Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
51
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 51 AS 2728/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 09.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2010 wird insoweit aufgehoben, als er die Leistungsbewilligung für die Zeit von 01.07.2009 bis 30.11.2009 aufhebt und von der Klägerin die Erstattung von mehr als 512,64 EUR fordert.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Beklagte erstattet 4/5 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Tatbestand: Zwischen den Beteiligten ist die teilweise Aufhebung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von 01.06.2009 bis 30.11.2009 sowie die Erstattung von 3.192,29 EUR streitig.
Tatbestand:
Die 1952 geborene Klägerin bezog gemeinsam mit ihrem 1944 geborenen Ehemann, dem Beigeladenen, ab 01.01.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II vom Beklagten. Sie bewohnen eine ca. 50 qm große Wohnung für die sie eine monatliche Grundmiete einschließlich Betriebskostenvorauszahlung von 460,72 EUR sowie eine monatliche Vorauszahlung auf die Heizkosten in Höhe von 30,68 EUR bezahlen mussten; seit 01.09.2010 beträgt die Gesamtmiete 500,72 EUR einschließlich einer Heizkostenvorauszahlung von 40,00 EUR. Der Ehemann der Klägerin vollendete am 06.05.2009 das 65. Lebensjahr. Seit 01.06.2009 bezieht er eine Altersrente in Höhe von 1.100,50 EUR im Juni und 1.130,79 EUR ab Juli.
Mit Bescheid vom 20.04.2009, geändert durch Bescheide vom 04.05.2009 und 07.06.2009, bewilligte der Beklagte für die Klägerin Leistungen für die Zeit von 01.06.2009 bis 30.11.2009 in Höhe von 559,40 EUR im Juni und 567,40 EUR ab Juli. Der Beigeladene wurde in der Berechnung nicht mehr erwähnt.
Mit Bescheid vom 09.11.2009 lehnte der Beklagte den Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen ab 01.12.2009 ab. Die Klägerin und der Beigeladene hätten Anspruch auf Wohngeld in Höhe von 202,00 EUR. Sie könnten ihren Lebensunterhalt durch das Renteneinkommen des Beigeladenen und den Wohngeldanspruch decken. Mit einem weiteren Bescheid vom 09.11.2009 hob der Beklagte die Bewilligungsbescheide vom 20.04.2009, 04.05.2009 und 07.06.2009 für die Zeit von 01.06.2009 bis 30.11.2009 teilweise auf und forderte von der Klägerin die Erstattung von 3.192,29 EUR. Aufgrund des Renteneinkommens des Beigeladenen sei die Klägerin nicht mehr in der bewilligten Höhe hilfebedürftig. Sie habe zumindest grob fahrlässig unterlassen, die Änderung in den Verhältnissen mitzuteilen.
Gegen beide Bescheide vom 09.11.2009 legte die Klägerin am 17.11.2009 Widerspruch ein. Es stimme nicht, dass sie die Änderung in den Verhältnissen nicht mitgeteilt habe. Sie habe im Mai 2009 mit dem Sachbearbeiter gesprochen und mitgeteilt, dass ihr Ehemann ab 1. Juli Altersrente beziehen werde. Der Sachbearbeiter habe ihr gesagt, dass sie noch Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts habe, jedoch nur noch in geringerer Höhe.
Die Landeshauptstadt A-Stadt bewilligte mit Bescheid vom 21.01.2010 für die Zeit von 01.11.2009 bis 31.10.2010 ein monatliches Wohngeld von 31,00 EUR. Mit zwei Wider-spruchsbescheiden vom 15.09.2010 wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 09.11.2009 als unbegründet zurück. Die Rente des Beigeladenen sei Ein-kommen, das auch auf den Leistungsanspruch der Klägerin angerechnet werden müsse. Die Klägerin habe zwar im Mai angegeben, dass ihr Mann zukünftig Rente beziehen wer-de, jedoch nicht in welcher Höhe. Ihr sei aufgegeben worden, den Rentenbescheid vorzulegen, sobald dieser ihrem Ehemann vorliege; dies habe sie unterlassen.
Die Klägerin hat am 30.09.2010 Klage zum Sozialgericht erhoben. Sie habe keinen Fehler gemacht, sondern die Höhe der Rente ihres Mannes mitgeteilt, sobald sie ihr bekannt gewesen sei. Außerdem hätten sie und ihr Mann bei der Beantragung von Grundsicherungsleistungen für ihren Mann den Rentenbescheid vorgelegt. Da sie unter dem Existenzminimum lebe, könne sie ohnehin nichts zurückzahlen.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 09.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2010 betreffend die teilweise Aufhebung und Erstattung von Leistungen für die Zeit von 01.06.2009 bis 30.11.2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Klägerin könne sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil sie es zumindest grob fahrlässig unterlassen habe, die tatsächliche Rentenhöhe des Beigeladenen mitzuteilen. Sie habe gewusst, dass sich die Rente des Beigeladenen auf den Anspruch auf SGB II-Leistungen auswirkt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Akte des Gerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist insoweit begründet, als die Klägerin nicht zur Erstattung von Leistungen für die Monate Juli bis November 2007 verpflichtet ist und auch die Aufhebung der Leistungsbewilligung für diesen Zeitraum rechtswidrig ist. Im Übrigen ist die Klage unbegründet, da die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für Juni 2009 rechtmäßig ist.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 09.11.2009 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 15.09.2010, mithin die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit von 01.06.2009 bis 30.11.2009 und die Erstattung von 3.192,29 EUR.
1.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 20.04.2009 sowie des Änderungsbescheids vom 04.05.2009 betreffend den Monat Juni 2009 ist § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 3 SGB III. Hiernach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwal-tungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Er ist mit Wirkung vom Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt hat (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X). Darauf, ob das Einkommen verschuldet oder unverschuldet rechtzeitig nicht mitgeteilt wurde, kommt es nicht an.
Die Aufhebungsvoraussetzungen liegen hier für den Monat Juni 2009 vor. Durch die Rentenbewilligung vom 08.05.2009 und die entsprechende Auszahlung der Rente erhielt der Beigeladene eine Rechtsposition, die dazu führte, dass der Klägerin die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab Juni 2009 nicht mehr in der zugesprochenen Höhe zustanden.
Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), die erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, u.a. nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Nach § 9 Abs. 2 S. 1 SGB II ist bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen des Partners zu berücksichtigen. Der Beigeladene gehört gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II zur Bedarfsgemeinschaft der Klägerin.
Der maßgebliche Bedarf der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin setzt sich vorliegend für Juni 2009 zusammen aus den für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzusetzenden Regelleistungen von insgesamt 632,00 EUR (2 x 316,00 EUR) sowie aus den Leistungen für Unterkunft und Heizung, die mit 480,00 EUR zu berücksichtigen sind. Daraus ergibt sich ein Gesamtbedarf von 1.112,00 EUR. Ab Juli erhöht sich die Regelleistung auf 2 x 323,00 EUR und damit der Gesamtbedarf auf 1.126,00 EUR.
Dem steht ein Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft von 1.070,50 EUR im Juni und 1.100,79 EUR ab Juli 2009 gegenüber. Als Einkommen zu berücksichtigen sind nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II sowie bestimmter weiterer - hier nicht einschlägiger - Leistungen. Die Klägerin selbst erzielte im streitigen Zeitraum kein Einkommen i. S. des § 11 Abs. 1 SGB II. Die Absetzung eines Pauschbetrages für Versicherungen gemäß § 3 Nr 1 Alg II-V kommt somit nicht in Betracht.
Zu berücksichtigen ist jedoch das Einkommen des Ehemannes in Höhe des Rentenzahl-betrages von 1.100,50 EUR im Juni und 1.130,79 EUR ab Juli 2009. Abzusetzen ist gemäß § 3 Nr. 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) ein Pauschbetrag von 30,00 EUR für Beiträge zu (fakultativen) privaten Versicherungen (vgl Brühl in LPK-SGB II, § 11 RdNr 34). Insgesamt ergibt sich somit ein zu berücksichtigendes Einkommen des Beige-ladenen von 1.070,50 EUR im Juni und 1.100,79 EUR ab Juli.
Soweit die Gegenüberstellung des Gesamtbedarfs mit dem Einkommen der Bedarfsge-meinschaft eine Differenz zugunsten des Gesamtbedarfs ergibt, besteht in diesem Um-fang ein Leistungsanspruch der Klägerin (vgl. zur Einkommensanrechnung in einer sog. gemischten Bedarfsgemeinschaft mit einem Altersrentner: BSG, Urt. v. 15.04.2008, B 14/7b AS 58/06 R). Dem Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin in Höhe von 1.112,00 EUR stand im Juni 2009 ein anrechenbares Einkommen des Beigeladenen in Höhe von 1.070,50 EUR gegenüber. Damit bestand ein Bedarf der Klägerin nur noch in Höhe von 41,50 EUR. Der Beklagte durfte daher die Leistungsbewilligung für Juni 2009 in entspre-chendem Umfang nachträglich aufheben.
Gemäß § 50 Abs. 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, zu erstatten. Die Klägerin muss daher die für Juni 2009 zu Unrecht erbrachten Leistungen in Höhe von 512,64 EUR erstatten.
2.
Dagegen durfte der Beklagte den Änderungsbescheid vom 07.06.2009 für den Zeitraum 01.07.2009 bis 30.11.2009 nicht nach § 45 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 2 SGB III zurücknehmen. Nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt ohne Ermessen auch für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn er auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Auf schutzwürdiges Vertrauen kann sich der Begünstigte auch dann nicht berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X). Die Behörde muss den Bescheid jeweils innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen aufheben bzw. zurücknehmen, welche die Aufhebung des Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X).
Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Änderungsbescheids vom 07.06.2009 ist vorliegend § 45 SGB X, da der Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig war. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids am 07.06.2009 erzielte der Beigeladene aufgrund des Rentenbescheids vom 08.05.2009 bereits ein regelmäßiges Einkommen. Die teilweise Rücknahme der Leistungsgewährung für die Monate Juli bis November war jedoch rechtswidrig, da das Vertrauen der Klägerin auf den Bestand der Bewilligung vom 07.06.2009 schutzwürdig ist. Zur Überzeugung des Gerichts hat die Klägerin im Hinblick auf die Rente des Beigeladenen weder Angaben grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig gemacht, noch hat sie die Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheids vom 07.06.2009 gekannt oder grob fahrlässig nicht gekannt.
Der Sachverhalt ist zwischen den Parteien insoweit unstreitig, als dass im Mai im Sozialbürgerhaus ein Gespräch stattfand, bei dem die Klägerin mitteilte, dass ihr Mann zukünftig Rente beziehen werde. Weiterhin trägt die Klägerin in ihrem Widerspruchsschreiben selbst vor, dass ihr gesagt worden sei, dass sie zwar weiterhin Anspruch auf Leistungen habe, aber in geringerer Höhe. Aus dem Eindruck der mündlichen Verhandlung glaubt das Gericht der Klägerin auch, dass sie und der Beigeladene den Rentenbescheid im Sozialbürgerhaus abgegeben haben, wobei allerdings nicht mehr nachvollziehbar ist, bei welcher Stelle (SGB II-Sachbearbeiter oder SGB XII-Sachbearbeiter).
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3, 2. Hs SGB X). Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem ein-leuchten muss (BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSGE 62, 32, 35 = SozR 4100 § 71 Nr. 2). Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 273, zuletzt Urteil vom 05.02.2006, Az.: B 70 AL 58/05 R).
Nach dem Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gewonnen hat, konnte sie auch bei genauer Betrachtung des Änderungsbescheids vom 07.06.2009 nicht ohne Weiteres feststellen, dass die Höhe der Leistungsbewilligung nicht korrekt war. Um erkennen zu können, ob ein vorhandenes Einkommen angerechnet oder nicht angerechnet wurde, hätte sich die Klägerin mit dem dem Bescheid angehängten Berechnungsbogen auseinandersetzen müssen. Dieser ist für einen Laien jedoch nur schwer verständlich. Im Übrigen wurde der Klägerin gesagt, dass sie weiterhin Leistungen bekommen würde, jedoch in geringerem Umfang. Tatsächlich haben die Klägerin und ihr Ehemann zuletzt gemeinsam 1.115, 73 EUR bekommen, ab Juni 2009 bekam sie nur noch 559,40 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Beklagte erstattet 4/5 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Tatbestand: Zwischen den Beteiligten ist die teilweise Aufhebung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von 01.06.2009 bis 30.11.2009 sowie die Erstattung von 3.192,29 EUR streitig.
Tatbestand:
Die 1952 geborene Klägerin bezog gemeinsam mit ihrem 1944 geborenen Ehemann, dem Beigeladenen, ab 01.01.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II vom Beklagten. Sie bewohnen eine ca. 50 qm große Wohnung für die sie eine monatliche Grundmiete einschließlich Betriebskostenvorauszahlung von 460,72 EUR sowie eine monatliche Vorauszahlung auf die Heizkosten in Höhe von 30,68 EUR bezahlen mussten; seit 01.09.2010 beträgt die Gesamtmiete 500,72 EUR einschließlich einer Heizkostenvorauszahlung von 40,00 EUR. Der Ehemann der Klägerin vollendete am 06.05.2009 das 65. Lebensjahr. Seit 01.06.2009 bezieht er eine Altersrente in Höhe von 1.100,50 EUR im Juni und 1.130,79 EUR ab Juli.
Mit Bescheid vom 20.04.2009, geändert durch Bescheide vom 04.05.2009 und 07.06.2009, bewilligte der Beklagte für die Klägerin Leistungen für die Zeit von 01.06.2009 bis 30.11.2009 in Höhe von 559,40 EUR im Juni und 567,40 EUR ab Juli. Der Beigeladene wurde in der Berechnung nicht mehr erwähnt.
Mit Bescheid vom 09.11.2009 lehnte der Beklagte den Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen ab 01.12.2009 ab. Die Klägerin und der Beigeladene hätten Anspruch auf Wohngeld in Höhe von 202,00 EUR. Sie könnten ihren Lebensunterhalt durch das Renteneinkommen des Beigeladenen und den Wohngeldanspruch decken. Mit einem weiteren Bescheid vom 09.11.2009 hob der Beklagte die Bewilligungsbescheide vom 20.04.2009, 04.05.2009 und 07.06.2009 für die Zeit von 01.06.2009 bis 30.11.2009 teilweise auf und forderte von der Klägerin die Erstattung von 3.192,29 EUR. Aufgrund des Renteneinkommens des Beigeladenen sei die Klägerin nicht mehr in der bewilligten Höhe hilfebedürftig. Sie habe zumindest grob fahrlässig unterlassen, die Änderung in den Verhältnissen mitzuteilen.
Gegen beide Bescheide vom 09.11.2009 legte die Klägerin am 17.11.2009 Widerspruch ein. Es stimme nicht, dass sie die Änderung in den Verhältnissen nicht mitgeteilt habe. Sie habe im Mai 2009 mit dem Sachbearbeiter gesprochen und mitgeteilt, dass ihr Ehemann ab 1. Juli Altersrente beziehen werde. Der Sachbearbeiter habe ihr gesagt, dass sie noch Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts habe, jedoch nur noch in geringerer Höhe.
Die Landeshauptstadt A-Stadt bewilligte mit Bescheid vom 21.01.2010 für die Zeit von 01.11.2009 bis 31.10.2010 ein monatliches Wohngeld von 31,00 EUR. Mit zwei Wider-spruchsbescheiden vom 15.09.2010 wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 09.11.2009 als unbegründet zurück. Die Rente des Beigeladenen sei Ein-kommen, das auch auf den Leistungsanspruch der Klägerin angerechnet werden müsse. Die Klägerin habe zwar im Mai angegeben, dass ihr Mann zukünftig Rente beziehen wer-de, jedoch nicht in welcher Höhe. Ihr sei aufgegeben worden, den Rentenbescheid vorzulegen, sobald dieser ihrem Ehemann vorliege; dies habe sie unterlassen.
Die Klägerin hat am 30.09.2010 Klage zum Sozialgericht erhoben. Sie habe keinen Fehler gemacht, sondern die Höhe der Rente ihres Mannes mitgeteilt, sobald sie ihr bekannt gewesen sei. Außerdem hätten sie und ihr Mann bei der Beantragung von Grundsicherungsleistungen für ihren Mann den Rentenbescheid vorgelegt. Da sie unter dem Existenzminimum lebe, könne sie ohnehin nichts zurückzahlen.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 09.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2010 betreffend die teilweise Aufhebung und Erstattung von Leistungen für die Zeit von 01.06.2009 bis 30.11.2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Klägerin könne sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil sie es zumindest grob fahrlässig unterlassen habe, die tatsächliche Rentenhöhe des Beigeladenen mitzuteilen. Sie habe gewusst, dass sich die Rente des Beigeladenen auf den Anspruch auf SGB II-Leistungen auswirkt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Akte des Gerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist insoweit begründet, als die Klägerin nicht zur Erstattung von Leistungen für die Monate Juli bis November 2007 verpflichtet ist und auch die Aufhebung der Leistungsbewilligung für diesen Zeitraum rechtswidrig ist. Im Übrigen ist die Klage unbegründet, da die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für Juni 2009 rechtmäßig ist.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 09.11.2009 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 15.09.2010, mithin die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit von 01.06.2009 bis 30.11.2009 und die Erstattung von 3.192,29 EUR.
1.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 20.04.2009 sowie des Änderungsbescheids vom 04.05.2009 betreffend den Monat Juni 2009 ist § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 3 SGB III. Hiernach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwal-tungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Er ist mit Wirkung vom Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt hat (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X). Darauf, ob das Einkommen verschuldet oder unverschuldet rechtzeitig nicht mitgeteilt wurde, kommt es nicht an.
Die Aufhebungsvoraussetzungen liegen hier für den Monat Juni 2009 vor. Durch die Rentenbewilligung vom 08.05.2009 und die entsprechende Auszahlung der Rente erhielt der Beigeladene eine Rechtsposition, die dazu führte, dass der Klägerin die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab Juni 2009 nicht mehr in der zugesprochenen Höhe zustanden.
Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), die erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, u.a. nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Nach § 9 Abs. 2 S. 1 SGB II ist bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen des Partners zu berücksichtigen. Der Beigeladene gehört gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II zur Bedarfsgemeinschaft der Klägerin.
Der maßgebliche Bedarf der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin setzt sich vorliegend für Juni 2009 zusammen aus den für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzusetzenden Regelleistungen von insgesamt 632,00 EUR (2 x 316,00 EUR) sowie aus den Leistungen für Unterkunft und Heizung, die mit 480,00 EUR zu berücksichtigen sind. Daraus ergibt sich ein Gesamtbedarf von 1.112,00 EUR. Ab Juli erhöht sich die Regelleistung auf 2 x 323,00 EUR und damit der Gesamtbedarf auf 1.126,00 EUR.
Dem steht ein Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft von 1.070,50 EUR im Juni und 1.100,79 EUR ab Juli 2009 gegenüber. Als Einkommen zu berücksichtigen sind nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II sowie bestimmter weiterer - hier nicht einschlägiger - Leistungen. Die Klägerin selbst erzielte im streitigen Zeitraum kein Einkommen i. S. des § 11 Abs. 1 SGB II. Die Absetzung eines Pauschbetrages für Versicherungen gemäß § 3 Nr 1 Alg II-V kommt somit nicht in Betracht.
Zu berücksichtigen ist jedoch das Einkommen des Ehemannes in Höhe des Rentenzahl-betrages von 1.100,50 EUR im Juni und 1.130,79 EUR ab Juli 2009. Abzusetzen ist gemäß § 3 Nr. 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) ein Pauschbetrag von 30,00 EUR für Beiträge zu (fakultativen) privaten Versicherungen (vgl Brühl in LPK-SGB II, § 11 RdNr 34). Insgesamt ergibt sich somit ein zu berücksichtigendes Einkommen des Beige-ladenen von 1.070,50 EUR im Juni und 1.100,79 EUR ab Juli.
Soweit die Gegenüberstellung des Gesamtbedarfs mit dem Einkommen der Bedarfsge-meinschaft eine Differenz zugunsten des Gesamtbedarfs ergibt, besteht in diesem Um-fang ein Leistungsanspruch der Klägerin (vgl. zur Einkommensanrechnung in einer sog. gemischten Bedarfsgemeinschaft mit einem Altersrentner: BSG, Urt. v. 15.04.2008, B 14/7b AS 58/06 R). Dem Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin in Höhe von 1.112,00 EUR stand im Juni 2009 ein anrechenbares Einkommen des Beigeladenen in Höhe von 1.070,50 EUR gegenüber. Damit bestand ein Bedarf der Klägerin nur noch in Höhe von 41,50 EUR. Der Beklagte durfte daher die Leistungsbewilligung für Juni 2009 in entspre-chendem Umfang nachträglich aufheben.
Gemäß § 50 Abs. 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, zu erstatten. Die Klägerin muss daher die für Juni 2009 zu Unrecht erbrachten Leistungen in Höhe von 512,64 EUR erstatten.
2.
Dagegen durfte der Beklagte den Änderungsbescheid vom 07.06.2009 für den Zeitraum 01.07.2009 bis 30.11.2009 nicht nach § 45 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 2 SGB III zurücknehmen. Nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt ohne Ermessen auch für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn er auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Auf schutzwürdiges Vertrauen kann sich der Begünstigte auch dann nicht berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X). Die Behörde muss den Bescheid jeweils innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen aufheben bzw. zurücknehmen, welche die Aufhebung des Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X).
Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Änderungsbescheids vom 07.06.2009 ist vorliegend § 45 SGB X, da der Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig war. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids am 07.06.2009 erzielte der Beigeladene aufgrund des Rentenbescheids vom 08.05.2009 bereits ein regelmäßiges Einkommen. Die teilweise Rücknahme der Leistungsgewährung für die Monate Juli bis November war jedoch rechtswidrig, da das Vertrauen der Klägerin auf den Bestand der Bewilligung vom 07.06.2009 schutzwürdig ist. Zur Überzeugung des Gerichts hat die Klägerin im Hinblick auf die Rente des Beigeladenen weder Angaben grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig gemacht, noch hat sie die Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheids vom 07.06.2009 gekannt oder grob fahrlässig nicht gekannt.
Der Sachverhalt ist zwischen den Parteien insoweit unstreitig, als dass im Mai im Sozialbürgerhaus ein Gespräch stattfand, bei dem die Klägerin mitteilte, dass ihr Mann zukünftig Rente beziehen werde. Weiterhin trägt die Klägerin in ihrem Widerspruchsschreiben selbst vor, dass ihr gesagt worden sei, dass sie zwar weiterhin Anspruch auf Leistungen habe, aber in geringerer Höhe. Aus dem Eindruck der mündlichen Verhandlung glaubt das Gericht der Klägerin auch, dass sie und der Beigeladene den Rentenbescheid im Sozialbürgerhaus abgegeben haben, wobei allerdings nicht mehr nachvollziehbar ist, bei welcher Stelle (SGB II-Sachbearbeiter oder SGB XII-Sachbearbeiter).
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3, 2. Hs SGB X). Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem ein-leuchten muss (BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSGE 62, 32, 35 = SozR 4100 § 71 Nr. 2). Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 273, zuletzt Urteil vom 05.02.2006, Az.: B 70 AL 58/05 R).
Nach dem Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gewonnen hat, konnte sie auch bei genauer Betrachtung des Änderungsbescheids vom 07.06.2009 nicht ohne Weiteres feststellen, dass die Höhe der Leistungsbewilligung nicht korrekt war. Um erkennen zu können, ob ein vorhandenes Einkommen angerechnet oder nicht angerechnet wurde, hätte sich die Klägerin mit dem dem Bescheid angehängten Berechnungsbogen auseinandersetzen müssen. Dieser ist für einen Laien jedoch nur schwer verständlich. Im Übrigen wurde der Klägerin gesagt, dass sie weiterhin Leistungen bekommen würde, jedoch in geringerem Umfang. Tatsächlich haben die Klägerin und ihr Ehemann zuletzt gemeinsam 1.115, 73 EUR bekommen, ab Juni 2009 bekam sie nur noch 559,40 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved