S 6 SO 144/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
6
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 6 SO 144/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verurteilt, den Betrag in Höhe von 72.169,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 09.09.2005 zu zahlen. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten für Hilfe bei Krankheit nach § 108 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Hilfeempfängerin Frau C S.

Die Hilfeempfängerin erhält seit Jahren laufende Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt sowie Hilfe in besonderen Lebenslagen durch den Kläger. Seit Beginn der Leistungsgewährung werden die Aufwendungen im Rahmen des § 108 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bzw. seit dem 01.01.2005 im Rahmen des wortgleichen § 108 SGB XII (Kostenerstattung bei Übertritt aus dem Ausland) vom Beklagten als überörtlichen Sozialhilfeträger erstattet. Die grundsätzliche Erstattungspflicht gemäß § 108 BSHG bzw. des SGB XII ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Nach Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) meldete der Kläger die Hilfeempfängerin zum 01.04.2004 bei der von ihr gewählten Krankenkasse, der B X-M, an. Am 14.02.2005 und 26.04.2005 forderte die Krankenkasse die Erstattung der Aufwendungen für die Krankenbehandlung der Hilfeempfängerin für die Zeit vom 10.04.2004 bis 30.09.2004 vom Kläger. Dieser erstattete die Kosten an die Krankenkasse.

Mit Schreiben vom 10.05.2005 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten die Kostenerstattung gemäß § 108 BSHG in Höhe von 73.955,79 Euro mit der Begründung geltend, diese an die Krankenkasse erstatteten Kosten seien gemäß § 37 BSHG aus Sozialhilfemitteln übernommen worden und vom Beklagten gemäß § 108 BSHG zu erstatten.

Am 14.06.2005 lehnte der Beklagte die Kostenerstattung der Krankenhilfekosten für die Behandlungen der Hilfeempfängerin im Jahre 2004 gemäß § 108 BSHG ab. Zur Begründung wurde vorgetragen, die Erstattungsleistungen des Trägers der Sozialhilfe an die Krankenkasse nach § 264 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) seien keine Leistungen der Sozialhilfe. Durch das GMG sei § 37 BSHG insoweit geändert worden, dass die Regelungen der Krankenbehandlung nach § 264 SGB V den Regeln zur Hilfe bei Krankheit nach § 37 Abs. 1 Satz 1 BSHG vorgingen. Personen, die nach § 264 SGB V Ansprüche auf Leistungen gegenüber einer Krankenkassen hätten, seien somit für diese Kosten nicht mehr leistungsberechtigt nach dem BSHG. Die Krankenkassen würden aufgrund selbständiger Leistungspflicht tätig und hätten einen besonders geregelten Erstattungsanspruch, der sich aus § 264 SGB V ergebe. Da somit mangels Sozialhilfeleistung kein Kostenerstattungsanspruch nach dem Neunten Abschnitt des BSHG bestehe, könnten die Kosten der Krankenbehandlung nicht erstattet werden.

Mit der am 07.09.2005 erhobenen Leistungsklage begehrt der Kläger die Erstattung der Kosten für die Krankenbehandlung der Klägerin in Höhe von 72.169,50 Euro. Dieser Erstattungsbetrag setze sich wie folgt zusammen:

Kopfpauschale II. Quartal 2004 91,49 Euro übrige Aufwendungen II. Quartal 2004 1.549,70 Euro Kopfpauschale III. Quartal 2004 94,22 Euro übrige Aufwendungen III. Quartal 2004 70.434,09 Euro Summe: 72.169,50 Euro

Die Verwaltungskostenpauschale in Höhe von 5% sei in dem Betrag nicht enthalten.

Der Kläger ist der Auffassung, es entstehe auch nach Inkrafttreten des GMG weiterhin eine Erstattungspflicht des Beklagten nach § 108 BSHG/SGB XII für die Kosten der Krankenbehandlung. Die Erstattungsleistung an die Krankenkasse gemäß § 264 SGB V stelle eine Sozialhilfeleistung dar. Durch das GMG habe lediglich eine leistungsrechtliche und verfahrensrechtliche Gleichstellung von Sozialhilfeempfängern und gesetzlich Krankenversicherten erreicht werden sollen. Der Rechtscharakter der Leistung sollte sich aber durch die Rechtsänderung nicht ändern, es sei gerade keine Krankenversicherungspflicht von Sozialhilfeempfängern geschaffen worden. Vor dem Inkrafttreten des GMG seien Kosten im Rahmen der Krankenhilfe von dem örtlichen Sozialhilfeträger an die Kassenärztliche Vereinigung bzw. eine stationäre Einrichtung gezahlt worden. Nach Inkrafttreten des GMG erfolge nun die Erstattung der Kosten an die Krankenkasse. Dadurch habe sich der Rechtscharakter der Leistung nicht geändert. Diese stelle weiterhin eine Sozialhilfeleistung dar.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, den Betrag in Höhe von 72. 169,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für Hilfe bei Krankheit sei nach § 108 BSHG/SGB XII nicht mehr gegeben. Die Voraussetzungen des § 108 seien bei der Gewährung von Krankenhilfe nicht erfüllt, da der Kläger als zuständiger Träger der Sozialhilfe die Krankenkosten an die Krankenkasse erstattet habe. In § 264 Abs. 7 SGB V sei ausdrücklich geregelt, dass der Träger für die Erstattung zuständig sei, der die Hauptleistung erbringe. Dies sei hier der Kläger. Die Erstattungspflicht nach § 108 BSHG/SGB XII bestehe bereits deswegen nicht, weil die sachliche Zuständigkeit für die Erstattung des örtlichen Sozialhilfeträgers an die Krankenkasse abschließend im SGB V geregelt sei. Des Weiteren wird die Auffassung vertreten, die Leistungen, die der Kläger an die Krankenkasse erstatte, seien im Verhältnis zur Hilfeempfängerin zwar Sozialleistungen, nicht aber im Verhältnis des Klägers zum Beklagten.

Bezüglich der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die das Gericht beigezogen hat und deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die als allgemeine Leistungsklage zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung der Krankenhilfekosten für die Hilfeempfängerin Frau S in Höhe von 72.169,50 Euro gemäß § 108 SGB XII, der zum 01.01.2005 den wortgleichen § 108 BSHG abgelöst hat.

Die grundsätzliche Leistungspflicht des Beklagten nach § 108 SGB XII für die im Rahmen der Sozialhilfe aufgewendeten Kosten für die Hilfeempfängerin ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Es besteht entgegen der Auffassung des Beklagten jedoch auch eine Erstattungspflicht für die Krankenhilfekosten der Hilfeempfängerin, die insoweit unter den Begriff der aufgewendeten Kosten im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zu fassen sind.

Gemäß § 264 Abs. 2 SGB V wird die Krankenbehandlung von Empfängern laufender Leistungen zum Lebensunterhalt sowie von Empfängern von laufender Hilfe in besonderen Lebenslagen nach den BSHG bzw. ab dem Jahre 2005 nach dem SGB XII von der Krankenkasse übernommen. Die Aufwendungen, die den Krankenkassen durch die Übernahme der Krankenbehandlung entstehen, werden ihnen gemäß § 264 Abs. 7 SGB V von den für die Hilfe zuständigen Sozialhilfeträgern vierteljährlich erstattet.

Auch wenn die Krankenkasse die Leistungen der Krankenbehandlung an die Hilfeempfänger in eigener Verantwortung durchführt und eine originäre Aufgabenwahrnehmung durch die Krankenkasse darstellt, (vergleiche Gutachten 16/04 vom 27.05.2004 des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge) so stellt die Erstattungspflicht des Klägers gegenüber der Krankenkasse nach § 264 Abs. 7 SGB V eine Sozialhilfeleistung dar. Der Kläger ist in seiner Eigenschaft als Sozialhilfeträger zur Erstattung der Kosten an die Krankenkasse nach § 264 Abs. 7 SGB V verpflichtet. Voraussetzung für die Kostenerstattung der Krankenbehandlungskosten der Hilfeempfänger ist gerade, dass grundsätzlich ein Sozialhilfeanspruch besteht. Im Rahmen der Hilfegewährung der Sozialhilfeträger sind dann die Krankenhilfeaufwendungen an die Krankenkasse zu erstatten. Vor Inkrafttreten des GMG hat der Sozialhilfeträger die Krankenhilfe derart erbracht, dass die Zahlung der Krankenhilfekosten an die Kassenärztliche Vereinigung bzw. an eine entsprechende stationäre Einrichtung erfolgte. Nach Inkrafttreten des GMG erbringt die Krankenkasse nun zunächst die Kosten der Krankenbehandlung, ohne das eine gesetzliche Krankenversicherungspflicht von Sozialhilfeempfängern geschaffen wurde.

Der Sozialhilfeträger erstattet dann die Aufwendungen dafür an die Krankenkasse.

Durch das GMG sollte eine leistungsrechtiche Gleichstellung der Sozialhilfeempfänger und der gesetzlich Krankenversicherten erreicht werden (vgl. Gesetzesbegründung, Bundestagsdrucksache 15/1525, 141). Den Sozialhilfeempfängern wird wie den gesetzlich Krankenversicherten nun eine Krankenversicherungskarte ausgehändigt. Durch die in § 264 Abs. 7 geregelte Kostenerstattungpflicht zwischen dem örtlichen Sozialhilfeträger und der Krankenkasse ist jedoch sichergestellt, dass keine zusätzliche Kostenbelastung der gesetzlichen Krankenversicherung entsteht. Durch diese Neuregelung bezüglich der Erbringung der Krankenbehandlung für Sozialhilfeempfänger sollte eine verfahrensrechtliche Änderung geschaffen werden. Durch diese Änderung hat sich jedoch keine Änderung der Rechtsnatur der Leistung des Sozialhilfeträgers ergeben. Dieser hat vor der Änderung die Kosten für die Krankenhilfe direkt an die Kassenärztliche Vereinigung bzw. stationäre Einrichtungen erbracht. Nun erbringt er die ihrer Rechtsnatur gleichen Leistungen als Erstattung als § 264 SGB V an die Krankenkasse. Der Kläger wird weiterhin als Sozialhilfeträger tätig und die Erstattungsleistungen stellen Sozialhilfeleistungen dar. Auch die Übernahme eines Krankenkassenbeitrages ist im Rahmen der Hilfegewährung nach dem SGB XII als Leistung der Hilfe zum Lebensunterhalt möglich. Die Erstattung nach § 264 Abs. 7 SGB V ist diesem Beitrag gleichzustellen, auch wenn sie keine unmittelbare Hilfe an den Sozialhilfeempfänger darstellt (Zeitler, Übernahme der Krankenbehandlung für Empfänger von Sozialhilfe durch die gesetzlichen Krankenkassen ab 01. Januar 2004, NDV 2004, 46).

Die Leistungspflicht des Beklagten nach § 108 SGB XII entfällt auch nicht deswegen, weil der Kläger als nach § 264 Abs. 7 SGB V zuständiger Sozialhilfeträger die Kosten der Krankenbehandlung an die Krankenkasse erstattet hat.

Die Vorschrift des § 264 Abs. 7 SGB V regelt die sachliche Zuständigkeit der Erstattung im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Krankenkasse. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Kläger diese Aufwendungen anschließend nach § 108 SGB XII von dem Beklagten verlangen kann. § 264 Abs. 7 SGB V regelt lediglich das Verhältnis zwischen dem Kläger und der Krankenkasse, lässt jedoch eine weitergehende Erstattungspflicht der Beklagten nach § 108 SGB XII unberührt. Die sachliche Zuständigkeit für die Gewährung von Krankenhilfe lag vor Inkrafttreten des GMG bei dem Kläger. Nach dem Inkrafttreten des GMG liegt nun die sachliche Zuständigkeit für die Erstattung der entsprechenden Kosten an die Krankenkasse bei dem Kläger. Eine abschließende Regelung in § 264 Abs. 7 SGB V dahingehend, dass durch die dort bestimmte Kostenerstattungspflicht des Klägers gegenüber der Krankenkasse eine weitere Erstattung dieser Kosten durch den Beklagten nach § 108 SGB XII ausschließt, kann das Gericht nicht erkennen und ist dem Sinn und Zweck der Neuregelung durch das GMG, mit dem Kostenerstattungsverfahren in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen sicherzustellen, dass weder auf Seiten des Sozialhilfeträgers noch auf Seiten der Krankenkasse eine Überforderung eintritt (Gesetzesbegründung, Bundestagsdrucksache 15/1525, 141), nicht zu entnehmen. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber durch die verfahrensrechtliche Neuregelung der Übernahme der Krankenbehandlung von Sozialhilfeempfängern eine Änderung bezüglich der hier streitigen Kostenerstattung zwischen dem Kläger und dem Beklagten nach § 108 SGB XII erreichen wollte.

Der nach § 108 SGB XII zu erstattende Betrag setzt sich wie folgt zusammen:

Kopfpauschale II. Quartal 2004 91,49 Euro übrige Aufwendungen II. Quartal 2004 1.549,70 Euro Kopfpauschale III. Quartal 2004 94,22 Euro übrige Aufwendungen III. Quartal 2004 70.434,09 Euro Summe: 72.169,50 Euro

Die Verwaltungskostenpauschale in Höhe von 5%, die der Beklagte nicht zu erstatten hat, ist in dem o.g. Betrag nicht enthalten.

Der Zinsanspruch beruht auf entsprechender Anwendung der § 288, 291 BGB (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.12.1995, Aktenzeichen: 5 B 31/95, Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 02.07.1999, Aktenzeichen: 7 S 279/99, BSG, Urteil vom 28.09.2005, Aktenzeichen: B 6 KA 71/04 R).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO).
Rechtskraft
Aus
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