L 7 AS 365/16

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 8 AS 330/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 365/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 50/17 BH
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 7. März 2016 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch um die Rechtmäßigkeit der Ablehnung einer Zusicherung nach § 22 Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) für zwei Wohnungsangebote vom 3. September und 5. Oktober 2010 sowie der Verwaltungsrichtlinien des Beklagten zur "Angemessenheit von Unterkunftskosten" im Bereich der Stadt A-Stadt.

Der Kläger fragte mit E-Mail vom 3. September 2010 unter Beifügung des entsprechenden Angebots bei dem Beklagten an, ob die von ihm ausgewählte Wohnung "C-Straße" zustimmungsfähig sei. Es handelte sich um eine 35 qm große Einzimmerwohnung in A-Stadt. Die Kaltmiete betrug 380,00 EUR und die Nebenkosten beliefen sich auf 100,00 EUR. Der Beklagte antwortete dem Kläger mit E-Mail vom gleichen Tag, dass eine Zustimmung nicht möglich sei, weil die Grundmiete dieser Wohnung die Angemessenheitsgrenze erheblich übersteige (Bl. 12, 13 Gerichtsakte – GA). Mit E-Mail vom 5. September 2010 und unter Beifügung des entsprechenden Angebots fragte der Kläger wiederum bei dem Beklagen an, ob dieses Angebot die Zustimmung des Beklagten finde. Es handelte sich um eine 55 qm große Zweizimmerwohnung, wobei sich die Grundmiete auf 350,00 EUR und die Nebenkosten auf 90,00 EUR beliefen. Der Beklagte teilte dem Kläger mit E-Mail vom 6. September 2010 mit, dass auch diese Wohnung die Angemessenheitsgrenze erheblich übersteige und deshalb keine Zustimmung erteilt werden könne Bl. 14, 15 GA). Darüber hinaus übersandte der Beklagte dem Kläger eine Liste, die ihm bei der Wohnungssuche helfen könne sowie ein Hinweisblatt des Beklagten zur "Angemessenheit von Unterkunftskosten" (Bl. 16 GA). Mit Schreiben vom 15. September 2010 erhob der Kläger gegen die Ablehnungen des Beklagten vom 3. September und 6. September 2010 sowie gegen die "Dienstanweisung" für die Bemessung von Wohnraum Widerspruch. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. September 2011 als unzulässig zurück. Hinsichtlich der seitens des Klägers begehrten Zusicherungen zur Übernahme der Aufwendungen für die vorgelegten Mietangebote sei der Widerspruch unzulässig geworden, da der Wohnraum für den die Zusicherungen begehrt worden seien, nicht mehr zur Verfügung stehe. Ferner sei der Widerspruch gegen die "Dienstanweisung" für die Bemessung von Wohnraum unzulässig, da es sich hierbei um keinen Verwaltungsakt handele.

Der Kläger hat hiergegen am 17. Oktober 2011 bei dem Sozialgericht Marburg Klage erhoben und ist am 1. November 2012 in die Wohnung unter der jetzigen Anschrift: A Straße in A-Stadt umgezogen, für die der Beklagte die tatsächlichen Kosten der Unterkunft (KdU) zahlt. Die Klage mit dem Antrag, die Entscheidungen des Beklagten vom 3. und 6. September 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14. September 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die notwendigen Sozialleistungen zu erbringen, sowie festzustellen, dass die von dem Beklagten in Bezug genommene Richtlinie zur Angemessenheit von Unterkunftskosten nicht geeignet sei, die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft in A-Stadt gegenwärtig zu bestimmen, hat das Sozialgericht nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 7. März 2016 als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: "Der Antrag, den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 03.09.2010 und 06.09.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.09.2011 zu verpflichten, ihm die notwendigen Sozialleistungen zu erbringen, ist nach § 123 SGG dahingehend auszulegen, dass der Kläger die Verpflichtung des Beklagten begehrt, ihm die Zusicherung für die Übernahme der Unterkunftskosten für die an den Beklagten übersandten Wohnungsangebote vom 03.09.2010 und 05.10.2010 zu erteilen. Die Klage mit diesem Antrag ist bereits unzulässig. Der Kläger verfolgt sein Begehren, nämlich die Erteilung einer Zusicherung mit einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 06. April 2011 - B 4 AS 5/10 R -, Rn. 13, juris). Bei der Zusicherung im Sinn des § 22 Abs. 4 SGB II handelt es sich um einen Verwaltungsakt nach §§ 34 und 31 SGB X. Gegenstand der Zusicherung ist die Übernahme der Unterkunftskosten für eine konkrete Unterkunft in konkreter Höhe. Es besteht daher kein Anspruch auf eine pauschale Zusicherung für den Umzug in irgendeine Unterkunft mit angemessenen Kosten (Piepenstock, in: Schlegel/Voelzke, Juris PK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 22 Rn. 182). Entscheidungserheblicher Zeitpunkt in einer Verpflichtungskonstellation ist die mündliche Verhandlung oder der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Da es sich um zwei Wohnungsangebote vom Oktober 2010 handelt, ist davon auszugehen, dass diese Wohnungen zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Somit kann das Gericht den Beklagten auch nicht mehr zu Erteilung einer Zusicherung für eine dieser Wohnungen verpflichten, selbst wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen würden. Darüber hinaus ist der Kläger zum 01.12.2011 in seine derzeitige Wohnung eingezogen. Vor diesem Hintergrund ist Erledigung eingetreten. Die Kammer hatte dem Kläger im Rahmen ihres rechtlichen Hinweises vom 22.12.2015 mitgeteilt, dass sie davon ausgeht, dass die Wohnungen gegenwärtig nicht mehr auf dem Mietmarkt zur Verfügung stehen. Da der Kläger nichts Gegenteiliges vorgetragen hat, bestand für die Kammer auch keine Veranlassung an dieser Annahme zu zweifeln. Ferner erfolgte trotz des gerichtlichen Hinweises vom 22.12.2015 keine Umstellung des Antrags auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage. Der Feststellungsantrag des Klägers ist ebenfalls unzulässig. Allgemein ist die Feststellungsklage unzulässig, wenn durch eine andere Klageart dasselbe oder meist sogar mehr erreicht werden könnte. Ist eine solche an sich statthafte vorrangige Klage aus prozessrechtlichen Gründen nicht erfolgversprechend, dann ist auch die Feststellungsklage unzulässig. Kein Rechtsschutzbedürfnis besteht, wo eine sachliche Prüfung des Begehrens bereits im Anfechtungs- und Leistungsverfahren erreicht wird (Dr. Tilman Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, § 55, Rn. 14). So liegt der Fall hier. Mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage könnte der Kläger mehr als mit der Feststellungklage erreichen, da er mit der ersteren eine Zusicherung erhalten hätte. Darüber hinaus wäre die Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft für die beiden Wohnungsangebote im Rahmen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage überprüft worden und in diesem Zusammenhang auch die Frage, welche Kriterien der Beklagte zu deren Bestimmung heranzieht. Wie bereits zuvor ausgeführt, ist diese Klage jedoch unzulässig. Es fehlt auch am Feststellungsinteresse des Klägers sowie am tauglichen Streitgegenstand. Nach § 55 Abs. 1 SGG muss der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung haben. Ausreichend ist daher jedes nach der Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigtes Interesse, das rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art sein kann. Das Rechtsverhältnis muss hinreichend konkret sein, da die Klärung abstrakter Rechtsfragen nicht zulässig ist (Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 6. Auflage, Rn. 107 f.). Der Beklagte zahlt dem Kläger die tatsächlichen Kosten der Unterkunft für seine Wohnung in der A-Straße in A-Stadt, in die der Kläger am 01.12.2011 umgezogen ist. Demzufolge besteht zum jetzigen Zeitpunkt kein berechtigtes Interesse des Klägers an der von ihm begehrten Feststellung, dass die damaligen Richtlinien des Beklagten zur Ermittlung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht geeignet seien, die Angemessenheit zu bestimmen. Es geht dem Kläger nur noch um die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage ohne aktuelle Relevanz. Nach alledem war die Klage abzuweisen".

Gegen den ihm am 8. März 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 8. April 2016 Berufung eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt mit dem Hinweis, seine Klage sei als Normenkontrollklage analog § 55a Abs. 1 SGG fortzuführen. Mit Beschluss vom 2. August 2016 hat der Senat die Berufung dem Berichterstatter zur Entscheidung nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) übertragen. Auf seinen Antrag vom 7. Februar 2017 hat der Senat dem Kläger zur Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung mit Beschluss vom 8. Februar 2017 Reiseentschädigung bewilligt.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der unter Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens mit Postzustellungsurkunde vom 1. Februar 2017 zur mündlichen Verhandlung am 17. Februar 2017 geladene Kläger ist ohne Angabe von Gründen nicht erschienen. Stattdessen hat er im unmittelbar vorangegangenen Termin (L 7 AS 218/16) derselben Senatssitzung einen Schriftsatz desselben Datums überreicht, mit dem er beantragt hat, den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht C. auch in den am Sitzungstag danach terminierten Verfahren zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Nachdem der abgelehnte Richter in Abwesenheit des Klägers die mündliche Verhandlung eröffnet und bis zur Antragstellung geleitet hat, hat als anwesender Vertreter des abgelehnten Richters der Richter am Landessozialgericht Professor Dr. D. mit in derselben mündlichen Verhandlung verkündetem Beschluss zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern das Befangenheitsgesuch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen, weil alleine die vom Kläger gerügte möglicherweise fehlerhafte Ablehnung von Prozesskostenhilfe nicht geeignet sei, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Anschließend hat sich der Senat, wieder unter dem Vorsitz des ursprünglich abgelehnten Richters, zur Beratung zurückgezogen und das vorstehende Urteil verkündet.

Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 17. Februar 2017 sowie den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der in der Durchführung der mündlichen Verhandlung durch den abgelehnten Richter möglicherweise liegende Verstoß gegen die durch § 47 Abs. 1 ZPO begründete Wartepflicht, ist durch die spätere Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs unter dem Vorsitz eines anderen ständigen Senatsmitglieds noch vor Beratung und Verkündung eines Urteils geheilt (so zutreffend: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Komm., 11. Aufl. 2014, § 60 Rn. 13b m.w.N.; Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28. Dezember 1999, 9 AZN 739/99, Juris Rn. 10; Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10. Oktober 2007, X S 16/06 (PKH), Juris Rn. 7; OLG München, Beschluss vom 5. März 1993, 2 Ws 100, 101/93, Juris). Eine Sachentscheidung konnte auch in Abwesenheit des ordnungsgemäß unter Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens zum Termin geladenen Klägers ergehen, denn alleine das Ausbleiben eines Beteiligten ohne genügenden Entschuldigungsgrund vermag eine Terminsänderung nicht zu begründen (§ 202 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Der Kläger konnte auch nicht aufgrund seines Ablehnungsgesuchs davon ausgehen, dass die Verhandlungen in den nachfolgenden Streitsachen nicht durchgeführt würden, denn er musste die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der Senat – wie schließlich auch geschehen - noch in demselben Termin in anderer Besetzung über das Ablehnungsgesuch entscheiden und die mündliche Verhandlung in der Sache fortsetzen würde. Nach allem war der Kläger jedenfalls nicht ohne sein Verschulden am Erscheinen im Termin verhindert.

Die nur wegen der formellen Beschwer durch den angegriffenen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet, weil die Klage schon unzulässig war, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat.

Allerdings ist der Kläger erst am 1. November 2012 in seine neue Wohnung umgezogen, dies ändert aber nichts daran, dass damit Erledigung in der Sache noch vor Erlass des angegriffenen Gerichtsbescheids eingetreten und das Rechtsschutzinteresse des Klägers entfallen ist.

Auch soweit der Kläger die Überprüfung der Verwaltungsrichtlinien des Beklagten zur "Angemessenheit von Unterkunftskosten" im Bereich der Stadt A-Stadt im Wege der Normenkontrolle gemäß § 55a Abs. 1 SGG begehrt, ist die Klage unzulässig, weil danach nur Satzungen und im Range unter einem Landesgesetz stehende Rechtsvorschriften auf ihre Gültigkeit zu überprüfen sind, die zuvor genannten Verwaltungsrichtlinien des Beklagten aber weder in der Rechtsform einer Satzung noch einer anderen Form der Rechtssetzung (z. B. Rechtsverordnung) ergangen sind. Verwaltungsvorschriften oder Richtlinien, die sich wie im vorliegenden Fall darauf beschränken, verwaltungsintern das Handeln von Behörden zu binden oder zu steuern, sind als Binnennormen keine Rechtssätze mit Außenwirkung (so zutr.: Keller, a.a.O., § 55a Rn. 4 m.w.N.). Der Umstand, dass der Beklagte seine Verwaltungsrichtlinien zur "Angemessenheit von Unterkunftskosten" Leistungsempfängern als Richtschnur bei der Wohnungssuche zur Kenntnis gibt, bewirkt keine rechtliche Bindung der Betroffenen oder anderer Außenstehender, wie insbesondere der Gerichtsbarkeit.

Im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Bezug genommen und von einer erneuten Darstellung derselben abgesehen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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