S 30 R 384/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 R 384/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 15.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist eine Rückforderung in Höhe von EUR 6432,67. Der am XX.XX.1956 geborene Kläger bezog ab 01.07.2007 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 28.05.2013 wurde ihm für die Zeit ab 01.12.2011 stattdessen eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zugesprochen. Die Nachzahlung für die Zeit von 01.12.2011 bis 30.06.2013 wurde mit EUR 18.471,21 beziffert und vorläu-fig nicht ausgezahlt. Gleichzeitig wurde dem Kläger der Hinweis gegeben, für denselben Zeitraum sei eine Überzahlung von EUR 9.357,00 entstanden. Am 15.07.2013 folgte ein Bescheid über die Abrechnung der Nachzahlung. Die Beklagte führte aus, zur Erfüllung eines Erstattungsanspruches der AOK für die Zeit vom 13.12.2011 bis 12.04.2013 habe sie den Betrag von EUR 15.546,88 dorthin überwiesen. Damit mindere sich die verfügbare Nachzahlung auf EUR 2924,33. Den überzahlten Betrag habe man mit dieser Nachzahlung verrechnet und sei davon ausgegangen, dass diese Vorgehensweise im Interesse des Klägers liege. Die restliche Überzahlung betrage EUR 6432,67 und sei vom Kläger zurückzuzahlen. Mit seinem Widerspruch erläuterte der Kläger, er habe von November 2011 bis zur Erschöpfung des Anspruchs einschließlich 12.04.2013 Krankengeld bezogen. Die Rentenantragstellung sei jedoch schon am 19.07.2007 erfolgt. Mit aufklärendem Schreiben vom 23.09.2013 berichtete die Beklagte über ihre Vorgehensweise bei Anwendung des § 89 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VI
(SGB 6). Bei der Nachzahlung der Rente wegen voller Erwerbminderung werde die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht verrechnet. Vielmehr werde der Empfänger so gestellt, als hätte er keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhalten. Mit Erteilung des Bescheides über die Rente wegen voller Erwerbsminderung sei eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, die bei Erlass des Bescheides zur Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung vom 22.04.2013 (gemeint wohl vom 07.11.2007) vorgelegen haben. Der Bescheid soll in einem solchen Falle nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nummer 3 Sozialgesetzbuch X (SGB X) bereits ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn nach seinem Erlass Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall des Anspruchs führt. Ein solches Einkommen habe der Kläger mit der Rente we-gen voller Erwerbsminderung erzielt. Aus der Nachzahlung dieser Rente sei zunächst der Erstattungsanspruch der Krankenkasse zu befriedigen. Das Krankengeld sei höher als die Rente wegen voller Erwerbsminderung gewesen. Deshalb sei die Erstattung in Höhe der Rente wegen voller Erwerbsminderung erfolgt.

Nachdem der Kläger neuerlich um Erklärungen ersuchte, wurde ihm mit weiterem aufklärenden Schreiben vom 14.11.2013 mitgeteilt, dass der Bescheid vom 15.07.2013 lediglich den Verwaltungsakt über das Zahlungsgebot über den noch zu erstattenden Betrag von EUR 6432,67 nach § 50 Abs. 3 SGB X darstelle. Die rechtliche Grundlage für die Rück-forderung finde sich hingegen im Bescheid vom 28.05.2013, der mangels Erhebung eines Widerspruchs bindend geworden sei. Dennoch nehme man erneut zur materiellen Rechtslage Stellung. Zu der bereits im vorigen Schreiben skizzierten Vorgehensweise berief man sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.09.2010 B 5 KN 4/08 R über den Vorrang der Erstattungsansprüche von Krankenkassen und Arbeitsagentur aus Renten wegen voller Erwerbsminderung gegenüber dem internen Ausgleich der bereits geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Der Widerspruchsbescheid vom 28.01.2014 wies den Widerspruch des Klägers unter Wiederholung der bisherigen Ausführungen zurück. Die Klage wendet sich weiterhin gegen die mit den angegriffenen Bescheiden geltend gemachte Rückforderung. Sie vertritt die Auffassung, auch während eines Anspruches auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bleibe der Anspruch auf eine zuvor zuerkannte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhalten, auch wenn diese nach Maßgabe von § 89 SGB VI nicht zu zahlen sei. Der Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung habe in Höhe der bereits geleisteten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als erfüllt gelten. Das von der Beklagten zitierte Urteil des BSG beziehe sich ausschließlich auf das Erstattungsverhältnis der Leistungsträger, ohne eine Rechtswirkung im Verhältnis zum Leistungsbezieher zu entwickeln.

Der Kläger beantragt die Aufhebung des Bescheides vom 18.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2014.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage.

Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Dieses Prozessergebnis resultiert allerdings nicht auf einer Zustimmung des Gerichts zu der von der Beklagten getroffenen Interpretation des § 89 Abs. 1 SGB VI, auch wenn diese dem zitierten Urteil des BSG folgt. Ein Versicherter, der voll erwerbsgemindert ist, nämlich im klassischen Fall weniger als drei Stunden pro Tag arbeiten kann, ist logischerweise zugleich auch teilweise erwerbsgemindert, weil er selbstverständlich auch weniger als sechs Stunden pro Tag arbeiten kann. Mit der Feststellung einer vollen Erwerbsminderung entfällt die teilweise Erwerbsminderung nicht, sondern sie wird lediglich von der vollen Erwerbsminderung überlagert. § 89 Abs. 1 SGB VI geht davon aus, dass einem Versicherten von den Tatbestandsvoraussetzungen her gleichzeitig mehrere Renten zustehen können. Die Vorschrift regelt diesen Fall auf der Auszahlungsebene mit einem Zahlungsausschluss für die nachrangige Rente, ohne dass § 48 SGB X angewendet werden müsste. Abweichend hiervon fingiert die neuere Verwaltungspraxis einen Wegfall der teilweisen Erwerbsminderung mit der Folge, dass insoweit eine Aufhebung des Leistungsbescheides vorzunehmen und eine Rückforderung geltend zu machen sei. Bei der Befriedigung diese Rückforderung aus der Nachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung wird dann ein Nachrang des Rentenversicherungsträgers gegenüber den Rückforderungs- und Erstattungsansprüchen der Krankenkassen und der Bundesagentur für Arbeit erkannt. Vorliegend ist das Gericht jedoch daran gehindert, dem Wortlaut des § 89 SGB VI Geltung zu verschaffen. Der Bescheid über die Zusprache einer Rente wegen voller Erwerbsminderung und die Entziehung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie über die Feststellung einer Überzahlung sind nämlich bestandskräftig geworden. Die darin enthaltene Anwendung des § 48 SGB X kann daher nicht mehr kontrolliert werden. Der Bescheid vom 15.07.2013 begnügte sich mit der Konkretisierung der Rückforderung und wendete – ohne die Vorschrift wörtlich zu zitieren – lediglich § 50 SGB X an. Auf dieser Ebene jedoch sind Fehler in der Rechtsanwendung durch die Beklagte nicht mehr festzustellen. Der Kläger wird die Entwicklung der Rechtsprechung zu § 89 SGB VI abwarten müssen und sollte im Falle einer generellen Abkehr von der gegenwärtigen Praxis ein Verfahren nach § 44 SGB X in Betracht ziehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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