L 11 R 4773/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 2385/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4773/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einem Krebsleiden kann eine Änderung in den Verhältnissen, die zur Rentenentziehung berechtigt, vorliegen, wenn sich die Prognose verbessert hat.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 07. Oktober 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Entzug der der Klägerin gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer ab dem 01.01.2004.

Die 1950 geborene Klägerin hat den Beruf der Groß- und Außenhandelskauffrau erlernt und bis Oktober 1991 als Verwaltungsangestellte gearbeitet.

Auf den von der Klägerin im Jahr 1992 gestellten Rentenantrag bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 19.02.1993 gestützt auf den Entlassungsbericht des Rehabilitationszentrums U. in N., einen unvollständigen Arztbrief der Ärzte der Universitätsfrauenklinik H., einen Befundbericht des Internisten Dr. R. und eine Stellungnahme der Beratungsärztin der Beklagten Frau R. wegen eines im Oktober 1991 diagnostizierten Ovarialkarzinoms und eines im August 1992 aufgetretenen Tumorrezidives Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 29.10.1992 bis längstens zur Vollendung des 65. Lebensjahres.

Eine von der Beklagten im Dezember 2000 durchgeführte Nachprüfung hatte auf der Grundlage eines Befundberichts des Internisten Dr. S. zum Ergebnis, dass der Klägerin die Rente zu belassen sei.

Im Januar 2003 leitete die Beklagte eine erneute Nachprüfung ein. In diesem Zusammenhang berichtete Dr. S. in einem Befundbericht, dass bei der Klägerin ein chronisch rezidivierendes HWS- und Schulter-Arm-Syndrom, rezidivierendes LWS-Syndrom, Lumboischialgie, chronische Gastritis, Reizmagen, Reflux-Krankheit, Zustand nach Ovarial-Karzinom, Zustand nach zweimaliger Operation und eine venöse Insuffizienz bestehe. Der Befund habe sich in den letzten zwölf Monaten nicht geändert. Eine Besserung der Leistungsfähigkeit sei nicht möglich. Er fügte einen Arztbrief des Internisten Dr. W. und ein Laborblatt bei. Im Anschluss daran ließ die Beklagte die Klägerin durch den Internisten Dr. S. begutachten. Der Arzt teilte mit, die Klägerin leide an einem Zustand nach Ovarial-Karzinom 11/91 sowie rezidiv 8/92, einer chronischen Gastritis mit Übergang in den Ösophagus, Varicosis, Wirbelsäulenbeschwerden, Polyarthrosen und einer depressiven Verstimmung mit Somatisierung. Bezüglich der Karzinom-Erkrankung unterziehe sie sich regelmäßigen Nachsorgeuntersuchungen. Bisher sei - auch bei der von ihm durchgeführten Untersuchung - kein Rezidiv feststellbar gewesen. Der Arzt vertrat die Auffassung, dass die Klägerin, nachdem sie 11 Jahre rezidivfrei sei und sonst nur altersentsprechende Veränderungen im Bereich ihres Körpers und an ihren Organen aufweise, als Verwaltungsangestellte voll einsetzbar sei.

Hierzu äußerten sich für die Beklagte die Beratungsärztinnen Dr. J. und Dr. S ...

In der Folge holte die Beklagte weitere Gutachten bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. und dem Orthopäden Dr. V. ein. Dr. K. diagnostizierte auf nervenärztlichem Gebiet eine Dysthymie, Cervikalsyndrom, ohne cervikale Wurzelläsion, Spannungskopfschmerz, einen rezidivierenden Schwindel, vermutlich infolge Hypotonie, und eine rezidivierende Lumbalgie. Außerdem fand er einen Zustand nach Ovarialkarzinom 11/91 und 8/92, eine chronische Gastritis und Varikosis. Allein aus nervenärztlicher Sicht bestehe wieder ein vollschichtiges Leistungsvermögen im bisherigen Beruf als Verwaltungsangestellte und in vergleichbaren Tätigkeiten. Zu vermeiden seien schweres Heben und Tragen, Zwangshaltungen, Überkopftätigkeiten, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Tätigkeiten unter Nässe- und Lärmexposition. Dr. V. fand ein rezidivierendes Muskelreizsyndrom im Bereich der HWS bei beginnender Spondylarthrose der unteren HWS, ein rezidivierendes Muskelreizsyndrom im Bereich der unteren LWS bei beginnender Spondylarthrose der unteren LWS und Baastrup-Phänomen und eine Periarthritis der rechten Schulter mit Einschränkung der Belastbarkeit bei beginnenden arthrotischen Veränderungen des Schultereckgelenkes. Eine Tätigkeit als Verwaltungsangestellte sei der Klägerin vollschichtig zumutbar. Ansonsten könne sie leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnden Körperpositionen überwiegend im Sitzen ohne Tätigkeiten in überwiegend gebückter Körperhaltung oder mit Überkopfarbeiten vollschichtig verrichten.

Nachdem die Beklagte hierzu ihre Beratungsärztin Dr. H. gehört hatte, teilte sie der Klägerin im Wege der Anhörung mit, dass beabsichtigt sei, den Bescheid vom 19.02.1993 wegen Änderung der Verhältnisse mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Zur Begründung wurde ausgeführt, bei Zustand nach Ovarial-Tumor bestehe eine 11-jährige Rezidivfreiheit. Relevant leistungsmindernde Leiden auf orthopädischem oder nervenärztlichem Fachgebiet bestünden nicht. Seit dem 09.05.2003 (Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. S.) sei somit wieder ein vollschichtiges Leistungsvermögen für alle ausbildungsgerechten Tätigkeiten gegeben.

Die Klägerin äußerte sich hierzu dahingehend, dass sie sich aufgrund der unbefristeten Rentenleistung und deren Höhe in der Zwischenzeit in ihren Lebensverhältnissen wesentlich umgestellt habe, so dass neben ihrem Alter und den bestehenden Beschwerden auch aus diesem Grund ein Wiedereinstieg in das Berufsleben unmöglich sei. Um bei ihr keine falschen Vorstellungen zu erwecken, hätte bereits im Zeitpunkt der Rentenbewilligung nur eine befristete Rentengewährung erfolgen müssen. Im übrigen liege bei ihr kein vollschichtiges Leistungsvermögen vor. Sie leide insbesondere unter Schmerzen in den Handgelenken, Ellenbogen und Schultern, unter zum Teil stärksten Beschwerden der Halswirbelsäule mit migräneartigen Kopfschmerzen sowie unter Beschwerden der unteren Lendenwirbelsäule mit Hüft- und Gesäßschmerzen. Außerdem bestünden erhebliche Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule und des Schulter-Arm-Bereichs. Massive Leistungsbeeinträchtigungen resultierten auch aus Oberbauchschmerzen, starken Unterschenkelschwellungen sowie Schwindelanfällen. Darüber hinaus leide sie erheblich unter depressiven Verstimmungen mit Angstzuständen und Schlafstörungen.

Die Beklagte hörte hierzu noch einmal Dr. H., die sich dahingehend äußerte, dass ein neuer medizinischer Sachverhalt nicht vorgetragen worden sei. Die geltend gemachten Leiden seien umfassend und schlüssig in den drei großen Fachrichtungen Innere, Orthopädie, Neurologie/Psychiatrie untersucht und sozialmedizinisch beurteilt worden. Übereinstimmend sei von allen drei Gutachtern ein vollschichtiges Leistungsvermögen festgestellt worden.

Mit Bescheid vom 01.12.2003 hob die Beklagte den Bescheid vom 19.02.1993 wegen Änderung der Verhältnisse mit Wirkung ab dem 01.01.2004 auf. Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass der Bescheid vom 19.02.2003 (richtig: 19.02.1993) nicht befristet hätte erlassen werden dürfen, da aus damaliger medizinischer Sicht eine Besserungsaussicht nicht erkennbar gewesen sei. Es hätte daher ein Dauerrentenbescheid erteilt werden müssen.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass die jetzige Aufhebung der Rentengewährung angesichts des unveränderten Gesundheitszustandes nicht nachzuvollziehen sei. Die Folgen des Entzugs der unbefristeten Rentenleistung seien für sie außerordentlich nachteilig, da sie ihr Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst habe beenden müssen und nunmehr keinen Anspruch auf Wiedereinstellung habe. Ein vollschichtiges Leistungsvermögen sei bei ihr nicht gegeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Aufhebung des Rentenbescheids für die Zukunft sei zulässig, weil sich die tatsächlichen Verhältnisse, die beim Erlass des Rentenbescheids vorgelegen hätten, geändert hätten. Bei Zustand nach Ovarial-Tumor bestehe eine 11-jährige Rezidivfreiheit. Relevant leistungsmindernde Leiden auf orthopädischem oder nervenärztlichem Fachgebiet bestünden nicht.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Sie wiederholte ihr bisheriges Vorbringen und wies noch einmal darauf hin, dass sie trotz über 20-jähriger Mitgliedschaft und Beitragsleistung in die Sozialsysteme heute keinen Anspruch auf Leistungen habe.

Das SG hörte den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. E., Dr. S. und den Orthopäden Dr. E. als sachverständige Zeugen. Dr. E. teilte mit, die Klägerin befinde sich nach Behandlungen in den Jahren 1993 und 1996 erneut seit 28.11.2003 bei ihm in Behandlung. Es handle sich bei ihr seit November 2003 um ein reaktiv-depressives Syndrom mit psychovegetativer Begleitsymptomatik. Nach seiner Einschätzung sei sie derzeit nicht imstande, sechs Stunden lang eine körperliche, wenig anstrengende Berufstätigkeit auszuüben. Dr. S. führte aus, an langfristig auftretenden Diagnosen bestünde ein Colon irrtitabile, rezidivierende Gastritis mit Reflux Symptomatik, Migräne und Spannungskopfschmerz, HWS-Syndrom mit vertebrobasilärer Insuffizienz und Schwindel, Varicosis beidseits mit Unterschenkelekzemen, LWS-Syndrom mit rezidivierender Lumboischialgie und depressive Stimmungszustände mit psychovegetativen Auswirkungen. Aus seiner Sicht könne die Klägerin eine 6-stündige Tätigkeit nicht mehr ausüben. Dr. E. bekundete insbesondere Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule und ein Schulter-Arm-Syndrom. Eine Arbeitstätigkeit von täglich sechs Stunden ohne körperliche Belastung und ohne einseitige Körperhaltung dürfte möglich sein.

Im Anschluss daran erhob das SG Beweis durch Einholung eines fachinternistisch-arbeitsmedizinischen Gutachtens, das der Internist Dr. S. erstattete. Dr. S. legte dar, die Klägerin leide unter einem Zustand nach Operation eines Ovarial-Carcinoms beidseits, einer Hypercholesterinämie und dem Verdacht auf funktionelle Magen-Darm-Störungen. Aktuell würden sich keine Hinweise auf ein Rezidiv der Krebserkrankung ergeben. Bei der beruflichen Ausübung der Tätigkeit einer Verwaltungsangestellten bestünden keine qualitativen Einschränkungen. Die Klägerin könne leichte und auch mittelschwere körperliche Tätigkeiten acht Stunden arbeitstäglich verrichten. Seit 1992 habe sich die Leistungsfähigkeit aus internistischer Sicht nicht wesentlich verändert. Er empfahl die Einholung eines nervenfachärztlichen Gutachtens. Auf Nachfrage ergänzte Dr. S., dass er die Leistungsfähigkeit der Klägerin heute genauso einschätze wie im August 1992. Es habe mindestens seit November 1992 ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestanden.

Die Beklagte äußerte sich hierzu dahingehend, dass im Jahr 1992 in Kenntnis des Heilverfahren-Entlassungsberichts und unter dem Eindruck damals noch laufender Chemotherapie mit entsprechenden gesundheitlichen Auswirkungen von einer wesentlichen Besserungsaussicht nicht hatte ausgegangen werden können. Nach mittlerweile mehr als 10-jähriger Rezidiv-Freiheit stelle sich nunmehr eine Situation dar, welche unter Einbeziehung von gutachterlichen Stellungnahmen auf orthopädischem und nervenärztlichem Fachgebiet wiederum eine vollschichtige Belastbarkeit zulasse.

Das SG ließ die Klägerin sodann noch durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie K. C. M. begutachten. Der Nervenarzt diagnostizierte Angst und depressive Reaktion gemischt sowie eine Migräne mit vier Mal jährlich auftretenden Migräneattacken. Bezüglich angegebener Wirbelsäulenbeschwerden fand er keinen Hinweis auf eine Nervenwurzelkompression oder Nervenwurzelirritation. Körperlich schwere Tätigkeiten oder Arbeiten bei denen die Klägerin der Kälte, Nässe oder Zugluft ausgesetzt sei, in beständig vornüber gebeugter Körperhaltung oder mit ständigen Überkopfarbeiten, unter sehr hohem Zeitdruck sowie Akkord- oder Fließbandarbeit und Arbeiten mit einem ganz besonders hohem Maß an Verantwortlichkeit für Menschen oder hochwertige Maschinen und ausschließlicher Bildschirmtätigkeit seien ihr vollschichtig nicht möglich. Unter Beachtung dieser Einschränkungen könne sie vollschichtig arbeiten, auch eine Tätigkeit als Verwaltungsangestellte oder in einem verwandten ähnlichen Beruf sei ihr zumutbar.

Mit Urteil vom 07.10.2005, der Beklagten per Empfangsbekenntnis zugestellt am 24.10.2005, hob das SG den Bescheid vom 01.12.2003 und den Widerspruchsbescheid vom 29.07.2004 auf. Zur Begründung führte es aus, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Frage, ob eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) vorliege, nicht erwiesen. Es stehe zwar fest, dass bei der Klägerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente nicht vorliegen würden. Dies ergebe sich sowohl aus dem von Dr. S. als auch dem von dem Nervenarzt M. erstatteten Gutachten. Sowohl nach dem von Dr. S. als auch dem Arzt M. erstatteten Gutachten sei jedoch bei der Klägerin mindestens seit Ende 1992 ein vollschichtiges Leistungsvermögen anzunehmen. Es erscheine aus heutiger Sicht zwar möglich, dass das vollschichtige Leistungsvermögen der Klägerin möglicherweise erst kurz nach Erlass des Rentenbescheides wieder eingetreten sein könnte, dies sei allerdings in keiner Weise bewiesen oder gar wahrscheinlich. Nach den Gutachten sei vielmehr davon auszugehen, dass das Leistungsvermögen der Klägerin, wie es derzeit bestehe, auch schon Anfang 1993 und mithin bei Erlass des Rentenbescheides so bestanden hätte. Die Aufhebung lasse sich auch nicht auf § 45 SGB X stützen. Zum einen habe die Beklagte nicht das notwendige Ermessen ausgeübt und zum anderen könne ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Diese Frist sei hier abgelaufen.

Dagegen hat die Beklagte am 10.11.2005 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X lägen vor. Die Leistungsbeurteilung des beratungsärztlichen Dienstes, die im Jahr 1993 abgegeben worden sei, sei rückschauend betrachtet zutreffend. Die Klägerin sei im November 1991 an einem Ovarialcarzinom operiert worden. Im Anschluss sei eine Chemotherapie durchgeführt worden. Trotzdem sei im August 1992 ein weiterer bösartiger Tumor gesichert und operiert worden. Auch in diesem Fall seien wieder Tumorzellen außerhalb des eigentlichen Tumors im Bauchraum nachweisbar gewesen. Auf der Grundlage dieser Informationen (zwei kurz nacheinander auftretende bösartige Tumoren gleicher Art, bei Nachweis von Tumorzellen auch im übrigen Bauchraum offenbar nicht gut abgegrenzt, sondern die Organgrenzen überschreitend) hätte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden müssen, dass dieses Tumorleiden fortschreiten würde. Es habe sich jetzt herausgestellt, dass die Klägerin zu dem kleinen Prozentsatz von Erkrankten gehöre, bei denen glücklicherweise die Behandlung zu einem langfristigen Erfolg geführt habe. Ein solcher Erfolg sei 1993 keinesfalls absehbar gewesen. Damit sei unter den damals geltenden rechtlichen Vorgaben auch eine zeitliche Befristung der Leistungsminderung nicht angezeigt gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 07. Oktober 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Sie führt aus, dass die Beklagte richtig einschätze, dass die Erkrankung, an der sie 1991/1992 gelitten habe, mit einer hohen Sterblichkeitsrate verbunden sei, weshalb der betroffene Versichertenkreis auch noch heute eine unbefristete Rentenleistung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zuerkannt bekomme. Es werde bei der Gewährung einer unbefristeten Rentenleistung nicht nur die akute Erkrankung selbst, sondern auch die dauerhafte Einschränkung des normalen Lebens berücksichtigt. Auch nach erfolgreicher Operation und Chemotherapie bestehe eine latente Verunsicherung und Angst bei dem Patienten. Die Zuerkennung einer Dauerrente sei bei ihr deshalb nach wie vor begründet. Selbst unter Berücksichtigung der rezidivfreien Phase und der Tatsache, dass man im allgemeinen nach fünf Jahren Beschwerdefreiheit von einer Heilungsbewährung ausgehe, sei das eingeschränkte Leistungsvermögen, das durch die Krankheit selbst und durch die aggressive Behandlung (Chemotherapie) verursacht werde, auch nach der Heilungsbewährung vorhanden. Von einem langfristigen Erfolg im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit könne nicht gesprochen werden, nur vom Überleben schlechthin. Die Aufhebung nach § 45 SGB X scheitere daran, dass sie auf den Bestand des Rentenbescheids vertrauen konnte und deshalb ihre Schutzwürdigkeit zu bejahen sei. Für eine Aufhebung nach § 48 SGB X fehle es daran, dass keine Veränderung der gesundheitlichen Einschränkungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eingetreten sei.

Der Senat hat auf die Entscheidungen des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19.05.1975 - 3 An 1617/73 - und des Landessozialgerichts Berlin vom 27.06.1975 - 1 An 241/73 - sowie die Kommentierung von Steinwedel in KassKomm § 48 Rd.-Ziff. 20 f. verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 01.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2004 aufgehoben. Diese Bescheide sind rechtmäßig. Durch die 11-jährige rückfallfreie Zeit nach den in den Jahren 1991/1992 erfolgten Krebsoperationen ist eine Änderung in den Verhältnissen eingetreten, die eine Aufhebung des ursprünglichen Rentenbescheids zur Folge hat.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufhebung eines Bescheides gemäß §§ 45 und 48 SGB X sowie die Rechtsgrundlagen für eine Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43, 44 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der bis 31.12.2000 gültigen Fassung sind im Urteil des SG bzw. im Widerspruchsbescheid der Beklagten zutreffend dargestellt. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass Versichertenrente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung in der ab 01.01.2001 gültigen Fassung demjenigen gewährt wird, der nicht mehr in der Lage ist mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts tätig zu sein (§ 43 SGB VI n. F.).

Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Verwaltungsaktes wegen Änderung der Verhältnisse, die beim Erlass des ursprünglichen Rentenbescheides vorgelegen haben, liegen im Falle der Klägerin entgegen der vom SG vertretenen Ansicht indessen vor. Zwar geht der Senat davon aus, dass sich - worauf das SG zu Recht hinweist - der gesundheitliche Zustand der Klägerin auf internistischem und nervenärztlichem Fachgebiet entsprechend den von Dr. S. und dem Arzt M. erstatteten Gutachten, die im Einklang stehen mit den von Dr. S., Dr. K. und Dr. V. erstatteten Gutachten, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, nicht verändert hat. Allein unter Berücksichtigung der Erkrankungen auf diesen Fachgebieten war die Klägerin damals und auch heute in der Lage, ihre bisherige Tätigkeit als Verwaltungsangestellte vollschichtig zu verrichten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der sachverständigen Zeugenauskünfte der die Klägerin behandelnden Ärzte. Zwar haben Dr. E. und Dr. S. ausgeführt, die Klägerin könne eine 6-stündige Tätigkeit nicht mehr ausüben. Sie haben sich bei ihrer Einschätzung jedoch im Wesentlichen auf die Angaben der Klägerin gestützt und keine weiteren Befunde und Diagnosen als die Gutachter festgestellt, so dass sich der Senat ebenso wenig wie das SG diesen Ausführungen anzuschließen vermag. Eine Änderung in den Verhältnissen bei der Klägerin ist nach Auffassung des Senats jedoch dadurch eingetreten, dass sich die Prognose verbessert hat. Zur Zeit der Rentenbewilligung am 19.02.1993 bestand auf Grund der im Oktober 1991 erfolgten Operation des Ovarialkarzinoms und Auftreten eines Rezidives bereits im August 1992, das eine erneute Operation zur Folge hatte, die begründete Gefahr der Verschlechterung des Leidens. Die Prognose war angesichts der zweimaligen Operation und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Tumorzellen außerhalb des eigentlichen Tumors im Bauchraum nachweisbar waren, schlecht. Die beratende Ärztin der Beklagten Frau R. sah damals keine wesentlichen Besserungsaussichten. Nach den medizinischen Erfahrungen sprach die überwiegende Wahrscheinlichkeit gegen einen dauerhaften Erfolg der Operationen. Hierauf stützte sich die Leistungsbeurteilung. Nachdem sich nunmehr aber innerhalb von über 11 Jahren kein neues Rezidiv und auch keine weitere Krebserkrankung gebildet hat, hat sich diese Prognose ganz entscheidend gebessert. Die Annahme einer Heilung ist gerechtfertigt. Hiervon geht auch die Klägerin aus, die ausführt, dass im allgemeinen nach fünf Jahren Beschwerdefreiheit von einer Heilungsbewährung ausgegangen werden könne. Der Wegfall der fehlenden Besserungsaussicht, das heißt die verbesserte Prognose stellt eine Änderung der Verhältnisse dar, die beim Erlass des ursprünglichen Rentenbescheids vorgelegen haben (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 19.05.1976 - 3 An 1617/73 - und Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 27.06.1975 - 1 An 241/73 -).

Auf Vertrauensschutz kommt es im Zusammenhang mit der Aufhebung einer Rentenleistung nach § 48 SGB X nicht an. Die Tatsache, dass die Klägerin nicht mehr an ihrem bisherigen Arbeitsplatz bei der Stadt M. zurückkehren kann, hat deshalb außen vor zu bleiben.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der im Jahr 2000 durchgeführten Nachprüfung. Es kann dahingestellt bleiben, ob die nach Abschluss der Ermittlungen erfolgte Mitteilung an die Klägerin, dass die Rente weitergezahlt werde, eine Regelung oder nur die bloße Mitteilung, dass die Rente weitergezahlt wird, darstellte. Auf jeden Fall hat die Beklagte hiermit nicht über die Rentengewährung an sich entschieden. Insoweit ist der Ursprungsbescheid vom 19.02.1993 weiterhin maßgebend.

Dem Berufungsbegehren der Beklagten war damit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG beimisst.
Rechtskraft
Aus
Saved