L 10 KR 60/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 2 KR 178/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 10 KR 60/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Mutwillenskosten
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 28. August 2006 wird hin-sichtlich der Verurteilung der Klägerin zur Erstattung von Gerichtskos-ten in Höhe von 150,00 EUR aufgehoben.

Gründe:

I.

Das Sozialgericht Halle hat der Klägerin im Urteil vom 28. August 2006 Gerichtskos-ten in Höhe von 150,00 EUR unter Hinweis auf die vermeintliche Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung nach § 192 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auferlegt. Nachdem die Klägerin die Klage im Berufungsverfahren in der Hauptsache zurückgenommen hat, begehrt sie jetzt noch die Aufhebung dieser Kostenentscheidung.

In der Hauptsache haben die Beteiligten über die Kostenübernahme für eine Hörgeräteversorgung der Klägerin in Höhe von 480,00 EUR gestritten. Im Januar 2006 waren der Klägerin Hörgeräte verordnet und im Februar 2006 durch den Leistungserbringer ausgehändigt worden, unter Hinweis auf einen beiliegenden, auf den Kassenan-teil bezogenen Kostenvoranschlag an die Beklagte. Im März 2006 hatte die Beklag-te dem Leistungserbringer gegenüber die Kostenübernahme in Höhe des Kassenanteils bestätigt. In ihrer am 7. Juni 2006 erhobenen Klage hat die Klägerin unter Hinweis auf diesen Sachverhalt vorgetragen, sie habe immer noch keinen Bescheid zur Bewilligung oder Ablehnung der Versorgung mit dem beantragten Hilfsmittel erhalten.

Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, es liege ihr kein Antrag der Klägerin auf Kostenerstattung vor, so dass es auch keines weiteren Bescheides mehr bedurft habe. Die Klage sei ohne Vorverfahren unzulässig. Das Sozialgericht Halle hat die Klägerin mit Schreiben vom 10. August 2006 darauf hingewiesen, dass die Klage unzulässig sein dürfe, da sich die Klägerin nicht vor Klageerhebung an die Beklagte gewandt habe und ein Verwaltungsverfahren noch nicht durchgeführt sei.

Daraufhin beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 11. August 2006 die Kostenübernahme für die Hörgeräteversorgung bei der Beklagten. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16. August 2006 ab, wogegen die Klägerin mit Schreiben vom 17. August 2006 Widerspruch einlegte.

Der vorsitzende Richter der 2. Kammer des Sozialgerichts Halle hat die Klägerin in der öffentlichen Sitzung am 28. August 2006 darauf hingewiesen, dass das Verfahren unzulässig sei, da das Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Ein Widerspruchsverfahren sei vor der Klageerhebung vollständig durchzuführen. Im Falle der Untätigkeit der Beklagten bestehe die Möglichkeit der Erhebung einer Untätigkeitsklage, deren Voraussetzungen jedoch nicht vorlägen. Aus diesen Gründen werde die Verhängung von so genannten Mutwillenskosten erwogen. Diese seien von der Klägerin zu tragen und würden sich auf etwa 100,00 bis 200,00 EUR belaufen. In dem dann ergangenen Urteil ist der Klägerin die Erstattung von Gerichtskosten in Höhe von 150,00 EUR auferlegt worden.

Gegen das ihr am 7. November 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. November 2006 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hat mit Beschluss vom 3. September 2007 die Berufung zugelassen. Es hat in diesem Beschluss ausgeführt, die Klägerin habe zunächst eine Bescheidung für eine Hilfsmittelversorgung begehrt und damit eine Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 1 SGG erhoben. Das Sozialgericht habe es verabsäumt, die Klägerin darauf hinzuweisen, dass sich die ursprüngliche Untätigkeitsklage durch den Erlass des Verwaltungsaktes in der Hauptsache erledigt habe. Es hätte bei dieser Sachlage auf die sachdienliche Klageänderung mit entsprechender Antragsumstellung hinwirken müssen. Schließlich hätte der Ablauf der Sperrfrist nach § 88 Abs. 2 SGG abgewartet werden müssen, um die Durchführung des Wi-derspruchsverfahrens zu ermöglichen.

In der nicht öffentlichen Sitzung am 11. November 2008 hat die Klägerin die Klage in der Hauptsache zurückgenommen und beantragt, die Kostenentscheidung nach § 192 SGG aufzuheben.

II.

Über diesen Antrag konnte die mit Verfügungen des jeweiligen Vorsitzenden vom 8. Juli 2008 und 4. Dezember 2008 bestellte Berichterstatterin nach § 155 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 5, Abs. 4 SGG entscheiden. Der Begriff der Kosten ist weit zu verste-hen und umfasst auch Entscheidungen nach § 192 SGG (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 155 Rz. 9e).

Der Antrag zur Aufhebung der Entscheidung des Sozialgerichts nur hinsichtlich der Kostenentscheidung nach § 192 SGG ist zulässig. Nach § 192 Abs. 3 Satz 1 SGG wird die Entscheidung über die so genannten Verschuldenskosten in ihrem Bestand nicht durch die Rücknahme der Klage berührt. Sie kann nach § 192 Abs. 3 Satz 2 SGG nur durch eine zu begründende Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden. Diese Vorschrift stellt klar, dass die Kostenentscheidung nach § 192 Abs. 1 und 2 SGG nicht durch eine Klagerücknahme hinfällig wird, auch wenn das angefochtene Urteil durch die Rücknahme der Klage hinfällig geworden ist. Der Antrag auf Aufhebung dieser Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht ist daher zulässig.

Er ist auch begründet, da unter keinen Umständen von einer Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung ausgegangen werden konnte. Missbräuchlichkeit kann bei der Weiterverfolgung eines Anspruchs trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit vorliegen, Aussichtslosigkeit einer Klage allein genügt jedoch nicht (vgl. hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 192 Rz. 9 m. w. N.).

Das Sozialgericht hat sich nicht mit der streitigen Übernahme der Kosten für die Hörgeräteversorgung der Klägerin befasst, sondern sowohl den Hinweis über die Aussichtslosigkeit der Klage als auch die Klageabweisung selbst allein darauf gestützt, dass die Klage mangels Vorverfahren unzulässig sei. Dies steht jedoch im Widerspruch zur herrschenden Meinung, nach der das Gericht auf die Beseitigung der Verfahrensmängel hätte hinwirken müssen und dann eine Entscheidung in der Sache hätte treffen können.

Wie bereits in dem Beschluss zur Zulassung der Berufung vom 3. September 2007 ausgeführt, ist das ursprüngliche Begehren der Klägerin als Untätigkeitsklage zu verstehen, für deren Zulässigkeit es keines Vorverfahrens bedarf. Der Mangel, dass die Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 1 SGG nicht vor Ablauf von sechs Monaten zulässig ist, wird durch einen Fristablauf während des Rechtsstreites geheilt. Schon aus prozessökonomischen Gründen hat das Gericht den Fristablauf abzuwarten (vgl. hierzu den oben genannten Beschluss zur Zulassung der Berufung m. w. N.). Durch die noch innerhalb der Frist erfolgte Ablehnung der begehrten Kostenerstattung seitens der Beklagten mit Bescheid vom 16. August 2006 hatte sich die Untätigkeitsklage in der Hauptsache erledigt, so dass es sachdienlich gewesen wäre auf eine Änderung in eine Verpflichtungsklage hinzuwirken. Diese hätte das Gericht analog § 114 Abs. 2 SGG aussetzen oder vertagen müssen, um der Klägerin die Möglichkeit zu geben, das Vorverfahren nachzuholen. Die Nachholung dieser Prozessvoraussetzung ist bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz möglich (vgl. BSGE 16, 21, 23, BSGE 25, 66, 68; SozR 3-5540 Anl. 1 § 10 Nr. 1 m. w. N.).

Hinsichtlich der streitigen Übernahme der Kosten für die Hörgeräteversorgung der Klägerin war die Klage weder für jeden Einsichtigen ganz offensichtlich aussichtslos im Sinne einer Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung noch ist insoweit ein ge-richtlicher Hinweis erfolgt.

Der Beschluss ist nach § 177 SGG unanfechtbar.

gez. Dr. Waßer
Rechtskraft
Aus
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