Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 6 P 146/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 P 81/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.521,28 EUR zu zahlen. Es wird festgestellt, dass der Beklagte daran gehindert ist, zukünftig entstehende Leistungsansprüche des Klägers auf Erstattung durch Pflegeleistungen durch den Beklagten mit rückständigen Beitragsansprüchen des Klägers zu verrechnen, soweit der Kläger hilfebedürftig gemäß SGB XII ist. Der Beklagte erstattet dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Verrechnung von Leistungsansprüchen aus der privaten Pflegepflichtversicherung mit rückständigen Beitragsansprüchen streitig.
Der am 00.00.1939 geborene Kläger unterhält bei dem Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung und eine private Pflegepflichtversicherung. Der Pflegepflichtversicherungsvertrag im Sinne von § 23 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) wurde auf der Grundlage der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung (MB/PPV) nebst Tarifbestimmungen abgeschlossen. Der Vertrag wird im halbierten Basistarif zur Krankheitskostenversicherung geführt. Der Kläger zahlte seit Juni 2009 weder die Prämien für die Krankheitskosten- noch für die Pflegepflichtversicherung.
Mit Leistungszusage vom 01.04.2015 erteilte der Beklagte dem Kläger eine Pflegezusage.
Mit Leistungsabrechnung vom 09.10.2015 wurden erstmals Versicherungsleistungen aus der Pflegepflichtversicherung für den Kläger fällig. Den Erstattungsbetrag in Höhe von 831,20 EUR verrechnete der Beklagte mit dem Beitragsrückstand. Eine Verrechnung erfolgte lediglich auf die Beitragsrückstände betreffend die Pflegepflichtversicherung. Sämtliche Versicherungsleistungen zur Krankheitskostenversicherung zahlte der Beklagte aus.
Mit Schreiben vom 20.10.2015 forderte der Beklagte den Kläger mahnend zur Begleichung der offenen Prämien auf.
Der Verrechnung widersprach der Kläger mit Schreiben vom 20.10.2015 mit der Begründung, dass er nicht in der Lage sei die Pflegekosten selbst zu tragen. Er und seine Ehefrau verfügten nur über Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze. Die Erstattungsbeträge seien daher zweckgebunden nötig, um die laufende Versorgung sicherzustellen.
Auf das Schreiben des Beklagten vom 23.10.2015, in dem der Beklagte auf die Zulässigkeit der Verrechnung trotz Hilfebedürftigkeit nach §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hinwies, forderte der Kläger den Beklagten mit Schreiben vom 11.11.2015 unter Fristsetzung bis zum 13.11.2015 zur Zahlung auf, was der Beklagte mit Schreiben vom 13.11.2015 nochmals ablehnte.
Mit weiteren Schreiben vom 18.12.2015 für die Pflegepflichtversicherung und vom 21.12.2015 für die Krankheitskostenversicherung mahnte der Beklagte den Kläger erneut. Der Beklagte übersandte dem Kläger in diesem Zusammenhang erneut ein aktualisiertes Beitragskonto. Die Rückstände des Klägers beliefen sich für die private Pflegepflichtversicherung auf 6.371,40 EUR und für die Krankheitskostenversicherung auf 29.334,56 EUR. Den Zahlungsaufforderungen kam der Kläger nicht nach.
Der Kläger hat am 21.12.2015 Klage erhoben.
Der Kläger ist der Ansicht, dass er einen Anspruch auf Auszahlung der Versicherungsleistungen habe. Die Unzulässigkeit der Aufrechnung folge aus § 394 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 54 Abs. 1, 3 Nr. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Nach § 110 SGB XI sei sicherzustellen, dass die Belange der Personen, die nach § 23 SGB XI zum Abschluss eines Pflegepflichtversicherungsvertrages bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet seien, ausreichend gewahrt werden müssten. Eine andere Bewertung ergebe sich auch nicht aus § 394 S. 2 BGB. Die Regelung des § 193 Abs. 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) verdränge diese Norm. Jedenfalls sei diese Norm analog anwendbar aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung unter Beachtung der Menschenwürde des Klägers aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und des Sozialstaatsprinzips aus Art. 20, 28 GG. Im Übrigen verstoße die Aufrechnung gegen Treu und Glauben.
Mit Leistungsabrechnungen vom 11.01.2016 und 12.01.2016 hat der Beklagte den dort jeweils ausgewiesenen Erstattungsbetrag in Höhe von 1.437,69 EUR und von 252,39 EUR mit den Beitragsrückständen verrechnet.
Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.521,28 EUR zu zahlen. 2. festzustellen, dass der Beklagte daran gehindert ist, zukünftig entstehende Leistungsansprüche des Klägers auf Erstattung durch Pflegeleistungen durch den Beklagten mit rückständigen Beitragsansprüchen des Klägers zu verrechnen, soweit der Kläger hilfebedürftig gemäß SGB XII ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte beruft sich auf die Regelung des § 394 S. 2 BGB. Mit dieser Regelung trage der Gesetzgeber dem Gedanken Rechnung, dass der Berechtigte nicht mit der ungeschmälerten Auszahlung der Bezüge rechnen könne, wenn er seinerseits seiner Verpflichtung zur Entrichtung der laufenden Beträge nicht nachkomme. § 193 Abs. 6 VVG beziehe sich lediglich auf die Krankheitskostenversicherung. Angesichts des Umstandes, dass die Beiträge für die Krankheitskostenversicherung wesentlich höher seien als für die private Pflegepflichtversicherung, sei es nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber Sonderregelungen für hilfebedürftige Personen betreffend die Krankheitskostenversicherung geschaffen habe, nicht jedoch betreffend die Pflegepflichtversicherung.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 29.07.2016 gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat vollumfänglich Erfolg.
Im Hinblick auf den Klageantrag zu 1 ist die Klage zunächst zulässig. Richtige Klageart betreffend den Klageantrag zu 1 ist die isolierte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG). Da der Beklagte als privates Versicherungsunternehmen nicht zum Erlass von Verwaltungsakten befugt ist, bedarf es daneben keiner zusätzlichen Anfechtung seiner Entscheidungen durch den Kläger und folglich auch nicht der Durchführung eines Vorverfahrens i. S. v. § 78 SGG. Eine Klagefrist war zudem nicht einzuhalten. Das Prozessrecht des SGG kennt für isolierte Leistungsklagen keine Klagefrist.
Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 1 auch begründet.
Unstreitig ist die Forderung des Klägers in Höhe von insgesamt 2.521,28 EUR entstanden, wie es sich auch ohne weiteres aus den streitgegenständlichen Leistungsabrechnungen vom 09.10.2015, 11.01.2016 und 12.01.2016 ergibt.
Die Forderung ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht durch Aufrechnung (§§ 387, 389 BGB) erloschen. Der Aufrechnung steht zunächst der Charakter des Leistungsanspruches als unpfändbare Forderung und im Weiteren die Hilfebedürftigkeit des Klägers nach dem SGB XII entgegen.
Vorliegend besteht ein grundsätzliches Aufrechnungsverbot im Sinne von § 394 S. 1 BGB, § 51 Abs. 1 SGB I. Nach diesen Normen findet die Aufrechnung lediglich gegen pfändbare Ansprüche statt. Bei dem Anspruch des Klägers aus der privaten Pflegepflichtversicherung in Form der sog. Kombinationsleistung handelt es sich jedoch um einen unpfändbaren Anspruch im Sinne von § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I. Unpfändbar sind danach Ansprüche auf Geldleistungen, die dafür bestimmt sind, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen. Das sind auch Geldleistungen der Pflegeversicherung nach den §§ 37 ff. SGB XI (Gutzler, in: Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 41. Edition, Stand: 01.04.2016, § 54 SGB I, Rn. 12; Pflüger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Auflage 2011, Stand: 03.03.2015, § 54, Rn. 67). Dies gilt auch für die Leistungen aus der privaten Pflegepflichtversicherung. Insofern schließt sich die Kammer der Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen in seinem Urteil vom 12.02.2002 zum Az. L 3 P 19/00 und des SG Hamburg in seinem Urteil vom 24.09.2012 zum Az. S 23 P 134/10 sowie der überwiegenden Kommentarliteratur, die nicht nach gesetzlicher und privater Pflegeversicherung unterscheidet bzw. ebenfalls konkret die Anwendbarkeit bejaht (vgl. bereits oben sowie die Anmerkung zu SG Hamburg, Urteil vom 24.09.2012, Az. S 23 P 134/10 von Prof. Dr. X L, I (T) in: VuR 2014, 35), an. Zur Begründung zieht die Kammer ebenfalls § 110 Abs. 1 SGB XI heran, wonach sicherzustellen ist, dass die Belange der Personen, die nach § 23 SGB XI zum Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet sind, ausreichend gewahrt werden müssen.
Allerdings greift vorliegend die Rückausnahme nach § 394 S. 2 BGB, § 51 Abs. 2 SGB I. Ausnahmsweise erklären diese Vorschriften die Zulässigkeit der Aufrechnung mit unpfändbaren Forderungen, soweit die Aufrechnung mit geschuldeten Beiträgen erfolgt. Diese Regelung trägt dem gesetzgeberischen Willen Rechnung, dass der Berechtigte nicht mit der ungeschmälerten Auszahlung der Bezüge rechnen kann, wenn er seinerseits seiner Verpflichtung zur Entrichtung der laufenden Beträge nicht nachkommt, wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat.
Diese grundsätzlich zulässige Aufrechnung folgt nach Auffassung der Kammer jedoch auch im Falle der privaten Pflegepflichtversicherung den Grenzen des § 51 Abs. 2 SGB I, die in § 394 S. 2 BGB nicht existieren.
Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gemäß § 51 Abs. 2 SGB I gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird.
§ 51 Abs. 2 SGB I stellt eine spezialgesetzliche Regelung gegenüber § 394 S. 2 BGB dar, wonach ohne weitere Begrenzung gegen die aus Kranken-, Hilfs- oder Sterbekassen, insbesondere aus Knappschaftskassen und Kassen der Knappschaftsvereine, zu beziehende Hebungen jedoch geschuldete Beiträge aufgerechnet werden können.
Zur Überzeugung der Kammer ist § 51 Abs. 2 SGB I jedenfalls entsprechend auf den vorliegenden Fall anwendbar. Zwar handelt es sich bei dem Beklagten nicht direkt um einen Leistungsträger im Sinne von §§ 12, 21a SGB XI, da es sich bei dem Beklagten um ein privates Versicherungsunternehmen handelt. Allerdings liegt eine vergleichbare Interessenlage vor und der Gesetzgeber hat diesen speziellen Fall nicht geregelt. Ein Träger der gesetzlichen Pflegeversicherung ist ohne weiteres im Hinblick auf die (Höhe der) Aufrechnung durch die Regelung des § 51 Abs. 2 SGB I beschränkt. Dasselbe muss aufgrund der Konzeption der Pflegeversicherung insgesamt ebenfalls für Unternehmen der privaten Pflegeversicherung gelten. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll zwischen der gesetzlichen und der privaten Pflegeversicherung eine umfassende materielle Gleichheit bestehen. Dies ergibt sich unter anderem aus den §§ 23, 110 f. SGB XI. Danach besteht auch für privat Krankenversicherte eine Pflicht zum Abschluss einer Pflegeversicherung. Für die privaten Versicherungsunternehmen besteht in diesem Kontext ein Kontrahierungszwang mit näheren Vorgaben des Gesetzgebers zum Versicherungsinhalt. Dem Willen des Gesetzgebers, insbesondere der Regelung des § 110 Abs. 1 SGB XI, wonach sicherzustellen ist, dass die Belange der Personen, die nach § 23 SGB XI zum Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet sind, ausreichend gewahrt werden, wird nach Auffassung der Kammer nur dadurch ausreichend genüge getan, dass die besonderen Schutzvorschriften des SGB I auch für die private Pflegepflichtversicherung Anwendung finden. Insofern führt dies konsequent die bereits mit der Anwendbarkeit des § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I bejahte Anwendbarkeit der spezialgesetzlichen Regelungen des SGB I auf die private Pflegepflichtversicherung fort.
Der Kläger ist hilfebedürftig im Sinne des SGB XII, wie die vorgelegte Bescheinigung der Stadt C vom 22.12.2014 sowie der Umstand, dass die Krankheitskostenversicherung sowie die private Pflegepflichtversicherung bei dem Beklagten im (halbierten) Basistarif geführt werden, belegen.
Die Klage ist zudem hinsichtlich des Klageantrages zu 2 zulässig und begründet.
Statthaft ist die Feststellungsklage (§ 55 SGG). Ausnahmsweise ist die vorbeugende Feststellungsklage zulässig, wenn ein berechtigtes Interesse gerade an einer baldigen vorbeugenden Feststellung, also ein spezielles, auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Interesse, besteht. Der Kläger hat ein derartiges berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Es ist davon auszugehen, dass der Beklagte auch zukünftig eine Verrechnung vornehmen wird. Dies ist bereits nach Erhebung der Klage mittels Leistungsabrechnungen vom 11.01.2016 und 12.01.2016 geschehen. Eine Leistungsklage kann der Kläger zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erheben, da die zukünftigen Leistungen noch nicht durch den Beklagten abgerechnet sind. Eine Erklärung, dass der Beklagte künftig von den in der Vergangenheit vorgenommenen Verrechnungen absieht, liegt nicht vor. Dem Kläger ist vor dem Hintergrund der finanziellen Belastungen aufgrund der laufenden Pflegekosten und seiner Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII nicht zuzumuten, entsprechende Leistungsabrechnungen des Beklagten abzuwarten. Effektiver Rechtsschutz kann dem Kläger nur mit der begehrten Feststellung verschafft werden.
Materiell-rechtlich ist der geltend gemachte Feststellungsantrag zu 2 aus den o. g. Gründen begründet.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Verrechnung von Leistungsansprüchen aus der privaten Pflegepflichtversicherung mit rückständigen Beitragsansprüchen streitig.
Der am 00.00.1939 geborene Kläger unterhält bei dem Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung und eine private Pflegepflichtversicherung. Der Pflegepflichtversicherungsvertrag im Sinne von § 23 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) wurde auf der Grundlage der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung (MB/PPV) nebst Tarifbestimmungen abgeschlossen. Der Vertrag wird im halbierten Basistarif zur Krankheitskostenversicherung geführt. Der Kläger zahlte seit Juni 2009 weder die Prämien für die Krankheitskosten- noch für die Pflegepflichtversicherung.
Mit Leistungszusage vom 01.04.2015 erteilte der Beklagte dem Kläger eine Pflegezusage.
Mit Leistungsabrechnung vom 09.10.2015 wurden erstmals Versicherungsleistungen aus der Pflegepflichtversicherung für den Kläger fällig. Den Erstattungsbetrag in Höhe von 831,20 EUR verrechnete der Beklagte mit dem Beitragsrückstand. Eine Verrechnung erfolgte lediglich auf die Beitragsrückstände betreffend die Pflegepflichtversicherung. Sämtliche Versicherungsleistungen zur Krankheitskostenversicherung zahlte der Beklagte aus.
Mit Schreiben vom 20.10.2015 forderte der Beklagte den Kläger mahnend zur Begleichung der offenen Prämien auf.
Der Verrechnung widersprach der Kläger mit Schreiben vom 20.10.2015 mit der Begründung, dass er nicht in der Lage sei die Pflegekosten selbst zu tragen. Er und seine Ehefrau verfügten nur über Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze. Die Erstattungsbeträge seien daher zweckgebunden nötig, um die laufende Versorgung sicherzustellen.
Auf das Schreiben des Beklagten vom 23.10.2015, in dem der Beklagte auf die Zulässigkeit der Verrechnung trotz Hilfebedürftigkeit nach §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hinwies, forderte der Kläger den Beklagten mit Schreiben vom 11.11.2015 unter Fristsetzung bis zum 13.11.2015 zur Zahlung auf, was der Beklagte mit Schreiben vom 13.11.2015 nochmals ablehnte.
Mit weiteren Schreiben vom 18.12.2015 für die Pflegepflichtversicherung und vom 21.12.2015 für die Krankheitskostenversicherung mahnte der Beklagte den Kläger erneut. Der Beklagte übersandte dem Kläger in diesem Zusammenhang erneut ein aktualisiertes Beitragskonto. Die Rückstände des Klägers beliefen sich für die private Pflegepflichtversicherung auf 6.371,40 EUR und für die Krankheitskostenversicherung auf 29.334,56 EUR. Den Zahlungsaufforderungen kam der Kläger nicht nach.
Der Kläger hat am 21.12.2015 Klage erhoben.
Der Kläger ist der Ansicht, dass er einen Anspruch auf Auszahlung der Versicherungsleistungen habe. Die Unzulässigkeit der Aufrechnung folge aus § 394 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 54 Abs. 1, 3 Nr. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Nach § 110 SGB XI sei sicherzustellen, dass die Belange der Personen, die nach § 23 SGB XI zum Abschluss eines Pflegepflichtversicherungsvertrages bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet seien, ausreichend gewahrt werden müssten. Eine andere Bewertung ergebe sich auch nicht aus § 394 S. 2 BGB. Die Regelung des § 193 Abs. 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) verdränge diese Norm. Jedenfalls sei diese Norm analog anwendbar aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung unter Beachtung der Menschenwürde des Klägers aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und des Sozialstaatsprinzips aus Art. 20, 28 GG. Im Übrigen verstoße die Aufrechnung gegen Treu und Glauben.
Mit Leistungsabrechnungen vom 11.01.2016 und 12.01.2016 hat der Beklagte den dort jeweils ausgewiesenen Erstattungsbetrag in Höhe von 1.437,69 EUR und von 252,39 EUR mit den Beitragsrückständen verrechnet.
Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.521,28 EUR zu zahlen. 2. festzustellen, dass der Beklagte daran gehindert ist, zukünftig entstehende Leistungsansprüche des Klägers auf Erstattung durch Pflegeleistungen durch den Beklagten mit rückständigen Beitragsansprüchen des Klägers zu verrechnen, soweit der Kläger hilfebedürftig gemäß SGB XII ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte beruft sich auf die Regelung des § 394 S. 2 BGB. Mit dieser Regelung trage der Gesetzgeber dem Gedanken Rechnung, dass der Berechtigte nicht mit der ungeschmälerten Auszahlung der Bezüge rechnen könne, wenn er seinerseits seiner Verpflichtung zur Entrichtung der laufenden Beträge nicht nachkomme. § 193 Abs. 6 VVG beziehe sich lediglich auf die Krankheitskostenversicherung. Angesichts des Umstandes, dass die Beiträge für die Krankheitskostenversicherung wesentlich höher seien als für die private Pflegepflichtversicherung, sei es nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber Sonderregelungen für hilfebedürftige Personen betreffend die Krankheitskostenversicherung geschaffen habe, nicht jedoch betreffend die Pflegepflichtversicherung.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 29.07.2016 gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat vollumfänglich Erfolg.
Im Hinblick auf den Klageantrag zu 1 ist die Klage zunächst zulässig. Richtige Klageart betreffend den Klageantrag zu 1 ist die isolierte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG). Da der Beklagte als privates Versicherungsunternehmen nicht zum Erlass von Verwaltungsakten befugt ist, bedarf es daneben keiner zusätzlichen Anfechtung seiner Entscheidungen durch den Kläger und folglich auch nicht der Durchführung eines Vorverfahrens i. S. v. § 78 SGG. Eine Klagefrist war zudem nicht einzuhalten. Das Prozessrecht des SGG kennt für isolierte Leistungsklagen keine Klagefrist.
Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 1 auch begründet.
Unstreitig ist die Forderung des Klägers in Höhe von insgesamt 2.521,28 EUR entstanden, wie es sich auch ohne weiteres aus den streitgegenständlichen Leistungsabrechnungen vom 09.10.2015, 11.01.2016 und 12.01.2016 ergibt.
Die Forderung ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht durch Aufrechnung (§§ 387, 389 BGB) erloschen. Der Aufrechnung steht zunächst der Charakter des Leistungsanspruches als unpfändbare Forderung und im Weiteren die Hilfebedürftigkeit des Klägers nach dem SGB XII entgegen.
Vorliegend besteht ein grundsätzliches Aufrechnungsverbot im Sinne von § 394 S. 1 BGB, § 51 Abs. 1 SGB I. Nach diesen Normen findet die Aufrechnung lediglich gegen pfändbare Ansprüche statt. Bei dem Anspruch des Klägers aus der privaten Pflegepflichtversicherung in Form der sog. Kombinationsleistung handelt es sich jedoch um einen unpfändbaren Anspruch im Sinne von § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I. Unpfändbar sind danach Ansprüche auf Geldleistungen, die dafür bestimmt sind, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen. Das sind auch Geldleistungen der Pflegeversicherung nach den §§ 37 ff. SGB XI (Gutzler, in: Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 41. Edition, Stand: 01.04.2016, § 54 SGB I, Rn. 12; Pflüger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Auflage 2011, Stand: 03.03.2015, § 54, Rn. 67). Dies gilt auch für die Leistungen aus der privaten Pflegepflichtversicherung. Insofern schließt sich die Kammer der Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen in seinem Urteil vom 12.02.2002 zum Az. L 3 P 19/00 und des SG Hamburg in seinem Urteil vom 24.09.2012 zum Az. S 23 P 134/10 sowie der überwiegenden Kommentarliteratur, die nicht nach gesetzlicher und privater Pflegeversicherung unterscheidet bzw. ebenfalls konkret die Anwendbarkeit bejaht (vgl. bereits oben sowie die Anmerkung zu SG Hamburg, Urteil vom 24.09.2012, Az. S 23 P 134/10 von Prof. Dr. X L, I (T) in: VuR 2014, 35), an. Zur Begründung zieht die Kammer ebenfalls § 110 Abs. 1 SGB XI heran, wonach sicherzustellen ist, dass die Belange der Personen, die nach § 23 SGB XI zum Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet sind, ausreichend gewahrt werden müssen.
Allerdings greift vorliegend die Rückausnahme nach § 394 S. 2 BGB, § 51 Abs. 2 SGB I. Ausnahmsweise erklären diese Vorschriften die Zulässigkeit der Aufrechnung mit unpfändbaren Forderungen, soweit die Aufrechnung mit geschuldeten Beiträgen erfolgt. Diese Regelung trägt dem gesetzgeberischen Willen Rechnung, dass der Berechtigte nicht mit der ungeschmälerten Auszahlung der Bezüge rechnen kann, wenn er seinerseits seiner Verpflichtung zur Entrichtung der laufenden Beträge nicht nachkommt, wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat.
Diese grundsätzlich zulässige Aufrechnung folgt nach Auffassung der Kammer jedoch auch im Falle der privaten Pflegepflichtversicherung den Grenzen des § 51 Abs. 2 SGB I, die in § 394 S. 2 BGB nicht existieren.
Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gemäß § 51 Abs. 2 SGB I gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch wird.
§ 51 Abs. 2 SGB I stellt eine spezialgesetzliche Regelung gegenüber § 394 S. 2 BGB dar, wonach ohne weitere Begrenzung gegen die aus Kranken-, Hilfs- oder Sterbekassen, insbesondere aus Knappschaftskassen und Kassen der Knappschaftsvereine, zu beziehende Hebungen jedoch geschuldete Beiträge aufgerechnet werden können.
Zur Überzeugung der Kammer ist § 51 Abs. 2 SGB I jedenfalls entsprechend auf den vorliegenden Fall anwendbar. Zwar handelt es sich bei dem Beklagten nicht direkt um einen Leistungsträger im Sinne von §§ 12, 21a SGB XI, da es sich bei dem Beklagten um ein privates Versicherungsunternehmen handelt. Allerdings liegt eine vergleichbare Interessenlage vor und der Gesetzgeber hat diesen speziellen Fall nicht geregelt. Ein Träger der gesetzlichen Pflegeversicherung ist ohne weiteres im Hinblick auf die (Höhe der) Aufrechnung durch die Regelung des § 51 Abs. 2 SGB I beschränkt. Dasselbe muss aufgrund der Konzeption der Pflegeversicherung insgesamt ebenfalls für Unternehmen der privaten Pflegeversicherung gelten. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll zwischen der gesetzlichen und der privaten Pflegeversicherung eine umfassende materielle Gleichheit bestehen. Dies ergibt sich unter anderem aus den §§ 23, 110 f. SGB XI. Danach besteht auch für privat Krankenversicherte eine Pflicht zum Abschluss einer Pflegeversicherung. Für die privaten Versicherungsunternehmen besteht in diesem Kontext ein Kontrahierungszwang mit näheren Vorgaben des Gesetzgebers zum Versicherungsinhalt. Dem Willen des Gesetzgebers, insbesondere der Regelung des § 110 Abs. 1 SGB XI, wonach sicherzustellen ist, dass die Belange der Personen, die nach § 23 SGB XI zum Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet sind, ausreichend gewahrt werden, wird nach Auffassung der Kammer nur dadurch ausreichend genüge getan, dass die besonderen Schutzvorschriften des SGB I auch für die private Pflegepflichtversicherung Anwendung finden. Insofern führt dies konsequent die bereits mit der Anwendbarkeit des § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I bejahte Anwendbarkeit der spezialgesetzlichen Regelungen des SGB I auf die private Pflegepflichtversicherung fort.
Der Kläger ist hilfebedürftig im Sinne des SGB XII, wie die vorgelegte Bescheinigung der Stadt C vom 22.12.2014 sowie der Umstand, dass die Krankheitskostenversicherung sowie die private Pflegepflichtversicherung bei dem Beklagten im (halbierten) Basistarif geführt werden, belegen.
Die Klage ist zudem hinsichtlich des Klageantrages zu 2 zulässig und begründet.
Statthaft ist die Feststellungsklage (§ 55 SGG). Ausnahmsweise ist die vorbeugende Feststellungsklage zulässig, wenn ein berechtigtes Interesse gerade an einer baldigen vorbeugenden Feststellung, also ein spezielles, auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Interesse, besteht. Der Kläger hat ein derartiges berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Es ist davon auszugehen, dass der Beklagte auch zukünftig eine Verrechnung vornehmen wird. Dies ist bereits nach Erhebung der Klage mittels Leistungsabrechnungen vom 11.01.2016 und 12.01.2016 geschehen. Eine Leistungsklage kann der Kläger zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erheben, da die zukünftigen Leistungen noch nicht durch den Beklagten abgerechnet sind. Eine Erklärung, dass der Beklagte künftig von den in der Vergangenheit vorgenommenen Verrechnungen absieht, liegt nicht vor. Dem Kläger ist vor dem Hintergrund der finanziellen Belastungen aufgrund der laufenden Pflegekosten und seiner Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII nicht zuzumuten, entsprechende Leistungsabrechnungen des Beklagten abzuwarten. Effektiver Rechtsschutz kann dem Kläger nur mit der begehrten Feststellung verschafft werden.
Materiell-rechtlich ist der geltend gemachte Feststellungsantrag zu 2 aus den o. g. Gründen begründet.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved