S 47 KR 1033/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
47
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 47 KR 1033/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.274,49 EUR zu zahlen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, wer für die Kosten einzustehen hat, die durch die Verwendung einer vom Träger der Sozialhilfe (Beklagter) nicht eingezogenen Krankenversichertenkarte entstanden sind, wenn die Krankenkasse (Klägerin) die Gültigkeit der Krankenversichertenkarte nicht entsprechend der Anmeldung des Beklagten von vorneherein befristet ausstellte.

Die Klägerin begehrt die Erstattung ihrer Leistungs- und Verwaltungsaufwendungen für Frau N. T. gemäß § 264 Abs. 5 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) durch die Beklagte. Der Beklagte meldete Frau T. bei der Klägerin für den Zeitraum vom 01.01.2004 bis 30.06.2004 an, nachdem diese ihr Wahlrecht nach § 264 Abs. 3 Satz 1 SGB V mit Schreiben vom 29.11.2003 entsprechend ausgeübt hatte. Der Beklagte hatte die Bedürftigkeit von Frau T. für den genannten Zeitraum festgestellt und beendete die Leistungen auch entsprechend.

Frau T. erhielt von der Klägerin eine Krankenversichertenkarte ab 01.10.2004. Eine der Anmeldung entsprechende Befristung durch die Klägerin wurde nicht vorgenommen. Vielmehr stattete die Klägerin Frau T. - wie alle von ihr nach § 264 SGB V Betreuten - mit einer bis Jahresende 2004 befristeten Versichertenkarte aus. Hintergrund dafür war u.a. die Einführung des ALG II zum 01.01.2005.

Eine gesonderte Abmeldung zum 30.06.2004 durch den Beklagten erfolgte nicht. Die Krankenversichertenkarte wurde nicht eingezogen. Frau T. nahm mit der überlassenen Karte in der Zeit ab dem 01.07.2004 bis zum 31.01.2005 noch Leistungen bei der Klägerin in Anspruch. In der Zeit vom 01.07.2004 bis 06.03.2005 war Frau T. bei der Klägerin nicht versichert. In dem genannten Zeitraum wurden über die Krankenversichertenkarte Gesamtkosten in Höhe von 2.274,49 EUR verursacht. Die Summe setzt sich aus den Leistungsausgaben und den Verwaltungskosten der Klägerin in Höhe von 5 % der Leistungsausgaben zusammen (vgl. die Aufstellung der Klägerin).

Die Klägerin machte diese Kosten im Rahmen der üblichen Quartalsabrechnungen bei der Beklagten geltend. Diese verweigerte den Ausgleich der streitgegenständlichen Kosten unter Hinweis auf die lediglich befristet ausgesprochene Anmeldung und berief sich zunächst auf eine Rahmenvereinbarung mit anderen Krankenkassen. Danach sei die Gültigkeit der Krankenversicherungskarte entsprechend der Anmeldung zu befristen. Der Karteneinzug sei dann nicht relevant.

Eine letztmalige Aufforderung vom 15.05.2006 wies die Beklagte telefonisch zurück.

Daraufhin erhob die Klägerin am 24.08.2006 Klage beim Sozialgericht München und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag vom 2.274,49 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragte die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist insbesondere der Auffassung, dass der Wortlaut des § 264 Abs. 5 SGB V eindeutig sei. Danach habe am Ende der Anspruchsberechtigung immer eine Abmeldung durch den Sozialhilfeträger zu erfolgen. Dieser müsse die Karte einziehen und an die Krankenkasse übermitteln. Es bestehe keine Pflicht der Krankenkasse, die Krankenversicherungskarte mit beschränkter Gültigkeitsdauer auszustellen. Soweit die Karte nicht eingezogen werde, falle dieses Versäumnis ausschließlich dem Sozialhilfeträger zur Last. Der Höhe nach rechtfertige sich die Klageforderung aus § 264 Abs. 7 Satz 2 SGB V. Sollte man eine Verpflichtung der Krankenkassen zur Befristung der Versichertenkarte nach den Vorgaben des Sozialhilfeträgers annehmen, hätte es der Sozialhilfeträger in der Hand, sich seiner Verpflichtung zum Einzug der Versichertenkarte zu entziehen. Dies entspreche nicht dem gesetzgeberischen Willen und sei auch kaum praktikabel.

Der Beklagte macht geltend, dass er erst bei dem Abrechnungsverlangen der Klägerin Kenntnis erlangt habe, dass keine Befristung erfolgt sei. § 291 Abs. 1 SGB V lasse zu, dass die Gültigkeit der Versichertenkarte befristet werde. Die Krankenkassen seien gehalten, im Sinne des Erstattungspflichtigen zu handeln. Die Klägerin hätte die Versichertenkarte daher mit beschränkter Gültigkeitsdauer ausstellen müssen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 124 SGG) erklärt.

Zur Ergänzung wird auf die Akten der Klägerin, des Beklagten und des Sozialgerichts verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) zulässig. Zwischen den Beteiligten besteht ein Gleichordnungsverhältnis, in dem der Erstattungsanspruch nicht durch Verwaltungsakt geltend gemacht wird. Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht aufgrund der Zahlungsweigerung des Beklagten.

Die Klage ist begründet.

Der Erstattungsanspruch beruht auf § 264 Abs. 5 Satz 3 SGB V. Danach hat der Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen, die der Krankenkasse nach Abmeldung durch eine missbräuchliche Verwendung der Karte entstehen, zu erstatten. § 264 Abs. 5 Satz 2 SGB V legt dem Träger der Sozialhilfe neben der Abmeldung die Verpflichtung auf, die Karte einzuziehen und an die Krankenkasse zu übermitteln. Damit sind die Zuständigkeiten und die Aufgabenverteilung gesetzlich klar geregelt. Entgegen der gesetzlichen Regelungen erfolgte hier keine Einziehung der Karte durch den Sozialhilfeträger. Nach der Abmeldung zum 30.06.2004, die zugleich mit der Anmeldung vorgenommen wurde, wurde die Karte noch bis 31.01.2005 benutzt. Es handelte sich um einen missbräuchliche Verwendung, da Frau T. in dieser Zeit auch kein Mitglied der Klägerin war. Erst ab dem 07.03.2005 bestand eine Versicherung bei der Klägerin.

Das Risiko, dass nach der Abmeldung noch weitere Leistungen in Anspruch genommen werden, trägt nach der gesetzlichen Regelung der Sozialhilfeträger. Dabei liegt es in seiner Verantwortung, dieses Risiko durch den Einzug der Krankenversichertenkarte auszuschließen. Die Befristung der Karte mag zwar das Risiko des Missbrauchs verringern, kann aber einen fortgesetzten Gebrauch der Karte trotz abgelaufenen Datums in der Praxis nicht völlig verhindern. Auch hier wurden noch im Jahr 2005 Leistungen mit der bis Ende 2004 gültigen Karte in Anspruch genommen. Mit der befristeten Gültigkeit wird daher noch nicht dieselbe Wirkung erreicht wie mit einem Einzug der Karte. Auch deshalb erscheint es nicht überzeugend, dass allein die Befristungsmöglichkeit eine Verlagerung der Risiken bewirken soll.

Eine Risikoverlagerung auf die Krankenkasse entspräche auch nicht der systematischen Konstruktion, dass die Krankenkasse den Leistungsempfänger nur auf Veranlassung und auf Kosten des Sozialhilfeträgers überhaupt betreut und der Betreute kein Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung wird. Die Ausstellung der Krankenversichertenkarte erfolgt nur zu dem Zweck, dass die nach § 264 SGB V Betreuten dieselben Leistungen in Anspruch nehmen können wie versicherte Mitglieder (vgl. Gesetzbegründung zum GKV-Modernisierungsgesetz; BT-Drucks. 15/1525).

§ 264 SGB V trifft eine abschließende Regelung. Die Vorschriften zum gesetzlichen Auftrag (§ 93 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X in Verbindung mit § 91 SGB X) sind nicht anwendbar (Mergler/Zink, SGB XII, § 48 SGB XII, Rn. 85). Insbesondere gilt damit nicht § 91 Abs. 1 Satz 3 SGB X, wonach eine Erstattungspflicht bei zu Unrecht erbrachten Sozialleistungen nicht besteht, wenn den Beauftragten hierfür ein Verschulden trifft. § 264 Abs. 5 Satz 4 SGB V sieht nämlich nur bestimmte Ausnahmen von der Erstattungspflicht des Trägers der Sozialhilfe vor. Die Haftung des Satz 3 entfällt danach in Fällen, in denen die Krankenkasse auf Grund gesetzlicher Vorschriften oder vertraglicher Vereinbarungen verpflichtet ist, ihre Leistungspflicht vor der Inanspruchnahme zu prüfen. Für die Frage der Befristung lässt sich daraus nichts herleiten. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten liegt keine Vereinbarung vor, wie es sie mit anderen Krankenversicherungsträgern gibt. Eine gesetzliche Pflicht zur Befristung ist nicht normiert. Nach § 291 Abs. 1 Satz 6 SGB V "kann" die Krankenkasse die Gültigkeit der Krankenversichertenkarte befristen. Diese Regelung im Zehnten Kapitel des SGB V (Versicherungs- und Leistungsdaten, Datenschutz, Datentransparenz) ist als Befugnis im Zusammenhang mit der Datenspeicherung anzusehen. Ob die Befristung erfolgt, liegt im Ermessen der Krankenkasse. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten vorgetragen, dass sie nicht die technische Möglichkeit eingerichtet habe, eine monatsweise Gültigkeit in die EDV einzugeben.

Nach Ansicht der Kammer kann sich der Beklagte auch nicht auf ein anspruchsminderndes Mitverschulden der Klägerin berufen. Zwar hat die Klägerin selbst mangels fehlender Befristung nicht alle Möglichkeiten der Missbrauchsabwehr ausgeschöpft. Die Eindämmung von Missbrauch liegt wegen des Wirtschaftlichkeitsgebots an sich auch im eigenen Interesse der Klägerin. Grundsätzlich sind die Leistungsträger nach § 86 SGB X auch zu einer engen Zusammenarbeit verpflichtet. Dennoch erscheint hier der Kammer die Heranziehung des allgemeinen Rechtsgedankens des § 254 BGB nicht möglich: Es handelt sich wie bereits ausgeführt bei § 264 SGB V um eine abschließende Regelung, die ihrerseits keine verschuldensabhängige Haftung vorsieht, sondern für den Missbrauchsfall eine klare Erstattungsregelung trifft. Für die Abwägung von Verschuldens- und Verursachungsbeiträgen bleibt hier kein Raum. Im Übrigen wäre der Missbrauch mit Sicherheit durch den Einzug der Karte ausgeschlossen worden. Dann hätte sich auch die nur spekulativ zu beantwortende Frage, in welchem Umfang die Befristung den Missbrauch verhindert hätte, erübrigt.

Der Umfang der Erstattung richtet sich nach § 264 Abs. 7 SGB V.

Der Klage war nach alledem vollumfänglich mit der Kostenfolge für den Unterliegenden aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung stattzugeben.

Die Berufung bedurfte wegen § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG der Zulassung. Diese erfolgte, da eine offenbar bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufgeworfen wurde, die grundsätzlich mehrere Fälle betreffen kann.
Rechtskraft
Aus
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