L 9 AS 739/16 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 27 AS 654/16 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 739/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 10. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

Die am 1. November 2016 beim Sozialgericht Gießen eingegangene Beschwerde des Antragstellers mit dem wörtlichen Antrag,

a) Den Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben
b) Den einstweiligen Rechtsschutz wiederherzustellen
c) Den Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 2016 aufzuheben
d) Die aufschiebende Wirkung meines Widerspruches vom 04.06.2016 wiederherzustellen.
e) Die Kosten des Verfahrens dem Beschwerdegegner aufzuerlegen,

hat keinen Erfolg.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Die Anträge a), b) und d) sind sinngemäß dahin auszulegen, dass der Antragsteller die Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Gießen vom 10. Oktober 2016, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 4. Juni 2016 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27. Mai 2016 und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 22. Juli 2016 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Juli 2016 begehrt. Das Sozialgericht hat insoweit unter Bezugnahme auf verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zwar zutreffend angenommen, dass die aufschiebende Wirkung nicht nur bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides, sondern bis zur Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes fortwirkt. Der Senat weist aber zum einen darauf hin, dass die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) anders als das Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausdrücklich normiert, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Anfechtungsklage mit der Unanfechtbarkeit endet (§ 80b Abs. 1 Satz 1 1. Alt. VwGO). Die früher in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte umstrittene Frage, ob die aufschiebende Wirkung bereits mit Erlass der Rechtsbehelfsentscheidung oder erst mit der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes endet (vgl. die Nachweise bei Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, Fn. 6 zu § 80b Rn. 4), hat der Gesetzgeber mit Einfügung dieser Vorschrift im Sinne der schon bisher vorherrschenden Auffassung entschieden (Puttler, s. o., § 80b Rn. 4). Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass nach Erlass des Widerspruchsbescheides ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes jedenfalls dann nicht ausreicht, wenn die Ausgangsentscheidung durch den Widerspruchsbescheid geändert wurde. Erweist sich dann der ursprüngliche Bescheid isoliert betrachtet als rechtmäßig in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, aber als rechtswidrig, kommt nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides in Betracht. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, da die Widersprüche des Antragstellers gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 27. Mai 2016 und vom 18. Juli 2016 ohne Änderungen der Verfügungssätze zurückgewiesen wurden.

Soweit der Antragsteller mit seinem Antrag c) die Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 2016 begehrt, ist der Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unzulässig, da eine Aufhebung von Bescheiden nur im Hauptsacheverfahren erfolgen kann (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG). Über die Kosten des Verfahrens (Antrag e) entscheidet das Gericht von Amts wegen.

Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 4. Juni 2016 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27. Mai 2016 und auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 22. Juli 2016 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Juli 2016 sind nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaft, da die Widersprüche nach § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung entfalten. Sie sind auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat der Antragsteller auch gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2016 fristgerecht Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben (S 27 AS 851/16).

Die danach zulässigen Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche des Antragstellers vom 4. Juni 2016 und vom 22. Juli 2016 gegen die Bescheide vom 27. Mai 2016 und vom 18. Juli 2016 sind aber nicht begründet.

Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu.

Dabei ist die Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt (vgl. Greiser in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 39 Rn. 4). Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn. 12c).

Vorliegend bestehen jedenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Zur Begründung nimmt der Senat insoweit Bezug auf die Gründe des Beschlusses des Sozialgerichts (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren gibt zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass. Die von dem Antragsteller vorgetragenen Auffassungen, das Jobcenter sei eine privatrechtliche Firma, deren Beschäftigte den Nachweis der Verleihung hoheitlicher Befugnisse erbringen müssten, es werde gegen das Grundgesetz verstoßen, weil es hier keine Beamten gebe, auch habe er keine verpflichtenden Vertragsangebote, die vom Jobcenter ausgegangen seien, angenommen, finden im geltenden Recht keine Stütze und sind daher nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidungen zu begründen. Auch der weitere Vortrag des Antragstellers zu dem Eingliederungsverwaltungsakt und zu der Sanktionsentscheidung begründet keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidungen. Dem Beschwerdevorbringen kann nicht entnommen werden, dass der Antragsteller zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung bereit gewesen ist. Soweit der Antragsteller die fehlende Obergrenze der von dem Antragsgegner unterbreiteten Stellenangebote, auf die sich der Antragsteller zu bewerben hat, beanstandet, ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner dem Antragsteller eine unzumutbar hohe Zahl von Bewerbungen abverlangt. Der Antragsteller hat selbst eingeräumt, dass der Antragsgegner ihm in den letzten zwei bis drei Jahren auf keinen Fall mehr als 10 bis 15 Stellenangebote unterbreitet habe. Der Vortrag des Antragstellers, die beiden anderen von dem Antragsgegner angebotenen Stellen, auf die er sich habe bewerben sollen, seien unzumutbar gewesen, ist nicht entscheidungserheblich, da die Sanktionsentscheidung nur darauf gestützt wurde, dass sich der Antragsteller nicht bei der Firma X. GmbH beworben hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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