S 14 U 342/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 U 342/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 24.04.2015 in der Gestalt des Widespruchsbescheides vom 17.09.2015 verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen seines Arbeitsunfalles vom 26.08.2013 ab dem 23.02.2015 Verletztenrente nach einer MdE von 10 v.H. zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Der Kläger streitet um die Gewährung von Verletztenrente wegen eines Arbeitsunfalles; maßgebend ist, ob bei ihm wegen unfallbedingter Aufgabe des bisherigen Berufes ein besonderes berufliches Betroffensein im Sinne von § 56 Abs. 2 Satz 3 des 7. Buches Sozialgesetzbuch -SGB VII- zu konstatieren ist.

Der am 00.00.1954 geborene Kläger war nach Abschluss seiner schulischen Ausbildung mit dem Zeugnis der Mittleren Reife zunächst für einige Jahre als Musiker tätig. Ausweislich Ausbildungsvertrages vom 31.03.1986 begann er zu diesem Zeitpunkt eine für ein Jahr vorgesehene Ausbildung zum Hochseilartisten bei der Hochseilartistengruppe T (Olympia-Turm-Artisten) und war hiernach mit einer Artistengruppe auf Tour; bis 2000 arbeitete er dabei ausweislich eines Internetauftrittes (L Hochseilshow) mit einer französischen Hochseiltruppe zusammen. Hiernach führte er Hochseil- und auch Comedy-Akrobatik zusammen mit einer Partnerin auf. Geboten wurde klassische Hochseilakrobatik sowie Comedy-Akrobatik auf freistehenden Seilkonstruktionen. Bei der Beklagten war der als selbständig tätige Kläger freiwillig gegen das Risiko von Unfällen versichert.

Er verunfallte am 26.08.2013, als er beim Seiltraining das Gleichgewicht verlor, wobei er mit dem rechten Knie geistesgegenwärtig am Seil einhakte und sogleich sich mit der rechten Hand am Seil festhielt; hierbei verspürte er einschießende Schmerzen im rechten Arm. Weitere Unfälle hatte er bereits am 11.11.1987 (Fersenbeinbruch rechts) und 16.03.2003 (Schulterausrenkung links) sich zugezogen, wegen derer er Verletztenrente jeweils nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit -MdE- von 20 v.H. erhält.

Bei dem streitgegenständlichen Unfall erlitt er neben Schürfwunden in der rechten Kniekehle eine durch MRT vom 29.08.2013 gesicherte Teilruptur der körperfernen Bizepssehne rechts, welche konservativ zunächst behandelt wurde. Im späteren wurde dann am 12.02.2014 unter der Diagnosestellung einer suptotalen Ruptur im Bereich des Ansatzes der distalen Bizepssehne am 12.02.2014 im Klinikum C eine operative Behandlung vorgenommen. Da es im Wege der intensiven Nachbehandlung, auch unter Durchführung eines speziellen Trainingsprogrammes, nicht gelang, eine volle Belastbarkeit des Klägers in seiner bisherigen Tätigkeit zu erreichen -beklagt wurden insbesondere erhebliche Beschwerden bei Gebrauch einer schweren Ausgleichsstange auf dem Hochseil- stellte die Beklagte nach Anhörung mit Bescheid vom 06.02.2015 die Zahlung von Verletztengeld zum 23.02.2015 ein.

Nach Einholung eines fachchirurgischen Zusammenhangsgutachtens von Prof. Dr. A, Klinikum N (vom 27.01.2015), welcher zum Ergebnis gelangte, die distale Bizepssehnenruptur sei allein traumatisch verursacht, erstattete zur Klärung der verbliebenen Unfallfolgen und deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers Dr. C1, Chirurg in C2, am 29.03.2015 ein erstes Rentengutachten; die noch verbliebenen Unfallfolgen im Sinne einer vom Kläger angegebenen Kraftminderung bei leichter Muskelminderung am rechten Oberarm und leichter Bewegungseinschränkung des rechten Ellenbogens mit geringgradig eingeschränkter Streckfähigkeit dessen und geringgradig eingeschränkter Außendrehfähigkeit des Unterarmes bewertete er mit einer MdE von 10 v.H.; hierzu vertrat Dr. X, C, in einer beratungsärztlichen Stellungnahme (vom 14.04.2015) die Auffassung, unter Berücksichtigung der anerkannten MdE-Erfahrungswerte der gesetzlichen Unfallversicherung sei die MdE, bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, mit weniger als 10 v.H. einzuschätzen. Hierauf lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 24.04.2015 ab, dem Kläger Verletztenrente zu gewähren.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, grundsätzlich sei bei der Einschätzung der MdE zwar vom Umfang der verbleibenden Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens auszugehen; zur Vermeidung unbilliger Härten seien jedoch Ausbildung und der bisherige Beruf angemessen zu berücksichtigen; die über mehr als 30 Jahre hauptberuflich ausgeübte selbständige Tätigkeit als Hochseilartist könne er nicht mehr ausüben, auch sei er mittlerweile über 60 Jahre alt. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte aus, die somatischen Folgen des Arbeitsunfalles bedingten nach den von der Rechtsprechung sowie vom Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrenssätzen keine messbare MdE; eine Erhöhung der MdE könne unter dem Gesichtspunkt einer besonderen beruflichen Betroffenheit nur dann erfolgen, wenn die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung zu einer unbilligen Härte führen würden; dies sei nicht bereits der Fall, wenn der erlernte Beruf nicht mehr ausgeübt werden könne, sondern erst dann, wenn unfallbedingt nicht mehr oder nicht mehr im vollem Umfang nutzbare besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen verwendet werden könnten; unter Berücksichtigung des schulischen und beruflichen Werdeganges sei wegen der auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens noch bestehenden Erwerbsmöglichkeiten eine unbillige Härte nicht zu konstatieren.

Hiergegen richtet sich die am 28.09.2015 erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein Begehren weiter verfolgt und geltend macht, als Hochseilartist habe er einen Spezialberuf ausgeübt; berufliche Erfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien, nicht zuletzt aufgrund seines Alters, nicht mehr verwertbar; eine Umschulung bzw. Umstellung auf einen anderen Beruf sei nicht möglich. Soweit er eine lediglich 12-monatige Ausbildung als Hochseilartist durchlaufen habe, sei diese allenfalls Grundlage späterer Tätigkeit und geeignet zur Feststellung, ob überhaupt eine Begabung vorläge. Eigentlich begänne die Ausbildung erst hiernach, so dass eine Reduzierung lediglich auf die kurze Ausbildung nicht erfolgen könne; die beinhalteten Darbietungen, wie etwa Schrägseillauf, Blindlauf auf dem Hochseil, Bewegungen auf dem Hochseil mittels Reifen, erfordern viele Jahre Training und ständige Übungen bis zur tatsächlichen Beherrschung und Publikumsreife.

Seinen vorbereitenden Schriftsätzen ist der Antrag des Klägers zu entnehmen,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2015 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen seines Arbeitsunfalles vom 26.08.2013 Verletztenrente in angemessener Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht zunächst die Ausführungen ihres Widerspruchsbescheides zum Gegenstand ihrer Klageerwiderung und bekräftigt ihre Auffassung, eine Erhöhung der MdE komme nicht in Betracht. Wesentliche Merkmale für die Beurteilung der Frage, ob eine höhere Bewertung zur Vermeidung unbilliger Härten gerechtfertigt sei, seien z.B. ein hohes Lebensalter des Versicherten, Dauer der Ausbildung und Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit wie auch der Umstand, dass die bisher verrichtete Tätigkeit eine günstige Stellung im Erwerbsleben gewährleistet habe; aus der Summe dieser Merkmale könne sich eine höhere Bewertung ergeben, wenn verbliebene Kenntnisse und Fähigkeiten nur noch unter Inkaufnahme eines unzumutbaren sozialen Abstieges verwertet werden könnten. Es sei eine enge Beurteilung im Hinblick auf den Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung vorzunehmen. Vorausgesetzt werde ein qualifizierter und spezifischer Beruf mit einem engen Betätigungsbereich; als Hochseilartist sei der Kläger insoweit nicht in einem solchen speziellen Beruf tätig gewesen, die Tätigkeit sei auch nicht aufgrund der Dauer der Ausbildung hervorgehoben und habe dem Kläger auch keine günstige Stellung im Erwerbsleben verschafft; nicht erkennbar sei auch, dass die Folgen des Arbeitsunfalles zu einem unzumutbaren sozialen Abstieg geführt hätten. Vielmehr sei der Kläger, zumal er eine schulische Ausbildung durchlaufen habe, auf Beschäftigungsgelegenheiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, auf welchem er seine beruflichen Erfahrungen und Erkenntnisse weiter verwenden könnte.

Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Dieser war Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG- ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden waren.

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat wegen der Verletzungsfolgen seines Arbeitsunfalles Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE von 10 v.H ... Der Bescheid vom 24.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2015 war aufzuheben , weil er den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 des 7. Buches Sozialgesetzbuch -SGB VII- haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles -solche sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf Verletztenrente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze wenigstens 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall Anspruch auf Rente. Dabei sind die Folgen eines Versicherungsfalles nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII -sog. Stützrente-). Gemäß § 56 Abs. 3 SGB VII wird bei Verlust der Erwerbsfähigkeit Vollrente geleistet, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit Teilrente, und zwar in Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht. Gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII beginnt die Rente dabei an dem Tag, der dem Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet. Diesen, einen Rentenanspruch auslösenden Voraussetzungen sind hier ab dem 23.02.2015, dem Tag nach Einstellung des Verletztengeldes, erfüllt. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist um 10 v.H. gemindert, was hier für eine Rentenberechtigung im Hinblick auf die Stütztatbestände aus den weiteren Arbeitsunfällen vom 11.11.1987 und 16.03.2003 ausreicht.

Gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, bestimmt sich in erster Linie nach ärztlich-wissenschaftlicher Sachkunde; festzustellen sind die maßgebenden Funktionsverluste. Dabei sind bei der Beurteilung der MdE die in jahrelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die Grundlage für eine gleiche und gerechte Grundlage der MdE bilden. Ausgehend hiervon ist der rein funktionelle Verlust an Fertigkeiten im Hinblick auf die Auswirkungen auf den allgemeinen Erwerbsmarkt mit weniger als 10 v.H. zu bewerten. Das Gericht stützt sich dabei auf die von Dr. C1 in seinem von der Beklagten veranlassten, urkundsbeweislich verwertbaren Gutachten erhobenen Befunde und deren zutreffende Auswertung durch den Beratungsarzt Dr. X. Funktionell bestehen nur unwesentliche, kaum das physiologische Bewegungsmaß der durch den Unfall betroffenen Gliedmaße für Funktionseinschränkungen. Die Ellenbogenbeugefähigkeit ist beidseits seitengleich, lediglich am unfallbetroffenen Arm beträgt das Streckdefizit 5 Grad; ebenso wenig ist die Unterarmdrehung im wesentlichen Umfang eingeschränkt, als hier nur ein Auswärtsdrehdefizit von 20 Grad, d.h. 10 Grad über dem physiologischen normalen Bewegungsmaß hin besteht. Entsprechend den MdE-Erfahrungswerten (vgl. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 530) ist hierfür eine nicht messbare MdE anzusetzen; bei einer Bewegungseinschränkung des Ellenbogens bei einem Bewegungsausmaß von 90 Grad bei einem Streckdefizit von 30 Grad wird eine MdE von 10 v.H. angesetzt. Wesentlich sind insoweit die funktionellen Unfallfolgen nicht im Hinblick auf die Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern im Hinblick auf die Einsatzfähigkeit des Klägers in seinem Beruf als Hochseilartisten, bei welchem sich die geringen Funktionsstörungen erheblicher auswirken, nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass der Kläger zur Ausübung seines Berufes gehalten ist, eine 20 kg schwere Ausgleichsstange zu tragen, was wegen der bestehenden Kraftminderung nicht möglich ist bzw. mit nicht zu vertretenden Unsicherheiten verbunden ist.

Allerdings ist die MdE im vorliegenden Fall gemäß § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII höher zu bewerten. Hiernach werden bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit Nachteile berücksichtigt, die der Versicherte dadurch erleidet, dass er bestimmte von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalles nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen kann, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung zugemutet werden kann, ausgeglichen werden. Unter Wahrung des Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung kommt eine solche Höherbewertung nur ausnahmsweise in Betracht. Dabei ist vorweg klarzustellen, dass die Möglichkeit zur Nutzung besonderer beruflicher Kenntnisse und Erfahrungen nicht schon deshalb eingeschränkt und ausgeschlossen ist, weil der Versicherte seinen erlernten Beruf infolge des Versicherungsfalles nicht oder nurmehr eingeschränkt ausüben kann; eine zwangsläufige Höherbewertung folgt hieraus nicht; ebenso wenig ist der Umstand, dass erst unter Heranziehung der Erhöhungsvorschrift überhaupt ein Anspruch auf Verletztenrente ermöglicht wird, maßgebend (BSG 28, 227). Gleiches gilt für einen Minderverdienst, den ein Betroffener wegen des Berufsverlustes hinzunehmen hat, dies wegen des im Unfallversicherungsrecht herrschenden Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung. Insoweit sind strenge Maßstäbe anzulegen, um eine Aufweichung der abstrakten Schadensberechnung zu vermeiden und dem Ausnahmecharakter der Vorschrift als Härteklausel gerecht zu werden.

Von daher liegen eine Höherbewertung der MdE rechtfertigende Nachteile nur dann vor, wenn unter Wahrung des Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde (BSGE 70, 47; Mehrtens, Sozialversicherung, Kommentar, § 56 SGB VII Randnummer 12.1; Becker, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, § 56 SGB VII Randnummer 112). Ob insoweit bedeutsame Nachteile vorliegen, ist aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles zu entscheiden. Als wesentliche Merkmale, die eine höhere Bewertung der MdE rechtfertigen können hat das Bundessozialgericht -BSG- vor allem das Alter des Versicherten, die Dauer der Ausbildung sowie vor allem die Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit und auch den Umstand bezeichnet, dass die bisher verrichtete Tätigkeit eine günstige Stellung im Erwerbsleben gewährleistete. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ist eine Höherbewertung der MdE nur gerechtfertigt, wenn der Verletzte die ihm verbliebenen Kenntnisse und Fähigkeiten nur noch unter Inkaufnahme eines unzumutbaren sozialen Abstiegs verwerten kann. Dabei besteht ein Rangverhältnis zwischen den einzelnen Kriterien nicht, vielmehr ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund hat sich in der Rechtsprechung eine vielfältige Kasuistik entwickelt (vgl. Becker, a.a.O. Randnummern 113 ff). Im vorliegenden Fall begründet die Summe einzelner Merkmale in ihrer Gesamtheit einen Nachteilsausgleich gemäß § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII. Maßgebend sind dabei folgende Umstände. Der Kläger ist von seinem 30-igsten Lebensjahr an bis zum Unfall, d.h. über annähernd 30 Jahre, als Hochseilartist tätig gewesen und hat hierbei eine eng begrenzte Tätigkeit ausgeübt. Diesen Lebensberuf musste er wegen der Folgen seines Arbeitsunfalles aufgeben. In ähnlich gelagertem Sachverhalt hat bereits das BSG hinsichtlich einer zum Unfallzeitpunkt sogar lediglich 39 Jahre alten Zirkusartistin ausgeführt, dass es im Hinblick auf die jahrzehntelange Bindung an den Artistenberuf unbillig wäre, dieser wäre ihres Alters eine berufliche Umstellung zuzumuten und sie auf Beschäftigungsgelegenheiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verweisen. Diese Argumentation greift im vorliegenden Fall um so stärker, als der Kläger zum Unfallzeitpunkt annähernd 60 Jahre alt war. Eine Umstellungsfähigkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist im Hinblick auf die jahrzehntelange selbständige, künstlerische Beschäftigung zur Überzeugung des Gerichts ausgeschlossen. So hat das BSG in weiteren Entscheidungen (vgl. z.B. Urteil vom 04.12.1991 -Az. 2 RU 47/1990) hinsichtlich eines zum Unfallzeitpunkt 51-jährigen Flugzeugführers konstatiert, dass der Umstand des Alters zum Zeitpunkt der Berufsaufgabe im Hinblick auf die mit zunehmendem Lebensalter regelmäßig abnehmende Flexibilität für eine berufliche Neuorientierung weiteres, für die Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung wesentliches Merkmal ist. Auch kann im vorliegenden Fall beklagtenseits dem nicht entgegen gehalten werden, dass der Kläger über eine schulische Ausbildung im Gegensatz zu der jungen Artistin verfügte, da dieser Umstand bei annähernd jedem Versicherten, z.B. auch dem vom BSG angesprochenen Flugzeugführer, griffe. Bei der Tätigkeit als Artist handelt es sich auch um eine spezielle berufliche Tätigkeit, worauf genannte Entscheidung des BSG hinsichtlich der Zirkusartistin (vom 30.03.1962 - Az. 2 R U 50/59) bereits hindeutet. Dabei kann entsprechend den Ausführungen des Klägers nicht allein darauf abgestellt werden, dass er nach seinem Ausbildungsvertrag eine lediglich 12-monatige Ausbildung zum Hochseilartisten durchlaufen hat; vielmehr beinhaltet gerade die gefahrbringende Tätigkeit des Hochseilartisten und auch der Umstand, dass, da hierdurch Einnahmen aquiriert werden sollen, publikumsreif sein muss, dass der Betreffende stetig und jeden Tag trainiert und fortbildet, um so die Sicherheit und das Können aufzuweisen, vor Publikum aufzutreten. Dies ist ein andauernder, mehrjähriger und über Jahrzehnte laufender Lern- und Übungsprozess. Dabei ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger die in jahrzehntelanger Berufsausübung erworbenen speziellen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten in irgendeiner Weise auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwenden kann, ausgenommen vielleicht in der Tätigkeit eines Industriekletterers, einem Spezialisten für die Durchführung von Projekten in der Höhe, wozu der Kläger allerdings mit nunmehr 62 Jahren zu alt ist und wozu auch die spezifischen Beschränkungen aufgrund der Unfallfolgen nicht ausreichen. Letztlich ist auch festzustellen, dass dem Kläger durch seine Tätigkeit als langjähriger Hochseilartist eine durchaus günstige Stellung im Erwerbsleben zuzumessen ist, als er über Jahrzehnte selbständig und eigenorganisiert Unterhaltungskünstler war; dem allgemeinen Erwerbsleben ist er insoweit nicht zuletzt wiederum aufgrund seines Alters, zur Überzeugung des Gerichts "entrückt". Die MdE war daher zu erhöhen. Die Erhöhung beträgt regelhaft 10 bis 20 % (BSGE 70,47). In Anbetracht des Umstandes, dass dem Kläger altersbedingt auch ohne den Unfall die weitere Berufsausübung nur noch mutmaßlich kurze Zeit für wenige Jahre möglich gewesen wäre, hat es das Gericht für angemessen erachtet, eine nur geringe Erhöhung vorzunehmen zum Härteausgleich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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