S 38 KA 1017/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 1017/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 21.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 09.10.2013 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger zwischen 22:00 Uhr und 07:00 Uhr von der Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst zu befreien.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Der Kläger, der als Augenarzt zugelassen und Obmann seiner Bereitschafts-dienstgruppe ist, begehrt wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung die Befreiung von der Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst, nunmehr eingeschränkt auf die Zeit von 22.00 Uhr bis 07.00 Uhr.

Ein Antrag auf Befreiung insgesamt wurde mit Erst-Bescheid vom 21.11.2011 ab-gelehnt. Der dagegen eingelegte Widerspruch war erfolglos. Die Beklagte führte aus, zwar seien die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 14 Abs. 1 S. 2a und b Bereitschaftsdienstordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (im folgenden BDO-KVB) gegeben. Jedoch sei die Regelung des § 14 Abs. 3 BDO-KVB zu beachten. Danach sei selbst bei Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes die Befreiung von der Teilnahme am Bereitschaftsdienst dann unzulässig, wenn der Antragsteller unvermindert oder über dem Durchschnitt der Fachgruppe vertragsärztlich tätig sei. Die Überprüfung der Voraussetzungen habe ergeben, dass der Kläger unvermindert tätig sei. Deshalb sei ihm die Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst zumutbar. Der fachärztliche Bereitschaftsdienst sei darüber hinaus auf die Praxisbehandlung beschränkt. Jeder Vertragsarzt habe die Möglichkeit, Dienste zu tauschen und sich vertreten zu lassen. Soweit der Kläger darauf hinweise, dass eine Kollegin von der Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst befreit wurde, führe dies nicht zu einem Anspruch auf Befreiung des Klägers. Auch sei die Arbeitszeitverordnung nicht anwendbar; denn sie gelte nur für Arbeitnehmer, wie das Bayerische Landessozialgericht (LSG Bayern, Urteil vom 07.08.2013, Az. L 12 KA 91/12) entschieden habe.

Dagegen ließ der Kläger Klage zum Sozialgericht München einlegen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe zumindest Anspruch auf Befreiung in den Nachtstunden von 22:00 Uhr bis 7:00 Uhr. Aus den Attesten von Dr. A. und Dr. F. gehe hervor, dass ein Befreiungstatbestand im Sinne einer "Erkrankung" vorliege. Der Kläger leide an einem gestörten Schlafrhythmus, unter einem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom und einer sympathotonen Dysregulation. Die Befreiung diene dem Selbstschutz, aber auch dem Patientenschutz. Es sei unverhältnis-mäßig, dem Kläger eine Schädigung seiner eigenen Gesundheit zuzumuten, um die "Volksgesundheit" zu erhalten. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei er nach wie vor der Auffassung, dass ein Verstoß gegen § 6 Arbeitsschutzgesetz vorliege, indem ihm zugemutet werde, 168 Stunden ununterbrochen im Ärztlichen Bereitschaftsdienst tätig zu sein. Die Vorschrift sei zwar nicht direkt, jedoch analog anwendbar. Die Praxis in anderen Bundesländern mit Einführung von Schichtdienst zeige, dass es möglich sei, dem Problem mit neuzeitlichen Arbeitszeitstrukturen zu begegnen. Des weiteren sei darauf hinzuweisen, dass es lediglich im Durchschnitt zwei Vermittlungen pro Nacht während der Bereitschaftsdienstwoche gebe, die zu zwei Drittel telefonisch erledigt werden könnten. Als Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz sei anzusehen, wenn beispielsweise vier Kollegen in der Bereitschaftsdienstgruppe nach Erreichen der Altersgrenze von 62 Jahren automatisch von der Teilnahme am Bereitschaftsdienst befreit würden, obwohl diese nicht an Erkrankungen litten und ihrer normalen Praxistätigkeit im bisherigen Umfang nachgingen. Ferner sei nicht nachzuvollziehen, dass eine Kollegin von der Teilnahme am Bereitschaftsdienst befreit wurde, diese die Arbeitszeit ausgeweitet habe und ambulante Operationen durchführe. Auch insoweit werde gegen Art. 3 Grundgesetz verstoßen. Letztendlich sei die Sichtweise der Beklagten, der Kläger könne seinen Dienst tauschen oder sich vertreten lassen, nicht stichhaltig. Denn eine Vertretung sei nicht möglich. Es bestehe unter den Kollegen auch keine Bereitschaft, Dienste zu übernehmen. Er habe zwar aktuell einen Tauschpartner für Nachtstunden gefunden. Jedoch könne dieser die Übernahme jederzeit widerrufen. Außerdem habe er wiederholt vergeblich versucht, die Zeiten des Bereitschaftsdienstes anzupassen. Dies sei jedoch bei den Kolleginnen/Kollegen der Bereitschaftsdienstgruppe nicht mehrheitsfähig gewesen. Hinzu komme, dass die Kostenbelastung nicht zumutbar und nicht akzeptabel sei. Ohne Belang sei, dass - was anzuzweifeln sei - er unvermindert tätig sei. Denn diese "Konsekutivlogik" sei unzulässig und lediglich als "Scheinargument" zu betrachten.

In Erwiderung der Klage trug die Beklagte vor, es liege keine ununterbrochene Dienstbelastung für den Ärztlichen Bereitschaftsdienst über 168 Stunden vor. Im Übrigen beschränke sich die Dienstfrequenz im Kalenderjahr auf lediglich 3-4 Dienstwochen. Es gebe zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten, auch die Möglichkeit einer veränderten Einteilungssystematik, von denen Gebrauch gemacht wer-den könne. Nachdem eine wochenweise Einteilung nicht zwingend sei, könne beispielsweise auch eine halbwöchige oder tageweise Einteilung stattfinden. Denkbar sei auch eine vermehrte Übernahme von Tagdiensten durch den Kläger. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass es dem Kläger offensichtlich gelungen sei, für die Nachtzeiten einen Tauschpartner innerhalb der Bereitschaftsdienstgruppe zu finden. Nicht zutreffend sei auch die Behauptung des Klägers über zwei Behandlungsanforderungen pro Nacht während der Bereitschaftsdienstwoche. So habe es zum Beispiel im November 2013 innerhalb von acht Tagen vier Anforderungen gegeben, davon lediglich eine Anforderung um Mitternacht. Die Beklagte äußerte sich auch zum Praxisumfang des Klägers und dessen Honorareinkünften. Wie bereits in den angefochtenen Bescheiden ausgeführt, sei ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz nicht ersichtlich. Auch das Arbeitsschutzgesetz sei nicht anwendbar. Die EuGH-Entscheidung betreffe lediglich Krankenhausärzte.

In der mündlichen Verhandlung am 28.05.2014 stellte die Prozessbevollmächtigte des Klägers den Antrag vom 12.11.2013 mit der Modifikation, den Kläger in der Zeit von 22.00 Uhr bis 07.00 Uhr zu befreien.

Die Vertreterin der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 28.05.2014 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Befreiung von der Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst, soweit sich dieser auf die Zeit zwischen 22.00 Uhr und 07.00 Uhr bezieht. Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, die den Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aufgetragen ist, umfasst auch die vertragsärztliche Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten (§§ 73 Abs. 2, 75 S. 1 S. 1 und 2 SGB V). Auf dieser Rechtsgrundlage wurde die Bereitschaftsdienstordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (BDO-KVB) erlassen, die hier in der Fassung vom 23.11.2012, in Kraft getreten am 20.04.2013 zur Anwendung kommt. In deren § 2 sind diejenigen Ärzte, medizinische Versorgungszentren aufgeführt, die zur Teilnahme an dem Ärztlichen Bereitschaftsdienst verpflichtet sind. Nachdem der Antragsteller als Facharzt für Augenheilkunde mit vollem Versorgungsauftrag zugelassen ist, besteht für ihn eine entsprechende Verpflichtung (§ 2 Abs. 1 Ziff. 1). Die Regelung in § 14 BDO-KVB enthält einen Befreiungstatbestand. Danach kann ein Vertragsarzt aus schwerwiegenden Gründen ganz, teilweise oder vorübergehend und zusätzlich auch befristet (§ 14 Abs. 6) vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst befreit werden. Schwerwiegende Gründe liegen insbe-sondere in folgenden Fällen vor:

a. Der Arzt ist wegen nachgewiesener Erkrankung oder körperlicher Behinderung zur Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst nicht in der Lage. b. Die Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst ist aufgrund nachgewiesener besonderer belastender familiärer Pflichten dem Arzt nicht zuzumuten. c ...

In § 14 Abs. 2 BDO-KVB ist bestimmt, dass ein schwerwiegender Grund nach Abs. 1 durch Vorlage geeigneter Unterlagen nachzuweisen ist. Des Weiteren sieht § 14 Abs. 3 vor, dass eine Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst grundsätzlich nicht zulässig ist, wenn der Antragsteller die Voraussetzungen gemäß Abs. 1 S. 2 a. und b. erfüllt, jedoch unvermindert oder über dem Durchschnitt der Fachgruppe vertragsärztlich tätig ist

Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung (auch Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst ganz, teilweise, vorübergehend, zeitlich befristet), wie sich der Formulierung "kann" in § 14 Abs. 1 BDO-KVB entnehmen lässt. Aber auch aus der Regelung des § 14 Abs. 3 BDO-KVB (Formulierung "grundsätzlich"), der als Ausschlusstatbestand konzipiert ist, ist ein Ermessen abzuleiten.

Aus §§ 73 Abs. 2, 75 S. 1 SGB V und §§ 1 ff. BDO-KVB geht hervor, dass es gemeinsame Aufgabe aller Vertragsärzte ist, am ärztlichen Bereitschaftsdienst teil-zunehmen, weshalb "Befreiungen" äußerst restriktiv zu handhaben sind. Das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 11.06.1986, Az. 6 RKa 5/85) hält es mit den Grundsätzen des Kassenarztrechts für vereinbar, wenn die Freistellung "nicht allein von den gesundheitlichen Verhältnissen des Kassenarztes, sondern auch davon abhängig gemacht wird, ob die gesundheitlichen Verhältnisse sich nachteilig auf die allgemeine berufliche Tätigkeit des Arztes auswirken, zum Beispiel, dass sie zu einer deutlichen Einschränkung der Praxisausübung geführt haben oder dem Kassenarzt aufgrund seiner Einkommensverhältnisse (des Honorarumsatzes ) nicht mehr zugemutet werden kann, den NVD ( Notfallvertretungsdienst) auf eigene Kosten von einem Vertreter wahrnehmen zu lassen.

Die erstgenannte Überlegung des Bundessozialgerichts ist in § 14 Abs. 3 BDO-KVB (Neufassung durch den Beschluss der Vertreterversammlung der Kassen-ärztlichen Vereinigung Bayerns vom 23.11.2012, in Kraft getreten am 20. April 2013) ausdrücklich aufgenommen worden, indem eine Befreiung vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst grundsätzlich nicht zulässig ist, wenn der Antragsteller die Voraussetzungen gemäß Abs. 1 S. 2 a. und b. erfüllt, jedoch unvermindert oder über dem Durchschnitt der Fachgruppe vertragsärztlich tätig ist Hintergrund ist, dass demjenigen, der uneingeschränkt oder überdurchschnittlich vertragsärztlich tätig ist, der somit "die wirtschaftlichen Möglichkeiten des freien Berufs voll nutzt, eventuell sogar besser gestellt ist ", trotz bestehender Gesundheitsstörungen zugemutet werden kann, am Ärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen. Er soll nicht zulasten seiner Kollegen vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst befreit werden. Dagegen wurde die weitere Überlegung, den Vertragsarzt dann nicht zu befreien, wenn er aufgrund seiner Einkommensverhältnisse (des Honorarumsatzes) in der Lage ist, den Bereitschaftsdienst auf eigene Kosten von einem Vertreter wahr-nehmen zu lassen, nicht in der BDO-KVB aufgenommen. Die damals vom Bundessozialgericht zu beurteilende Rechtsgrundlage des § 5 des Statuts im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen ist nicht vergleichbar mit der hier zu beurteilenden Rechtsgrundlage (BDO-KVB), die dem hier zu beurteilenden Sachverhalt zu Grunde zu legen ist. Hätte der Satzungsgeber die Überlegungen des Bundessozialgerichts voll übernehmen wollen, hätte er auch den Vertretungsgesichtspunkt bzw. den Gesichtspunkt der Abgabe des Dienstes an ein Mitglied der Bereitschaftsdienstgruppe in § 14 Abs. 3 BDO-KVB aufgenommen. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass allein der Hinweis auf eine Vertretungsmöglichkeit/Abgabemöglichkeit nicht ausreicht, eine Befreiung zu versagen. Die Vertretungsmöglichkeit/Abgabemöglichkeit als solche ist somit kein grundsätzlicher Ausschlusstatbestand i.S.d. § 14 Abs. 3 BDO-KVB. Davon abgesehen kommt es stets auf den einzelnen Bereitschaftsdienstbereich an, ob und inwieweit ein Tausch oder eine Vertretung möglich sind. Selbstverständlich dürfen grundsätzlich die Kosten der Vertretung bei ausreichenden Honorareinkünften des vertretenen Arztes keine Rolle für eine Befreiung spielen. Für die Organisation der Vertretung, die rechtzeitige Aufnahme sowie die ordnungsgemäße Durchführung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes trägt der Vertretene die Verantwortung (§ 11 Abs. 3 S. 5 BDO-KVB).

Ferner ist in Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu differenzieren zwischen der völligen Befreiung, der teilweisen oder vorübergehenden und zeitlich befristeten. Liegt ein schwerwiegender Grund für die Befreiung vor, ist zu prüfen, ob statt einer völligen Befreiung andere eingeschränkte Befreiungsmöglichkeiten wie zum Beispiel eine teilweise Befreiung in Betracht zu ziehen sind.

In Anwendung der oben genannten Grundsätze ist der Kläger - wie von ihm im gerichtlichen Verfahren beantragt - in der Zeit von 22.00 Uhr bis 07.00 Uhr von der Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst zu befreien.

Vorab ist jedoch anzumerken, dass sich eine solche Befreiung nicht aus Art. 3 Grundgesetz ergibt. Soweit der Kläger in der Altersgrenze des § 2 Abs. 5 BDO-KVB (Entfallen der Teilnahmepflicht am Ärztlichen Bereitschaftsdienst mit Vollen-dung des 62. Lebensjahres) einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrund-satz sieht, ist dem nicht zu folgen. Denn dem Satzungsgeber ist ein Gestaltungs-spielraum eingeräumt, der ihn dazu berechtigt, entsprechende Regelungen in der BDO-KVB aufzunehmen. Im Übrigen ist jeder Vertragsarzt mit Erreichen der Altersgrenze Nutznießer dieses Befreiungstatbestandes, so auch der Kläger. Art. 3 Grundgesetz ist auch deshalb nicht verletzt, weil eine Kollegin des Klägers nach seinen Angaben von der Teilnahme am Bereitschaftsdienst befreit wurde. Hieraus erwächst nämlich für den Kläger kein Anspruch auf Befreiung von der Teilnahme, selbst wenn die Befreiung der Kollegin zu Unrecht erteilt worden sein sollte (Grundsatz: "Keine Gleichheit im Unrecht"; vgl. BVerfGE 26,155).

Zu Recht hat auch die Beklagte darauf hingewiesen, dass sich die Arbeitszeitver-ordnung lediglich auf Arbeitnehmer bezieht, und in dem Zusammenhang die erst jüngst ergangene Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts (BayLSG, Urteil vom 07.08.2013, Az. L 12 KA 91/12) zitiert. Eine Berufung auf die Richtlinie 93/104/EG ist ebenfalls nicht möglich, da deren Ziel die gemeinschaftsweite Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung, der bessere Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer sind (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2003, C 151/02 zum Bereitschaftsdienst eines Assistenzarztes in einem Krankenhaus).

Unstrittig ist, dass beim Kläger ein schwerwiegender Grund (Erkrankung) nach § 14 Abs. 1 S. 2a und b BDO-KVB vorliegt. Entgegen der Auffassung der Beklag-ten steht einer Befreiung in dem letztendlich beantragten Umfang aber nicht die Vorschrift des § 14 Abs. 3 BDO-KVB entgegen.

Die Fallzahlen des Klägers sind regelmäßig unterdurchschnittlich, gemessen an der Vergleichsgruppe der Augenärzte (von ca ...- 15 % bis ca. - 20 %). Allerdings zeigt die Statistik der Beklagten für den Zeitraum der Quartale 1/2011 bis 3/2013, dass die Fallzahl mit 1050 Fällen im Quartal 3/2011 (Quartal mit der geringsten Fallzahl) und 1300 Fällen im Quartal 4/2012 (Quartal mit der höchsten Fallzahl) in der üblichen Schwankungsbreite liegt. Auch der Honorarumsatz ist relativ konstant und bewegt sich zwischen 40.654,49 EUR im Quartal 3/2013 und 46.995,15 EUR im Quartal 2/2012. Nach diesen Zahlen ist somit von einer unverminderten Tätigkeit des Klägers auszugehen, so dass § 14 Abs. 3 BDO-KVB zur Anwendung kommt.

Die Beklagte übersieht jedoch, dass auch die Regelung des § 14 Abs. 3 BDO-KVB mit der Formulierung "grundsätzlich" trotz unverminderter Praxistätigkeit eine Befreiung vom ärztlichen Bereitschaftsdienst zulässt. Maßgeblich sind die konkreten Umstände des Einzelfalles, insbesondere Art und Schwere der Erkrankung, die im Rahmen einer Einzelfallentscheidung zu würdigen sind. Zunächst besteht die Vermutung, dass ein Vertragsarzt bei unverminderter Praxistätigkeit auch ohne weiteres in der Lage ist, den Ärztlichen Bereitschaftsdienst zu leisten. Die Erkrankung des Klägers (gestörter Schlafrhythmus, obstruktives Schlafapnoe-Syndrom und sympathotone Dysregulation) verbunden mit der Medikation Betablocker und vor allem "Zopiclan" hindert den Kläger nach Überzeugung des mit zwei Ärzten fachkundig besetzten Gerichts zwar nicht, seine Praxistätigkeit auszuüben, wohl aber den Ärztlichen Bereitschaftsdienst zu Nachtzeiten. Für die Beklagte hätte sich daher unter Würdigung der konkreten Umstände aufdrängen müssen, dass der Kläger nur partiell am Ärztlichen Bereitschaftsdienst teilnehmen kann, und hätte ihn daher gemäß § 14 Abs. 1 BDO-KVB teilweise befreien müssen. Damit hat sich die Beklagte jedoch überhaupt nicht auseinandergesetzt. Insofern liegt ein "Ermessensnichtgebrauch", zumindest aber ein "Ermessensfehlgebrauch" vor. Würde man in den Fällen wie diesem eine Befreiung von der Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst an der Vorschrift des § 14 Abs. 3 BDO-KVB scheitern lassen, würde der Befreiungstatbestand letztendlich ins Leere laufen.

Daran ändert auch nichts, dass der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen einen Tauschpartner für Nachtzeiten gefunden hat. Denn es handelt sich hierbei um keine gesicherte Rechtsposition. Der Tauschpartner kann jederzeit die getroffene Vereinbarung revidieren (vgl. § 11 Abs. 3 BDO-KVB). Im Übrigen stellt die reine Möglichkeit der Vertretung oder des Tausches innerhalb der Bereitschaftsdienstgruppe keinen Ausschlusstatbestand dar. Ansonsten hätte dies in § 14 Abs. 3 BDO-KVB aufgenommen werden müssen. Dahinstehen kann letztendlich, ob es sich um einen zusammenhängenden Bereitschaftsdienst von 168 Stunden oder weniger handelt. Tatsache und wesentlich ist, dass der Bereitschaftsdienst aufgrund der wöchentlichen Einteilung einen nicht untergeordneten Umfang einnimmt. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, wie sich die Häufigkeit der Anforderungen (Frequenz) verhält, zumal diese nicht beeinflussbar ist und allein die Möglichkeit der Inanspruchnahme die eigentliche Belastung und ständige Anspannung für den Leistungserbringer darstellt. Auch wenn die Entscheidung des EuGH (aaO) nicht anwendbar ist, da keine Arbeitnehmereigenschaft vorliegt, können die Rechtsgedanken aber zumindest ansatzweise in die Ermessensentscheidung einfließen, soll der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden; vor allem dann, wenn zusätzlich ein entsprechendes Krankheitsbild gegeben ist.

Dem Kläger kann hier auch nicht vorgehalten werden, es gebe die Möglichkeit einer Änderung der Einteilungssystematik. Zwar ist der Kläger Obmann seiner Bereitschaftsdienstgruppe; Änderungen bedürfen aber einer mehrheitlichen Beschlussfassung durch die Mitglieder der Bereitschaftsdienstgruppe (vgl. § 9 Abs. 3 BDO-KVB).

Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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