L 8 KR 174/14

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 6 KR 101/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 174/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 36/16 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 17. April 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Beitragsforderung der Beklagten von Dezember 2007 bis einschließlich Juli 2012 aufgrund der Versicherungspflicht des Klägers nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V streitig.

Der Kläger, geboren 1948, zeigte der Beklagten im Oktober 2007 seine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (SPV) an und legte den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 vor. Darin wurde ein negatives Einkommen des Klägers (minus 7.761 EUR) festgestellt.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 17. Dezember 2007 die Mitgliedschaft des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (SPV) ab April 2007 fest und setzte vorläufig die monatlichen Beiträge für die Krankenversicherung in Höhe von 257,25 EUR und die Pflegeversicherung in Höhe von 31,24 EUR fest (insgesamt 288,49 EUR). Für die Zeit von April bis einschließlich November 2007 errechnete die Beklagte eine Zahlungsverpflichtung des Klägers in Höhe von 2.307,92 EUR. Weiter führte die Beklagte aus, die Beitragsfestsetzung erfolge unter Vorbehalt (§ 32 SGB Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X) der Neuberechnung sobald der Einkommensbescheid vorliege. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Auf Nachfrage teilte die Beklagte dem Kläger mit, der Beitragsberechnung liege die Mindestbeitragsbemessungsgrenze für das Jahr 2007 in Höhe von 1.837,50 EUR zu Grunde.

Im Laufe der Zeit zahlte der Kläger die festgesetzten Beiträge nicht mehr. Die Beklagte teilte mit Bescheid vom 27. März 2008 dem Kläger die Höhe des Beitragsrückstandes mit und wies darauf hin, dass der Anspruch des Klägers auf Leistungen der Krankenversicherung ab 4. April 2008 ruhe. Auch dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Der Kläger bat die Beklagte mit Schreiben vom 15. April 2008 um rückwirkende Annullierung seiner Mitgliedschaft.

Nachdem die Beklagte erfolglos bei dem Kläger zu seinem Einkommen nachgefragt hatte, setzte sie die Beiträge des Klägers ab November 2008 auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze fest.

Im Oktober 2011 legte der Kläger der Beklagten die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2008 (Jahreseinkommen: 5.209,00 EUR) und 2009 (Jahreseinkommen 7.633,00 EUR) sowie den Steuervorauszahlungsbescheid vom 29. Juli 2011 (monatliche Einkünfte: 2.899,33 EUR) vor.

Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 20. Dezember 2011 mit, grundsätzlich sei eine Berücksichtigung der geringeren Einkünfte erst für zukünftige Zeiträume, vorliegend also ab 1. November 2011 möglich. Aus Kulanzgründen werde die Änderung jedoch bereits ab dem 1. November 2008 berücksichtigt. Die Beklagte berechnete sodann Beiträge vom 1. November 2008 bis 31. Juli 2011 auf der Grundlage der jeweils für das Jahr geltenden Mindestbemessungsgrenze und ab dem 1. August 2011 entsprechend dem Steuervorauszahlungsbescheid vom 29. Juli 2011 nach monatlichen Einkünften in Höhe von 2.899,33EUR. Dies ergab eine Beitragsforderung in Höhe von 17.840,36 EUR und Säumniszuschläge in Höhe von 31.360,00 EUR (insgesamt 49.200,36 EUR).

Der Kläger kam weiterhin der Zahlung bzw. der Nachzahlung von Beiträgen und der festgesetzten Säumniszuschläge nicht nach.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 6. September 2012 sodann für die Zeit vom 1. Dezember 2007 bis 31. Juli 2012 ausstehende Beiträge und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 44.472,76 EUR (Beiträge:19.440,76 EUR, Säumniszuschläge: 25.032,00 EUR) fest.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, die Beitragsberechnung sei fehlerhaft.

Die Beklagt wies mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2012 den Widerspruch zurück. Die Berechnungen seien korrekt. Sie listete in einer Übersicht monatsweise die zu zahlenden Beiträge und Zuschläge auf. Es seien Beitragsrückstände ab Dezember 2007 bis einschl. Juli 2012 in Höhe von 44.472,76 EUR aufgelaufen. Der Kläger unterliege seit dem 1. April 2007 der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 SGB XI. Gemäß § 227 SGB V seien bei Versicherungspflichtigen nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V die Grundsätze der Beitragsbemessung der freiwillig Versicherten entsprechend anzuwenden. Nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V gelte für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig seien, als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der 40. Teil. Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 könne nur zum 1. Tag des auf die Vorlage des Nachweises folgenden Monats wirksam werden (§ 240 Abs. 4 S. 6 SGB V). Nach § 240 Abs. 4 S. 3 SGB V bestimme der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, unter welchen Voraussetzungen darüber hinaus der Beitragsbemessung hauptberuflich selbständig Erwerbstätiger niedrigere Einnahmen, mindestens jedoch der 60. Teil der monatlichen Bezugsgröße, zugrunde zu legen seien. Dies sei in den Einheitlichen Grundsätzen zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler - BeitrVerfGrds SelbstZ) geschehen. Nach § 6 Abs. 5 BeitrVerfGrds SelbstZ seien, sofern und solange der für die Beitragsbemessung erforderliche Nachweis auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorgelegt werde, für die weitere Beitragsbemessung für den Kalendertag beitragspflichtige Einnahmen in Höhe von 1/30 der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu legen. Änderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines später vorgelegten Nachweises seien erst zum ersten Tag des auf die Vorlage des Nachweises folgenden Monats zu berücksichtigen. Obwohl die Steuerbescheide für die Jahre 2008 und 2009 erst im Oktober 2011 vorgelegt wurden, sei rückwirkend ab 1. November 2008 der Beitragsberechnung anstelle des 30. Teils der 40. Teil der Bemessungsgrenze angesetzt worden. Die Erhebung von Säumniszuschlägen beruhe auf § 24 Abs. 1a SGB IV. Die Berechnung der Säumniszuschläge mit Bescheid vom 6. September 2012 enthalte einen Rechenfehler zu Gunsten des Klägers. Anstelle von 100 EUR sei nur ein Betrag von 10 EUR aufgerechnet worden. Somit werde statt 44.472,76 EUR ein Gesamtforderungsbetrag von 44.382,76 EUR geltend gemacht.

Gegen den am 22. November 2012 mittels Postzustellungsurkunde dem Kläger zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 16. August 2013 Klage vor dem Sozialgericht in Marburg erhoben.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die allgemeine Versicherungspflicht verletze das Grundrecht der persönlichen Entscheidung. Der Gesetzgeber habe der willkürlichen Erhebung von Beiträgen durch die Beklagte Tür und Tor geöffnet. Da die Beitragsbemessung nur innerhalb einer bestimmten Frist angefochten werden könne, begünstige der Gesetzgeber eine unsachgemäße Gebührenfestsetzung und Vorteilsannahme. Die Beklagte habe bei der Finanzverwaltung die notwendigen Auskünfte einholen können. Die unsachgemäße Bearbeitung seines Falls durch 17 Sachbearbeiter habe zu einer Verletzung der Sorgfaltspflicht geführt, die zu einem Schaden geführt habe. Die Beklagte habe seinen Antrag auf Aussetzung des Vertragsverhältnisses nicht beachtet. Sie habe wiederholt ihre Auskunftspflicht verletzt. Es bestehe ein Missverhältnis zwischen Einkommen und Beitragsfestsetzung. Er mache einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte geltend. Die Beklagte habe eigenmächtig und willkürlich gehandelt.

Die Beklagte reduzierte den Zahlungsrückstand des Klägers mit Bescheid vom 14. Februar 2014 hinsichtlich des Zeitraums vom 1. April 2007 bis zum 30. November 2007 in Höhe von 2.307,92 EUR.

Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 17. April 2014 die Klage abgewiesen. Unter Verweis auf die Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid hat das Sozialgericht die Beitragsfestsetzung bestätigt.

Gegen den am 8. Mai 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26. Mai 2014 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Ergänzend zu seinem bisherigen Vortrag vertritt er die Auffassung, die Beklagte habe mit der Beitragsfestsetzung die Regeln des Vertragsrechts verletzt.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 17. April 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 6. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2012, alle in der Fassung des Bescheides vom 14. Februar 2014, aufzuheben.

Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, das Sozialgericht habe mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend entschieden.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 3. September 2014 auf die Berichterstatterin des Senats übertragen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 17. April 2014 und auf der Grundlage des Beschlusses vom 3. September 2014 gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abweichend von § 33 Satz 1 SGG auf die mündliche Verhandlung vom 9. April 2015 in der Besetzung der Berichterstatterin als Vorsitzende und zwei ehrenamtlichen Richter entscheiden.

Die gem. § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.

Das Sozialgericht Marburg hat der Klage zutreffend mit Gerichtsbescheid vom 17. April 2014 nicht stattgegeben. Unabhängig der Zweifel dahingehend, dass die Klage vor dem Sozialgericht bereits wegen Versäumnis der Klagefrist unzulässig gewesen sein könnte, konnte die Klage auch sachlich keinen Erfolg haben. Der Bescheid der Beklagten vom 6. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2012, alle in der Fassung des Bescheides vom 14. Februar 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Gem. § 87 Abs. 1 S. 1 und S. 2 SGG ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides Klage zu erheben. Der mit der am 16. August 2013 erhobenen Klage angefochtene Widerspruchsbescheid vom 15. November 2012 wurde dem Kläger am 22. November 2012 mittels Postzustellungsurkunde zugestellt.

Ungeachtet dessen hat das Sozialgericht zutreffend entschieden, dass die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtmäßig sind und der Kläger zur Zahlung der mit diesen Bescheiden festgestellten Beiträge und Säumniszuschläge verpflichtet ist.

Der Kläger ist aufgrund seiner Pflichtmitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zur Entrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtet. Die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V begründet für den Versicherten die Verpflichtung zur Beitragszahlung, selbst wenn er keine Leistungen in Anspruch genommen hat (so auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24. April 2012, Az. L 11 KR 3057/10, Rdnr. 27 m.w.N. veröffentl. in Juris).

Die Versicherungspflicht des Klägers gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V stellte die Beklagte bereits mit dem bestandkräftigen Bescheid vom 17. Dezember 2007 fest.

Die gesetzliche Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ist nicht zu beanstanden. Diese Norm erfasst Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren. Der Gesetzgeber wollte erreichen, dass es für alle Einwohner ohne Absicherung im Krankheitsfall einen entsprechenden Versicherungsschutz gibt, nachdem statistische Erhebungen einen deutlichen Anstieg der Zahl der nicht abgesicherten Personen ergeben hatten (Felis in JurisPK-SGB V, § 5 SGB V, Rdnr. 92). Die Einführung dieser Versicherungspflicht entspricht dem weiten Gestaltungsraum des Gesetzgebers. Vom Bundesverfassungsgericht ist bereits mehrfach entschieden worden, dass es in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegt, den Kreis der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung zu bestimmen und damit festzulegen, welche Personen deren Schutz benötigen (z. B. im Hinblick auf die Ausgestaltung der studentischen Krankenversicherung: Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 4. Februar 2004, Az. 1 BvR 1103/03, veröff. in Juris). Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Dieser Versicherungspflicht des Klägers steht seine Bitte auf "Annullierung" seiner Mitgliedschaft nicht entgegen. Die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V besteht kraft gesetzlicher Regelung und unabhängig von einem Beitritt oder einer Anzeige kraft Gesetzes (so ausdrücklich Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Januar 2011, Az. B 12 KR 11/09 R = BSGE 107, 177 = SozR 4-2500 § 5 Nr. 13 Rdnr. 10; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil 24. Februar 2010, Az. L 16 B 49/09 NZB = Juris; Felix in jurisPK - SGB V, § 186 Rdnr 45; Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, § 186 SGB V, Rdnr 32). Somit ist eine Annullierung – wie vorliegend vom Kläger gewünscht - oder Kündigung seitens des Versicherten oder seitens der Krankenversicherung ausgeschlossen.

Dem steht auch nicht der Einwand entgegen, die Beklagte halte das Vertragsrecht nicht ein. Die Mitgliedschaft des Klägers basiert nicht auf vertragliche, sondern – wie ausgeführt – aufgrund einer gesetzlich eingeführten Pflichtversicherung.

Es bestehen keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Berechnung der Beiträge bzw. Säumniszuschläge. Auch hat die Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 14. Februar 2014 zutreffend die Beitragsbelastung unter Berücksichtigung des § 256a SGB V zutreffend für den vorliegend streitigen Zeitraum neu berechnet.

Unabhängig davon, ob der Kläger der Zahlungsverpflichtung eine Pflichtverletzung entgegenhalten könnte, ist eine solche nicht erkennbar. So ist das Ruhen des Leistungsanspruchs der Versicherten im Falle, dass keine Beiträge gezahlt werden, in § 16 Abs. 3a S. 2 SGB V geregelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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