S 15 R 2224/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 R 2224/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 120/15
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von 94,48 EUR.

Die Versicherte B. verstarb am XX.XX.2014. Die Klägerin zahlte 588,08 EUR für den Monat Juli 2014 auf das Konto der Versicherten bei der Beklagten (Gutschrift am 30.06.2014). Erst am 07.07.2014 forderte die Klägerin den Betrag erstmalig zurück (über den Rentenservice), obwohl sie bereits am 27.06.2014 Kenntnis vom Tode hatte. Zu diesem Zeitpunkt (07.07.2014) hatte das Konto einen Saldo von -115,59 EUR. Die Beklagte, die am 03.07.2014 Kenntnis vom Tod der Versicherten erhielt, erstattete der Klägerin 35,08 EUR. Abzüglich der von der Klägerin anerkannten anderweitigen Verfügungen forderte die Klägerin am 12.08.2014 bei der Beklagten einen Betrag in Höhe von 94,48 EUR ein. Diese setzten sich gem. der Beklagtenakte aus einer Auszahlung an die C.-GmbH in Höhe von 32,48 EUR (vom 03.07.2014) sowie an die D. -Versorgungs-GmbH (vom 04.07.2014) zusammen.

Die Beklagte entgegnete am 19.08.2014, dass eine Pflicht zur Rücküberweisung nur dann bestehen würde, wenn über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung nicht bereits anderweitig verfügt wurde und der Anspruch aus einem vorhandenen Guthaben erfüllt werden kann.

Am 24.11.2014 erhob die Klägerin Leistungsklage über den Betrag von 94,48 EUR. Die Beklagte habe in Kenntnis des Todes am 03.07.2014 und am 04.07.2014 Verfügungen zugunsten Dritter zugelassen.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 94,48 EUR zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung des streitigen Betrags.

Unstreitig ist die Rentenzahlung für die verstorbene Versicherte für den Monat Juli 2014 zu Unrecht erbracht. Der zugrundeliegende Rentenbescheid hat nach § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 10 (SGB X) mit dem Tod der Rentnerin seine Erledigung "auf andere Weise" gefunden. Die Vergünstigung der Rentenzahlung über den Todestag hinaus endet nach § 100 Abs. 3 S. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI mit dem Ende des Sterbemonats.

Die Beklagte hat unstreitig vor Eingang des Rückforderungsverlangens (vgl. § 118 Abs. 3 S. 3 SGB VI) der Klägerin vom 07.07.2014 bereits anderweitige Verfügungen ausgeführt, die dazu führten, dass auf dem Konto der Beklagten, auf das die überzahlte Rente einging, kein Guthaben mehr vorhanden war. Denn das Konto stand mit -115,59 EUR im negativen Saldo. Demzufolge besteht nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift des § 118 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 SGB VI keine Verpflichtung der Beklagten zur Rücküberweisung. Die Klägerin muss sich insbesondere an die Erben halten (§ 118 Abs. 4 SGB VI).

Die erkennende Kammer folgt nicht der entgegenstehenden Rechtsauffassung, dass die Berücksichtigung anderweitiger Verfügungen die Gutgläubigkeit des Geldinstituts voraussetzen würde (vgl. KassKomm-Körner, § 118 SGB VI, Rn. 22 unter Verweis auf BSG, Urteil vom 22.4.2008 - B 5a/4 R 79/06 R). Diese Rechtsauffassung findet im Wortlaut des Gesetzes keine Entsprechung. Angesichts des insoweit klaren Wortlauts in § 118 Abs. 3 S. 3 SGB VI besteht kein Raum für eine darüber hinausgehende erweiternde Auslegung (vgl zum Wortlaut einer Rechtsvorschrift als Grenze der Auslegung allgemein Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 143 f; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 9. Aufl 2005, S 47 mwN; zum Ausscheiden der Auslegung einer Norm gegen ihren eindeutigen Wortlaut und den erkennbaren entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers zB BVerfGE 98, 17, 45 mwN). Der Gesetzgeber stellt auf den Eingang des Rückforderungsverlangen ab. Hätte der Gesetzgeber auf die Kenntnis vom Tod abstellen wollen, hätte er dies so formulieren können und müssen. Die Ausführungen des BSG (aaO):

"Bis zum Eingang des Rücküberweisungsverlangens weiß das Geldinstitut typischerweise weder vom Ableben des Kontoinhabers noch vom Vorbehalt zugunsten des Rentenversicherungsträgers. Die vom Gesetz ausdrücklich vorgeschriebene Berücksichtigung anderweitiger Verfügungen bis zu diesem Zeitpunkt kann nur so zu verstehen sein, dass sie auf der (unterstellten) Unkenntnis des Geldinstituts beruht."

vermögen insoweit nicht zu überzeugen. Die Vielzahl an streitigen Fällen zeigt, dass das Geldinstitut gerade nicht "typischerweise" erst mit Eingang des Rücküberweisungsverlangens vom Ableben des Kontoinhabers weiß. Es ist daher nicht überzeugend (und war im vom BSG entschiedenen Fall im übrigen auch nicht streiterheblich), dass der Gesetzgeber eine Unkenntnis des Geldinstituts unterstellen wollte.

Nach Ansicht der erkennenden Kammer vermag die andere Auffassung auch aus weiteren rechtlichen und praktischen Gesichtspunkten nicht zu überzeugen. Die Beklagte konnte vor Eingang des Rückforderungsverlangens nicht wissen, ob die Forderung der Klägerin nicht bereits auf anderem Wege als über das Konto, auf das die Rente eingezahlt wurde, vom Erben oder von sonstigen Dritten beglichen wurde. Erst mit dem Rückforderungsverlangen weiß die Beklagte positiv, dass eine Rentenrückforderung besteht, die noch nicht beglichen wurde.

Die andere Auffassung würde die Beklagte in der Zeit zwischen Kenntnis vom Tod und Eingang des Rückforderungsverlangens dazu zwingen zu spekulieren, dass die Forderung noch nicht beglichen ist, und entgegen ihren zivilrechtlichen Verpflichtungen Verfügungen nicht auszuführen, obwohl die Forderung der Rentenversicherung ggf. bereits erloschen ist. Dies ist mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift, wie ihn das BSG selbst feststellte, nicht vereinbar. § 118 SGB VI regelt eine Risikoverteilung im Rahmen eines typisierten Interessenausgleichs zwischen Rentenversicherungsträger und Geldinstitut (vgl BSGE 83, 176, 180 = SozR 3-2600 § 118 Nr 4 S 34; s auch Schmitt SGb 1999, 646, 647). Das Geldinstitut sollte einen eventuellen wirtschaftlichen Vorteil, den es sich auf Grund der rechtsgrundlosen Rentenüberweisung gutgläubig zu verschaffen vermochte, wieder herausgeben. Es sollte aber andererseits durch den beschleunigten Rückruf der Rentenleistung auch keinen wirtschaftlichen Nachteil befürchten müssen, sondern lediglich als wirtschaftlich unbeteiligter Zahlungsmittler fungieren (BSG, Urteil vom 22. April 2008 – B 5a/4 R 79/06 R).

Genau diesen wirtschaftliche Nachteil muss das Geldinstitut aber aufgrund der extensiven, den klaren Wortlaut der Vorschrift überschreitenden Auslegung befürchten. Denn diese Auffassung führt dazu, dass die Rentenversicherung gezwungen ist, sich wie beim hier zu entscheidenden Fall an das Geldinstitut zu halten (der Anspruch gegen den Erben ist subsidiär), obwohl ein Guthaben nicht mehr vorhanden ist. Die Folge ist, dass das Geldinstitut die Rente aus eigenem Vermögen zurückzahlen müsste, teils obwohl die Erben ihrerseits die Erfüllung der Forderung anbieten. Dies führte bereits in einem anderen von der Kammer zu entscheidenden Fall zu der absurden Konstellation, dass die Rentenversicherung das Erfüllungsangebot des Erben ablehnte und das Geld des Erben zurücküberwiesen hat.

Der Beklagten ist auch darin zu folgen, dass die andere Rechtsauffassung zu großen Problemen in der praktischen Anwendung führt. Die Beklagte wäre gezwungen, ab Kenntnis vom Tod eines Kontoinhabers zu prüfen, ob dieser Rentenbezieher und eine Rente für die Zeit nach Ablauf des Todesmonats eingegangen ist. Bei Bejahung dieser Fragen müsste das Konto überwacht werden in Erwartung eines eventuellen Rückforderungsverlangens, welches wie der zu entscheidende Fall zeigt auch erst verhältnismäßig lange nach dem Tod des Versicherten erfolgen kann. Verfügungen müssten "ins Blaue hinein" in Höhe der Rentenüberzahlung zivilrechtswidrig zurückgehalten werden, weil die Beklagte nicht wissen kann, ob und wann ein Rückforderungsverlangen kommt. Um sich hiervor zu schützen, müsste die Beklagte selbst aktiv werden und bei der Klägerin anfragen, ob diese ein Rückforderungsverlangen stellen wird. All das ginge weit über die Pflichten eines reinen Zahlungsmittlers hinaus.

Diese Probleme entstehen hingegen nicht, wenn dem Wortlaut gemäß auf den Zeitpunkt des Eingangs des Rückforderungsverlangens abgestellt wird. Die Beklagte hat dann nur zu prüfen, ob nach Abzug der Verfügungen - ggf. auch unter Berücksichtigung von § 118 Abs. 3 S. 4 SGB VI - ein (im Falle von S. 4 ggf. fiktives) Guthaben besteht und falls ja, aus diesem Guthaben die Rente zurückzuzahlen (vgl. hierzu die sehr anschauliche Beschreibung im Urteil des Sozialgerichts München vom 17.7.2014, S 30 R 48/13). Haben die Erben inzwischen ebenfalls den streitigen Betrag der Rentenversicherung angewiesen, wird die Überzahlung im Verhältnis Rentenversicherung/Erbe abgewickelt. Besteht kein Guthaben, muss sich die Klägerin insbesondere an die Erben halten.

Es ist vor dem Hintergrund der vielen anhängigen Streitsachen unverständlich, dass die Klägerin nicht die Möglichkeit der Sprungrevision (ermöglicht am 17.7.2014, Urteil des Sozialgerichts München, S 30 R 48/13) nutzte, damit dieser Rechtsstreit einer schnellen höchstrichterlichen Klärung zugeführt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beklagte auf ein obiter dictum des BSG beruft, war wegen grundsätzlicher Bedeutung Berufung zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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