L 7 SB 70/16 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 26 SB 474/14
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 70/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. Juli 2016 wird aufgehoben.

Die Staatskasse hat dem Beschwerdeführer die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beschwerde richtet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes.

Nach einem Antrag des Beschwerdeführers und Klägers (im Folgenden: Kläger) vom 7. April 1992 stellte das Amt für Versorgung und Soziales wegen Schwindelanfällen, Kopfschmerzen nach Hirnoperation und einer Lungeneinschränkung einen Grad der Behinderung (GdB) von 90 fest. Nach Ablauf der Heilungsbewährung wurde der GdB auf 60 herabgesetzt. Einen Neufeststellungsantrag vom 17. Januar 2006 lehnte das Landesverwaltungsamt nach medizinischen Ermittlungen ab (Bescheid vom 27. April 2006). Wegen eines zugeklebten Briefkastens am Wohnort des Klägers konnte dieser Bescheid nicht zugestellt werden. Eine Melderegisterauskunft brachte keinen Hinweis auf einen neuen Wohnsitz des Klägers. Die nochmalige Zustellung im Mai 2006 war erfolgreich. Auf einen weiteren Neufeststellungsantrag vom 31. Januar 2008 erließ das Landesverwaltungsamt einen ablehnenden Bescheid vom 8. Juli 2008, der wiederum nicht zugestellt werden konnte. Eine Melderegisterauskunft wies einen unveränderten Wohnort aus, worauf das Landesverwaltungsamt einen weiteren Zustellversuch unternahm. Diese Zustellung scheiterte gemäß dem Hinweis "Briefkasten zugeklebt". Am 11. September 2008 rief der Kläger beim Landesverwaltungsamt an und teilte mit, dass er im Sommer in seinem Bungalow wohne (W. 20, 14 ... S.-F., OT L.). Mit Schreiben vom 10. September 2008 sandte das Landesverwaltungsamt den Bescheid an diese Anschrift des Klägers. Auf einen weiteren Neufeststellungsantrag vom 14. Februar 2011 erließ das Landesverwaltungsamt einen Bescheid vom 24. August 2011, der unter der Sommeradresse des Klägers nicht zugestellt werden konnte. Am 26. Oktober 2011 teilte der Kläger mit, er halte sich ab 1. November 2011 wieder in A. auf. Am 14. März 2012 stellte der Kläger einen weiteren Neufeststellungsantrag und teilte mit, dass er sich in der Zeit von April bis Oktober in seinem Sommerbungalow aufhalte. Am 11. Februar 2014 stellte der Kläger einen weiteren Neufeststellungsantrag und wies dabei erneut auf seine Sommeranschrift hin. Gegen den ablehnenden Bescheid vom 13. Juni 2014, der an den Hauptwohnsitz gesandt wurde, erhob der Kläger am 3. Juli 2014 Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2014 zurückgewiesen wurde. Hiergegen hat der Kläger unter seiner Hauptwohnanschrift am 14. August 2014 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben.

Das SG hat am 17. Mai 2016 gemäß Ladungsverfügung der Kammervorsitzenden vom 20. April 2016 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage bestimmt und das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet. Die Ladung erfolgte am 28. April 2016 durch Niederlegung in der Niederlegungsstelle der P.-bank Filiale A. in Gestalt einer schriftlichen Mitteilung über die Niederlegung am Briefkasten des Klägers. Sie war mit dem Hinweis versehen, dass gegen den Kläger ein Ordnungsgeld bis zu 1.000,00 EUR festgesetzt werden kann, falls er ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint.

In der Sitzung des SG vom 17. Mai 2016 ist der Kläger nicht erschienen. Die Kammer hat die ordnungsgemäße Ladung des Klägers festgestellt und ihn beauflagt, sein Fernbleiben binnen drei Wochen zu entschuldigen. Mit Begleitschreiben vom 19. Mai 2016 hat die Kammervorsitzende ihn zudem darauf hingewiesen, dass er bei voraussichtlich längeren Abwesenheitszeiten sicherzustellen habe, dass ihn gerichtliche Ladungen erreichen. Überdies habe der Kläger klarzustellen, was genau sein Klageziel sei. Das Protokoll sowie das Begleitschreiben hat das SG dem Kläger wiederum mittels Niederlegung am 2. Juni 2016 zugestellt. Auch hierauf hat der Kläger nicht reagiert. Das SG hat mit Beschluss vom 27. Juli 2016 gegen den Kläger wegen unentschuldigten Ausbleibens im Termin vom 17. Mai 2016 ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,00 EUR festgesetzt.

Der Kläger hat gegen den ihm am 10. August 2016 zugestellten Beschluss am 15. August 2016 Beschwerde eingelegt und vorgebracht: Er habe keine Ladung erhalten und vom Beschluss lediglich zufällig erfahren. Schließlich bewohne er von März bis Oktober seinen Bungalow in 14 ... S. F., W. 20 als Zweitwohnsitz und habe deswegen auch der Post einen Nachsendeauftrag erteilt. Zur Glaubhaftmachung hat der Kläger Abgabenbescheide über den Zeitwohnsitz sowie eine Nachsendeauftragsbestätigung der Post vom 11. Mai 2016 zur Gerichtsakte gesandt.

Der Beschwerdegegner hat auf die zwingenden Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Post AG hingewiesen und hält das Ordnungsgeld für berechtigt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und

begründet.

Voraussetzung für die Auferlegung von Ordnungsgeld ist eine ordnungsgemäße Ladung und das unentschuldigte Nichterscheinen des Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war.

Nach §§ 111, 106 Abs. 3 Nr. 7, 202 SGG i.V.m. § 141 ZPO kann das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zu einem Erörterungstermin angeordnet werden und derjenige, der der Anordnung nicht Folge leistet, mit Ordnungsgeld wie ein im Vernehmungstermin nicht erschienener Zeuge belegt werden. Ob die Vorsitzende im Rahmen von § 106 Abs. 3 Nr. 7 SGG eine Anordnung nach § 111 SGG treffen will, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Hält sie zur Erörterung der Sach- und Rechtslage einen Termin für notwendig, so kann sie hierzu das persönliche Erscheinen eines Beteiligten anordnen. Nach § 141 Abs.1 Satz 1 ZPO ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten dann ermessensfehlerfrei, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist der entsprechende Ermessensspielraum weit zu fassen. Hier diente der Erörterungstermin der Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung, um die Sach- und Rechtslage zu klären und/oder zu sachdienlichen Anträgen zu gelangen. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers war hier ermessensfehlerfrei, da das genaue Klageziel zu bestimmen war und zudem die Bewertung der Gehfähigkeit einer Augenscheinnahme bedurfte.

Da der Kläger ordnungsgemäß geladen war und im Erörterungstermin unentschuldigt nicht erschienen ist, sind die Voraussetzungen des § 111 SGG i.V.m. §§ 141 Abs. 3, 380, 381 ZPO erfüllt. Nach § 380 ZPO sind einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten sowie ein Ordnungsgeld aufzuerlegen. § 381 ZPO nennt die Gründe, nach denen die Auferlegung eines Ordnungsgeldes zu unterbleiben hat bzw. nachträglich aufzuheben ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Beteiligte sein Ausbleiben genügend entschuldigen kann. Entschuldigt er sein Fernbleiben rechtzeitig, d.h. so rechtzeitig, dass der Termin aufgehoben und die übrigen Beteiligten hiervon noch unterrichtet werden können, so hat die Festsetzung eines Ordnungsgeldes zu unterbleiben. Erfolgt die Entschuldigung nicht rechtzeitig, so entfällt die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Betroffenen an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft und die Entschuldigung hinreichend ist. Genügend ist die Entschuldigung, wenn unter Würdigung aller Umstände das Erscheinen nicht zugemutet werden kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 118, Rdn.10i).

Die Erteilung eines Nachsendeauftrages genügt bei Postzustellungsurkunden nicht, um eine Mitteilung durch die Post auch am Zweitwohnsitz zu erhalten. Dies liegt daran, dass die förmliche Zustellung mittels Niederlegung (§§ 178, 180 ZPO) erfolgen kann und daher den Nachsendeauftrag regelmäßig nicht berührt. Derjenige, der einen Nachsendeauftrag vergibt, hat auch keinen Rechtsanspruch darauf, dass eine förmliche Zustellung an den Ort des vorübergehenden Aufenthaltsortes erfolgt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. April 1997, 10 S 1397/96, juris). Wegen der besonderen Zustellungsform von förmlichen gerichtlichen Schreiben ist die Post nicht verpflichtet, derartige Schreiben nachzusenden (vgl.www.helpster.de/ Postzustellungsurkunde-und-deutsche-Post). Da das Gericht den Kläger bereits im Schreiben vom 26. August 2014 beauflagt hatte, eventuelle Anschriftenänderungen mitzuteilen, könnte – wie das SG meint – von einer Sorgfaltspflichtverletzung des Klägers und einer mangelnden Entschuldigung ausgegangen werden. Dafür spricht auch, dass dem Kläger die Zustellungsprobleme des Landesverwaltungsamtes wegen seiner Sommeranschrift hinreichend bekannt waren. Von daher wäre es ihm durchaus möglich gewesen, die Anschriftenänderung gegenüber dem SG rechtzeitig anzuzeigen.

Diese Bewertung lässt jedoch die Besonderheiten des vom Kläger veranlassten Nachsendeauftrags außer Acht. Es darf dabei nicht übersehen werden, dass die "Nachsendelücke" bei Postzustellungsurkunden für den Kläger nicht ohne weiteres als offenkundige Tatsache erkennbar gewesen ist. Weder in dem von ihm vorgelegten Schreiben der Deutschen Post vom 11. Mai 2016 noch im Informationsportal der Post (www.nachsenden.de) sind klare Hinweise dafür vorhanden, dass förmliche Zustellungen mittels Postzustellungsurkunde regelmäßig nicht vom Nachsendeauftrag erfasst sind. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Post AG für die eFiliale findet sich unter Teil I Ziff. 2 Abs. 2 lediglich die Formulierung: "Schriftstücke aus Postzustellungsaufträgen werden nur aufgrund besonderer Weisung (Vorausverfügung) des Absenders, nur im Inland und nur bei umzugsbedingter Abwesenheit des Empfängers bzw. bei Betreuung oder Insolvenz (Nachsendung wegen Sonstiges) nachgesandt" (www.efiliale.de/ efiliale/ agb). Ob Gerichte regelmäßig mittels Vorausverfügung förmliche Schreiben zustellen, bleibt für den Laien unklar. Bei Zugrundlegung eines üblichen Empfängerhorizonts geht der Auftraggeber eines Nachsendeauftrages regelmäßig – wenn auch irrig – davon aus, dass alle Schriftstücke an den angemeldeten Zweitwohnsitz nachgesandt werden, sofern die Nachsendung nicht wegen angebotener Zusatzaufträge für z.B. Pakete ausdrücklich vom Nachsendeauftrag ausgeschlossen sind. Die Besonderheiten der gerichtlichen Zustellung mittels Niederlegung und die tatsächlich bestehende "Nachsendelücke" für gerichtliche Schreiben kann damit noch nicht als allgemein bekannte Tatsache gewertet werden. Vielmehr geht der einen Nachsendeauftrag Aufgebende regelmäßig davon aus, dass er damit alles Notwendige getan hat, um sämtliche Schriftstücke an die neue Zweitwohnanschrift zu erhalten. Dies bleibt bei üblicher gerichtlicher Post ohne Risiko, gilt jedoch nicht für förmliche Postzustellungsurkunden. Mangels deutlicher Hinweise, sei es von der Post oder des Gerichts, sind weitergehende, tiefgründige Prüfungen des Betroffenen, dieses tatsächliche Zustellungsproblem bei förmlicher gerichtlicher Post zu erkennen, regelmäßig nicht zu verlangen. Denn hier hat der Kläger nach Aktenlage in der Vergangenheit noch keine Erfahrungen mit fehlgeschlagenen förmlichen Zustellungen trotz Nachsendeauftrag gemacht. Bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände konnte er, nachdem er das Landesverwaltungsamt häufiger auf seinen Sommerwohnsitz samt dortiger Telefonnummer hingewiesen hatte, anlässlich des Termins vom 17. Mai 2016 unter Nutzung üblicher Informationsquellen nicht ohne weiteres erkennen, dass im Falle einer gerichtlichen Ladung mittels Postzustellungsurkunde sein Nachsendeauftrag wirkungslos bleiben würde. Da nach der Aktenlage für ihn auch nicht erkennbar war, dass nach seinem Schreiben an das SG vom 25. Januar 2016 von Seiten des Gerichts in nächster Zeit ein Gerichtstermin bestimmt werden sollte, war auch nicht zu verlangen, auf seine im Frühjahr beabsichtigte längere Ortsabwesenheit in seinen Ferienbungalow vorsorglich bereits im Februar/März 2016 hinzuweisen. Deshalb konnte er auch nicht auf die gerichtlichen Auflagen nach Zustellung des Protokolls reagieren und ist somit ausnahmsweise als entschuldigt anzusehen. Der Ordnungsgeldbeschluss ist entsprechend aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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