist von drei Monaten, innerhalb der diese Erklärung ohne Folgen widerrufen werden könne, abgelaufen sei.
Gegen diesen ihr am 25. Juni 2009 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 24. Juli 2009 eingegangenen Berufung. Die Beklagte habe bei ihrer Entscheidung nicht berücksichtigt, dass die Klägerin weiterhin beabsichtigt habe, bis zu ihrem Renteneintritt nach deutschem Recht einer Beschäftigung nachzugehen, und sie beabsichtige dies auch derzeit noch. Im Übrigen sei ihr nicht bewusst gewesen, am 13. Dezember 2007 bestätigt zu haben, keine Beschäftigung mehr aufnehmen zu wollen. Dies habe sie auch gegenüber ihrer Sachbearbeiterin bei der Beklagten in persönlichen Gesprächen mitgeteilt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 4. Juni 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2009 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II unter Anrechnung der Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten auf den Inhalt der Akte der Beklagten, der Akte des Beigeladenen und der Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Gegenstand von Klage und Berufung sind ausschließlich Leistungen an die Klägerin. Da der Ehemann der Klägerin zweifelsfrei gemäß § 7 Abs. 4 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, kommt seine Einbeziehung als Kläger nicht in Betracht (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-4200 § 7 Nr. 4). Der Ehemann der Klägerin war auch nicht notwendig nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beizuladen, weil er über die Prüfung der Hilfebedürftigkeit der Klägerin - allenfalls in seinen wirtschaftlichen Interessen berührt wird (vgl. BSG SozR 4-4200 § 20 Nr. 3; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 9 Rdnr. 33a). Diese würden lediglich eine einfache Beiladung nach § 75 Abs. 1 SGG rechtfertigen.
In der Sache ist bereits zweifelhaft, ob die Klägerin die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 19 Satz 1 SGB II (i.d.F. des Gesetzes vom 23. Dezember 2007) erfüllt. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die Voraussetzungen der Nrn. 1, 2 und 4 dieser Regelung sind zwar gegeben, die Frage ist aber, ob die Klägerin auch hilfebedürftig ist. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit (Nr. 1) oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (Nr. 2) sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Die Klägerin erhält nämlich seit dem 1. Juli 2008 Leistungen zum Lebensunterhalt von dem Beigeladenen, so dass zumindest ihr Lebensunterhalt gesichert war und ist. Ob Hilfebedürftigkeit deshalb bejaht werden kann, weil sie über Leistungen zum Lebensunterhalt hinaus letztlich Leistungen der Eingliederung nach § 16 SGB II begehrt, welche nur von der Beklagten und nicht vom Sozialhilfeträger zu erbringen sind, kann dahinstehen. Einem Anspruch der Klägerin steht jedenfalls § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II entgegen.
Nach dieser Vorschrift erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Die Klägerin bezieht eine litauische Altersrente in Höhe von monatlich 599,95 Litas, was einem Betrag von ca. 173 Euro entspricht. Der Bezug dieser Altersrente stellt eine der deutschen Altersrente ähnliche öffentlich-rechtliche Leistung dar (vgl. - zu der vergleichbaren Regelung des § 142 Abs. 1 Nr. 4 SGB III - Urteil des BSG vom 29. Oktober 1997 - 7 RAr 10/97 - SozR 4100, § 118 Nr. 3; Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 7 Rdnr. 78; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 7 Rdnr. 72). Sie wird durch einen öffentlich-rechtlichen Träger gewährt, ist - wie die deutsche Altersrente - durch Beiträge finanziert, erfasst - für alle Arbeitnehmer und Selbständige obligatorisch - die erwerbstätige Bevölkerung und wird grundsätzlich nur nach einer Mindestversicherungsdauer gezahlt. Die Altersgrenze zur Inanspruchnahme der Altersrente für Männer beträgt 62 Jahre und 6 Monate, diejenige für Frauen beträgt 60 Jahre. Was ihre Höhe anbetrifft, so setzt sich die Altersrente aus der Grund- und der Zusatzrente zusammen. Die Grundaltersrente entspricht der Grundrente und ist für alle Versicherten gleich, die die Pflichtbeitragszeit zur staatlichen Altersrentenversicherung zurückgelegt haben. Die Zusatzaltersrente wird für die Arbeitsnehmer und Selbständigen berechnet, die entsprechend versichert waren. Die Höhe der Vollaltersrente wird nach einer besonderen Formel berechnet. Bei einer Person, die beide Renten bezieht, verringert sich die Zusatzrente der Sozialversicherung je nach Kumulierungsgrad und den Zusatzrentensätzen der Rentenversicherungsbeiträge. Die Grundrente kann durch Regierungsbeschluss erhöht werden. Die Zusatzrente wird je nach dem versicherten Durchschnittseinkommen des laufenden Jahres angepasst (vgl. Euro-päische Kommission, Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit, Mobilität in Europa unter http://ec.europa.eu/). Damit weist die litauische Altersrente im Wesentlichen die gleichen Strukturen wie die inländische Altersrente auf, was nach der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) die Gleichstellung rechtfertigt. Dass die litauische Rente vorliegend nicht geeignet ist, den Lebensunterhalt der Klägerin in Deutschland zu sichern, ist unerheblich.
Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf die Rechtsansicht der Bundesagentur für Arbeit (BA), die in ihren fachlichen Hinweisen zum SGB II (7. 49) ausführt, bei einer ausländischen Altersrente bzw. einer mit ihr vergleichbaren Sozialleistung, die deutlich vor dem frühestmöglichen Eintrittsalter nach deutschem Rentenrecht gewährt werde, sei im Einzelfall zu prüfen, ob der Hilfebedürftige weiterhin gewillt sei, bis zum Renteneintritt nach deutschem Recht eine Beschäftigung aufzunehmen. In diesen Fällen sei der Hilfebedürftige nicht an den kommunalen Träger (SGB XII) zu verweisen. Es seien Leistungen nach dem SGB II, unter Anrechnung der Rente, zu gewähren. Es kann dahingestellt bleiben, ob für diese Auffassung eine rechtliche Grundlage besteht. Dagegen spricht vor allem, dass es auf das Lebensalter des Rentenbeziehers nicht mehr ankommen kann, wenn eine ausländische Rente als Rente wegen Alters oder als ähnliche Leistung öffentlich-rechtlicher Art anzusehen ist (so ausdrücklich Spellbrink, in Eicher/Spellbrink a.a.O., § 7, Rdnr. 72).
Denn im Falle der Klägerin kann nicht davon ausgegangen werden, die litauische Altersrente werde deutlich vor dem frühestmöglichen Eintrittsalter nach deutschem Rentenrecht gewährt. Die Altersgrenze nach litauischem Recht liegt - wie ausgeführt - für Frauen bei 60 Jahren. Dem entsprach bis zum 31. Dezember 1999 die Altersgrenze für Frauen nach § 39 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Diese Sonderregelung ist zwar entfallen, jedoch gilt die genannte Altersgrenze weiter für Frauen, die - wie die Klägerin - vor dem 1. Januar 1952 geboren sind (vgl. § 237a Abs 1 SGB VI); sie können die Altersrente vorzeitig mit der Vollendung des 60. Lebensjahres in Anspruch nehmen. Im Übrigen sieht das deutsche Rentenrecht nach wie vor für weitere Personengruppen (§ 37 SGB VI: schwerbehinderte Menschen; § 36 SGB VI: langjährig Versicherte) eine vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente bereits nach Vollendung des 62. bzw. 63. Lebensjahres vor. Vor dem Hintergrund dieser - inländischen - Altersgrenzen kann von einem deutlich früheren Eintrittsalter in den Rentenbezug bei der Klägerin keine Rede sein.
Die Klägerin vermag sich schließlich auch nicht auf Vertrauensschutz zu berufen. Zwar hat der Gesetzgeber mit § 65 Abs. 4 SGB II i.V.m. § 428 SGB III für ältere Leistungsempfänger, bei denen die Vollendung des 58. Lebensjahres und die Entstehung des Leistungsanspruchs vor dem 1. Januar 2008 liegen, grundsätzlich einen gewissen Vertrauensschutz geschaffen. Denn er hat bezüglich der in der letztgenannten Vorschrift vorgesehenen Möglichkeit der Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung bestimmt, dass die Aufforderung zur Rentenantragstellung nicht für solche Altersrenten ergehen soll, die vor dem für den Versicherten maßgebenden Rentenalter in Anspruch genommen werden können. Damit soll deutlich gemacht werden, dass der Versicherte nur aufgefordert werden soll, wenn er eine Altersrente ohne Rentenminderung beziehen kann (vgl. Brand in Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 428 Rdnr. 9), was bei der Klägerin handelte es sich bei ihr um eine inländische Altersrente nach § 237a SGB VI - nicht der Fall wäre. Dies gilt auf Grund der Verweisung in § 65 Abs. 4 Satz 3 SGB II auch für Leistungsempfänger nach dem SGB II; sie haben ebenfalls nur eine ungeminderte Altersrente zu beanspruchen, wenn sie - wie vorliegend die Klägerin - die Leistungen unter erleichterten Voraussetzungen, nämlich trotz Beschränkung ihrer Arbeitsbereitschaft, bezogen haben (vgl. Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 3. November 2010 - L 7 AS 677/10 B ER; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl., § 65 Rdnr. 9; Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 65 Rdnr. 29 ff., Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 12a Rdnr. 29, Hünecke in Gagel, SGB II und III, § 65 SGB II Rdnr. 30). Diese Regelung kommt der Klägerin indes nicht zugute, weil sie die litauische Rente offensichtlich nicht nach Aufforderung der Beklagten, sondern freiwillig aus eigenem Antrieb beantragt hat. Denn in den der Erklärung der Klägerin vom 13. Dezember 2007 zugrunde liegenden Hinweisen der Beklagten ist ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht worden, die Klägerin sei nicht verpflichtet, eine nur abschlägig geminderte Rente zu beantragen. In einem solchen Fall gelangen aber weder § 428 Abs. 2 SGB III noch § 12a Satz 2 SGB II, wonach bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres Hilfebedürftige nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen, zur Anwendung.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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