Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 19 SB 78/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 36/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 1. Februar 2017 sowie der Bescheid des Beklagten vom 29. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2015 werden insoweit aufgehoben, als beim Kläger ein Grad der Behinderung von weniger als 20 festgestellt worden ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger ein Fünftel der notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) nach Ablauf der Heilungsbewährung.
Der am ... 1968 geborene Kläger beantragte am 8. Dezember 2010 die Feststellung von Behinderungen nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) und die Ausstellung eines Ausweises. Er gab an, unter einem Hodentumor (links) sowie unter Asthma zu leiden. Der Beklagte holte von dem Facharzt für Urologie St. und der Fachärztin für Innere Medizin/Pneumologie Dr. L. Befundscheine ein. Der Urologe St. diagnostizierte ein Seminom pT1 cNO LO VO RO SO Stadium I. Die Erstdiagnose eines Hodentumors links bestehe seit 18. November 2010. Die operative Entfernung sei am 24. November 2010 und die Chemotherapie am 14. Dezember 2010 erfolgt. Dr. L. diagnostizierte ein Asthma bronchiale sowie eine allergische Rhinitis (Nasenschleimhautentzündung) ohne Hinweise auf eine Ventilationsstörung. Daraufhin stellte der Beklagte nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes mit Bescheid vom 1. Februar 2011 einen GdB von 50 ab 8. Dezember 2010 fest. Der Ablauf der Heilungsbewährung ende im Oktober 2012.
Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens ab Januar 2013 holte der Beklagte Befundscheine der den Kläger behandelnden Ärzte ein. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. B. hat über zwei Sonographien des Abdomens vom 11. Januar und 7. Mai 2012 berichtet. Der Urologe St. gab im Februar 2013 an, dass kein Rezidiv aufgetreten und der Allgemeinzustand des Klägers gut sei. Dr. L. berichtete am 25. März 2013 über ein stabiles Asthma unter Medikation von Symbicort. Aktuell trete weder Husten noch Luftnot auf. Nach der Bodyplethysmographie habe eine mittelgradige Überblähung vorgelegen (FEV 1: 112 % des Sollwertes; FEV 1/IVC 110 % des Sollwertes).
In Auswertung der Befunde sprach sich der Versorgungsarzt Dr. H. für einen GdB von 0 aus. Daraufhin hörte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 2. Mai 2013 zum beabsichtigten Erlass eines Aufhebungsbescheides nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) an, da nach Ablauf der vorgesehenen Zeit der Heilungsbewährung der GdB nur noch nach der tatsächlich bestehenden Beeinträchtigung zu beurteilen sei. Hinsichtlich der Funktionsbeeinträchtigung "Verlust des linken Hodens" sei die vorgesehene Zeit der Heilungsbewährung abgelaufen. Insoweit sei eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten. Der maßgebliche Feststellungsbescheid solle wie folgt geändert werden: "Herabsetzung des GdB auf 0".
Am 29. April 2013 gab der Kläger an, er leide u.a. an Durchblutungsstörungen des linken Sehnervs mit einem Gesichtsfeldausfall.
Der Beklagte holte einen Befundschein von den Fachärzten für Augenheilkunde Drs. H. vom 30. Mai 2013 ein. Hiernach liege der Visus rechts bei 0,9 und links bei 0,5. Binocular liege ein Visus mit optimaler Korrektur von 0,9 vor. Außerdem liege ein Gesichtsfeldausfall vor, der aus der beigelegten Gesichtsfeldbestimmung erkennbar sei. Dr. L. gab in einem weiteren Befundschein vom 30. Juli 2013 an: Das Asthma sei bei regelmäßiger Dauertherapie mit Symbicort gut kontrolliert und die Lungenfunktion stabil. Aktuell bestehe kein Infekt. Der letzte ausgedehnte Infekt habe im Dezember 2012 vorgelegen. Saisonal werde Ebastin bei allergischen Symptomen eingenommen. Die Bodyplethysmographie habe eine mittelgradige Überblähung gezeigt (FEV 1: 104 % des Sollwertes; FEV 1/IVC 106 % des Sollwertes).
Die ärztliche Gutachterin des Beklagten Dr. S. wertete den Befund aus und hielt für das Asthma bronchiale einen GdB von 10 für angemessen. Bezüglich der Sehbehinderung sei eine manuellkinetische Untersuchung durchzuführen. Der Beklagte veranlasste daraufhin eine Gesichtsfelduntersuchung vom 19. September 2013 durch Drs. H. Anschließend schätzte Dr. S. die Sehbehinderung am 21. Oktober 2013 mit einem GdB von 10 ein.
Mit Aufhebungsbescheid vom 29. Oktober 2013 hob der Beklagte den Bescheid vom 1. Februar 2011 mit Wirkung vom 1. Dezember 2013 auf. Hiergegen legte der Kläger am 19. November 2013 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus: Die Sehbehinderung bedürfe weiterer Aufklärung. Die Gesichtsfeldausfälle würden nicht hinreichend berücksichtigt. Betroffen sei der Bereich der unteren Hemisphäre auf dem linken Auge mit erheblichen Auswirkungen. Mehrfach im Monat habe er zudem Asthmaanfälle, die medikamentös behandelt werden müssten. Er sei wegen des Asthmas zudem auf eine Dauermedikation angewiesen. Zusammenfassend erreiche er daher einen Gesamt-GdB von 50. Wegen eines Leberschadens sei er am 14. März 2014 behandelt worden. In einem beigefügten Arztbrief hat der Facharzt für Augenheilkunde Privatdozent (PD) Dr. H. am 6. Mai 2014 ausgeführt: Beim Kläger bestehe ein unveränderter Gesichtsfelddefekt im Bereich der unteren Hemisphäre auf dem linken Auge. Dieser reiche bis zur Horizontalen. Infolge der Optikusatrophie sei die Sehschärfe auf 30 bis 40 % reduziert. Der Kläger könne daher Hindernisse, die von unten kämen, nicht erkennen. Mit allein dem linken Auge wäre der Kläger weder fahrtauglich noch in der Lage, sich sicher im Alltag zu bewegen. Diese Einschränkung werde jedoch viel über die Sehkraft des rechten Auges kompensiert. In einem weiteren Befundschein vom 12. Mai 2014 gab PD Dr. H. an: Die Befunde seien seit Jahren stabil. Seit mehreren Jahren bestehe ein Gesichtsfeldausfall. Der Visus betrage mit Korrektur 0,3 links und rechts 0,9. Binocular sei von einem Visus von 0,9 mit Korrektur auszugehen. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. B. legte einen Befund des Facharztes für Radiologie Dr. D. vom 1. April 2014 über eine Magnetresonanztomographie der Leber vom 31. März 2014 vor. Danach bestehe ein Leberhämangiom von ca. 26 mm Größe. Dr. L. gab am 28. Juli 2014 einen klinisch unauffälligen kardiopulmonalen Befund an. Das Asthma sei aktuell stabil. Im Frühjahr hätten vermehrte Beschwerden eine intensivierte Therapie erfordert. Die Bodyplethysmographie habe eine mittelgradige Überblähung gezeigt (FEV 1: 107 % des Sollwertes; FEV 1/IVC 99 % des Sollwertes). Die nächste pneumologische Kontrolle sei in acht Monaten empfohlen. Nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes holte der Beklagte nochmals die Gesichtsfeldbestimmungen von PD Dr. H. vom 19. September 2013 sowie eine aktuelle Gesichtsfeldbestimmung vom 29. Januar 2015 ein. Die ärztliche Gutachterin des Beklagten Dr. E. wertete diese Befunde aus und gab an: Aus dem Ergebnis der aktuellsten Gesichtsfeldbestimmung ergebe sich bei binokularer Betrachtung keine GdB-Erhöhung. Das Asthma bronchiale sei seit dem Jahr 2013 unverändert und mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2015 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus: Die nach Ablauf der Heilungsbewährung noch bestehenden Gesundheitsstörungen in Gestalt einer Sehminderung sowie eines Asthma bronchiale bedingten keinen GdB von mindestens 20.
Mit der am 3. März 2015 beim Sozialgericht (SG) H. erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und auf erhebliche Sehbeeinträchtigungen (linksseitig) verwiesen, die nicht ausgeglichen würden. Auch das Asthma bronchiale sei deutlich höher zu bewerten, so dass ein Gesamt-GdB von 50 erreicht werde.
Das SG hat medizinische Ermittlungen durchgeführt und Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt. PD Dr. H. hat im Befundbericht vom 15. Januar 2016 ausgeführt: Der Kläger habe seit Jahren eine Sehbeeinträchtigung des linken Auges. Der Visus mit Korrektur betrage auf dem rechten Auge – 2,75 s, - 0,75 C-Achse 93° = 0,9 und auf dem linken Auge – 2,5 s, - 0,5 C-Achse 66° = 0,3 bis 0,4. Das rechte Auge sei regelrecht, während auf dem linken Auge eine Einschränkung des Gesichtsfeldes mit Ausfall des nasal unteren Quadranten bestehe. Die Befunde seien seit Behandlungsbeginn (Januar 2009) unverändert. Dr. L. hat am 12. Februar 2016 über einen unauffälligen kardiopulmonalen Auskulationsbefund berichtet. Bei der letztmaligen Untersuchung im November 2015 hätten keine Infektionszeichen vorgelegen.
Der Beklagte hat in Auswertung der Befunde eine prüfärztliche Stellungnahme vom 15. März 2016 vorgelegt, in der der ärztliche Gutachter Dr. B. angegeben hat: Der Verlust des linken Hodens bedinge nach fehlenden Hinweisen auf ein Rezidiv keinen GdB mehr. Das Asthma bronchiale lasse bei unauffälligem Befund und einem normalen FEV1-Wert (104 %) und stabiler Einstellung keinen höheren GdB als 10 zu. Bezüglich der Sehbehinderung bestehe auf dem rechten Auge ein normnaher Befund. Linksäugig sei von einem bestmöglich korrigierten Visus von 0,4 und einem Quadrantenausfall (nasal unterer Quadrant) auszugehen, was einen GdB von maximal 10 rechtfertige. Der Gesamt-GdB betrage daher 10.
Mit Urteil vom 1. Februar 2017 hat das SG die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen den Ausführungen der Versorgungsärzte des Beklagten angeschlossen.
Das ihm am 27. März 2017 zugestellte Urteil greift der Kläger mit der am 4. April 2017 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) erhobenen Berufung an. Nach seiner Einschätzung müsse ein GdB von wenigstens 20 festgestellt werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 1. Februar 2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 29. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2015 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung und seine Bescheide für zutreffend.
Der Senat hat auf einen möglichen Anhörungsfehler hingewiesen. Der Beklagte hat daraufhin den Kläger mit Schreiben vom 10. Mai 2017 nochmals angehört.
Mit Schreiben vom 3. Juli 2017 hat der Berichterstatter die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Rechtsstreit entscheidungsreif sei und terminiert werden könne. Der Kläger hat daraufhin erstmals behauptet, seit dem Jahr 2015 an einer testikulären Unterfunktion zu leiden.
Der Senat hat deswegen Befundberichte vom Facharzt für Urologie St. vom 27. August 2017 und vom Praktischen Arzt Dr. K. vom 7. September 2017 eingeholt. Der Urologe St. hat im Jahr 2013 eine deutliche Verbesserung des Allgemeinzustandes des Klägers sowie einen stabilen guten Gesundheitszustand beschrieben. Die testikuläre Unterfunktion sei erstmals im Januar 2016 festgestellt worden. Dr. K. hat über eine akute einmalige HNO-Notfallbehandlung wegen einer Mandelentzündung am 20. August 2014 berichtet.
Der Beklagte hat in Auswertung der Befunde eine versorgungsärztliche Stellungnahme seiner Gutachterin Dr. W. vom 2. Oktober 2017 vorgelegt. Hiernach habe der Urologe über keine Funktionseinschränkungen berichtet. Die akute Tonsillitis (Gaumenmandelentzündung) stelle keine dauerhafte Funktionseinschränkung dar. Der Gesamt-GdB betrage 10.
Mit FAX-Schreiben vom 20. Oktober 2007 hat der Berichterstatter eine Ladung zur mündlichen Verhandlung für den 13. Dezember 2017 angekündigt. Nach der entsprechenden Ladungsverfügung vom 3. November 2017 hat der Berichterstatter den Beklagten am 8. November 2017 beauflagt, die vorliegenden augenärztlichen Befunde wegen einer möglichen Wechselwirkung von Visus- und Gesichtsfeldeinschränkung nochmals zu bewerten. Daraufhin hat der Beklagte vergleichsweise einen GdB von 20 vorgeschlagen und eine prüfärztliche Stellungnahme seiner Gutachterin S.-S. vom 10. November 2017 vorgelegt, die ausgeführt hat: Nach den Teil B Nr. 4.3 und 4.5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) sei die Sehbehinderung mit einem GdB von 10 zu bewerten. Das rechte Auge sei in seiner Funktion intakt. Auf dem linken Auge sei eine Optikusatrophie entstanden, die jedoch keinesfalls mit dem vollständigen Ausfall des linken Auges (GdB 30) vergleichbar sei. Wegen des Visus links von 0,3 bis 0,4 sei nach Teil B Nr. 4.3 VMG ein Einzel-GdB von 10 festzustellen. Zudem sei von einem Gesichtsfeldausfall (nur links) unterhalb des horizontalen Meridians auszugehen. Während der Augenarzt im Mai 2014 von einem Ausfall beider unterer Quadranten ausgegangen sei (nasal und temporal), habe er im Oktober 2015 angegeben, dass nur der nasale untere Quadrant betroffen sei. Nach Teil B Nr. 4.5 VMG sei der Ausfall eines oder beider unterer Quadranten nur zu berücksichtigen, wenn beide Augen betroffen seien. Dies sei beim Kläger nicht der Fall.
Am 6. Dezember 2017 hat der Kläger angekündigt, einen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) stellen zu wollen, und am 12. Dezember 2017 die Begutachtung durch den Pulmologen Dr. W. aus L. beantragt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakte beider Rechtszüge verwiesen. Diese Akten haben in der mündlichen Verhandlung und anschließenden Beratung des Senats vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte und gemäß § 143 auch statthafte Berufung ist nur zum geringen Teil begründet. Die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG vom 1. Februar 2017 verletzen den Kläger nur in dem vom Senat erkannten Ausspruch in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG).
Gegenstand des Rechtsstreits ist eine isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG gegen einen belastenden Verwaltungsakt. Dabei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide der Erlass des Widerspruchsbescheids am 17. Februar 2015 und damit die Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003, B 9 SB 6/02 R, juris).
Die angefochtenen Bescheide sind formell rechtmäßig. Insbesondere ist die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung zu einer beabsichtigten Aufhebung des GdB von 50 mit Wirkung für die Zukunft mit Schreiben vom 2. Mai 2013 und 10. Mai 2017 erfolgt.
Ihre materielle Ermächtigungsgrundlage finden die vom Kläger angefochtenen Bescheide in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Anlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Als wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes gilt, wobei dies sowohl hinsichtlich der Besserung als auch Verschlechterung anzunehmen ist, jedenfalls eine Veränderung, die es erforderlich macht, den Gesamtgrad der Behinderung um mindestens 10 anzuheben oder abzusenken.
Die Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen vor. In der Zeit zwischen Erlass des Bescheides vom 1. Februar 2011 und dem Widerspruchbescheid am 17. Februar 2015 ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen durch den Ablauf einer Heilungsbewährung eingetreten, die nicht mehr den mit Bescheid vom 1. Februar 2011 festgestellten GdB von 50, sondern ab 1. Dezember 2013 einen GdB von 20 rechtfertigt. Die Behandlungen aufgrund der Hodenkrebserkrankung waren zum Zeitpunkt des Aufhebungsbescheides bereits über zwei Jahre abgeschlossen und ein Rezidiv ist nach dem Bericht des Urologen St. nicht wieder aufgetreten. Die vom Beklagten angenommene zweijährige Heilungsbewährungszeit mit einem GdB von 50 ergibt sich dabei aus Teil B, Nr. 13.4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG). Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.
Dieser Ablauf der Heilungsbewährung stellt eine tatsächliche Veränderung im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X dar. Die Zeitdauer der Heilungsbewährung bei malignen Erkrankungen basiert auf Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft über die Gefahr des Auftretens einer Rezidiverkrankung nach der Erstbehandlung sowie der regelmäßig vorhandenen subjektiven Befürchtung vor einem Rezidiv. Die Heilungsbewährung erfasst darüber hinaus auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, der Beseitigung und der Nachbehandlung eines Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies rechtfertigt es nach der sozialmedizinischen Erfahrung, bei Krebserkrankungen zunächst nicht nur den Organverlust zu bewerten. Vielmehr ist hier zunächst für einen gewissen Zeitraum unterschiedslos der Schwerbehindertenstatus zu gewähren. Die pauschale, umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung kann jedoch nicht auf Dauer Bestand haben. Da nach der medizinischen Erfahrung, die in den VMG Ausdruck gefunden hat, nach rückfallfreiem Ablauf von zwei Jahren bei einem Seminom im Anfangsstadium mit hoher Wahrscheinlichkeit die Krebserkrankung überwunden ist, ist der GdB dann nur noch anhand der noch verbliebenen Funktionseinschränkungen zu bewerten.
Für die Feststellung des GdB anhand der noch verbliebenen Funktionseinschränkungen zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2015) ist das SGB IX maßgebend.
Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene SGB IX über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Rechtsgrundlage für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB ist § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Vorschrift knüpft materiell-rechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis zum 14. Januar 2015 geltenden Fassung des Gesetzes gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nunmehr wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der ab 15. Januar 2015 geltenden Fassung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Da auf dieser Grundalge noch keine Rechtsverordnung erlassen worden ist, gelten nach § 159 Abs. 7 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung (weiterhin) entsprechend.
Nach § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades – dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden. Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG; Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen.
Damit ist der hier streitigen Bemessung des GdB die GdS-Tabelle der VMG (Teil B) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil B, Nr. 1 a) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle die Teilhabe beeinträchtigenden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A, Nr. 2 f) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a).
Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen des Klägers ein GdB von 20 festgestellt werden. Die bei ihm nach Ablauf der Heilungsbewährung von zwei Jahren vorliegenden Funktionseinschränkungen rechtfertigen nach den eingeholten Befundberichten nebst Anlagen unter Berücksichtigung der versorgungsärztlichen Stellungnahmen zum Zeitpunkt des 1. Dezember 2013 keinen höheren GdB als 20. Die Voraussetzungen der Schwerbehinderung bzw. auch eines Gesamt-GdB von 30 verfehlt der Kläger noch deutlich.
a) Die Gesundheitsstörungen infolge der Hodenkrebsoperation sind dem Funktionssystem Geschlechtsapparat zuzuordnen und bedingen keinen GdB zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides.
Für den Verlust eines Hodens bei intaktem anderem Hoden ist nach den Teil B, Nr. 13. 2 der VMG kein GdB festzustellen, der GdB beträgt 0. Während der Heilungsbewährungszeit von zwei Jahren war wegen der Entfernung eines Seminoms im Stadium T1 bis T2 N1 MO bis T3 NO MO ein GdB von 50 festzustellen (Teil B, Nr. 13.4 VMG). Da dieser Zeitraum abgelaufen ist und, abgesehen von dem Verlust eines Hodens, keine Funktionseinschränkungen verblieben sind, ist für die überstandene Krebserkrankung kein GdB mehr festzustellen. Die erst seit Januar 2016 nachgewiesene testikuläre Unterfunktion kann schon aus zeitlichen Gründen vom Senat nicht berücksichtigt werden, da diese Funktionsstörung erstmals nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2015 aufgetreten ist.
b) Die vom Kläger geltend gemachte Sehbehinderung ist dem Funktionssystem Augen zuzuordnen. Hierfür hält der Senat einen Einzel-GdB von höchstens 20 für gerechtfertigt. Während das rechte Auge praktisch normgerecht funktioniert (Visus 0,9), hat PD Dr. H. im Befundbericht vom 15. Januar 2016 auf dem linken Auge einen Visus 0,3 bis 0,4 sowie eine Einschränkung des Gesichtsfeldes mit Ausfall des nasal unteren Quadranten festgestellt. Diese Befunde sind seit Behandlungsbeginn (Januar 2009) als unverändert anzusehen.
Nach der durchaus überzeugenden Stellungnahme der Gutachterin des Beklagten S.-S. vom 10. November 2017 ist die Sehbehinderung links nach Teil B, Nr. 4.3 und 4.5 der VMG eigentlich nur mit einem Einzel-GdB von 10 bewertbar. Wegen des eingeschränkten Visus links von 0,3 bis 0,4 ist nach Teil B, Nr. 4.3 VMG ein Einzel-GdB von 10 festzustellen. Der Gesichtsfeldausfall (links) unterhalb des horizontalen Meridians ist nach der Gutachterin S.-S. ebenfalls nur mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Während der PD Dr. H. im Mai 2014 noch von einem Ausfall beider unterer Quadranten ausgegangen sei (nasal und temporal) hat er im Oktober 2015 angegeben, dass nur der nasale untere Quadrant betroffen ist. Nach Teil B, Nr. 4.5 VMG wäre der Ausfall eines oder beider unterer Quadranten nur zu berücksichtigen, wenn beide Augen betroffen sind, was beim Kläger nicht der Fall ist. Auf der anderen Seite ist nach Auffassung des Senats zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass unter wohlwollender Betrachtung eine GdB-erhöhende Verstärkung der Funktionseinschränkung aufgrund der Visuseinschränkung einerseits und dem teilweisem Gesichtsfeldausfall anderseits des linken Auges naheliegt und eine Erhöhung des GdB für das Funktionssystem Augen rechtfertigt. Insoweit hat PD Dr. H. nachvollziehbar in seinem Bericht vom 6. Mai 2014 die Verstärkung der Sehbeeinträchtigung durch beide Einschränkungen dargestellt. Daher hält der Senat einen Einzel-GdB von 20 für das Funktionssystem Auge für angemessen. Einen Einzel-GdB von 30 verfehlt die tatsächliche Sehbehinderung des Klägers jedoch noch deutlich. Diese würde erst bei Funktionseinschränkungen vorliegen, die dem Verlust eines Auges (Teil B, Nr. 4.3 VMG) entsprechen. Eine derart gravierende Funktionseinschränkung des linken Auges liegt beim Kläger jedoch nicht vor.
c) Das von Dr. L. festgestellte Asthma bronchiale betrifft das Funktionssystem der Atmung und kann selbst bei wohlwollender Betrachtung allenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet werden.
Das Asthma bronchiale betrifft das Funktionssystem Lunge. Nach Teil B Nr. 8.5 VMG ist dabei von folgendem Bewertungsrahmen auszugehen:
Bronchialasthma
ohne dauernde Einschränkung der Lungenfunktion,
Hyperreagibilität mit seltenen (saisonalen) und/oder
leichten Anfällen ... 0 – 20
Hyperreagibilität mit häufigen (mehrmals pro Monat)
und/oder schweren Anfällen ...30 – 40
Nach den Befundberichten von Dr. L. liegt beim Kläger ein klinisch unauffälliger Lungenbefund bei einer mittelgradigen Überblähung ohne Einschränkung der Lungenfunktion vor, die jedoch einen regelmäßigen Einsatz von Symbicort erfordert. Hinweise für eine häufige oder schwere Hyperreagibilität der Lunge sind den Befunden von Dr. L. nicht zu entnehmen. Bei diesem eher unauffälligen klinischen Befund verfehlt der Kläger die Grenze eines Einzel-GdB von 30 wiederum deutlich.
Weitere Gesundheitsstörungen, die einem anderen Funktionssystem zuzuordnen sind und zumindest einen Einzelbehinderungsgrad von 10 zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids gerechtfertigt haben, sind nicht erkennbar. Das festgestellte Leberhämangiom blieb ohne funktionale Auswirkungen. Gleiches gilt für die saisonal auftretende allergische Rhinitis.
Da beim Kläger Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Gesamtbehinderungsgrad zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der VMG anzuwenden. Nach Nr. 3c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Nach Teil A, Nr. 3 ee) führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzelgrad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen und verschiedene Lebensbereiche betreffen (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2000, B 9 V 8/00 R, juris). Auch leichte Funktionsbeeinträchtigungen, die mit einem GdB von 20 bewertet werden können, führen vielfach nicht dazu, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung schließen zu können und bleiben dementsprechend für den Gesamt-GdB unbeachtlich (vgl. Teil A, Nr. 3 ee) VMG).
Die Behinderungen des Klägers im Funktionssystem Augen und Lunge weisen keine sich erhöhende Wechselwirkung auf, da sie völlig unterschiedliche Funktionssysteme betreffen. Daher kann bei beiden Behinderungen nicht auf die wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbehinderung geschlossen werden. Eine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 30 kommt vor diesem Hintergrund nicht in Betracht.
Im Übrigen widerspräche die vom Kläger zudem begehrte Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft dem nach Teil A, Nr. 3 VMG zu berücksichtigenden Gesamtmaßstab. Die Schwerbehinderteneigenschaft kann nur angenommen werden, wenn die zu berücksichtigende Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsstörungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung beeinträchtigt. Derartig schwergradige Funktionsstörungen liegen beim Kläger offenkundig nicht vor.
Dem Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG musste der Senat schon deshalb nicht folgen, weil dieser die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte (§ 109 Abs. 2 SGG), da die Streitsache nicht auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2017 hin hätte entschieden werden können. Der Antrag ist auch aus grober Nachlässigkeit nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt gestellt worden. Als angemessene Frist, innerhalb derer ein Antrag nach § 109 SGG zu stellen ist, sind vier bis maximal sechs Wochen zu verstehen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 109 Rdnr. 11 m.w.N.). Der Berichterstatter hat den rechtskundig vertretenen Kläger bereits mit Schreiben vom 3. Juli 2017 unter Fristsetzung darauf hingewiesen, dass weitere medizinische Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt sind. Nachdem der Kläger danach lediglich eine seit 2015 bestehende testikuläre Unterfunktion behauptet, jedoch keinen Antrag nach § 109 SGG gestellt hatte, war die Frist des § 109 Abs. 2 SGG bei sorgfältiger Prozessführung spätestens ab Mitte August 2017 verstrichen. Nachdem der Senat weitere Befunde eingeholt hatte, die eine testikuläre Unterfunktion erst seit Januar 2016 bestätigt haben, hat der Berichterstatter den Kläger per Fax-Schreiben vom 20. Oktober 2017 auf die beabsichtigte Terminierung für den 13. Dezember 2017 hingewiesen. Auch nach Zugang dieses Schreibens hat der Kläger nicht unverzüglich den nach § 109 SGG zu hörenden Gutachter benannt. Dies begründet den Vorwurf eines grob nachlässig gestellten Antrages gemäß § 109 SGG (vgl. z.B. das Urteil des LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19. Mai 2015, L 3 R 434/12, juris). Tatsächlich ist der Antrag des Klägers vollständig erst am 12. Dezember 2017, d.h. unmittelbar vor dem Termin bei Gericht eingegangen und war damit gemäß § 109 Abs. 2 SGG abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt dabei den Teilerfolg des Klägers.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger ein Fünftel der notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) nach Ablauf der Heilungsbewährung.
Der am ... 1968 geborene Kläger beantragte am 8. Dezember 2010 die Feststellung von Behinderungen nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) und die Ausstellung eines Ausweises. Er gab an, unter einem Hodentumor (links) sowie unter Asthma zu leiden. Der Beklagte holte von dem Facharzt für Urologie St. und der Fachärztin für Innere Medizin/Pneumologie Dr. L. Befundscheine ein. Der Urologe St. diagnostizierte ein Seminom pT1 cNO LO VO RO SO Stadium I. Die Erstdiagnose eines Hodentumors links bestehe seit 18. November 2010. Die operative Entfernung sei am 24. November 2010 und die Chemotherapie am 14. Dezember 2010 erfolgt. Dr. L. diagnostizierte ein Asthma bronchiale sowie eine allergische Rhinitis (Nasenschleimhautentzündung) ohne Hinweise auf eine Ventilationsstörung. Daraufhin stellte der Beklagte nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes mit Bescheid vom 1. Februar 2011 einen GdB von 50 ab 8. Dezember 2010 fest. Der Ablauf der Heilungsbewährung ende im Oktober 2012.
Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens ab Januar 2013 holte der Beklagte Befundscheine der den Kläger behandelnden Ärzte ein. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. B. hat über zwei Sonographien des Abdomens vom 11. Januar und 7. Mai 2012 berichtet. Der Urologe St. gab im Februar 2013 an, dass kein Rezidiv aufgetreten und der Allgemeinzustand des Klägers gut sei. Dr. L. berichtete am 25. März 2013 über ein stabiles Asthma unter Medikation von Symbicort. Aktuell trete weder Husten noch Luftnot auf. Nach der Bodyplethysmographie habe eine mittelgradige Überblähung vorgelegen (FEV 1: 112 % des Sollwertes; FEV 1/IVC 110 % des Sollwertes).
In Auswertung der Befunde sprach sich der Versorgungsarzt Dr. H. für einen GdB von 0 aus. Daraufhin hörte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 2. Mai 2013 zum beabsichtigten Erlass eines Aufhebungsbescheides nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) an, da nach Ablauf der vorgesehenen Zeit der Heilungsbewährung der GdB nur noch nach der tatsächlich bestehenden Beeinträchtigung zu beurteilen sei. Hinsichtlich der Funktionsbeeinträchtigung "Verlust des linken Hodens" sei die vorgesehene Zeit der Heilungsbewährung abgelaufen. Insoweit sei eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten. Der maßgebliche Feststellungsbescheid solle wie folgt geändert werden: "Herabsetzung des GdB auf 0".
Am 29. April 2013 gab der Kläger an, er leide u.a. an Durchblutungsstörungen des linken Sehnervs mit einem Gesichtsfeldausfall.
Der Beklagte holte einen Befundschein von den Fachärzten für Augenheilkunde Drs. H. vom 30. Mai 2013 ein. Hiernach liege der Visus rechts bei 0,9 und links bei 0,5. Binocular liege ein Visus mit optimaler Korrektur von 0,9 vor. Außerdem liege ein Gesichtsfeldausfall vor, der aus der beigelegten Gesichtsfeldbestimmung erkennbar sei. Dr. L. gab in einem weiteren Befundschein vom 30. Juli 2013 an: Das Asthma sei bei regelmäßiger Dauertherapie mit Symbicort gut kontrolliert und die Lungenfunktion stabil. Aktuell bestehe kein Infekt. Der letzte ausgedehnte Infekt habe im Dezember 2012 vorgelegen. Saisonal werde Ebastin bei allergischen Symptomen eingenommen. Die Bodyplethysmographie habe eine mittelgradige Überblähung gezeigt (FEV 1: 104 % des Sollwertes; FEV 1/IVC 106 % des Sollwertes).
Die ärztliche Gutachterin des Beklagten Dr. S. wertete den Befund aus und hielt für das Asthma bronchiale einen GdB von 10 für angemessen. Bezüglich der Sehbehinderung sei eine manuellkinetische Untersuchung durchzuführen. Der Beklagte veranlasste daraufhin eine Gesichtsfelduntersuchung vom 19. September 2013 durch Drs. H. Anschließend schätzte Dr. S. die Sehbehinderung am 21. Oktober 2013 mit einem GdB von 10 ein.
Mit Aufhebungsbescheid vom 29. Oktober 2013 hob der Beklagte den Bescheid vom 1. Februar 2011 mit Wirkung vom 1. Dezember 2013 auf. Hiergegen legte der Kläger am 19. November 2013 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus: Die Sehbehinderung bedürfe weiterer Aufklärung. Die Gesichtsfeldausfälle würden nicht hinreichend berücksichtigt. Betroffen sei der Bereich der unteren Hemisphäre auf dem linken Auge mit erheblichen Auswirkungen. Mehrfach im Monat habe er zudem Asthmaanfälle, die medikamentös behandelt werden müssten. Er sei wegen des Asthmas zudem auf eine Dauermedikation angewiesen. Zusammenfassend erreiche er daher einen Gesamt-GdB von 50. Wegen eines Leberschadens sei er am 14. März 2014 behandelt worden. In einem beigefügten Arztbrief hat der Facharzt für Augenheilkunde Privatdozent (PD) Dr. H. am 6. Mai 2014 ausgeführt: Beim Kläger bestehe ein unveränderter Gesichtsfelddefekt im Bereich der unteren Hemisphäre auf dem linken Auge. Dieser reiche bis zur Horizontalen. Infolge der Optikusatrophie sei die Sehschärfe auf 30 bis 40 % reduziert. Der Kläger könne daher Hindernisse, die von unten kämen, nicht erkennen. Mit allein dem linken Auge wäre der Kläger weder fahrtauglich noch in der Lage, sich sicher im Alltag zu bewegen. Diese Einschränkung werde jedoch viel über die Sehkraft des rechten Auges kompensiert. In einem weiteren Befundschein vom 12. Mai 2014 gab PD Dr. H. an: Die Befunde seien seit Jahren stabil. Seit mehreren Jahren bestehe ein Gesichtsfeldausfall. Der Visus betrage mit Korrektur 0,3 links und rechts 0,9. Binocular sei von einem Visus von 0,9 mit Korrektur auszugehen. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. B. legte einen Befund des Facharztes für Radiologie Dr. D. vom 1. April 2014 über eine Magnetresonanztomographie der Leber vom 31. März 2014 vor. Danach bestehe ein Leberhämangiom von ca. 26 mm Größe. Dr. L. gab am 28. Juli 2014 einen klinisch unauffälligen kardiopulmonalen Befund an. Das Asthma sei aktuell stabil. Im Frühjahr hätten vermehrte Beschwerden eine intensivierte Therapie erfordert. Die Bodyplethysmographie habe eine mittelgradige Überblähung gezeigt (FEV 1: 107 % des Sollwertes; FEV 1/IVC 99 % des Sollwertes). Die nächste pneumologische Kontrolle sei in acht Monaten empfohlen. Nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes holte der Beklagte nochmals die Gesichtsfeldbestimmungen von PD Dr. H. vom 19. September 2013 sowie eine aktuelle Gesichtsfeldbestimmung vom 29. Januar 2015 ein. Die ärztliche Gutachterin des Beklagten Dr. E. wertete diese Befunde aus und gab an: Aus dem Ergebnis der aktuellsten Gesichtsfeldbestimmung ergebe sich bei binokularer Betrachtung keine GdB-Erhöhung. Das Asthma bronchiale sei seit dem Jahr 2013 unverändert und mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2015 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus: Die nach Ablauf der Heilungsbewährung noch bestehenden Gesundheitsstörungen in Gestalt einer Sehminderung sowie eines Asthma bronchiale bedingten keinen GdB von mindestens 20.
Mit der am 3. März 2015 beim Sozialgericht (SG) H. erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und auf erhebliche Sehbeeinträchtigungen (linksseitig) verwiesen, die nicht ausgeglichen würden. Auch das Asthma bronchiale sei deutlich höher zu bewerten, so dass ein Gesamt-GdB von 50 erreicht werde.
Das SG hat medizinische Ermittlungen durchgeführt und Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt. PD Dr. H. hat im Befundbericht vom 15. Januar 2016 ausgeführt: Der Kläger habe seit Jahren eine Sehbeeinträchtigung des linken Auges. Der Visus mit Korrektur betrage auf dem rechten Auge – 2,75 s, - 0,75 C-Achse 93° = 0,9 und auf dem linken Auge – 2,5 s, - 0,5 C-Achse 66° = 0,3 bis 0,4. Das rechte Auge sei regelrecht, während auf dem linken Auge eine Einschränkung des Gesichtsfeldes mit Ausfall des nasal unteren Quadranten bestehe. Die Befunde seien seit Behandlungsbeginn (Januar 2009) unverändert. Dr. L. hat am 12. Februar 2016 über einen unauffälligen kardiopulmonalen Auskulationsbefund berichtet. Bei der letztmaligen Untersuchung im November 2015 hätten keine Infektionszeichen vorgelegen.
Der Beklagte hat in Auswertung der Befunde eine prüfärztliche Stellungnahme vom 15. März 2016 vorgelegt, in der der ärztliche Gutachter Dr. B. angegeben hat: Der Verlust des linken Hodens bedinge nach fehlenden Hinweisen auf ein Rezidiv keinen GdB mehr. Das Asthma bronchiale lasse bei unauffälligem Befund und einem normalen FEV1-Wert (104 %) und stabiler Einstellung keinen höheren GdB als 10 zu. Bezüglich der Sehbehinderung bestehe auf dem rechten Auge ein normnaher Befund. Linksäugig sei von einem bestmöglich korrigierten Visus von 0,4 und einem Quadrantenausfall (nasal unterer Quadrant) auszugehen, was einen GdB von maximal 10 rechtfertige. Der Gesamt-GdB betrage daher 10.
Mit Urteil vom 1. Februar 2017 hat das SG die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen den Ausführungen der Versorgungsärzte des Beklagten angeschlossen.
Das ihm am 27. März 2017 zugestellte Urteil greift der Kläger mit der am 4. April 2017 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) erhobenen Berufung an. Nach seiner Einschätzung müsse ein GdB von wenigstens 20 festgestellt werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 1. Februar 2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 29. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2015 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung und seine Bescheide für zutreffend.
Der Senat hat auf einen möglichen Anhörungsfehler hingewiesen. Der Beklagte hat daraufhin den Kläger mit Schreiben vom 10. Mai 2017 nochmals angehört.
Mit Schreiben vom 3. Juli 2017 hat der Berichterstatter die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Rechtsstreit entscheidungsreif sei und terminiert werden könne. Der Kläger hat daraufhin erstmals behauptet, seit dem Jahr 2015 an einer testikulären Unterfunktion zu leiden.
Der Senat hat deswegen Befundberichte vom Facharzt für Urologie St. vom 27. August 2017 und vom Praktischen Arzt Dr. K. vom 7. September 2017 eingeholt. Der Urologe St. hat im Jahr 2013 eine deutliche Verbesserung des Allgemeinzustandes des Klägers sowie einen stabilen guten Gesundheitszustand beschrieben. Die testikuläre Unterfunktion sei erstmals im Januar 2016 festgestellt worden. Dr. K. hat über eine akute einmalige HNO-Notfallbehandlung wegen einer Mandelentzündung am 20. August 2014 berichtet.
Der Beklagte hat in Auswertung der Befunde eine versorgungsärztliche Stellungnahme seiner Gutachterin Dr. W. vom 2. Oktober 2017 vorgelegt. Hiernach habe der Urologe über keine Funktionseinschränkungen berichtet. Die akute Tonsillitis (Gaumenmandelentzündung) stelle keine dauerhafte Funktionseinschränkung dar. Der Gesamt-GdB betrage 10.
Mit FAX-Schreiben vom 20. Oktober 2007 hat der Berichterstatter eine Ladung zur mündlichen Verhandlung für den 13. Dezember 2017 angekündigt. Nach der entsprechenden Ladungsverfügung vom 3. November 2017 hat der Berichterstatter den Beklagten am 8. November 2017 beauflagt, die vorliegenden augenärztlichen Befunde wegen einer möglichen Wechselwirkung von Visus- und Gesichtsfeldeinschränkung nochmals zu bewerten. Daraufhin hat der Beklagte vergleichsweise einen GdB von 20 vorgeschlagen und eine prüfärztliche Stellungnahme seiner Gutachterin S.-S. vom 10. November 2017 vorgelegt, die ausgeführt hat: Nach den Teil B Nr. 4.3 und 4.5 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) sei die Sehbehinderung mit einem GdB von 10 zu bewerten. Das rechte Auge sei in seiner Funktion intakt. Auf dem linken Auge sei eine Optikusatrophie entstanden, die jedoch keinesfalls mit dem vollständigen Ausfall des linken Auges (GdB 30) vergleichbar sei. Wegen des Visus links von 0,3 bis 0,4 sei nach Teil B Nr. 4.3 VMG ein Einzel-GdB von 10 festzustellen. Zudem sei von einem Gesichtsfeldausfall (nur links) unterhalb des horizontalen Meridians auszugehen. Während der Augenarzt im Mai 2014 von einem Ausfall beider unterer Quadranten ausgegangen sei (nasal und temporal), habe er im Oktober 2015 angegeben, dass nur der nasale untere Quadrant betroffen sei. Nach Teil B Nr. 4.5 VMG sei der Ausfall eines oder beider unterer Quadranten nur zu berücksichtigen, wenn beide Augen betroffen seien. Dies sei beim Kläger nicht der Fall.
Am 6. Dezember 2017 hat der Kläger angekündigt, einen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) stellen zu wollen, und am 12. Dezember 2017 die Begutachtung durch den Pulmologen Dr. W. aus L. beantragt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakte beider Rechtszüge verwiesen. Diese Akten haben in der mündlichen Verhandlung und anschließenden Beratung des Senats vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte und gemäß § 143 auch statthafte Berufung ist nur zum geringen Teil begründet. Die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG vom 1. Februar 2017 verletzen den Kläger nur in dem vom Senat erkannten Ausspruch in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG).
Gegenstand des Rechtsstreits ist eine isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG gegen einen belastenden Verwaltungsakt. Dabei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide der Erlass des Widerspruchsbescheids am 17. Februar 2015 und damit die Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003, B 9 SB 6/02 R, juris).
Die angefochtenen Bescheide sind formell rechtmäßig. Insbesondere ist die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung zu einer beabsichtigten Aufhebung des GdB von 50 mit Wirkung für die Zukunft mit Schreiben vom 2. Mai 2013 und 10. Mai 2017 erfolgt.
Ihre materielle Ermächtigungsgrundlage finden die vom Kläger angefochtenen Bescheide in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Anlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Als wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes gilt, wobei dies sowohl hinsichtlich der Besserung als auch Verschlechterung anzunehmen ist, jedenfalls eine Veränderung, die es erforderlich macht, den Gesamtgrad der Behinderung um mindestens 10 anzuheben oder abzusenken.
Die Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen vor. In der Zeit zwischen Erlass des Bescheides vom 1. Februar 2011 und dem Widerspruchbescheid am 17. Februar 2015 ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen durch den Ablauf einer Heilungsbewährung eingetreten, die nicht mehr den mit Bescheid vom 1. Februar 2011 festgestellten GdB von 50, sondern ab 1. Dezember 2013 einen GdB von 20 rechtfertigt. Die Behandlungen aufgrund der Hodenkrebserkrankung waren zum Zeitpunkt des Aufhebungsbescheides bereits über zwei Jahre abgeschlossen und ein Rezidiv ist nach dem Bericht des Urologen St. nicht wieder aufgetreten. Die vom Beklagten angenommene zweijährige Heilungsbewährungszeit mit einem GdB von 50 ergibt sich dabei aus Teil B, Nr. 13.4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG). Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.
Dieser Ablauf der Heilungsbewährung stellt eine tatsächliche Veränderung im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X dar. Die Zeitdauer der Heilungsbewährung bei malignen Erkrankungen basiert auf Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft über die Gefahr des Auftretens einer Rezidiverkrankung nach der Erstbehandlung sowie der regelmäßig vorhandenen subjektiven Befürchtung vor einem Rezidiv. Die Heilungsbewährung erfasst darüber hinaus auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, der Beseitigung und der Nachbehandlung eines Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies rechtfertigt es nach der sozialmedizinischen Erfahrung, bei Krebserkrankungen zunächst nicht nur den Organverlust zu bewerten. Vielmehr ist hier zunächst für einen gewissen Zeitraum unterschiedslos der Schwerbehindertenstatus zu gewähren. Die pauschale, umfassende Berücksichtigung körperlicher und seelischer Auswirkungen der Erkrankung kann jedoch nicht auf Dauer Bestand haben. Da nach der medizinischen Erfahrung, die in den VMG Ausdruck gefunden hat, nach rückfallfreiem Ablauf von zwei Jahren bei einem Seminom im Anfangsstadium mit hoher Wahrscheinlichkeit die Krebserkrankung überwunden ist, ist der GdB dann nur noch anhand der noch verbliebenen Funktionseinschränkungen zu bewerten.
Für die Feststellung des GdB anhand der noch verbliebenen Funktionseinschränkungen zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2015) ist das SGB IX maßgebend.
Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene SGB IX über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Rechtsgrundlage für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB ist § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Vorschrift knüpft materiell-rechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis zum 14. Januar 2015 geltenden Fassung des Gesetzes gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nunmehr wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der ab 15. Januar 2015 geltenden Fassung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Da auf dieser Grundalge noch keine Rechtsverordnung erlassen worden ist, gelten nach § 159 Abs. 7 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung (weiterhin) entsprechend.
Nach § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades – dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden. Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG; Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen.
Damit ist der hier streitigen Bemessung des GdB die GdS-Tabelle der VMG (Teil B) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil B, Nr. 1 a) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle die Teilhabe beeinträchtigenden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A, Nr. 2 f) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a).
Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen des Klägers ein GdB von 20 festgestellt werden. Die bei ihm nach Ablauf der Heilungsbewährung von zwei Jahren vorliegenden Funktionseinschränkungen rechtfertigen nach den eingeholten Befundberichten nebst Anlagen unter Berücksichtigung der versorgungsärztlichen Stellungnahmen zum Zeitpunkt des 1. Dezember 2013 keinen höheren GdB als 20. Die Voraussetzungen der Schwerbehinderung bzw. auch eines Gesamt-GdB von 30 verfehlt der Kläger noch deutlich.
a) Die Gesundheitsstörungen infolge der Hodenkrebsoperation sind dem Funktionssystem Geschlechtsapparat zuzuordnen und bedingen keinen GdB zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides.
Für den Verlust eines Hodens bei intaktem anderem Hoden ist nach den Teil B, Nr. 13. 2 der VMG kein GdB festzustellen, der GdB beträgt 0. Während der Heilungsbewährungszeit von zwei Jahren war wegen der Entfernung eines Seminoms im Stadium T1 bis T2 N1 MO bis T3 NO MO ein GdB von 50 festzustellen (Teil B, Nr. 13.4 VMG). Da dieser Zeitraum abgelaufen ist und, abgesehen von dem Verlust eines Hodens, keine Funktionseinschränkungen verblieben sind, ist für die überstandene Krebserkrankung kein GdB mehr festzustellen. Die erst seit Januar 2016 nachgewiesene testikuläre Unterfunktion kann schon aus zeitlichen Gründen vom Senat nicht berücksichtigt werden, da diese Funktionsstörung erstmals nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 2015 aufgetreten ist.
b) Die vom Kläger geltend gemachte Sehbehinderung ist dem Funktionssystem Augen zuzuordnen. Hierfür hält der Senat einen Einzel-GdB von höchstens 20 für gerechtfertigt. Während das rechte Auge praktisch normgerecht funktioniert (Visus 0,9), hat PD Dr. H. im Befundbericht vom 15. Januar 2016 auf dem linken Auge einen Visus 0,3 bis 0,4 sowie eine Einschränkung des Gesichtsfeldes mit Ausfall des nasal unteren Quadranten festgestellt. Diese Befunde sind seit Behandlungsbeginn (Januar 2009) als unverändert anzusehen.
Nach der durchaus überzeugenden Stellungnahme der Gutachterin des Beklagten S.-S. vom 10. November 2017 ist die Sehbehinderung links nach Teil B, Nr. 4.3 und 4.5 der VMG eigentlich nur mit einem Einzel-GdB von 10 bewertbar. Wegen des eingeschränkten Visus links von 0,3 bis 0,4 ist nach Teil B, Nr. 4.3 VMG ein Einzel-GdB von 10 festzustellen. Der Gesichtsfeldausfall (links) unterhalb des horizontalen Meridians ist nach der Gutachterin S.-S. ebenfalls nur mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Während der PD Dr. H. im Mai 2014 noch von einem Ausfall beider unterer Quadranten ausgegangen sei (nasal und temporal) hat er im Oktober 2015 angegeben, dass nur der nasale untere Quadrant betroffen ist. Nach Teil B, Nr. 4.5 VMG wäre der Ausfall eines oder beider unterer Quadranten nur zu berücksichtigen, wenn beide Augen betroffen sind, was beim Kläger nicht der Fall ist. Auf der anderen Seite ist nach Auffassung des Senats zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass unter wohlwollender Betrachtung eine GdB-erhöhende Verstärkung der Funktionseinschränkung aufgrund der Visuseinschränkung einerseits und dem teilweisem Gesichtsfeldausfall anderseits des linken Auges naheliegt und eine Erhöhung des GdB für das Funktionssystem Augen rechtfertigt. Insoweit hat PD Dr. H. nachvollziehbar in seinem Bericht vom 6. Mai 2014 die Verstärkung der Sehbeeinträchtigung durch beide Einschränkungen dargestellt. Daher hält der Senat einen Einzel-GdB von 20 für das Funktionssystem Auge für angemessen. Einen Einzel-GdB von 30 verfehlt die tatsächliche Sehbehinderung des Klägers jedoch noch deutlich. Diese würde erst bei Funktionseinschränkungen vorliegen, die dem Verlust eines Auges (Teil B, Nr. 4.3 VMG) entsprechen. Eine derart gravierende Funktionseinschränkung des linken Auges liegt beim Kläger jedoch nicht vor.
c) Das von Dr. L. festgestellte Asthma bronchiale betrifft das Funktionssystem der Atmung und kann selbst bei wohlwollender Betrachtung allenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet werden.
Das Asthma bronchiale betrifft das Funktionssystem Lunge. Nach Teil B Nr. 8.5 VMG ist dabei von folgendem Bewertungsrahmen auszugehen:
Bronchialasthma
ohne dauernde Einschränkung der Lungenfunktion,
Hyperreagibilität mit seltenen (saisonalen) und/oder
leichten Anfällen ... 0 – 20
Hyperreagibilität mit häufigen (mehrmals pro Monat)
und/oder schweren Anfällen ...30 – 40
Nach den Befundberichten von Dr. L. liegt beim Kläger ein klinisch unauffälliger Lungenbefund bei einer mittelgradigen Überblähung ohne Einschränkung der Lungenfunktion vor, die jedoch einen regelmäßigen Einsatz von Symbicort erfordert. Hinweise für eine häufige oder schwere Hyperreagibilität der Lunge sind den Befunden von Dr. L. nicht zu entnehmen. Bei diesem eher unauffälligen klinischen Befund verfehlt der Kläger die Grenze eines Einzel-GdB von 30 wiederum deutlich.
Weitere Gesundheitsstörungen, die einem anderen Funktionssystem zuzuordnen sind und zumindest einen Einzelbehinderungsgrad von 10 zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids gerechtfertigt haben, sind nicht erkennbar. Das festgestellte Leberhämangiom blieb ohne funktionale Auswirkungen. Gleiches gilt für die saisonal auftretende allergische Rhinitis.
Da beim Kläger Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Gesamtbehinderungsgrad zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der VMG anzuwenden. Nach Nr. 3c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Nach Teil A, Nr. 3 ee) führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzelgrad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen und verschiedene Lebensbereiche betreffen (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2000, B 9 V 8/00 R, juris). Auch leichte Funktionsbeeinträchtigungen, die mit einem GdB von 20 bewertet werden können, führen vielfach nicht dazu, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung schließen zu können und bleiben dementsprechend für den Gesamt-GdB unbeachtlich (vgl. Teil A, Nr. 3 ee) VMG).
Die Behinderungen des Klägers im Funktionssystem Augen und Lunge weisen keine sich erhöhende Wechselwirkung auf, da sie völlig unterschiedliche Funktionssysteme betreffen. Daher kann bei beiden Behinderungen nicht auf die wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbehinderung geschlossen werden. Eine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 30 kommt vor diesem Hintergrund nicht in Betracht.
Im Übrigen widerspräche die vom Kläger zudem begehrte Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft dem nach Teil A, Nr. 3 VMG zu berücksichtigenden Gesamtmaßstab. Die Schwerbehinderteneigenschaft kann nur angenommen werden, wenn die zu berücksichtigende Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsstörungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwer wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung beeinträchtigt. Derartig schwergradige Funktionsstörungen liegen beim Kläger offenkundig nicht vor.
Dem Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG musste der Senat schon deshalb nicht folgen, weil dieser die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte (§ 109 Abs. 2 SGG), da die Streitsache nicht auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2017 hin hätte entschieden werden können. Der Antrag ist auch aus grober Nachlässigkeit nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt gestellt worden. Als angemessene Frist, innerhalb derer ein Antrag nach § 109 SGG zu stellen ist, sind vier bis maximal sechs Wochen zu verstehen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 109 Rdnr. 11 m.w.N.). Der Berichterstatter hat den rechtskundig vertretenen Kläger bereits mit Schreiben vom 3. Juli 2017 unter Fristsetzung darauf hingewiesen, dass weitere medizinische Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt sind. Nachdem der Kläger danach lediglich eine seit 2015 bestehende testikuläre Unterfunktion behauptet, jedoch keinen Antrag nach § 109 SGG gestellt hatte, war die Frist des § 109 Abs. 2 SGG bei sorgfältiger Prozessführung spätestens ab Mitte August 2017 verstrichen. Nachdem der Senat weitere Befunde eingeholt hatte, die eine testikuläre Unterfunktion erst seit Januar 2016 bestätigt haben, hat der Berichterstatter den Kläger per Fax-Schreiben vom 20. Oktober 2017 auf die beabsichtigte Terminierung für den 13. Dezember 2017 hingewiesen. Auch nach Zugang dieses Schreibens hat der Kläger nicht unverzüglich den nach § 109 SGG zu hörenden Gutachter benannt. Dies begründet den Vorwurf eines grob nachlässig gestellten Antrages gemäß § 109 SGG (vgl. z.B. das Urteil des LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19. Mai 2015, L 3 R 434/12, juris). Tatsächlich ist der Antrag des Klägers vollständig erst am 12. Dezember 2017, d.h. unmittelbar vor dem Termin bei Gericht eingegangen und war damit gemäß § 109 Abs. 2 SGG abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt dabei den Teilerfolg des Klägers.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.
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