S 51 SF 74/07 F

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
51
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 51 SF 74/07 F
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Auf die Erinnerung vom 11.09.2007 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22.08.2007 abgeändert und die zu erstattenden Kosten werden auf 172,55 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe der von der Erinnerungsführerin der Erinnerungsgegnerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten einer Untätigkeitsklage.

Der Bevollmächtigte der Erinnerungsgegnerin vertritt am Sozialgericht München jährlich Dutzende Untätigkeitsklagen im Bereich des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II).

Mit Bescheid vom 11.10.2006 bewilligte die Erinnerungsführerin der Bedarfsgemeinschaft der Erinnerungsgegnerin Arbeitslosengeld II nach SGB II.
Gegen den Bescheid wurde mit Schreiben vom 08.11.2006 Widerspruch erhoben.

Am 09.02.2007 erhob der Bevollmächtigte der Erinnerungsgegnerin eine Untätigkeitsklage für die Klägerin. Die Untätigkeitsklage einschließlich Kostenantrag wurde mit knapp sechs Zeilen begründet. Nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 17.02.2007 erklärte die Erinnerungsgegnerin die Untätigkeitsklage in der Hauptsache für erledigt. Beigefügt war folgende Kostennote:

Verfahrensgebühr gemäß § 3 Rechtsanwaltsvergütungs- gesetz (RVG) i.V.m. Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis (VV RVG) und wegen Vertretung zweier Auftraggeber Erhöhung um 0,3 gemäß Nr. 1008 VV RVG 140,- Euro

Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,- Euro

Nettobetrag zusammen 160,- Euro

19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG 30,40 Euro

Gesamtbetrag 190,40 Euro

Die Erinnerungsführerin erkannte die Kostentragung dem Grunde nach an. Die Höhe der Kosten wurde dagegen bestritten.

Der Bevollmächtigte der Erinnerungsgegnerin verwies darauf, dass die vorgelegte Gebührenberechnung auch im Verfahren zum Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gängig sei, Untätigkeitsklagen zum Sozialgericht nur von wenigen Anwälten überhaupt betrieben werden, üblicherweise durchaus auch eine Besprechung mit Mandanten vor Erhebung einer Untätigkeitsklage erfolge und das Interesse der Betroffenen an einer zügigen Entscheidung, mithin die Bedeutung der Angelegenheit, sehr groß sei.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22.08.2007, S 51 AS 276/07 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten gemäß § 197 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf 190,40 Euro fest. Eine Verfahrensgebühr in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr sei angemessen (125,- Euro). Wegen des Toleranzrahmens von 20 Prozent könne eine Unbilligkeit der geforderten 140,- Euro nicht angenommen werden.

Am 14.09.2007 legte die Erinnerungsführerin Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss ein. Dem Bevollmächtigten der Erinnerungsgegnerin sei aufgrund zahlreicher Verfahren bekannt, dass eine Verfahrensgebühr von 125,- Euro angemessen sei. Es sei nicht zu akzeptieren, dass die angemessene Verfahrensgebühr wegen des Toleranzrahmens überschritten werde. Es handle sich um eine permanente, von vornherein beabsichtigte und rechtsmissbräuchliche Überschreitungen der angemessenen Verfahrensgebühr.

Der Bevollmächtigte der Erinnerungsgegnerin verwies darauf, dass die Untätigkeitsklage zeitnahes rechtliches Gehör gewährleiste. Die Behörde könne durch rechtzeitige Entscheidung die Kosten für eine Untätigkeitsklage vermeiden. Die wirtschaftliche Bedeutung für die Betroffenen sei hoch. Durch zeitnahe Entscheidungen der Behörde seien die Rechte der Betroffenen zu wahren.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle half der Erinnerung nicht ab und legte sie dem Richter zur Entscheidung vor.

II.

Das Gericht ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG zur Entscheidung über die Erinnerung zuständig. Die Erinnerung ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden. Die Erinnerung ist im tenorierten Umfang begründet.

In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anwendbar ist, also bei Verfahren kostenprivilegierter Beteiligter nach § 183 SGG, entstehen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren. Die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV RVG hat einen Gebührenrahmen von 40,- Euro bis zu 460,- Euro. Die Mittelgebühr (Mitte des Rahmens) beträgt 250,- Euro.

Prüfungsmaßstab zur Bestimmung der Höhe der Rahmengebühren ist § 14 Abs. 1 RVG. Danach bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit, der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers sowie des Haftungsrisikos nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu erstatten, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

Die Gebührenhöhe ist anhand einer Gesamtabwägung zu bestimmen. Die in § 14 Abs. 1 RVG genannten Kriterien sind nicht abschließend. Im vorliegenden Fall sind jedoch keine weiteren wesentlichen Kriterien ersichtlich.

Angemessen ist die Hälfte der Mittelgebühr, mithin 125,- Euro. Eine weitere Erhöhung im Rahmen der "Billigkeit" kommt nicht in Betracht. Die anwaltliche Gebührenbestimmung von 140,- Euro ist unbillig. Da die Gebühr von der Erinnerungsführerin zu erstatten ist, ist die Bestimmung nicht verbindlich.

Gegenstand des Klageverfahrens war eine Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG. Ziel einer solchen Untätigkeitsklage ist ausschließlich der Erlass eines beantragten Bescheides bzw. Widerspruchsbescheides. Materiellrechtliche Fragen bleiben unberücksichtigt.

Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist weit unterdurchschnittlich. Erforderlich ist lediglich die Kenntnis der entsprechenden Vorschrift sowie der darin angeführten Frist. Es handelt sich um eine anwaltliche Tätigkeit der einfachsten Art. Wenn, wie der Bevollmächtigte der Erinnerungsgegnerin vorträgt, nur wenige Anwälte von der Untätigkeitsklage Gebrauch machen, dann liegt das nicht an der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit.

Der Umfang der Tätigkeit des Anwalts ist weit unterdurchschnittlich. Der Aufwand für die Klagebegründung ist minimal. Im vorliegenden Fall umfasst sie knapp sechs Zeilen einschließlich der Begründung des Kostenantrags. Die Laufzeit des Verfahrens war mit weniger als zwei Monaten ausgesprochen kurz. Auch sofern im Einzelfall tatsächlich eine Besprechung mit dem Mandanten erfolgte, ist hierfür nur ein geringer Aufwand erforderlich.

Die Bedeutung der Angelegenheit für den Betroffenen ist allenfalls durchschnittlich. Der Leistungsbezug ist für Empfänger von Arbeitslosengeld II zwar von erheblicher Bedeutung. Darauf kommt es kostenrechtlich hier aber nicht an. Gegenstand des Verfahrens war nicht eine Sachentscheidung über einen Leistungsanspruch, sondern ausschließlich eine behördliche Untätigkeit, die mithilfe des Gerichts beendet werden soll. Für sehr dringliche Leistungsansprüche stellt das Gesetz das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verfügung.

Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Auftraggeberin sind bei Empfängern von Arbeitslosengeld II regelmäßig deutlich unterdurchschnittlich.

Das Haftungsrisiko ist angesichts der Einfachheit der Tätigkeit sehr gering.

Die Mindestgebühr von 40,- Euro kommt in Betracht, wenn ein Mindestbemittelter betroffen ist, die Sache einfach liegt und nur geringen Umfang hat oder wenn ein einziges Merkmal so überwiegt, dass schon deshalb nur die Mindestgebühr gerechtfertigt ist (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 36. Auflage, § 14 Rn. 17 RVG). Im vorliegenden Fall spricht allein die allenfalls durchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit gegen den Ansatz der Mindestgebühr.

Bei vier Kriterien, die weit oder deutlich unterdurchschnittlich sind und nur einem Kriterium von allenfalls Durchschnittlichkeit ist es angemessen, die Verfahrensgebühr auf die Hälfte der Mittelgebühr, mithin auf 125,- Euro festzusetzen. Dies entspricht einer Empfehlung des Kostenrevisors am Bayerischen Landessozialgericht, den Entscheidungen der Bayerischen Sozialgerichte (z.B. SG München S 22 AS 1231/06, S 22 AS 374/07, S 51 AS 758/07, S 52 AS 1430/06, S 52 AS 1260/07, S 53 AS 364/06, S 53 AS 1593/06 sowie SG Augsburg S 9 AS 286/06 Ko und S 10 P 34/03 Ko) und auch dem hier streitigen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22.08.2007.

Eine Gebührenerhöhung um 0,3 nach § 7 RVG i.V.m. Nr. 1008 VV RVG wegen Vertretung mehrerer Auftraggeber ist nicht anzusetzen, weil der Bevollmächtigte die Untätigkeitsklage nur für die Erinnerungsgegnerin erhoben hat.

Eine Erhöhung der 125,- Euro in Rahmen der "Billigkeit" kommt nicht in Betracht.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat im Urteil vom 26.02.1992 (9a RVs 3/90) dem Anwalt grundsätzlich einen Toleranzrahmen von 20 Prozent eingeräumt. Nur eine Bestimmung des Rechtsanwalts, die um 20 von Hundert oder mehr von der Vorstellung der anderen Seite abweicht, sei unbillig im Sinn von § 12 Abs. 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (jetzt § 14 RVG). Gleichzeitig hat das BSG diese Aussage eingeschränkt: Der Gedanke des Spielraums sei nicht so zu verstehen, dass Rechtsanwälte in Durchschnittsfällen immer bis zu 20 Prozent über die Mittelgebühr hinausgehen dürften. Der Gedanke des Spielraums sei nur für Fälle hilfreich, in denen mit der Mittelgebühr-Methode kein fester Betrag ermittelt werden kann. Dies könne dann so sein, wenn einige Gesichtspunkte dafür sprechen, dass das Verfahren etwas über dem Durchschnitt liegt.

Das Urteil des BSG ist nicht so zu verstehen, dass immer dann ein Toleranzzuschlag von bis zu 20 Prozent möglich ist, wenn eine andere Gebühr als die Mittelgebühr angemessen ist. Der Grundgedanke der Entscheidung ist vielmehr, dass ein Zuschlag dann nicht in Frage kommt, wenn dem Anwalt eine eindeutige Bestimmung der Gebühr möglich ist. Wenn eine Gebühr für den Anwalt klar bestimmbar ist, gibt es keinen Grund, einen Toleranzrahmen in Anspruch zu nehmen. Es ist dann unbillig, einen Zuschlag zu fordern.

Im vorliegenden Fall ist die Hälfte der Mittelgebühr angemessen. Aufgrund der Vielzahl von Untätigkeitsklagen und der zugehörigen Kostenbeschlüsse muss der Bevollmächtigte der Erinnerungsgegnerin wissen, dass die Hälfte der Mittelgebühr die angemessene Gebühr ist. Mit Hilfe des Toleranzzuschlag eine höhere Gebühr zu fordern, ist unbillig.

Die Gebühren sind daher wie folgt festzusetzen:

Verfahrensgebühr gemäß § 3 RVG i.V.m. Nr. 3102 125,- Euro

Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,- Euro

Nettobetrag zusammen 145,- Euro

19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG 27,55 Euro

Gesamtbetrag 172,55 Euro

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei. Er ist endgültig (§ 197 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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