S 15 R 328/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 R 328/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 07.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.01.2016 verurteilt, den Kläger mit Wirkung ab dem 20.10.2014 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI für die Beschäftigung als Manager Customer Networks bei der Firma E. Pharma GmbH zu befreien.

II. Die Beklagte trägt 4/5 der außergerichtlichen Kosten des Klägers, 1/5 der Kosten trägt der Kläger selbst.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit Wirkung ab dem 20.10.2014.

Der im Jahre 1973 geborene Kläger wurde mit Bescheid vom 16.02.1999 für seine Tätig-keit als Pharmaziepraktikant mit Wirkung ab dem 03.12.1998 befreit. Mit Antrag vom 20.10.2014 beantragte er erneute Befreiung für die ab dem 01.10.2010 neu aufgenom-mene Tätigkeit als Apotheker bei der Firma E. Pharma GmbH (nunmehr: E.) in B-Stadt. Am 24.10.2014 wurde seitens der Bayerischen Apothekerversorgung bestätigt, dass der Klägerin seit dem 03.12.1998 Kammermitglied und Mitglied des Versorgungswerks ist.

Dem Antrag beigefügt war die Stellenbeschreibung (Role Description) der streitgegen-ständlichen Tätigkeit als Manager Customer Networks in der Organisationseinheit "Global Innovative Pharma Business". Danach entwickelt der Kläger Kooperationsmodelle mit Krankenkassen unter Einbezug ärztlicher Leistungserbringer bzw. -strukturen. Er ist ver-antwortlich für deren Umsetzung und Monitorierung und erreicht darüber eine Sicherung bzw. Ausweitung von PC-Umsatzpotentialen. Der Kläger unterstützt weiter die bundeswei-ten Verkaufsaktivitäten mit den Schwerpunkten informelle Arztnetze und Überweiserströ-me zur Erreichung der PC-Umsatzziele in Zusammenarbeit mit der Sales-Organisation. Insoweit wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (Bl. 5 ff.) Bezug ge-nommen.

Als Qualifikation wird in der Role Description ein breites, fundiertes Verständnis der wich-tigsten Meinungsbildner und Trends der relevanten Märkte/Indikationen verlangt. Der Klä-ger soll ein starker Teamplayer mit Fähigkeit zu vernetztem Denken und Arbeiten, mit der Fähigkeit, Strategien zu entwickeln und mit dem Team umzusetzen, mit sicherem Auftre-ten und Sozialkompetenz bei exzellenten Fähigkeiten im kommunikativen Bereich inklusi-ve Verhandlungstechniken sein. Der Kläger muss über gute analytische Fähigkeiten (Ver-ständnis komplexer Zusammenhänge zum Beispiel bei Vertragsbedingungen), über eine Ergebnis- und Lösungsorientierung und über Eigeninitiative verfügen.

Mit Bescheid vom 07.01.2015 wurde der Antrag auf Befreiung abgelehnt, da die streitge-genständliche Tätigkeit nicht berufsspezifisch als Apotheker sei. Eine befreiungsfähige Apothekertätigkeit liege nur vor, wenn die Tätigkeit objektiv zwingend die Approbation als Apotheker voraussetze und gleichzeitig dem typischen, durch die Hochschulausbildung und den entsprechenden hochschulabschlussgeprägten Berufsbild und Tätigkeitsbereich des Apothekers entsprechen würde. Nach der übersandten Role Description liege der Aufgabenschwerpunkt nicht auf pharmazeutischem Gebiet, sondern im Bereich des Ma-nagements.

Nach Widerspruch wurde dieser am 25.09.2015 ausführlich begründet. Die Beklagte habe sich lediglich das Funktionsziel der Stellenbeschreibung herausgegriffen. Sie habe die dritte Seite der Stellenbeschreibung völlig übersehen, in der die besonderen pharmazeuti-schen Aufgaben des Klägers aufgelistet seien, die ihm aufgrund seiner Qualifikation als Apotheker zugewiesen worden seien. Bei E. seien die Stellenbeschreibungen zunächst allgemein für die Funktionen erstellt worden, die genaue Tätigkeit sei dann bezogen auf die Qualifikation des Stelleninhabers in der genannten Passage individualisiert wiedergegeben.

Die in der Stellenbeschreibung als apothekerliche Zusatzaufgaben beschriebenen Tätig-keiten seien allesamt berufsspezifisch und berechtigten zur Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung, weil die vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten im Kernbereich der apo-thekerlichen Tätigkeit liegen würden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.01.2016 unter Verweis auf die Stellenbeschreibung zurück. Die Approbation als Apotheker sei nicht objektiv unabdingbare Zugangsvoraussetzung für die Tätigkeit.

Der Kläger ließ mit Schriftsatz vom 17.02.2016 (Eingang am 19.02.2016) Klage zum Sozialgericht München erheben. Die Tätigkeit des Klägers würde innerhalb des kammer-rechtlich festgelegten Berufsbilds eines Apothekers liegen. Die Auffassung der Beklagten, dass nur eine approbationspflichtige Tätigkeit zur Befreiung von der gesetzlichen Renten-versicherung berechtigen würde, sei nicht haltbar.

Er beantragt: Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 07.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.01.2016 verurteilt, den Kläger mit Wirkung ab dem 20.10.2014 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI für die Tätigkeit als Manager Customer Networks bei Firma E. Pharma GmbH zu befreien.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt im Wesentlichen ihre Rechtsausführungen im Widerspruchsbescheid und bezieht sich auf die Beschreibung der Tätigkeit des Klägers, wie sie in der Role Description niedergeschrieben ist. Neben den in Apotheken tätigen Apothekern würden Apotheker in der Industrie dann befreit, soweit sie dort im Bereich Forschung und Entwicklung (Pharmakokinetik), klinische Prüfung, Herstellung, Prüfung und Qualitätssicherung ein-schließlich Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz) tätig seien. Die Aufstellung belege deutlich, dass zahlreiche auch außerhalb der Apotheke tätigen Apotheker befreiungsfähig sind und auch befreit würden. Erforderlich sei, dass die pharmazeutische Ausbildung für die Ausübung der Tätigkeit notwendig und nicht nur nützlich sei. Die apothekerlichen Auf-gaben müssten die Tätigkeit prägen, bei Mischtätigkeiten seien zusätzliche qualitative und quantitative Aspekte von beruflichem und berufsfremdem Einsatz einzubeziehen. Eine befreiungsfähige Apothekertätigkeit sei nur zu bejahen, wenn die Tätigkeit objektiv zwin-gend die Approbation als Apotheker voraussetze und gleichzeitig dem typischen, durch die Hochschulausbildung und den entsprechenden hochschulabschlussgeprägten Berufsbild und Tätigkeitsbereich des Apothekers entsprechen würde.

Die bayerische Landesapothekerkammer hat mit Schriftsatz vom 23.08.2016 ausgeführt, dass sie die Tätigkeit des Klägers anhand der Stellenbeschreibung nicht für eine Tätigkeit halten würde, die zum Kernbereich der apothekerlichen Tätigkeit gehöre. Nach der Stel-lenbeschreibung würde sich die Tätigkeit des Klägers auf den Bereich der Kundenbeziehung konzentrieren. Da es aber nicht auf die Stellenbeschreibung, sondern vielmehr auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ankommen müsse, könne sich natürlich aufgrund der mündlichen Verhandlung eine andere Einschätzung ergeben.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger seine Tätigkeit wie folgt beschrieben: "Mein Aufgabengebiet umfasst die Versorgung und Versorgungsoptimierung der Bevölke-rung in bestimmten Indikationen. Seit ca. zwei Jahren, jedenfalls seit Oktober 2014, be-schäftige ich mich mit dem Krankheitsbild "Vorhofflimmern". Es wurde ein Ärztenetzwerk mit jetzt schon mehreren 1000 Ärzten aufgebaut, die ihre Behandlungsdaten vernetzen. Ich entwickle in Kooperation mit dem Systemhersteller und den Ärzten einen Algorithmus respektive Behandlungshinweise/-tools zur Optimierung der individuellen Behandlung. Dabei werden berücksichtigt: • bisher gestellte Diagnosen verschiedener Fachärzte • Medikationen und Therapien • individuelle Patientendaten.

Ziel sei es, zum Beispiel bei Vorhandensein von Comorbiditäten bereits bei der Auswahl des Wirkstoffes (Warn-) Hinweise an die behandelnden Ärzte zu geben. Mein Anteil an diesem System ist nicht gewinnorientiert. E. erhofft sich, untertherapierte und nicht adä-quat therapierte Patienten mit diesem System ausfindig zu machen, die dann gegebenen-falls auch mit E.-Medikamenten therapiert werden können. Man könnte die Vorgaben und Analysen des Systems, in das ich pharmazeutisches Wissen einspeise, als "elektronischer Apotheker" bereits auf Verordnungsebene bezeichnen. Der Arzt soll bereits vor Auswahl des Wirkstoffes, d.h. vor Verordnung eines Wirkstoffes, bestmöglich über Wech-selwirkungen und individuelle Hindernisse, die der Auswahl des anvisierten Wirkstoffes entgegenstehen könnten, informiert werden. Meine Tätigkeit besteht in diesem Kontext in: • primär Recherchen in medizinischen Datenbanken • Validierung der anvisierten Algorithmen • Besprechung mit den Ärzten • Programmanweisung an die Systemprogrammierung."

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte des hiesigen Verfahrens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Kl. ist durch die angegriffenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Die Bescheide waren aufzuheben und die Feststellung war zu treffen, dass der Kläger mit Wirkung ab dem 20.10.2014 für die bei der Fa. E. ausgeübten Tätigkeit als Manager Customer Networks zu befreien ist.

Die Befreiung ist erst mit Beginn der Tätigkeit (20.10.2014) auszusprechen, da der Kläger den Befreiungsantrag nicht innerhalb der ersten drei Monate nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt hat (§ 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI).

Der Kläger ist zu befreien, da die bei E. ab dem 20.10.2014 ausgeübte Tätigkeit eine apothekerliche ist.

Ein Versicherter ist von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien, wenn er wegen seiner Beschäftigung Pflichtmitglied in einer Versorgungsein-richtung und einer berufsständigen Kammer war. Dies ist anhand der einschlägigen ver-sorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen (BSG, Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 3/11 Rn. 34 unter juris). Der Anknüpfungstatbestand ist hierbei die konkrete Tätigkeit, für die die Befreiung begehrt wird.

Der Bundesgesetzgeber stellt mithin mit seiner Formulierung in § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI ("wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versor-gungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zu-gleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind.") auf einen landesrechtlich geprägten Tätigkeitsbegriff ab. Die entscheidenden landesrechtlichen Rechtsvorschriften hierzu sind das Gesetz über die Berufsausübung, die Berufsver-tretungen und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychothera-peuten (Heilberufe-Kammergesetz – HKaG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Februar 2002 sowie die Bayerische Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker.

Gemäß Art. 53 Abs. 1 Nr. 1 HKaG sind Mitglieder der Landesapothekerkammer alle zur Berufsausübung berechtigten Apotheker, die in Bayern als Apotheker tätig sind oder ohne als Apotheker tätig zu sein, in Bayern ihre Hauptwohnung haben. Eine Legaldefinition, wann das Gesetz von einer Tätigkeit "als Apotheker" ausgeht, fehlt. Die Bayerische Be-rufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker legt auf der Grundlage des Bayerischen Heilberufe-Kammergesetzes die Berufspflichten und die ethischen Grundsätze der Be-rufsausübung fest. Diese definiert auch in ihrem § 1 die apothekerliche Berufsausübung. Danach übt der Apotheker seinen Beruf in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen aus, ins-besondere in der öffentlichen Apotheke, im Krankenhaus, im pharmazeutischen Groß-handel, in der pharmazeutischen Industrie, in Prüfinstitutionen, bei der Bundeswehr, bei Behörden und Körperschaften, an der Universität und an Lehranstalten und Berufsschulen und ist dabei zum Dienst im Gesundheitswesen berufen. Der Auftrag des Apothekers umfasst je nach individuellem Tätigkeitsbereich die Entwicklung, Herstellung, Prüfung und Abgabe von Arzneimitteln, insbesondere die Beratung und Betreuung der Patienten, die Beratung der Ärzte und anderer Beteiligter im Gesundheitswesen, die Sicherstellung des ordnungsgemäßen Umgangs mit Arzneimitteln, Forschung, Lehre und Verwaltung, die Tätigkeit als Sachverständiger sowie weitere pharmazeutische Leistungen. Er bezieht sich auch auf Medizinprodukte sowie sonstige apothekenübliche Waren und Tätigkeiten und beinhaltet auch die Mitarbeit bei qualitätssichernden und präventiven Maßnahmen. Der Apotheker hilft den Menschen dabei, ihre Gesundheit zu erhalten und Erkrankungen vor-zubeugen.

Diese offene Definition der apothekerlichen Tätigkeit nach Landesrecht wirkt über § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI unmittelbar ins Bundesrecht ein. Allerdings ist die Auffassung der Beklagten, bei der Berufsdefinition des Apothekers im Kontext der Frage nach der Befrei-ungsfähigkeit einer Tätigkeit auch Bundesrecht heranzuziehen, rechtsfehlerfrei. Denn die Auslegung der Tätigkeit als Apotheker kann unter Heranziehung von Bundesrecht (BApO) zulässig erfolgen (BVerwG, Urteil vom 30.01.1996, Aktenzeichen 1 C 9/93).

Nach § 2 Abs. 3 BApO ist Ausübung des Apothekerberufs die Ausübung einer pharma-zeutischen Tätigkeit, insbesondere die Entwicklung, Herstellung, Prüfung oder Abgabe von Arzneimitteln unter der Berufsbezeichnung "Apotheker" oder "Apothekerin". Die apo-thekerliche Approbation im Sinne von § 2 Abs. 1 BApO ist hierbei für die Ausübung einer apothekerlichen Tätigkeit im Kontext der Kammerrechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht zwingend erforderlich (HessVGH, 29.09.1992, 11 UE 1829/90).

Nichts anderes gilt für die Frage der Befreiungsfähigkeit im Kontext von § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, die gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wie oben dargelegt an-hand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen ist.

Rechtsfehlerhaft ist in diesem Kontext die von der Bekl. aufgestellte Tatbestandsvoraus-setzung, dass die Approbation zwingende Voraussetzung für den Beruf in dem Sinne sein müsse, dass die Tätigkeit nur mit Approbation ausgeführt werden könne bzw. dürfe. Dies würde das befreiungsfähige Tätigkeitsprofil eines Apothekers letztlich auf die Tätigkeit in einer öffentlichen oder Krankenhausapotheke verengen, was weder mit § 2 Abs. 2 BApO noch mit der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) in Einklang zu bringen ist. Sofern die Bekl. die Auffassung vertritt, sich hierbei auf die Judikatur der Landessozialgerichtsbarkeit, die zum Tätigkeitsprofil der Pharmaberater ergangen ist, stützen zu können, überzeugt dies nicht. Zwar wird in diesen Urteilen teilweise der missverständliche Ausdruck gebraucht, dass "die Tätigkeit als Pharmaberater nicht zwingend die Approbation als Arzt, Tierarzt bzw. Apotheker erfordert" (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.01.2009, Az. L 4 R 738/06, Rn. 29, juris; ähnlich LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.05.2010, L 4 R 168/09, Rn. 31, juris), andererseits wird aber in der gleichen Judikatur darauf abgestellt, ob die Tätigkeit "berufsspezifisch" (LSG Hessen, Urteil vom 29.03.2007, Az. L 1 KR 344/04, Rn. 24, juris) bzw. "zum wesentlichen Kernbereich der pharmazeutischen Tätigkeit gehört" (LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Da die Approbation im Bereich der pharmazeutischen Industrie als Berufszugangsbedingung von Gesetz wegen nicht existiert, führte der missverständliche Ausdruck der "zwingend erforderlichen Approbation" dazu, dass nur noch im Bereich der öffentlichen und Krankenhaus-Apotheke, für den die Approbation für die Berufsausübung vorausgesetzt wird (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über das Apothekenwesen – ApoG – bzw. § 14 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ApoG), nicht aber für Tätigkeiten im pharmazeutisch-industriellen Komplex befreit werden könnte. Dass dies jedoch realitätsfern und sich mit den berufsständischen Vorschriften nicht in Einklang bringen lässt, zeigen bereits § 2 Abs. 3 Bundesapothekerordnung - BApO - und § 1 Abs. 1 der Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker der Bayerischen Landesapothekerkammer, die eine apothekerliche Tätigkeit im Hinblick auf die Entwicklung, Herstellung und Prüfung von Medikamenten bzw. in der pharmazeutischen Industrie voraussetzen.

Die zitierte Rechtsprechung der Landessozialgerichtsbarkeit ist daher nur unter dem Ge-sichtspunkt mit der Rechtsprechung des BSG in Einklang zu bringen, dass die zu beurtei-lende Tätigkeit zum Kernbereich des apothekerlichen Berufsbilds gehören muss. Dies wiederum ist anhand der einschlägigen kammerrechtlichen Vorschriften, insbesondere unter Beachtung der Berufsordnungen des jeweiligen verkammerten Berufs, zu beurteilen (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. SG A-Stadt, Urteil vom 05. Februar 2015 – S 15 R 928/14 –, juris; SG A-Stadt, Urteil vom 10. März 2016 – S 15 R 10/16 –, juris; ablehnend in Bezug auf die Approbationspflichtigkeit einer apothekerlichen Tätigkeit als Befrei-ungsvoraussetzung auch SG B-Stadt, Urteil vom 25.01.2016, S 10 R 3345/14, sowie Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 28. April 2016 – L 1 KR 347/15 –, juris; ablehnend zum Negativkriterium der Möglichkeit der Berufsausübung durch andere ver-wandte Berufe auch Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 06. Februar 2014 – L 1 KR 8/13 –, Rn. 62, juris, zum freien Beruf des Tierarztes).

Im übrigen ist festzustellen, dass die Beklagte von ihrer Diktion teils schon abweicht, wenn sie gem. ihrem Schriftsatz vom 19.07.2016 (Bl. 66 der Gerichtsakte) inzwischen bereit ist, auch Industrie-Apotheker in den Bereichen Forschung und Entwicklung, klinische Prüfung, Herstellung, Prüfung und Qualitätssicherung einschließlich Arzneimittelsicherheit zu befreien. Denn für diese Arbeitsfelder ist die Approbation gerade nicht zwingende, d.h. gesetzliche Voraussetzung.

Das oben benannte Prüfniveau vorausgesetzt, ist die Tätigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum als apotherkerliche einzuschätzen. Gem. den überzeugenden Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist dieser im Bereich der Versorgung und Versorgungsoptimierung der Bevölkerung in bestimmten Indikationen tätig. Er beschäftigt sich im streitgegenständlichen Zeitraum mit mit dem Krankheitsbild "Vorhofflimmern". Es wurde ein Ärztenetzwerk mit jetzt mehreren 1.000 Ärzten aufgebaut, die ihre Behandlungsdaten vernetzen. Der Kläger entwickelt in Kooperation mit dem Systemher-steller und den Ärzten einen Algorithmus respektive Behandlungshinweise/-tools zur Op-timierung der individuellen Behandlung. Dabei werden berücksichtigt: • bisher gestellte Diagnosen verschiedener Fachärzte • Medikationen und Therapien • individuelle Patientendaten.

Ziel ist es, zum Beispiel bei Vorhandensein von Comorbiditäten bereits bei der Auswahl des Wirkstoffes (Warn-) Hinweise an die behandelnden Ärzte zu geben. Der Anteil des Klägers an diesem System ist nicht gewinnorientiert. E. erhofft sich, untertherapierte und nicht adäquat therapierte Patienten mit diesem System ausfindig zu machen, die dann gegebenenfalls auch mit E.-Medikamenten therapiert werden können. Ziel des mitentwi-ckelten Systems ist es, dass der Arzt bereits vor Auswahl des Wirkstoffes, d.h. vor Ver-ordnung eines Wirkstoffes, bestmöglich über Wechselwirkungen und individuelle Hinder-nisse, die der Auswahl des anvisierten Wirkstoffes entgegenstehen könnten, informiert werden kann. Seine konkrete Tätigkeit besteht in diesem Kontext in: • Recherchen in medizinischen Datenbanken • Validierung der anvisierten Algorithmen • Besprechung mit den Ärzten • Programmanweisung an die Systemprogrammierung.

Diese Tätigkeit benötigt profundes pharmazeutisches Wissen und ist somit dem Kernbe-reich der apothekerlichen Tätigkeit zuzuordnen. Pharmazeutisches Wissen findet nicht "noch" am Rande Anwendung. Vielmehr hat der Kläger überzeugend in der mündlichen Verhandlung dargestellt, dass er für die Indikation "Vorhofflimmern" problematische Inter-aktionen der Medikamente gegen Vorhofflimmern mit häufig (oft unwissentlich, da von anderen Fachärzten) zusammen verordneten Medikamenten herausfinden muss, indem er medizinische Fachdatenbanken durchsucht. Er bespricht sich dann mit den am Projekt beteiligten Ärzten, auf welche Weise er (Warn-) Hinweise den verordnenden Ärzten im Netzwerk bereitstellt. Zusätzlich berücksichtigt er abstrakt den Einfluss von Geschlecht und Alter auf die Medikation gegen Vorhofflimmern und ist damit betraut, diese Einflüsse für den Arzt praktikabel im System sichtbar zu machen. Er versucht weiter, dass System dahingehend zu sensibilisieren, dass bei nicht genommenen Blutwerten (etwa weil Patien-ten nicht mehr regelmäßig zum Arzt gehen können) der Arzt im Hinblick auf die Medikati-on geeigneter Wirkstoffe dann gewarnt wird, wenn die pharmazeutisch korrekte Applikati-on von Wirkstoffen eine lückenlose Kontrolle der Blutwerte als Voraussetzung hat. Der Kläger ist nach der Überzeugung der Kammer nur als Pharmazeut in der Lage, diese Fra-gestellungen anzugehen und geeignete Lösungen zu finden.

Der Kläger ist im Bereich der privaten Gesundheitsfürsorge tätig. In diesem Kontext entwickelt er ein abstraktes Beratungssystem für Ärzte als wesentliche Dienstleister des Gesundheitssystems.

Die Kammer ist sich bewusst, dass die Role Description nicht annähernd das oben beschriebene Tätigkeitsbild beschreibt (im übrigen auch nicht die letzte Seite der Role Description, die allenfalls partiell mit dem oben genannten Tätigkeitsprofil in Einklang zu bringen ist). Gleiches gilt für den von der Kammer beigezogenen Arbeitsvertrag des Klä-gers.

Der Kläger hat jedoch glaubwürdig ausgeführt, dass dieser Unterschied der Konzernstrategie von E. geschuldet ist. Die detaillierte Tätigkeitsbeschreibung des Klägers hat für die Kammer in diesem Fall einen höheren und unmittelbareren Beweiswert als die vorherige formale Stellenbeschreibung (ebenso SG B-Stadt, a.a.O.). Grundsätzlich wäre es wün-schenswert, dass auch die Beklagte in den Befreiungsfällen im Wege der Amtsermittlung größere Anstrengungen unternehmen würde, ein genaues Tätigkeitsprofil der konkreten Tätigkeit zu ermitteln, zumal bei – wie vorliegend – großer zeitlicher Distanz zwischen Stellenbeschreibung und frühstmöglichem Befreiungszeitpunkt. Eine Stellenbe- bzw. aus-schreibung hat lediglich Indizwirkung im Hinblick auf die zu beurteilende Tätigkeit.

Nach allem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt, dass ursprünglich eine Befreiung ab Beginn der Beschäftigung bei E. im Jahre 2010 eingeklagt war.
Rechtskraft
Aus
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