L 11 EG 4373/02

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 5 EG 3055/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 EG 4373/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 EG 2/03 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Anwendung der sog. Kleinbetragsregelungdes § 5 Abs. 4 Satz 3 BErzGG führt zum Ausschluss der Wahl des Budgets nach § 5 Abs. 1 BErzGG.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. September 2002 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtzügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung höheren Erziehungsgeldes (EG) im Sinne des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) für die ersten 6 Monate der am 2001 geborenen F. R. Sch.im Rahmen der Budgetregelung.

Die 1967 geborene Klägerin ist die Mutter von F. R. Sch. Sie beantragte am 11.12.2001 ihr für das erste Lebensjahr ihrer Tochter EG im Rahmen der Budgetregelung zu gewähren.

Auf der Grundlage der vorgelegten Verdienstbescheinigung des Arbeitsgebers ihres Ehemannes und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin noch zwei weitere Kinder, für die sie Kindergeld bezieht, hat, bewilligte die Beklagte EG für die ersten 6 Monate des Kindes in Höhe von monatlich 306,78 EUR. Im übrigen lehnte sie den Antrag auf EG nach der Budgetregelung ab, da das bei der Klägerin anzurechnende Einkommen die ab dem 7. Lebensmonat maßgebliche Einkommensgrenze übersteige. Die Differenz zwischen dem Höchstsatz des EG von DM 900,- und dem aufgrund des Einkommens errechneten Minderungsbetrags von DM 880,99 betrage zwar nur DM 19,01. Beträge von weniger als 20,- DM monatlich würden nach § 5 Abs. 4 Satz 3 BErzGG jedoch nicht gezahlt, so dass sich das monatliche EG auf 0,00 DM belaufe (Bescheid vom 02.01.2002).

Ihren dagegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin im wesentlichen damit, dass die Budgetregelung nur dann nicht möglich sei, wenn wegen Überschreitung der Einkommensgrenze das EG ab dem 7. Lebensmonat entfalle. Dies sei bei ihr nicht der Fall. Bei der Berechnung des EG ergebe sich ein positiver Betrag von DM 19,01 für die Zeit ab dem 7. Lebensmonat, dieser Betrag komme lediglich wegen der Kleinbetragsregelung nach § 5 Abs. 4 Satz 3 BErzGG nicht zur Auszahlung. Diese Kleinbetragregelung sei im Rahmen der Inanspruchnahme der Budgetregelung nicht anzuwenden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.06.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, es sei unerheblich, ob sich bereits rein rechnerisch gem. § 5 Abs. 3 BErzGG kein Erziehungsgeldanspruch ergebe oder ob wegen Unterschreitung des Mindestauszahlungsbetrags nach § 5 Abs. 4 Satz 3 BErzGG kein Erziehungsgeldanspruch bestanden habe. Wegen Überschreitung der Einkommensgrenzen könne EG nur für die ersten sechs Lebensmonate bewilligt werden, so dass gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 BErzGG das Budget auch in den ersten Lebensmonaten entfalle und nur die Regelleistung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BErzGG bewilligt werden könne.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) mit der Begründung, dass nach dem eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 2 BErzGG das Budget nur dann entfalle, soweit EG allein wegen der Einkommensgrenzen nach Abs. 2 nur für die ersten sechs Lebensmonate möglich sei. Die Kleinbetragsregelung des § 5 Abs. 4 BErzGG sei in diesem Zusammenhang nicht anwendbar. Die von der Beklagten vorgenommene Gesetzesanwendung überschreite die Grenzen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Kleinbetragsregelung, die darin zu sehen sei, dass Verwaltungsaufwand mit der Auszahlung von kleinen Beträgen vermieden werden solle.

Die Beklagte brachte dagegen vor, die Verweisung in § 5 Abs. 1 Satz 2 BErzGG sei zumindest ungenau wenn nicht unvollständig. Tatsächlich sei § 5 Abs. 2 BErzGG in Zusammenhang mit § 5 Abs. 3 und § 5 Abs. 4 BErzGG zu sehen. Nur im Zusammenspiel dieser drei Absätze könne die maßgebliche Einkommensgrenze für EG ab dem 7. Lebensmonat errechnet werden. Diese Auslegung finde auch eine Stütze in der Systematik der Novellierung des BErzGG. Die Einführung der Budgetregelung habe die Anpassung des EG an bestimmte Fallkonstellationen ermöglichen sollen. Eine schlichte Erhöhung des EG sei damit nicht beabsichtigt gewesen. Im übrigen sei die Gewährung von EG nur dann "möglich", wenn hierauf ein Anspruch bestehe. Ein Anspruch liege jedoch nur dann vor, wenn die Klägerin ein Tun oder Unterlassen verlangen könne, dies könne sie für den Zeitraum ab dem 7. Lebensmonat jedoch unstreitig nicht, so dass sie auch keinen Anspruch auf EG habe. Nicht zuletzt entspreche die Rechtsanwendung auch der in den Richtlinien zum BErzGG vorgeschriebenen Verwaltungspraxis.

Mit Urteil vom 30.09.2002, der Beklagten zugestellt am 14.10.2002, verurteilte das SG die Beklagte der Klägerin antragsgemäß weiteres EG in Höhe von insgesamt 920,28 EUR zu zahlen. Die Kleinbetragsregelung sei in diesem Zusammenhang nach dem eindeutigen Wortlaut nicht anwendbar. § 5 Abs. 1 Satz 2 verweise hinsichtlich des Ausschlusses der Budgetleistung allein auf die Einkommensgrenzen in § 5 Abs. 2 BERZGG. Das Unterschreiten der Kleinbetragsgrenze berühre nicht den materiell rechtlichen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von EG auch für die Zeitspanne vom 7. bis zum 12. Lebensmonat ihrer Tochter. Die für die Anwendung der Kleinbetragsregelung maßgebenden "verwaltungsökonomischen Gründe" ließen sich vorliegend bezüglich der erhöhten budgetierten EG- Leistungen nicht erreichen, denn der Verwaltungsaufwand der Beklagten für die Auszahlung des EG für die ersten sechs Lebensmonate der Tochter der Klägerin bleibe - unabhängig von der Höhe des zu gewährenden EG - unverändert. Die von der Beklagten vorgelegten bundesweit einheitlichen Richtlinien zum BErzGG seien als bloße Verwaltungsinterna für die Gerichte des Sozialgerichtsbarkeit nicht verbindlich.

Hiergegen hat die Beklagte am 07.11.2002 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, dass SG habe die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 2 BErzGG unzutreffend ausgelegt. Zur Bestimmung der maßgeblichen Einkommensgrenze sei nicht nur § 5 Abs. 2 BErzGG, sondern auch § 5 Abs. 3 BErzGG und § 5 Abs. 4 Satz 3 BerzGG heranzuziehen. Die Norm sei dahingehend auszulegen, dass derjenige, der im 7. Lebensmonat kein EG mehr erhalte, weil er zu viel verdiene, Budget nicht solle wählen dürfen. Für diese Auslegung spreche die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, der mutmaßliche Wille des Gesetzgebers und die Systematik des BErzGG.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. September 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin stützt sich auf die Rechtsauffassung des SG.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Bescheide der Beklagten abgeändert und sie zur Gewährung weiteren EG’s in Höhe von insgesamt 920,28 EUR verurteilt, denn die Beklagte hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin für die ersten sechs Lebensmonate der am 02.08.2001 geborenen F. R. EG lediglich in Höhe von monatlich 306,78 EUR zustand, weil der Klägerin ab dem 7. Lebensmonat ihrer Tochter unter Anwendung der Kleinbetragsregelung kein EG mehr zu gewähren war, so dass die Budgetregelung keine Anwendung finden konnte.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von EG und die Berechnung des EG sind im Urteil des SG zutreffend dargestellt. Darauf wird verwiesen.

Danach verhält es sich - was nicht im Streit ist - so, dass sich aufgrund der Einkommensverhältnisse der Klägerin und ihrer Familie ab dem 7. Lebensmonat von F. R. lediglich ein monatliches EG von DM 19,01 errechnete. Diesen Betrag hat die Beklagte, was von der Klägerin auch nicht beanstandet wird, im Rahmen der sog. Kleinbetragsregelung (§ 5 Abs. 4 Satz 3 BErzGG) zu Recht nicht zur Auszahlung gebracht.

Diese Tatsachen führen nach Auffassung des Senats nunmehr aber dazu, dass die Klägerin für die ersten sechs Lebensmonate ihrer Tochter F. R. lediglich EG in Höhe von DM 600,- bzw. 306,78 EUR monatlich beanspruchen kann. Die Budgetregelung kann von ihr nicht gewählt werden.

Ursächlich hierfür ist, dass nach der Rechtsauffassung des Senats die Kleinbetragsregelung des § 5 Abs. 4 Satz 3 BErzGG und die sich daraus ergebende Nichtauszahlung des EG auch im Rahmen des § 5 Abs. 1 BErzGG zu berücksichtigen ist. Die Anwendung der Kleinbetragsregelung auch im Rahmen des § 5 Abs. 1 BErzGG scheint nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 2 BErzGG auf den ersten Blick nicht richtig zu sein, denn nach § 5 Abs. 1 Satz 2 BErzGG entfällt das Budget nur dann, "soweit EG wegen der Einkommensgrenzen nach Abs. 2 nur für die ersten sechs Lebensmonate möglich ist oder war". Entgegen der Auffassung des SG ist der Senat aber zu der Überzeugung gelangt, dass es sich verbietet hier strikt nach dem Wortlaut nur die Einkommensgrenzen nach Abs. 2 anzuwenden. Die Berechnung des EG erfolgt nicht allein nach Abs. 2 des § 5 BErzGG, sondern es sind dabei auch die Abs. 3 und Abs. 4 BErzGG und auch § 6 BErzGG heranzuziehen, so dass diese Normen insgesamt im Zusammenhang gesehen werden müssen. Wie die Beklagte zu Recht vorträgt, kann allein aus § 5 Abs. 2 BErzGG eine Einkommensgrenze nicht errechnet werden, denn § 5 Abs. 2 BErzGG nennt lediglich Einzelposten für die Berechnung der Grenze, zusätzlich zu berücksichtigen sind auch § 6 BErzGG und § 5 Abs. 3 und 4 BErzGG, denn auch diese Normen enthalten Posten für die Berechnung der Einkommensgrenze, so dass allein durch den Verweis in § 5 Abs. 1 Satz 2 BErzGG auf Abs. 2 der Norm die Berechnung nicht vollständig erfolgen kann. Allein die Erwähnung des Absatzes 2 in § 5 Abs. 1 Satz 2 BErzGG muss deshalb als redaktionelles Versehen angesehen werden.

Für diese Auslegung spricht auch die Tatsache, dass die Budgetregelung nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zu einem höheren EG führen, sondern das Budget- Angebot die unterschiedlichen familiären Lebensverhältnisse berücksichtigen sollte. Man dachte daran mit einer stärkeren Beteiligung der Väter an der Elternzeit der elterlichen Partnerschaft und dem Wohl des Kindes zu dienen. Dabei soll der Grundsatz maßgebend sein, dass im jeweiligen Einzelfall der Gesamtbetrag des Budgets nicht den Gesamtbetrag des unbudgetierten EG bei seiner vollen Bezugsdauer erreichen oder übersteigen darf (vgl. Drucksache 14/3553 des Deutschen Bundestages 14. Wahlperiode vom 07.06.2000; Wiegand in Kommentar zum Bundeserziehungsgeldgesetz, 8. Lieferung, Mai 2001, § 5 BErzGG, Rdziff. 2). Ausdruck findet diese Absicht des Gesetzgebers in § 5 Abs. 1 Satz 2 und auch § 5 Abs. 3 Satz 2 BErzGG (vgl. Wiegand a.a.O., § 5 BErzGG, Rdziff. 2 und 14). Ohne Budget hätte die Klägerin nun aber ebenfalls lediglich Anspruch auf EG für die ersten sechs Lebensmonate ihrer Tochter gehabt, denn vom 7. -24. Lebensmonat ergäbe sich auch in diesem Fall durch die Einkommensgrenzen und die Kleinbetragsregelung keine Auszahlung von EG (Einkommen gem. § 6 BErzGG: 56009,46 DM, Einkommensgrenze gem. § 5 BErzGG ab dem 7. Lebensmonat: -41800,- DM, übersteigender Betrag = 14209,46 DM, hiervon 4,2 % Minderungsbetrag = DM 596,79, Höchstsatz des EG DM 600,- abzüglich Minderungsbetrag DM 596,79, Differenz = DM 3,21, monatliches EG = 0 DM). Durch die Budgetregelung ergebe sich damit für die Klägerin eine Besserstellung. Sie würde für die ersten sechs Lebensmonate ihrer Tochter monatlich DM 300,- mehr erhalten als bei Anwendung der Regelleistung. Gerade dies war jedoch durch die Einführung des Budgets nicht gewollt. Die Budgetgrenze muss insgesamt stets niedriger bleiben als der Gesamtbetrag des unbudgetierten Erziehungsgeldes bei voller Bezugsdauer (vgl. Wiegand a.a.O. § 5 BErzGG, Rdziff. 14).

Im übrigen weist die Beklagte auch zu Recht daraufhin, dass für den Fall, dass aufgrund der Kleinbetragsregelung das EG "nicht gezahlt" wird (§ 5 Abs. 4 Satz 3 BErzGG) auch kein EG im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 BErzGG "möglich ist oder war". Die Nichtgewährung von EG unter DM 20,- bzw. 10,- EUR bedeutet, dass ein "Zahlungs"-Anspruch schon dem Grunde nach nicht mehr besteht (vgl. Wiegand a.a.O., § 5 BErzGG, Rdziff. 21, Irmen in Hambüchen, Kommentar zum Kindergeld und Erziehungsgeld, 26. Ergänzung, August 2002, § 5 BErzGG, Rdziff. 38, Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 02.07.1999, Az. L 13 EG 29/99). Davon, dass in einem solchen Fall kein Anspruch mehr besteht, wird auch bei Anwendung des § 192 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) ausgegangen. Danach bleibt die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger bei der Krankenkasse nur dann erhalten, solange EG bezogen wird, sobald ein Versicherungspflichtiger wegen der Kleinbetragsregelung kein EG mehr erhält, endet die Mitgliedschaft (vgl. Wiegand a.a.O. § 5 BErzGG § 21).

Die Tatsache, dass die Kleinbetragregelung grundsätzlich ihre Rechtfertigung darin findet, dass Verwaltungsaufwand vermindert werden soll und dies im vorliegenden Fall nicht von Bedeutung ist, weil EG für die ersten Lebensmonate auf jeden Fall ausbezahlt werden muss, vermag diese Auslegung des Gesetzes nicht in Frage zu stellen. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass es sich um eine Norm handelt, die der Verwaltungsvereinfachung dient, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich auch eine solche Norm in die Systematik des Gesetzes einfügen muss und dies hat hier zur Folge, dass durch die Nichtbezahlung des EG ab dem 7. Lebensmonat kein Anspruch auf EG besteht und damit auch die Budgetregelung für die ersten sechs Lebensmonate zwingend entfallen muss.

Auf die Berufung der Beklagten war hiernach das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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