L 12 AL 2249/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 29/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 2249/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11a/11 AL 81/04 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Verletzung der Pflicht nach § 37b SGB III , sich unverzüglich nach Kündigung arbeitslos zu melden, liegt nur dann vor, wenn der Arbeitslose zumindest fahrlässig eine frühere Arbeitslosmeldung unterlassen hatte. Nur dann ist die Sanktion der Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach § 140 SGB III gerechtfertigt.
Die §§ 37b, 140 SGB III setzen einen subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff voraus.
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 13.05.2004 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Minderung des Arbeitslosengeldes (Alg) wegen verspäteter Meldung.

Der 1946 geborene und verheiratete Kläger war vom 1.5.1996 bis 31.10.2003 als Kraftfahrer bei der Firma H. M. Internationale Spedition GmbH in E. beschäftigt. In der Zeit vom 1.7.2003 bis 26.8.2003 bezog der Kläger Krankengeld bzw. Übergangsgeld (kalendertäglich 62,23 EUR). Sein versicherungspflichtiges Arbeitsentgelt betrug vom 1.11.2002 bis 30.6.2003 15.116,00 EUR und vom 27.8.2003 bis 31.10.2003 3.988 EUR. Auf seiner Lohnsteuerkarte für das Jahr 2003 waren die Steuerklasse III und keine Kinderfreibeträge eingetragen.

Am 30.9.2003 wurde ihm vom Prokuristen seines Arbeitgebers, dem Zeugen F., das Kündigungsschreiben vom 29.9.2003 ausgehändigt, mit dem das Arbeitsverhältnis zum 31.10.2003 gekündigt wurde. Dabei wurde der Kläger vom Zeugen F. aufgefordert, sich sofort beim Arbeitsamt zu melden. Begründet wurde diese Aufforderung vom Zeugen gegenüber dem Kläger damit, dass er, der Zeuge, so schnell wie möglich die Arbeitsbescheinigung ausfüllen wolle. Hintergrund war die Sorge des Zeugen, der Kläger möge die ihm zustehenden Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zeitnah erhalten. Weder dem Zeugen noch dem Kläger waren die Regelungen über die Pflicht zur frühzeitigen Arbeitssuche und die entsprechenden Sanktionen bekannt. Nachdem der Kläger in der Zeit vom 1.11.2003 bis 15.11.2003 arbeitsunfähig krank war, meldete er sich am 17.11.2003 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg.

Mit Bescheid vom 4.12.2003 bewilligte die Beklagte Alg ab 17.11.2003 in Höhe von wöchentlich 200,27 EUR (wöchentliches Bemessungsentgelt 434,40 EUR). Mit gesondertem Schreiben vom 3.12.2003 zum Bewilligungsbescheid teilte die Beklagte mit, er sei nach § 37b SGB III verpflichtet gewesen, sich unverzüglich beim Arbeitsamt arbeitssuchend zu melden, sobald er den Zeitpunkt der Beendigung seines Versicherungspflichtverhältnisses gekannt habe. Dieser Pflicht sei er nicht rechtzeitig nachgekommen. Er habe sich spätestens am 9.10.2003 beim Arbeitsamt arbeitssuchend melden müssen. Tatsächlich habe er sich erst am 17.11.2003 gemeldet. Die Meldung sei somit um 39 Tage zu spät erfolgt. Nach § 140 SGB III mindere sich sein Anspruch auf Leistungen um 35 EUR für jeden Tag der verspäteten Meldung (längstens jedoch für 30 Tage). In seinem Fall ergebe sich somit ein Minderungsbetrag in Höhe von 1.050 EUR. Die Minderung erfolge, indem der Minderungsbetrag auf die halbe Leistung angerechnet werde, d. h., ihm werde bis zur vollständigen Minderung des Betrages nur die Hälfte der ohne die Minderung zustehenden Leistungen ausgezahlt. Die Höhe des Abzugs von der täglichen Leistung betrage 14,28 EUR. Die Anrechnung beginne am 17.11.2003 und sei voraussichtlich ab dem 29.1.2004 beendet. Für den letzten Tag der Minderung erfolge die Anrechnung ggf. nur noch in Höhe des noch verbleibenden Restbetrages der Minderungssumme.

Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch: Er sei vom 1.11.2003 bis 15.11.2003 arbeitsunfähig krank gewesen. Er habe sich somit erst nach der Krankheit beim Arbeitsamt melden können. Er habe nicht gewusst - und der Arbeitgeber habe ihm auch nichts gesagt -, dass er sich nach Erhalt der Kündigung beim Arbeitsamt persönlich melden müsse.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei durch die am 29.9.2003 ausgesprochene Kündigung beendet worden, die in entsprechender Anwendung des § 37 Abs. 2 SGB X als am 2.10.2003 zugegangen gelte. Die Unverzüglichkeit der Meldung werde vom Arbeitsamt nur anerkannt, wenn sie spätestens am siebten Kalendertag ab dem Tag nach Beginn der Meldepflicht vorgenommen werde. Die Meldung wäre also unverzüglich erfolgt, wenn sie bis spätestens 9.10.2003 erfolgt wäre. Der Kläger habe sich aber erst am 17.11.2003, und damit nicht unverzüglich, persönlich beim Arbeitsamt gemeldet. Gründe für die verspätete Meldung seien nicht anzuerkennen. Er habe nicht dargetan und glaubhaft nachgewiesen, dass es ihm innerhalb der siebentägigen Reaktionszeit nicht möglich gewesen wäre, gegebenenfalls unter Absprache mit dem Arbeitgeber, das Arbeitsamt aufzusuchen, zumal zur Erledigung wichtiger persönlicher Angelegenheiten dies auch durch die Arbeitgeber gebilligt werde. Auch die krankheitsbedingte Verhinderung vom 1.11.2003 bis 15.11.2003 könne zu keiner anderen Entscheidung führen, da er sich bereits vorher hätte melden können. Für die Obliegenheitsverletzung sei es unerheblich, ob dem Kläger die Pflicht zur Meldung bekannt gewesen sei. Der Anspruch auf Alg mindere sich daher um 35 EUR für 30 Tage, somit insgesamt um 1.050 EUR.

Das am 7.1.2004 angerufene Sozialgericht Freiburg (SG) hat den Prokuristen F. vernommen und mit Gerichtsbescheid vom 13.5.2004 den angefochtenen Bescheid insoweit aufgehoben, als die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Gewährung von Alg ab 17.11.2003 um 1.050 EUR gemindert hat und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Alg ab 17.11.2003 in ungeminderter Höhe zu gewähren. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat es u. a. ausgeführt, ein Verschulden des Klägers könne nur dann angenommen werden, wenn im Rahmen des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Aufklärung über die unverzügliche Meldepflicht und die Folgen einer Verletzung erfolgt sei. Eine allgemeine Veröffentlichung in den Medien reiche hierzu nicht aus. Nachdem der Kläger unwiderlegbar dargelegt habe, er habe von einer unverzüglichen Meldepflicht keine Kenntnis gehabt, habe er auch die Verpflichtung nicht schuldhaft verletzt.

Hiergegen richtet sich die am 8.6.2004 eingelegte Berufung der Beklagten. Zur Begründung trägt sie u. a. vor, die Annahme des SG sei unzutreffend, dass eine Verletzung der in § 37b Satz 1 SGB III normierten Verpflichtung nur dann angenommen werden könne, wenn diese schuldhaft, also zumindest fahrlässig, herbeigeführt werde. Es handle sich um eine Obliegenheitspflicht. Für Obliegenheitsverletzungen nach § 37b SGB III sei es unerheblich, ob dem Versicherten die Pflicht zur Meldung subjektiv bekannt gewesen sei. Es gelte der Grundsatz, dass im Allgemeinen zu erwarten sei, dass Versicherte ihre Rechtspflichten kennen und die Unkenntnis hierüber grundsätzlich Pflichtverstöße nicht entschuldigten. Der Betroffene könne sich deshalb nicht darauf berufen, dass er über die Verpflichtung zu unverzüglicher Meldung nicht informiert worden sei, sei es von seinem Arbeitgeber oder von der Arbeitsverwaltung. Nur dann, wenn der Betroffene aus tatsächlichen Gründen gehindert gewesen sei, sich nach § 37b SGB III unverzüglich zu melden, könne eine spätere Meldung akzeptiert werden. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht unter der Berücksichtigung von § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III. Der Gesetzgeber habe zur Neuregelung des § 2 Abs. 2 SGB III in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass die Regelung die Verpflichtung zur Mitwirkung des Arbeitgebers am nahtlosen Übergang des gekündigten Arbeitnehmers in eine neue Beschäftigung konkretisieren und mit dem arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch korrespondiere. Mit dem Hinweis in der Gesetzesbegründung, dass die Informationspflicht des Arbeitgebers aus § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III lediglich "im Kontext" mit § 37b und § 140 SGB III stehe, sei damit nur umschrieben worden, dass die Meldepflicht des Arbeitnehmers aus § 37b SGB III letztlich doch rechtlich unabhängig von der Wahrnehmung der Verpflichtung seines Arbeitgebers aus § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III sei und auch bestehe. Auch wenn der Arbeitgeber in keiner Weise seinen Arbeitnehmer informiert habe, dass dieser sich nach § 37b SGB III unverzüglich beim Arbeitsamt arbeitssuchend zu melden habe, könne dies den Versicherten gegenüber der Beklagten nicht "exkulpieren".

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 13.5.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Gerichtsbescheid ist nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zu Unrecht hat die Beklagte eine Minderung des Alg verfügt.

Zunächst ist festzustellen, dass dem Kläger ab 17.11.2003 Alg zustand. Der Kläger erfüllte alle Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Alg, er war arbeitslos, hatte sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt (vgl. § 117 Abs. 1 SGB III).

Grundsätzlich ist auch die Höhe des von der Beklagten berechneten Alg zutreffend festgesetzt worden. Eine Minderung des Anspruchs gem. §§ 37b, 140 SGB III ist jedoch zu Unrecht erfolgt.

Nach § 37b SGB III (mit Wirkung zum 1. Juli 2003 durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 - Bundesgesetzblatt I S. 4607 - eingefügt) sind Personen, deren Pflichtversicherungsverhältnis endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich bei der Agentur für Arbeit (früher Arbeitsamt) arbeitsuchend zu melden. Im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses hat die Meldung jedoch frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen. Die Pflicht zur Meldung besteht unabhängig davon, ob der Fortbestand des Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses gerichtlich geltend gemacht wird. Die Pflicht zur Meldung gilt nicht bei einem betrieblichen Ausbildungsverhältnis.

Hat sich der Arbeitslose entgegen § 37 b SGB III nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet, so mindert sich gem. § 140 SGB III (ebenfalls eingefügt durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 mit Wirkung zum 1. Juli 2003) das Arbeitslosengeld, das dem Arbeitslosen aufgrund des Anspruchs zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist. Die Minderung beträgt gem. § 140 Satz 2 SGB III

1. bei einem Bemessungsentgelt bis zu 400,00 EUR 7,00 EUR, 2. bei einem Bemessungsentgelt bis zu 700,00 EUR 35,00 EUR und 3. bei einem Bemessungsentgelt über 700,00 EUR 50,00 EUR

für jeden Tag der verspäteten Meldung. Die Minderung ist gem. Satz 3 auf den Betrag begrenzt, der sich bei einer Verspätung von 30 Tagen errechnet. Die Minderung erfolgt, indem der Minderungsbetrag, der sich nach den Sätzen 2 und 3 ergibt, auf das halbe Arbeitslosengeld angerechnet wird (§ 140 Satz 4 SGB III).

§ 37b SGB III regelt eine Obliegenheit des von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmers dar. Diese ist dann verletzt, wenn er sich nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet hat. Verletzt er diese Obliegenheit, führt dies zu der Sanktion der Minderung des Anspruchs auf Alg gem. § 140 SGB III. Flankiert werden diese Regelungen durch die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III, wonach die Arbeitgeber insbesondere Arbeitnehmer vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses u.a. frühzeitig über die Verpflichtung unverzüglicher Meldung bei der Agentur für Arbeit informieren sollen.

Die Kündigung des Klägers vom 29.9.2003 zum 31.10.2003 ist nach dem In-Kraft-Treten der genannten Vorschriften erfolgt, sodass diese grundsätzlich Anwendung finden. Jedoch sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer Minderung des Anspruchs gem. § 140 SGB III i. V. m. § 37b SGB III nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann dem Kläger nicht vorgeworfen werden, er habe sich nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet.

Nach Auffassung des Senats ist im Einzelfall unter Beachtung des Zweckes der gesetzlichen Regelung zu beurteilen, welche Sorgfaltsanforderungen in diesem Zusammenhang an den Arbeitnehmer zu stellen sind. Weder aus dem Sinn und Zweck der Regelung, noch aus der gesetzessystematischen Auslegung ist hier, entgegen der Auffassung der Beklagten, auf rein objektive Umstände abzustellen, vielmehr ist im Gegenteil hier ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen, bei dem geprüft werden muss, ob der Arbeitnehmer schuldhaft gehandelt hat.

Der Begriff "unverzüglich" ist ein rechtstechnischer, in § 121 Abs. 1 BGB als "ohne schuldhaftes Zögern" definierter Begriff. Damit steht fest, dass eine Verletzung der in § 37b SGB III geregelten Pflicht zur frühzeitigen Arbeitssuche nur bei Verschulden (Vorsatz und Fahrlässigkeit) vorliegt bzw. nur im Falle eines Verschuldens zu den in § 140 SGB III geregelten Sanktionen führen kann. Dabei ist für die Frage, ob Fahrlässigkeit vorliegt ein - im Sozialrecht allgemein üblicher (vgl. nur § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr.2, 3 SGB X) - subjektiver Sorgfaltsmaßstab zugrunde zu legen (a.A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9.6.2003, L 3 AL 1267/04).

Nichts anderes ergibt sich aus Sinn und Zweck der Regelungen unter Berücksichtigung der Begründung zum Gesetzentwurf (BTDrs. 15/25).

Die Vorschrift des § 37b SGB III hat zum Ziel, die Eingliederung von Arbeitssuchenden zu beschleunigen und damit Arbeitslosigkeit und Entgeltersatzleistungen der Versichertengemeinschaft möglichst zu vermeiden bzw. die Dauer der Arbeitslosigkeit zu verkürzen. Die betroffenen Arbeitnehmer sollen sich deshalb so früh wie möglich persönlich arbeitssuchend melden. Die Regelung fordert von den Betroffenen, dass sie sich unverzüglich beim Arbeitsamt (jetzt Agentur für Arbeit) persönlich melden müssen, wenn sie den Zeitpunkt der Beendigung des Versicherungspflichtverhältnisses kennen (BTDrs. aaO S. 27). Hieraus ist jedoch nicht ersichtlich, dass im Gegensatz zu dem im Sozialversicherungsrecht üblicherweise anzuwendenden subjektiven Sorgfaltsmaßstab zu Gunsten eines objektiven Maßstabes abgewichen werden sollte. Mit § 37b SGB III wird zwar eine Pflicht zur baldmöglichsten Meldung bei der Agentur für Arbeit nach Kenntnis von der bevorstehenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses postuliert, jedoch auch darauf abgestellt, dass diese Meldung unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern erfolgen soll. Hätte der Gesetzgeber - entgegen dem Wortlaut - auf den subjektiven Sorgfaltsmaßstab verzichten wollen, hätte sich dieses zumindest in der Gesetzesbegründung niederschlagen müssen. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Auch aus Sinn und Zweck des § 140 SGB III folgt nichts anderes. Diese Vorschrift regelt (BTDrs. aaO S. 31) die leistungsrechtlichen Folgen für Bezieher von Alg, die ihre Obliegenheit zur frühzeitigen Meldung als Arbeitssuchende beim Arbeitsamt verletzt haben. Arbeitnehmer, die das Arbeitsamt nicht rechtzeitig darauf hinweisen, dass sie der beruflichen Wiedereingliederung bedürfen, erhöhen das Risiko der Arbeitslosenversicherung. Sie verzögern die Einleitung von Vermittlungs- und Eingliederungsbemühungen und nehmen dem Arbeitsamt insoweit die Möglichkeit, den Eintritt des Schadensfalles zu vermeiden bzw. den Umfang des Versicherungsschaden zu reduzieren. Die Regelung sieht deshalb in derartigen Fällen einen pauschalen Schadensausgleich der Versichertengemeinschaft vor (BTDrs. aaO). Gerade der Umstand, dass § 140 eine pauschale Schadensersatzregelung darstellt, spricht für die hier vertretene Auffassung. Denn Schadensersatzansprüche (hier der Versichertengemeinschaft) setzen grundsätzlich Verschulden des Schädigers (hier des Klägers) und damit eine Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis von der Verhaltenspflicht voraus.

Die gegenteilige Auffassung (vgl. u.a. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.9.2004, L 5 AL 1986/04; Urteil vom 9.6.2004, L 3 AL 1267/04, jeweils m.w.N.), nach der gerade die (unverschuldete) Unkenntnis von der Verpflichtung den Arbeitnehmer nicht entlasten soll, verkennt, dass der Gesetzgeber mit seiner Wortwahl einen Verschuldenstatbestand im Bereich des Sozialrechts, mit dem dort üblichen subjektiven Sorgfaltsmaßstab einführte. Andernfalls hätte es nahegelegen die Sanktion bereits dann eintreten zulassen, wenn der Arbeitnehmer sich "ohne wichtigen Grund" nicht "sofort" arbeitssuchend meldet. Den von der Gegenauffassung erwähnten objektiven Hindernissen wäre damit eindeutig und ausreichend Rechnung getragen worden. Die Verwendung des Begriffs "unverzüglich" rechtfertigt somit den Schluss, dass der Gesetzgeber bewusst die Sanktion nur dann eintreten lassen will, wenn der Arbeitnehmer zumindest fahrlässig seiner Obliegenheit nicht nachgekommen ist.

Die Verpflichtung des Arbeitgebers, wonach dieser über die Verpflichtung zu unverzüglicher Meldung informieren soll (§ 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III) steht (vgl. BTDrs. aaO S. 26) im Kontext mit der Konkretisierung der Meldepflicht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in § 37b SGB III und der Einführung von Minderungen des Alg bei verspäteter Meldung in § 140 SGB III. Diese Informationspflicht mag zwar rechtlich unabhängig von der Wahrnehmung der Meldepflicht des Arbeitnehmers bestehen. Dies ändert jedoch nichts an der engen Verflechtung der Informationspflicht des Arbeitgebers einerseits und den §§ 37b, 140 SGB III andererseits. Auch hieraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber eine Verletzung der Obliegenheit nicht automatisch schon dann annimmt, wenn der Arbeitnehmer objektiv in der Lage war, sich arbeitslos zu melden. Vielmehr deutet auch dies darauf hin, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, wie im Rahmen anderer Sanktionen im Bereich des Arbeitsförderungsrechts, beispielsweise Sperrzeiten, eine Sanktion nur dann eintreten zu lassen, wenn dem Arbeitnehmer ein subjektiver Vorwurf gemacht werden kann. Die Tatsache, dass die Verpflichtung des Arbeitsgebers nur als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist, ändert daran nichts. Es ist zwar richtig, dass nicht in jedem Einzelfall, wenn der Arbeitgeber seiner Informationspflicht nicht nachgekommen ist, auch die Sanktion entfallen soll. Dies ist aber auch nicht der Fall (so z.B. bei entsprechender Kenntnis des Arbeitnehmers von der Meldepflicht oder anderweitig erhaltener Information über die Meldepflicht). Vielmehr ist die Einführung dieser Informationspflicht ein Indiz, dass eine Verletzung der Obliegenheit nur dann die Rechtsfolge der Minderung nach sich ziehen soll, wenn dem Arbeitnehmer auch im Einzelfall unter Beachtung eines subjektiven Fahrlässigkeitsbegriffes die verspätete Meldung zugerechnet werden kann.

Nach Überzeugung des Senats ist daher in jedem konkreten Einzelfall zu prüfen, ob der Arbeitnehmer in zumindest fahrlässiger Weise seine Meldung nicht früher vorgenommen hat. Eine solche Sorgfaltsverletzung liegt nicht bereits dann vor, wenn er die genannten gesetzlichen Vorschriften nicht gekannt hat. Dies genügt für ein subjektiv vorwerfbares Verhalten nicht. Es kann nicht verlangt werden, dass ein Arbeitnehmer, der nicht gesondert darauf hingewiesen worden ist, alle Änderungen des Arbeitsförderungsrechts im Hinblick auf eventuelle Obliegenheiten ständig nachvollziehen muss. Andernfalls hätte der Gesetzgeber eine gesonderte Informationspflicht der Arbeitgeber nicht begründen müssen.

Der Kläger hat glaubhaft angegeben, von der unverzüglichen Meldepflicht des § 37b SGB III keine Kenntnis gehabt zu haben. Er hat dies in der mündlichen Verhandlung auf Befragung durch den Senat nochmals glaubhaft geschildert und im übrigen glaubhaft angegeben, er habe sich während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 01.11.2003 bis 15.11.2003 persönlich arbeitslos melden wollen. Er habe jedoch vom Arbeitsamt die Auskunft erhalten, er solle erst wieder kommen, wenn er wieder arbeitsfähig sei. Der Kläger wurde im Zusammenhang mit der Kündigung von seinem Arbeitgeber nach der Aussage des die Kündigung vornehmenden Prokuristen im Termin zur Beweisaufnahme des SG vom 15.4.2004 der Gestalt informiert, dass er sofort zum Arbeitsamt gehen solle, damit er (der Arbeitsgeber) so schnell wie möglich die Arbeitsbescheinigung für ihn ausfüllen könne. Von den Vorschriften der §§ 37b, 140 SGB III hatte der Zeuge keine Kenntnis und folgerichtig hierüber auch nicht informiert. Nachdem der Kläger von Arbeitgeberseite nicht über die Pflicht zur unverzüglichen Arbeitslosmeldung informiert wurde, sondern - im Gegenteil - die Anregung erhielt aus völlig anderen Gründen sofort zum Arbeitsamt zu gehen, kann ihm ein sorgfaltswidriges und damit fahrlässiges Verhalten (bzw. Unterlassen) hinsichtlich der Pflicht nach § 37b SGB III nicht vorgeworfen werden, sodass keine Rechtsgrundlage für die Minderung des Anspruchs auf Alg besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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