L 7 AL 188/11

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 7 AL 37/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 188/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 13/12 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld wegen einer erhaltenen Entlassungsentschädigung für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 22. Mai 2008 geruht hat.

Die 1955 geborene Klägerin war vom 15. Juni 1988 bis 31. Dezember 2007 bei der B Stadter Sparkasse als Reinigungskraft beschäftigt. Sie ging in der Filiale A-Stadt einer Teilzeitbeschäftigung von zuletzt 23,40 Stunden wöchentlich nach. Wegen der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit und ihres Lebensalters (über 15 Jahre Betriebszugehörigkeit und Lebensalter über 40 Jahre) war die Klägerin nach dem einschlägigen Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes für Sparkassen (TVöD-S) gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD-S durch den Arbeitgeber ordentlich unkündbar. Die ordentliche Kündigung hätte im Übrigen 6 Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 TVöD-S betragen.

Mit Schreiben vom 23. Mai 2007 sprach die Arbeitgeberin der Klägerin der Klägerin wegen der Ausgliederung des Reinigungsdienstes die Kündigung zum 31. Dezember 2007 aus. Die daraufhin von der Klägerin erhobene Kündigungsschutzklage bei dem Arbeitsgericht Kassel (Az.: 5 Ca 229/07) vom 13. Juni 2007 endete durch arbeitsgerichtlichen Vergleich in der Güteverhandlung vom 29. Juni 2007, in dem die Klägerin mit ihrer früheren Arbeitgeberin die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2007 vereinbarte und zur Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes von der Arbeitgeberin eine Abfindung in Höhe von 20.000,00 Euro erhielt. Am 24. September 2007 meldete sich die Klägerin daraufhin zum 1. Januar 2008 persönlich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.

Mit Bescheid vom 16. Januar 2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld erst ab dem 23. Mai 2008 für eine Anspruchsdauer von 360 Kalendertagen nach einem täglichen Arbeitsentgelt von 41,83 Euro in der Lohnsteuerklasse 5 zum allgemeinen Leistungssatz. Mit weiterem Bescheid vom 16. Januar 2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der Arbeitslosengeldanspruch bei Annahme einer fiktiven Kündigungsfrist von 18 Monaten gemäß § 143 a SGB III bis zum 22. Mai 2008 ruhe, da die ordentliche Kündigung der Klägerin tarifvertraglich ausgeschlossen gewesen sei. Die Berechnung des Ruhenszeitraums bei der erhaltenen Entlassungsentschädigung von 20.000,00 Euro führe zu einem Ruhen des Arbeitslosengeldanspruches vom 1. Januar 2008 bis einschließlich 22. Mai 2008. Mit ihrem Widerspruch vom 30. Januar 2008 machte die Klägerin geltend, die Arbeitgeberin sei sehr wohl zur Kündigung berechtigt gewesen, da eine Teilbetriebsstilllegung hinsichtlich der Reinigungsabteilung vorliege. Dies begründe ein Sonderkündigungsrecht für die frühere Arbeitgeberin.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2008 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Auffassung der Klägerin, dass von einer Teilbetriebsstilllegung mit Sonderkündigungsrecht auszugehen sei, werde nicht geteilt, denn der Betriebsteil, welcher nach Auffassung der Arbeitgeberin und der Klägerin stillgelegt worden sei, bestehe dem Grunde nach weiter fort. Die auszuführenden Tätigkeiten seien lediglich an einen Dritten übertragen worden, sodass eine Teilbetriebsstilllegung nicht vorläge. Es erschließe sich daher nicht, warum die Arbeitgeberin eine unkündbare Mitarbeiterin nicht weiter beschäftigen könne, wenn die Tätigkeiten, mit welcher sie bisher betraut war, in dem Betrieb weiter ausgeführt würden. Die ordentliche Kündigung der Klägerin sei tarifvertraglich ausgeschlossen gewesen. Damit sei eine 18-monatige "fiktive" Kündigungsfrist im Sinne von § 143 a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB III zu Grunde zu legen, wobei die Berechnung des Ruhenszeitraumes im Einzelnen dazu führe, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld im Zeitraum vom 1. Januar bis 22. Mai 2008 ruhe. Wegen der zwischen den Beteiligten nicht streitigen Berechnung des Ruhenszeitraumes wird auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid (Bl. 41 + 42 der Verwaltungsakte der Beklagten) verwiesen.

Mit der bei dem Sozialgericht Kassel (SG) am 14. Februar 2008 eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin weiterhin gegen das Eintreten eines Ruhens nach § 143 a SGB III. Die unternehmerische Entscheidung der früheren Arbeitgeberin, die eigenen Reinigungskräfte nicht mehr fortzubeschäftigen, sei als Teilbetriebsstilllegung zu werten und an sich nicht in Frage zu stellen. Die Kündigung sei somit außerordentlich rechtmäßig gewesen, da ein Teilbetrieb durch die Arbeitgeberin zum 31. Dezember 2007 geschlossen worden sei. Die Kündigungsfrist für die außerordentliche Kündigung betrage nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes für Sparkassen 6 Monate.

Nach Auffassung der Beklagten sei es der früheren Arbeitgeberin demgegenüber nicht unzumutbar gewesen, die tarifvertraglich unkündbare Klägerin weiter zu beschäftigen. Auch im Falle der beklagten Arbeitsagentur Kassel seien tarifvertraglich unkündbare Arbeitnehmerinnen im Reinigungsdienst fortbeschäftigt worden, obwohl Fremdunternehmen mit der Reinigung der Räume beauftragt worden seien.

Das SG hat die Akte des Arbeitsgerichts Kassel zum Az.: 5 Ca 229/07 beigezogen und die Auskünfte bei der früheren Arbeitgeberin der Klägerin vom 13. Oktober und 9. Dezember 2008 eingeholt, nach denen nach Auffassung der früheren Arbeitgeberin die Voraussetzungen vorgelegen hätten, die sie zu einer fristgebundenen Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt hätten. Der Vorstand der Arbeitgeberin habe entschieden, die Reinigungsarbeiten aus Kostengründen statt von eigenen Raumpflegerinnen durch eine Fremdfirma ausführen zu lassen; somit sei der Arbeitsplatz der Klägerin weggefallen. Diese sei auch nicht weiter zu beschäftigen gewesen, da eine andere Beschäftigung bei der Arbeitgeberin nicht möglich gewesen sei. Auch der Personalrat habe für die Raumpflegerinnen keine andere Verwendung erkennen können. Ein Sozialplan existiere nicht. Im Übrigen sei die Klägerin tarifvertraglich ordentlich unkündbar gewesen, so dass lediglich eine betriebsbedingte Kündigung wegen Wegfall des Arbeitsplatzes und mangelnder Fortbeschäftigungsmöglichkeit möglich gewesen sei.

Mit Urteil vom 26. Oktober 2011 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des streitgegenständlichen Ruhensbescheides verurteilt, der Klägerin bereits ab dem 1. Januar 2008 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Ein Ruhenszeitraum vom 1. Januar 2008 bis 22. Mai 2008 sei nicht gemäß § 143 a SGB III eingetreten. Denn im Falle der Klägerin sei zwar die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD-S ausgeschlossen gewesen, die Arbeitgeberin sei jedoch wegen ihrer unternehmerischen Entscheidung, den Reinigungsdienst nicht mehr durch eigene Angestellte, sondern durch Fremdbetriebe ausführen zu lassen, berechtigt gewesen, der Klägerin aus wichtigem Grund eine Kündigung mit sozialer Auslauffrist von 6 Monaten auszusprechen. Die Kündigungsfrist von 6 Monaten ergebe sich dabei aus der ordentlichen Kündigungsfrist der Klägerin gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 TVöD-S. Insoweit seien die Voraussetzungen des § 143 a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 2. Alternative SGB III gegeben, da die Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund vorgelegen hätten, so dass diejenige Kündigungsfrist für die Klägerin Geltung habe, die ohne den Ausschluss der ordentlichen Kündigung maßgebend gewesen sei (6 Monate). Aufgrund der eingeholten Auskünfte habe die Kammer keine Zweifel, dass die frühere Arbeitgeberin die unternehmerische Entscheidung getroffen habe, über den 31. Dezember 2007 nicht – wie zuvor – eigene Reinigungskräfte zu beschäftigen, sondern diesen Bereich nunmehr Fremdfirmen zur Ausführung zu übertragen. Damit sei der Arbeitsplatz der Klägerin nach dem 31. Dezember 2007 aus betriebsbedingten Gründen aufgrund der vom Vorstand der Arbeitgeberin getroffenen unternehmerischen Entscheidung weggefallen. Dies habe die Arbeitgeberin berechtigt, der Klägerin, die in ordentlicher Hinsicht einen Status der Unkündbarkeit erlangt hatte, außerordentlich aus wichtigem Grund mit sozialer Auslauffrist zu kündigen. Insoweit hätten arbeitsrechtlich im Falle der Klägerin auch Tatsachen vorgelegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den 31. Dezember 2007 nicht zumutbar gewesen sei. So sei die Klägerin seit ihrer Einstellung im Jahre 1988 bei der früheren Arbeitgeberin als Reinigungskraft beschäftigt gewesen und verfüge über keine weitere berufliche Qualifikation, die eine Weiterbeschäftigung im übrigen Geschäftsbetrieb der Sparkasse erkennbar machen könnte. Naturgemäß habe die Arbeitgeberin abzuwägen gehabt, ob eine Umsetzung der Klägerin auf einen anderen Arbeitsplatz nach dem 31. Dezember 2007 oder eine Fortbildung bzw. Qualifizierung der Klägerin für die Ausübung einer anderen Tätigkeit in ihrem Geschäftsbereich möglich gewesen wäre. Hierfür könne die Kammer jedoch keine Anhaltspunkte erkennen, da die im Übrigen ohne Berufsausbildung gebliebene Klägerin eine andere qualifizierte Tätigkeit im Bereich ihrer früheren Arbeitgeberin nicht auszuüben im Stande gewesen sei. Damit wäre die Arbeitgeberin verpflichtet gewesen, der Klägerin aufgrund ihrer tarifvertraglichen Unkündbarkeit weiterhin Arbeitsentgelt zu zahlen, ohne das eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit durch Umsetzung möglich gewesen wäre. Auch die Argumentation der Beklagten, die frühere Arbeitgeberin hätte die unkündbare Klägerin selbst bei Beauftragung von Fremdfirmen zur Reinigung ihrer Geschäftsräume weiterhin fortbeschäftigen können, greife nicht durch, da die Entscheidung der Arbeitgeberin, gerade keine eigenen Reinigungskräfte aus Kostengründen mehr beschäftigen zu wollen, in unternehmerischer Hinsicht rechtlich nicht in Frage zu stellen sei. Ob in anderen Bereichen – wie möglicherweise bei der Arbeitsagentur Kassel – anders verfahren werde, sei für den zu entscheidenden Fall nicht von Bedeutung. Ein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruches ab dem 1. Januar 2008 sei somit nicht eingetreten, mit der Folge, dass der Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld gemäß § 118 SGB III bei unstreitig und zur Überzeugung der Kammer vorliegenden übrigen Anspruchsvoraussetzungen auf Arbeitslosengeld bereits ab dem 1. Januar 2008 bestanden habe. Selbst wenn aufgrund der Arbeitslosengeldbewilligung der Beklagten nach Beendigung des Ruhenszeitraumes am 22. Mai 2008 der Arbeitslosengeldanspruch der Klägerin bereits vollständig ausgeschöpft sein sollte, so stehe dies einer Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Arbeitslosengeld im Zeitraum vom 1. Januar bis 22. Mai 2008 nicht entgegen, da sich der Anspruch auf Arbeitslosengeld auf einen bestimmten Zeitraum beziehe, wobei von einer Erfüllungswirkung im Sinne von § 362 BGB nicht auszugehen sei (Verweis auf Urteil des Senats vom 21. Mai 2010, L 7 AL 108/09, in juris).

Gegen das ihr am 3. November 2011 zugestellte Urteil des SG hat die Beklagte am 1. Dezember 2011 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Das SG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund vorgelegen hätten. Das SG verkenne bei seiner Betrachtung die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Unter Verweis auf das Urteil des BAG vom 18. März 2010 (2 AZR 337/08) käme eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung mit einer – notwendig einzuhaltenden – Auslauffrist nur dann in Betracht, wenn andernfalls der Ausschluss der ordentlichen Kündigung dazu führe, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit ggf. noch über Jahre weiterbeschäftigen müsse und ihm dies unzumutbar sei. Dies könne nach Ansicht des BAG ausnahmsweise dann der Fall sein, wenn der Arbeitgeber gezwungen wäre, ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis über Jahre hinweg allein durch Gehaltszahlungen, denen keine entsprechende Arbeitsleistung gegenüber steht, aufrechtzuerhalten. Im vorliegenden Fall liege bereits kein sinnentleertes Arbeitsverhältnis vor. Die Klägerin hätte weiter beschäftigt werden können, denn der Bedarf an Reinigungspersonal sei zukünftig trotzdem vorhanden. Infolgedessen hätte der Gehaltszahlung auch eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüber gestanden. Schließlich sei auch eine unternehmerische Entscheidung kein dringendes Bedürfnis zur Rechtfertigung von Kündigungen, soweit die bisherigen Tätigkeiten bei unveränderten betrieblichen Organisationsstrukturen nur von billigeren Arbeitskräften eines Subunternehmers durchgeführt würden (Verweis auf LAG Düsseldorf, Urteil vom 10. Februar 2004 - 6 (8) Sa 1723/03). Genau diese Fallkonstellation läge hier jedoch vor. Es handele sich bei der in Rede stehenden Kündigung nicht um eine durch betriebliche Erfordernisse bedingte, sondern um eine sozial ungerechtfertigte unwirksame Austauschkündigung

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. Oktober 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Im Übrigen seien die Reinigungsarbeiten auch nicht auf ein Subunternehmen der früheren Arbeitgeberin übertragen worden, sondern würden von einer Fremdfirma ausgeführt.

Mit Schriftsätzen vom 12. April 2012 (Klägerin) und 24. April 2012 (Beklagte) haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidung jeweils vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung treffen, weil sich die Beteiligten damit übereinstimmend einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Berufung ist zulässig aber unbegründet.

Das SG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung den Ruhensbescheid der Beklagten vom 16. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2008 aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung von Arbeitslosengeld an die Klägerin bereits ab 1. Januar 2008 verurteilt, denn ein Ruhenszeitraum vom 1. Januar 2008 bis 22. Mai 2008 ist nicht eingetreten. Insoweit verweist der Senat wegen der Einzelheiten gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die überzeugenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Auch aus dem Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren lässt sich keine andere Entscheidung rechtfertigen. Entschließt sich ein Arbeitgeber – wie vorliegend die B Stadter Sparkasse als frühere Arbeitgeberin der Klägerin – im Unternehmensbereich zu einer organisatorischen Maßnahme, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt, so ist die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit dieser Unternehmerentscheidung schon von den Arbeitsgerichten inhaltlich nicht zu überprüfen. Es ist nicht Sache der Arbeitsgerichte, dem Arbeitgeber eine "bessere" oder "richtigere" Unternehmenspolitik vorzuschreiben und damit in die Kostenkalkulation des Arbeitgebers einzugreifen. Die Gestaltung eines Betriebes, die Frage, ob und in welcher Weise sich jemand wirtschaftlich betätigen will, ist Bestandteil der grundrechtlich geschützten unternehmerischen Freiheit, wie sie sich aus Art. 2 Abs. 1, Art. 12 und Art. 14 GG ableiten lässt (BAG vom 26. September 2002 2 AZR 636/01 -; BAG vom 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - mwN; Rost JbArbR Bd. 39 S 83, 86). Zu der verfassungsrechtlich garantierten unternehmerischen Freiheit gehört grundsätzlich auch das Recht des Unternehmers, sein Unternehmen aufzugeben, selbst darüber zu entscheiden, welche Größenordnung es haben soll und festzulegen, ob bestimmte Arbeiten weiter im eigenen Betrieb ausgeführt oder an andere Unternehmer vergeben werden sollen (BAG vom 5. Februar 1998 - 2 AZR 227/97 - BAGE 88, 10; vom 12. November 1998 - 2 AZR 91/98 - BAGE 90, 182; vom 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 - BAGE 92, 61), um z.B. die Aktivitäten auf die sogenannten Kernkompetenzen zu reduzieren, zumal externe Anbieter, die sich auf die fraglichen Dienstleistungen spezialisiert haben und über die erforderliche besondere Sachkunde verfügen, ihre Leistungen oft wesentlich kostengünstiger anbieten.

Die unternehmerische Freiheit gilt jedoch nicht schrankenlos. Die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG schützt nicht nur die unternehmerische Freiheit, sondern gewährt auch einen Mindestbestandsschutz für den Arbeitnehmer. Zwar ist mit der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufswahlfreiheit kein unmittelbarer Schutz gegen den Verlust des Arbeitsplatzes auf Grund privater Disposition verbunden. Insofern obliegt dem Staat aber eine aus dem Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht, der sowohl der Gesetzgeber als auch die Gerichte Rechnung tragen müssen. Der verfassungsrechtlich gebotene Mindestbestandsschutz für ein Arbeitsverhältnis strahlt auf die Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes aus. Die Gerichte haben von Verfassungs wegen zu prüfen, ob von ihrer Anwendung im Einzelfall das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG berührt wird. Trifft das zu, dann haben die Gerichte die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes im Lichte der Grundrechte auszulegen und anzuwenden (BVerfG vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 -, - 1 BvR 195/95 - und - 1 BvR 2189/95 - BVerfGE 96, 171; vom 27. Januar 1998 - 1 BvL 15/87 - BVerfGE 97, 169; vom 21. Februar 1995 - 1 BvR 1397/93 - BVerfGE 92, 140; vom 19. März 1998 - 1 BvR 10/97 - NZA 1998, 587; BAG vom 21. Februar 2001 - 2 AZR 15/00 - BAGE 97, 92; Rost aaO S 86).

Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb in seiner Rechtsprechung bei der Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes auf an sich "freie" Unternehmerentscheidungen stets eine eingeschränkte Prüfung des unternehmerischen Konzepts vorgenommen, da bei einer schrankenlosen Hinnahme jeglicher unternehmerischen Entscheidung als bindend für den Kündigungsschutzprozess der Kündigungsschutz der Arbeitnehmer teilweise leerlaufen würde. Besteht etwa die Unternehmerentscheidung allein in dem Entschluss, einem oder mehreren Arbeitnehmern zu kündigen, so kann diese Entscheidung des Arbeitgebers, was schon aus dem Kündigungsschutzgesetz folgt, nicht "frei" sein. Je näher die eigentliche Organisationsentscheidung an den Kündigungsentschluss rückt, um so stärkere Anforderungen werden etwa an die Darlegungslast des Arbeitgebers gestellt, der verdeutlichen muss, dass infolge der unternehmerischen Entscheidung ein Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer entfallen ist (BAG vom 17. Juni 1999 2 AZR 141/99 - BAGE 92, 71). Außerdem findet eine Missbrauchskontrolle statt. Die unternehmerische Entscheidung ist stets daraufhin zu überprüfen, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (vgl. etwa BAG vom 30. April 1987 - 2 AZR 184/86 - BAGE 55, 262). Diese Missbrauchskontrolle hat sich u.a. daran zu orientieren, dass durch die Wertung der Willkür und des Missbrauchs der verfassungsrechtlich geforderte Bestandsschutz nicht unangemessen zurückgedrängt wird (Rost aaO S 87). Neben Verstößen gegen gesetzliche und tarifliche Normen (BAG vom 18. Dezember 1997 - 2 AZR 709/96 - BAGE 87, 327) zählen hierzu vor allem Umgehungsfälle. Das BAG hat schon mehrfach darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber missbräuchlich handelt, der durch die Bildung separater betrieblicher Organisationsstrukturen seinen Betrieb in mehrere Teile aufspaltet, um Arbeitnehmern den allgemeinen Kündigungsschutz zu entziehen und ihnen "frei" kündigen zu können (BAG vom 12. November 1998 - 2 AZR 459/97 - AP KSchG 1969 § 23 Nr. 20 = EzA KSchG § 23 Nr. 20; vom 29. April 1999 - 2 AZR 352/98 - AP aaO Nr. 21 = EzA aaO Nr. 21; vgl. auch zur Umgestaltung von Arbeitsplätzen BAG vom 10. November 1994 - 2 AZR 242/94 AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 65 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 77).

Ein derartiger Missbrauchs- oder Umgehungsfall liegt vorliegend jedoch nicht vor. Anders als z.B. in dem der Entscheidung des BAG vom 26. September 2002 (2 AZR 636/01, in juris) zugrunde liegenden Fall eines Klinikbetriebes, der u.a. den Reinigungsdienst auf eine neu gegründete Service-GmbH übertrug, hat die frühere Arbeitgeberin der Klägerin den Reinigungsdienst nicht – unter dadurch faktischer Beibehaltung der Arbeitgeberstellung – auf ein von ihr (wirtschaftlich, finanziell und/oder organisatorisch) abhängiges Unternehmen, sondern auf ein selbständiges Drittunternehmen, übertragen. Selbstverständlich hat die frühere Arbeitgeberin der Klägerin auch in diesem Fall weiterhin ein Interesse daran, dass ihre Räumlichkeiten gereinigt werden; dieses unternehmerische Interesse besteht immer bei der Vergabe eines Fremdauftrages und kann jedoch nicht zu dem – von der Beklagten vorgebrachten – Argument führen, dass der Arbeitsplatz der Klägerin tatsächlich nicht weggefallen sei. Nachdem die frühere Arbeitgeberin der Klägerin die zuletzt auch von der Klägerin ausgeübte Reinigungstätigkeit auf ein privates Reinigungsunternehmen zum Zwecke der Kostenersparnis übertragen hatte, war der bisherige Arbeitsplatz der Klägerin ersatzlos weggefallen. Ein dringendes betriebliches Erfordernis, welches die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in diesem Fall rechtfertigt, wäre nur dann ausgeschieden, wenn für die Klägerin ein freier – geeigneter und gleich- oder geringwertigerer – Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden hätte. Dies war jedoch nach den vom SG eingeholten Auskünften bei der früheren Arbeitgeberin der Klägerin auch zur Überzeugung des Senats nicht der Fall. Die frühere Arbeitgeberin hätte folglich der zum Zeitpunkt der Kündigung erst 52 Jahre alten Klägerin, deren Arbeitsplatz weggefallen war, bis zum möglichen Eintritt in den Ruhestand noch viele Jahre Gehalt zahlen müssen, ohne dass dem eine Arbeitsleistung gegenüber gestanden hätte. Demnach wäre auch nach der von der Beklagten angeführten Entscheidung des BAG vom 18. März 2010 (2 AZR 337/08) eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Auslauffrist gerechtfertigt gewesen.

Auch der Verweis der Beklagten auf die Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 10. Februar 2004 (Az.: 6 (8) Sa 1723/03, in juris) vermag ein anderes Ergebnis nicht zu begründen, da in dem dortigen Fall die vorgebrachte Unternehmerentscheidung lediglich dazu führte, dass die bisher ausgeübten Tätigkeiten vermehrt oder ausschließlich von Mitarbeitern eines Subunternehmers bei Aufrechterhaltung der bisherigen betrieblichen Arbeitsorganisation sowie der Arbeitsabläufe unter eigener Regie durchgeführt werden sollten. Diese Fallkonstellation liegt hier jedoch nicht vor.

Nach alledem lag somit ein Fall des § 143 a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 2. Alternative SGB III vor, der letztlich – wie bereits in den in Bezug genommenen Gründen der angefochtenen Entscheidung ausführlich dargelegt und auch von der Beklagten in ihrer Berufsbegründung vom 13. Januar 2012 selbst eingeräumt – dazu führt, dass keine Ruhenszeit eingetreten ist und Arbeitslosengeld bereits ab dem 1. Januar 2008 zu gewähren ist.

Selbst bei einem etwaigen Vortrag, im Falle der Aufhebung der Ruhenswirkung sei der Klägerin für spätere Zeiträume Arbeitslosengeld rechtswidrig bewilligt worden, hat der Senat bereits entschieden, dass über Arbeitslosengeld nur für den streitgegenständlichen Zeitraum zu entscheiden ist und eine spätere Anspruchserschöpfung den für einen vorherigen Zeitpunkt bestehenden Arbeitslosengeldanspruch nicht erlöschen lässt (Senat, 21. Mai 2010 - L 7 AL 108/09, in juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf dem Ausgang der Berufung gemäß § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.

Die Revision ist nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil jedenfalls die Frage, ob eine spätere Anspruchserschöpfung den Anspruch auf Arbeitslosengeld für einen vorherigen Zeitraum erlöschen lassen kann, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist.
Rechtskraft
Aus
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