Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 31 R 1310/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Rückwirkung der Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht auf den Beginn der Beschäftigung gem. § 231 Abs. 4 b S. 1 SGB VI setzt nicht voraus, dass bereits zum Beginn der Beschäftigung eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk bestand. Diese Voraussetzung gilt nur für vorausgegangene Beschäftigungen, § 231 Abs. 4 b S. 2 SGB VI.
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17.01.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2017 verurteilt, die Klägerin für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin bei der B-GmbH bereits ab 15.06.2014 von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu befreien.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin als Syndikusrechtsanwältin rückwirkend von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu befreien ist.
Die Klägerin ist 1984 geboren. Das erste und zweite juristische Staatsexamen hat sie erfolgreich abgelegt.
Seit 15.06.2014 befindet die Klägerin sich in einem Beschäftigungsverhältnis mit der B-GmbH.
Nach Änderung der Rechtsanwaltsordnung (BRAO) zum 01.01.2016 beantragte die Klägerin am 07.03.2016 bei der Rechtsanwaltskammer A-Stadt die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Am gleichen Tage beantragte sie bei der Beklagten die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin, und weiterhin die rückwirkende Befreiung gemäß § 231 Abs. 4 b SGB VI ab Beginn der Beschäftigung, also ab 15.06.2014.
Mit Bescheid vom 03.08.2016 wurde die Klägerin durch die Rechtsanwaltskammer als Syndikusrechtsanwältin zugelassen. Gegenüber der Beklagten bestätigte die Rechtsanwaltskammer eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte ab 15.09.2016.
Die Beklagte befreite die Klägerin daraufhin mit Bescheid vom 29.11.2016 für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht, und zwar ab Beginn der Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk, also ab 15.09.2016.
Mit weiterem, hier streitgegenständlichem Bescheid vom 17.01.2017 lehnte die Beklagte eine rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ab Beschäftigungsbeginn mit der Begründung ab, vor dem 15.09.2016 habe eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgung nicht bestanden.
Die Klägerin legte dagegen Widerspruch ein unter Hinweis auf § 231 Abs. 4 b Satz 1SGB VI. Ihrer Auffassung nach ist eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgung vom Gesetz nur gefordert, soweit die Befreiung für eine vorhergehende Beschäftigung beantragt wird, § 231 Abs. 4 b Satz 2 SGB VI. Auch beantrage sie keine Befreiung für Zeiträume vor dem 01.04.2014, weshalb auch § 231 Abs. 4 b Satz 4 SGB VI einer rückwirkenden Befreiung nicht entgegenstehe.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2017 zurück. Nach ihrer Auffassung ist eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgung zwingende Voraussetzung für jede rückwirkende Befreiung. Die Beklagte beruft sich zur Begründung auf die Ausführungen des Gesetzgebers in der Bundestagsdrucksache 18/5201.
Die Klägerin erhob Klage, eingegangen beim Sozialgericht München am 06.07.2017. Klageziel ist die rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin vom 15.06.2014 bis 14.09.2016. Zur Begründung wird ausgeführt, der Gesetzgeber habe mit dem Übergangsrecht das Ziel eines lückenlosen Versicherungsschutzes für Syndikusrechtsanwälte verfolgt. Diesem Ziel werde die Entscheidung der Beklagte nicht gerecht. Im Übrigen habe das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen vom 19.07.2016, Aktenzeichen 1 BvR 2584/14 und 2534/14, ausgeführt, dass die Übergangsregelung großzügig anzuwenden sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17.01.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.06.2017 zu verurteilen, die Klägerin für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin bei der B-GmbH bereits ab 15.06.2014 von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akte des Sozialgerichts München sowie der beigezogenen Rentenversicherungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und in vollem Umfang begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht aus § 231 Abs. 4 b Satz 1 SGB VI. Die angefochtenen Bescheide, die diese Befreiung ablehnen, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
§ 231 Abs. 4 b SGB VI hat folgenden Wortlaut:
"Eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikus- Rechtsanwalt ( ...) nach § 6 Abs. 1 Satz1 Nr. 1 SGB VI, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung ( ...) erteilt wurde, gilt auf Antrag vom Beginn der jeweiligen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Sie gilt auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Die Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 wirkt frühestens ab dem 01.04.2014. Die Befreiung wirkt jeweils auch für Zeiten vor dem 01.04.2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk bezahlt wurden. ( ...)."
Dem Wortlaut dieser Übergangsregelung entsprechend ist es nicht Voraussetzung für eine Rückwirkung der Befreiung auf den Beginn des aktuell zu befreienden Beschäftigungsverhältnisses, dass eine Pflichtmitgliedschaft im berufsständischen Versorgungswerk bereits ab Beginn der Beschäftigung bestand. Dies ergibt sich aus dem Kontext von Satz 1, Satz 2 und Satz 3 des § 231 Abs. 4 b SGB VI. In Satz 1 hat die Rückwirkung der Befreiung auf den Beginn des aktuellen Beschäftigungsverhältnisses lediglich einen Antrag des Versicherten zur Voraussetzung. Die einschränkende Regelung, wonach eine Rückwirkung nur dann in Betracht kommt, wenn während der Beschäftigung eine Pflichtmitgliedschaft im berufsständischen Versorgungswerk bestand, enthält Satz 1 im Gegensatz zu Satz 2 nicht. Satz 2 regelt die rückwirkende Befreiung aber nicht im Hinblick auf die aktuelle Beschäftigung, sondern auf eine davor liegende Beschäftigung.
Wenn der Gesetzgeber in Satz 2 für vorhergehende Beschäftigungen eine weitere Voraussetzung ausdrücklich normiert, dies im unmittelbar vorangehenden Satz des Gesetzes jedoch unterlässt, lässt das den Umkehrschluss zu, dass er diese Voraussetzung für die in Satz 1 geregelte aktuelle Beschäftigung nicht gelten lassen wollte (argumentum e contrario). In der Begründung zum Gesetzesentwurf (BTDrs. 18/5201) wird zu Artikel 5 (Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI) Nr. 2 (§ 231 Abs. 4 a und 4 b SGB VI - E) folgendes ausgeführt:
"Die Sätze 1 bis 3 (des § 231 Abs. 4 b, Anm. d. Verf.) regeln, dass die Befreiung bis zum Beginn der Beschäftigung zurückwirkt, in der eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auf der Grundlage der geänderten Bundesrechtsanwaltsordnung ( ...) erfolgt. Sie wirkt darüber hinaus für zeitlich unmittelbar davor liegende Beschäftigungen in den Fällen eines Beschäftigungswechsels. § 6 Abs. 5 SGB VI bleibt im Übrigen unberührt. Voraussetzung ist in allen Fällen, dass während der Beschäftigungen zumindest eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk (nicht unbedingt auch eine einkommensbezogene Beitragszahlung an das Versorgungswerk) bestand, mithin ein Bezug zur berufsständischen Versorgung ( ...) gegeben war."
Die Beklagte ist der Auffassung, die Wendung "Voraussetzung ist in allen Fällen, dass ( ...) zumindest eine Pflichtmitgliedschaft ( ...) gegeben war" bedeute, dass eine rückwirkende Befreiung für Zeiträume ohne entsprechende Pflichtmitgliedschaft niemals in Betracht komme. Diese Interpretation ist angesichts des Wortlauts der Gesetzesbegründung jedoch nicht zwingend. Denn es ist nicht klar, was mit der Formulierung "in allen Fällen" gemeint ist. Möglich ist, dass damit alle Fälle einer rückwirkenden Befreiung gemeint sind, wie die Beklagte geltend macht. Möglich ist aber auch, dass damit alle Fälle einer Befreiung für eine vorangegangene Beschäftigung gemeint sind.
Die Gesetzesbegründung enthält somit keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür, dass der - im Gegensatz dazu eindeutige - Wortlaut des Gesetzes nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Die Wortlautauslegung kann vorliegend daher nicht durch eine historische Auslegung verdrängt werden (vgl. auch Schafhausen, AnwBl 2016, 116ff; Kreikebohm SGB VI/Segebrecht, 5. Aufl., SGB VI § 231 Rn 14f).
Zudem ist bei der Auslegung mit zu berücksichtigen, dass laut Bundesverfassungsgericht (Beschlüsse vom 19.07.2016, 1 BvR 2584/14 und 2534/14) die Übergangsregelung des § 231 Abs. 4 b SGB VI großzügig anzuwenden ist. Diesem Gebot wird durch eine einschränkende historische Auslegung, die im Wortlaut des Gesetzes widerspricht, nicht entsprochen.
Nach allem war der Klage auf rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht gemäß § 231 Abs. 4 b Satz 1 somit vollumfänglich stattzugeben.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin als Syndikusrechtsanwältin rückwirkend von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu befreien ist.
Die Klägerin ist 1984 geboren. Das erste und zweite juristische Staatsexamen hat sie erfolgreich abgelegt.
Seit 15.06.2014 befindet die Klägerin sich in einem Beschäftigungsverhältnis mit der B-GmbH.
Nach Änderung der Rechtsanwaltsordnung (BRAO) zum 01.01.2016 beantragte die Klägerin am 07.03.2016 bei der Rechtsanwaltskammer A-Stadt die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Am gleichen Tage beantragte sie bei der Beklagten die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin, und weiterhin die rückwirkende Befreiung gemäß § 231 Abs. 4 b SGB VI ab Beginn der Beschäftigung, also ab 15.06.2014.
Mit Bescheid vom 03.08.2016 wurde die Klägerin durch die Rechtsanwaltskammer als Syndikusrechtsanwältin zugelassen. Gegenüber der Beklagten bestätigte die Rechtsanwaltskammer eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte ab 15.09.2016.
Die Beklagte befreite die Klägerin daraufhin mit Bescheid vom 29.11.2016 für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht, und zwar ab Beginn der Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk, also ab 15.09.2016.
Mit weiterem, hier streitgegenständlichem Bescheid vom 17.01.2017 lehnte die Beklagte eine rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ab Beschäftigungsbeginn mit der Begründung ab, vor dem 15.09.2016 habe eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgung nicht bestanden.
Die Klägerin legte dagegen Widerspruch ein unter Hinweis auf § 231 Abs. 4 b Satz 1SGB VI. Ihrer Auffassung nach ist eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgung vom Gesetz nur gefordert, soweit die Befreiung für eine vorhergehende Beschäftigung beantragt wird, § 231 Abs. 4 b Satz 2 SGB VI. Auch beantrage sie keine Befreiung für Zeiträume vor dem 01.04.2014, weshalb auch § 231 Abs. 4 b Satz 4 SGB VI einer rückwirkenden Befreiung nicht entgegenstehe.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2017 zurück. Nach ihrer Auffassung ist eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgung zwingende Voraussetzung für jede rückwirkende Befreiung. Die Beklagte beruft sich zur Begründung auf die Ausführungen des Gesetzgebers in der Bundestagsdrucksache 18/5201.
Die Klägerin erhob Klage, eingegangen beim Sozialgericht München am 06.07.2017. Klageziel ist die rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin vom 15.06.2014 bis 14.09.2016. Zur Begründung wird ausgeführt, der Gesetzgeber habe mit dem Übergangsrecht das Ziel eines lückenlosen Versicherungsschutzes für Syndikusrechtsanwälte verfolgt. Diesem Ziel werde die Entscheidung der Beklagte nicht gerecht. Im Übrigen habe das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen vom 19.07.2016, Aktenzeichen 1 BvR 2584/14 und 2534/14, ausgeführt, dass die Übergangsregelung großzügig anzuwenden sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17.01.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.06.2017 zu verurteilen, die Klägerin für ihre Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin bei der B-GmbH bereits ab 15.06.2014 von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akte des Sozialgerichts München sowie der beigezogenen Rentenversicherungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und in vollem Umfang begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht aus § 231 Abs. 4 b Satz 1 SGB VI. Die angefochtenen Bescheide, die diese Befreiung ablehnen, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
§ 231 Abs. 4 b SGB VI hat folgenden Wortlaut:
"Eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikus- Rechtsanwalt ( ...) nach § 6 Abs. 1 Satz1 Nr. 1 SGB VI, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung ( ...) erteilt wurde, gilt auf Antrag vom Beginn der jeweiligen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Sie gilt auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Die Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 wirkt frühestens ab dem 01.04.2014. Die Befreiung wirkt jeweils auch für Zeiten vor dem 01.04.2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk bezahlt wurden. ( ...)."
Dem Wortlaut dieser Übergangsregelung entsprechend ist es nicht Voraussetzung für eine Rückwirkung der Befreiung auf den Beginn des aktuell zu befreienden Beschäftigungsverhältnisses, dass eine Pflichtmitgliedschaft im berufsständischen Versorgungswerk bereits ab Beginn der Beschäftigung bestand. Dies ergibt sich aus dem Kontext von Satz 1, Satz 2 und Satz 3 des § 231 Abs. 4 b SGB VI. In Satz 1 hat die Rückwirkung der Befreiung auf den Beginn des aktuellen Beschäftigungsverhältnisses lediglich einen Antrag des Versicherten zur Voraussetzung. Die einschränkende Regelung, wonach eine Rückwirkung nur dann in Betracht kommt, wenn während der Beschäftigung eine Pflichtmitgliedschaft im berufsständischen Versorgungswerk bestand, enthält Satz 1 im Gegensatz zu Satz 2 nicht. Satz 2 regelt die rückwirkende Befreiung aber nicht im Hinblick auf die aktuelle Beschäftigung, sondern auf eine davor liegende Beschäftigung.
Wenn der Gesetzgeber in Satz 2 für vorhergehende Beschäftigungen eine weitere Voraussetzung ausdrücklich normiert, dies im unmittelbar vorangehenden Satz des Gesetzes jedoch unterlässt, lässt das den Umkehrschluss zu, dass er diese Voraussetzung für die in Satz 1 geregelte aktuelle Beschäftigung nicht gelten lassen wollte (argumentum e contrario). In der Begründung zum Gesetzesentwurf (BTDrs. 18/5201) wird zu Artikel 5 (Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI) Nr. 2 (§ 231 Abs. 4 a und 4 b SGB VI - E) folgendes ausgeführt:
"Die Sätze 1 bis 3 (des § 231 Abs. 4 b, Anm. d. Verf.) regeln, dass die Befreiung bis zum Beginn der Beschäftigung zurückwirkt, in der eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auf der Grundlage der geänderten Bundesrechtsanwaltsordnung ( ...) erfolgt. Sie wirkt darüber hinaus für zeitlich unmittelbar davor liegende Beschäftigungen in den Fällen eines Beschäftigungswechsels. § 6 Abs. 5 SGB VI bleibt im Übrigen unberührt. Voraussetzung ist in allen Fällen, dass während der Beschäftigungen zumindest eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk (nicht unbedingt auch eine einkommensbezogene Beitragszahlung an das Versorgungswerk) bestand, mithin ein Bezug zur berufsständischen Versorgung ( ...) gegeben war."
Die Beklagte ist der Auffassung, die Wendung "Voraussetzung ist in allen Fällen, dass ( ...) zumindest eine Pflichtmitgliedschaft ( ...) gegeben war" bedeute, dass eine rückwirkende Befreiung für Zeiträume ohne entsprechende Pflichtmitgliedschaft niemals in Betracht komme. Diese Interpretation ist angesichts des Wortlauts der Gesetzesbegründung jedoch nicht zwingend. Denn es ist nicht klar, was mit der Formulierung "in allen Fällen" gemeint ist. Möglich ist, dass damit alle Fälle einer rückwirkenden Befreiung gemeint sind, wie die Beklagte geltend macht. Möglich ist aber auch, dass damit alle Fälle einer Befreiung für eine vorangegangene Beschäftigung gemeint sind.
Die Gesetzesbegründung enthält somit keine eindeutigen Anhaltspunkte dafür, dass der - im Gegensatz dazu eindeutige - Wortlaut des Gesetzes nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Die Wortlautauslegung kann vorliegend daher nicht durch eine historische Auslegung verdrängt werden (vgl. auch Schafhausen, AnwBl 2016, 116ff; Kreikebohm SGB VI/Segebrecht, 5. Aufl., SGB VI § 231 Rn 14f).
Zudem ist bei der Auslegung mit zu berücksichtigen, dass laut Bundesverfassungsgericht (Beschlüsse vom 19.07.2016, 1 BvR 2584/14 und 2534/14) die Übergangsregelung des § 231 Abs. 4 b SGB VI großzügig anzuwenden ist. Diesem Gebot wird durch eine einschränkende historische Auslegung, die im Wortlaut des Gesetzes widerspricht, nicht entsprochen.
Nach allem war der Klage auf rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht gemäß § 231 Abs. 4 b Satz 1 somit vollumfänglich stattzugeben.
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