L 12 AS 376/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 541/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 376/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
:
1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 15.12.2005 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Streit. Streitig ist, ob auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ganz oder teilweise der Bezug einer Verletztenrente nach dem Siebten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) angerechnet werden darf.

Der 1952 geborene Kläger bezieht nach einem Arbeitunfall im Jahre 1994 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 von Hundert, welche ab dem 01.07.2003 in Höhe von 341,88 EUR gewährt wurde. Der Kläger bezog bis zum 04.11.2001 Arbeitslosengeld und anschließend Arbeitslosenhilfe. Noch während des Bezugs von Arbeitslosenhilfe beantragte er für die Zeit ab dem 01.01.2005 die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II). Mit Bescheid vom 14.12.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.01. bis zum 31.05.2005 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 127,36 EUR monatlich. Der Betrag setzte sich aus der Regelleistung von 345,- EUR und den Kosten der Unterkunft von Heizung in Höhe von 124,24 EUR monatlich abzüglich der Verletztenrente in Höhe von 341,88 EUR monatlich als anzurechnendes Einkommen zusammen.

Der Kläger legte Widerspruch gegen die Anrechnung der Verletztenrente ein, da diese für einen tatsächlichen Schadensfall (Arbeitsunfall) und als Ausgleich für Nachteile in sämtlichen Lebensbereichen gezahlt werde.

Mit Änderungsbescheid vom 24.01.2005 erkannte die Beklagte an, dass ein Pauschalbetrag von 30,- EUR monatlich für angemessene private Versicherungen nach § 3 Nr. 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-VO vom 20.10.2004, BGBl I S. 2622) abzusetzen sei, was zu einem monatlichen Leistungsbetrag von nunmehr 157,36 EUR führte. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2005 als unbegründet zurück. Bei der Unfallrente handele es sich weder um eine so genannte privilegierte Rente (Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz - BVG - oder nach anderen, eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehenden Gesetzen) noch um eine zweckbestimmte Einnahme, weswegen auch eine Privilegierung nach § 11 Abs. 3 SGB II nicht in Betracht komme.

Der Kläger hat am 24.02.2005 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Er erhalte die Unfallrente, weil er bei einem unverschuldeten Arbeitsunfall mehrere Finger verloren habe; die Unfallrente erhalte dadurch den Charakter eines Schmerzensgeldes und dürfte deswegen nicht auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II angerechnet werden. Durch die Unfallfolgen sei eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit und auch des alltäglichen Lebens entstanden. Auch bei der Gewährung von Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) sei das Schmerzensgeld des Hilfeempfängers unberücksichtigt geblieben.

Für die Zeit ab dem 01.05.2005 wurden dem Kläger vom Landratsamt/Sozialamt des S.-B.-Kreises Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II bis zum 30.11.2005 in Höhe von monatlich 124,24 EUR bewilligt. Die Beklagte hat für die Zeit vom 01.06.2005 bis zum 30.11.2005 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 33,12 EUR bewilligt, wobei sie auf ihrem Rechtsstandpunkt zur Anrechenbarkeit der Verletztenrente beharrte.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15.12.2005 als unbegründet abgewiesen. Die Klage betreffe allein den Leistungszeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.05.2005. Die für den anschließenden Gewährungs-Zeitraum ergangenen Folgebescheide seien nicht nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Die Beklagte habe zutreffend die Verletztenrente auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II angerechnet; darüber hinaus seien Rechenfehler nicht ersichtlich. Nach § 11 Abs. 1 SGB II seien Einnahmen in Geld oder Geldeswert, zu denen zweifelsfrei auch die Verletztenrente gehöre, als Einkommen zu berücksichtigen. Die Verletztenrente werde nicht von den Ausnahmetatbeständen des § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB II erfasst, in denen von einer Anrechnung abzusehen sei. Zutreffend habe die Beklagte festgestellt, dass die Verletztenrente weder eine Leistung nach dem SGB II, eine Grundrente nach dem BVG oder eine Rente nach anderem Gesetz, das eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehe, noch eine Rente oder Beihilfe nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) sei. Die zuvor nach § 11 Satz 1 Nr. 2 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung (Alhi-VO) 1974 bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Alhi-VO 2002 vorgenommene Privilegierung in Höhe der Grundrente und der Schwerstbeschädigtenzulage der Verletztenrente sei in § 11 Abs. 1 SGB II nicht mehr vorgesehen. Ungeachtet der bestehenden Parallelen zwischen Verletztenrente und Versorgung nach dem BVG komme eine erweiterte Auslegung angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift des § 11 Abs. 1 SGB II nicht in Betracht (unter Hinweis auf Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 11 Rd-Nr. 252 mit Hinweis auf BSGE 90, 172). Es handele sich bei den in § 11 SGB II aufgeführten Ausnahmetatbeständen um Ausnahmeregelungen, welche als solche eng auszulegen seien und eine ausdehnende analoge Anwendung ausschlössen. Im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des BSG zur Berücksichtigung der Verletztenrente als Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG i.V.m. § 76, 77 BSHG (BSG-SozR3-5910 § 76 Nr. 4), die bereits genannten Privilegierungs-Vorschriften im Rahmen der bisherigen Arbeitslosenhilfe und nach den Gesetzes-Materialien spreche nichts für eine irrtümliche Auslassung/Regelungslücke. Auch die Alg II-VO, die auf der Grundlage von § 13 Abs. 1 SGB II weitere Ausnahme-Regelung treffe, enthalte keine Privilegierung der Verletztenrente. Eine Privilegierung sei auch nicht nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 a und Nr. 2 SGB II möglich, da diese Vorschriften ebenfalls nicht einschlägig seien. Die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung sei weder ein Schmerzensgeld nach § 847 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) noch eine Entschädigung nach § 253 Abs. 2 BGB im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 2 SGB II. Eine zweckbestimmte Einnahme nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II liege nicht vor, da die Verletztenrente bei einem Vergleich mit den nach dem SGB II gezahlten Leistungen weitgehend zweckidentisch sei und im weiteren Sinne der Unterhaltssicherung diene (unter Hinweis auf Hessisches LSG, Beschluss vom 29.06.2005 - L 7 AS 22/05 - und LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.12.2005 - L 10 B 1144/05 AS ER -). Auch eine analoge Anwendung oder verfassungskonforme Auslegung des § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II führe zu keinem anderen Ergebnis. Eine Analogie scheitere am Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke (unter Hinweis auf Hengelhaupt, a.a.O., Rd-Nr. 225; Brühl in LPK-SGB II, § 11 Rd-Nr. 43; Löns in SGB II-Kommentar § 11 Rdnr. 7; sowie die andere Auffassung von Hänlein in Gagel, SGB III/SGB II, § 11 Rdnr. 62).

Der Klägerbevollmächtigte hat gegen das ihm am 20.01.2006 zugestellte Urteil am 24.01.2006 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt, mit der er seine Rechtsauffassung weiter verfolgt. Es sei unzulässig, dass dem Kläger die Verletztenrente als eine Form des Nachteilsausgleichs für die erlittenen Unfallfolgen im Rahmen der Anrechnung bei der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II genommen werde. Die Verletztenrente entspreche insoweit einer "Schmerzensgeldrente" und könne nicht angerechnet werden. Im Ergebnis ergebe sich eine wesentliche Schlechterstellung sogar gegenüber den Beziehern von Leistungen nach dem BSHG, weil diese auch in bestimmten Fällen Einmalleistungen hätten erlangen können. Die vom SG angeführte Zielsetzung des Gesetzgebers, eine Doppelleistung vermeiden zu wollen, greife vorliegend nicht ein. Es möge zutreffen, dass der Gesetzgeber die Anrechnung von Verletztenrenten bewusst gewollt habe. In diesem Falle begegne die Anwendung der Vorschrift jedoch erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 15.12.2005 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14.12.2004 in der Fassung des Teil-Abhilfebescheides vom 24.01.2005 und des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2005 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.01. bis zum 31.05.2005 höheres Alg II ohne Anrechnung der ihm gewährten Verletztenrente zu gewähren, hilfsweise, diese bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG unberücksichtigt zu lassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig und bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils. Ergänzend trägt die Beklagte vor, dass die Verletztenrente gerade keine Zweckbestimmung im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1 SGB II aufweise, da diese als eine zweckneutrale Leistung anzusehen sei (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 03.12.2002 - B 2 U 12/02).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Beklagte hat die dem Kläger nach dem SGB II zustehenden Leistungen zutreffend berechnet, wozu nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen des SG Bezug genommen wird.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der vom 01.01.2005 bis zum 30.09.2005 geltenden Fassung sind als Einkommen zu berücksichtigen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz.

Das SGB VII, nach der die Unfallrente des Klägers gezahlt wird, sieht eine entsprechende Anwendung des BVG nicht vor, weswegen die Privilegierung in § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht einschlägig ist. Den Grundrenten nach dem BVG und den hierauf verweisenden Gesetzen liegt der Gedanke des Ausgleichs für Schäden zugrunde, für welche die Allgemeinheit eine besondere Verantwortung trägt (z.B. Kriegsgeschädigte, Wehr- und Zivildienstopfer, Impfgeschädigte); dieser Gedanke lässt sich auf Unfallopfer von Arbeitsunfällen nicht übertragen und stellt ein sachgerechtes Kriterium für eine Differenzierung dar (vgl. BVerfGE 48, 281, 288 f.).

§ 11 Abs. 2 SGB II sieht vor, dass vom Einkommen bestimmte Geldleistungen bzw. Beiträge des Leistungsempfängers abzusetzen sind. Dieser Vorschrift kann eine Privilegierung der Unfallrente nicht entnommen werden, weil der Kläger diese Rente als Geldleistung bezieht, ohne hierfür Beiträge oder sonstige Leistungen erbringen zu müssen.

Gemäß § 11 Abs. 3 SGB II sind als Einkommen außerdem nicht zu berücksichtigen 1. Einnahmen, soweit sie als a) zweckbestimmte Einnahmen, b) Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären, 2. Entschädigungen, die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geleistet werden.

Eine Entschädigung nach § 253 Abs. 2 BGB liegt nicht vor. Eine zweckbestimmte Leistung nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 Ziff. a SGB II kann in der Unfallrente auch nicht gesehen werden, da die Unfallrente dem Lebensunterhalt des Versicherten und daher einem allgemeinen, nicht aber einem bestimmten Zweck dienen soll. Die Vorschrift regelt die Einkommensberücksichtigung im Wesentlichen wie das Sozialhilferecht (BT-Drs. 15/1516 S. 53). Danach gehören Verletztenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung in voller Höhe zum Einkommen (BSGE 90, 172). Der gegenüber dem Sozialhilferecht (§ 77 der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung des BSHG, § 83 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - SGB XII) leicht abweichende Wortlaut des § 11 Abs. 3 SGB II rechtfertigt kein anderes Ergebnis (vgl. LSG für das Land Niedersachsen, Beschluss vom 30.03.2006 - L 6 AS 116/06 ER - m.w.N.). Maßgeblich ist, dass eine Zweckbestimmung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht erkennbar ist, auch wenn diese verschiedene Funktionen erfüllt (LSG für das Land Niedersachsen a.a.O. unter Hinweis auf BSGE 90, 172, 175 f.). Denn aus der Verletztenrente lässt sich am ehesten eine Lohnersatzfunktion als Leistungszweck und damit derselbe Zweck unmittelbar aus dem Gesetz ableiten, den Leistungen nach dem SGB II haben.

Schließlich sind in der aufgrund der in § 13 SGB II ergangenen Alg II-VO weitere Regelungen zur Bestimmung des Einkommens enthalten. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Alg II-VO sind außer den in § 11 Abs. 3 SGB II genannten Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen unter anderem Zuwendungen Dritter, die einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch dienen, soweit sie die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht gerechtfertigt wären. Hier kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden, wonach der Zweck der Unfallrente in der Hauptsache ein Ersatz von Lohnausfall ist, was auch für die Leistungen nach dem SGB II gilt.

Zwar trifft es zu, dass der Bezug einer Verletztenrente bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe nach § 2 der bis zum 31.12.2004 geltenden Alhi-VO 2002 privilegiert war. Danach sah § 2 Satz 1 Ziff. 2 Alhi-VO 2002 vor, dass die Verletztenrente bis zur Höhe des Betrages, der in der Kriegsopferversorgung bei gleicher Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente und Schwerstbeschädigtenzulage gewährt würde, nicht als Einkommen galt (vgl. BSG SozR 4-4220 § 11 Nr. 2, S. 12). Ziel dieser Regelung war es, die Bezieher von Verletztenrenten den Grundrentenbeziehern nach dem BVG gleichzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 16.03.1983 - 7 RAr 29/82 -).

Demgegenüber wurden Verletztenrenten bei der Gewährung von Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz auch schon vor dem In-Kraft-Treten des SGB II gemäß §§ 76 f. BSHG in voller Höhe auf die Leistung angerechnet (vgl. BSGE 90, 172).

Die Entscheidung des Gesetzgebers, bei der Erschaffung der neuen Sozialleistung hinsichtlich der Anrechnung einer Unfallrente dem Modell der Sozialhilfe und nicht dem Modell der Arbeitslosenhilfe zu folgen, ist indes hinzunehmen und kann auch nicht mit dem Hinweis auf die Verletzung von Grundrechten erfolgreich angegriffen werden. Insbesondere liegt eine bewusste Anlehnung des Gesetzgebers an das Modell der Sozialhilfe vor, weswegen eine versehentliche Regelungslücke nicht angenommen werden kann (vgl. BT-Drucks. 15/1516 S. 53: "Abs. 3 orientiert sich ebenfalls am Sozialhilferecht und nimmt bestimmte Einnahmen wegen ihres Charakters oder der Zweckbestimmung von der Einkommensberücksichtigung aus").

Die Regelung in § 11 Abs. 3 und § 1 Abs. 1 Nr. 2 Alg II-VO verfolgt mehrere Ziele (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 11 Rdnr. 77): Zum einen soll vermieden werden, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch ihre Berücksichtigung im Rahmen des SGB II verfehlt wird. Dieses Ziel wird vorliegend erreicht, denn (s.o.) beide Leistungen dienen hauptsächlich dem Entgeltersatz und der Bestreitung der allgemeinen Lebensaufwendungen. Sofern der Kläger sich darauf beruft, er habe durch seinen Arbeitsunfall einen Ausfall von Arbeitsentgelt erlitten, sollen ihm die Leistungen nach dem SGB II in gleicher Weise dafür gewährt werden, dass er trotz grundsätzlichen Arbeitsvermögens wirtschaftlich hilfebedürftig ist. Deshalb wird auch der zweite Zweck der Regelungen, eine Doppelleistung aus öffentlichen Mitteln durch die Anrechnung zweckidentischer Leistungen zu erreichen (Mecke a.a.O.), erfüllt.

Ein Verstoß gegen das Grundgesetz (GG) ist nicht ersichtlich, weswegen eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG ausscheidet.

Eine Verletzung des Eigentumsgrundrechts in Art. 14 Abs. 1 GG entfällt, weil die Arbeitslosenhilfe über das allgemeine Steueraufkommen durch den Bund finanziert wurde und somit das eigentumsspezifische Merkmal der einkommensbezogenen Eigenleistung entfällt (Berkemann, Mitarbeiterkommentar zum Grundgesetz, 2002, Art. 14 Rdnr. 504). Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Arbeitslosenhilfe als staatliche Sozialleistung in der Berechnungshöhe anteilsmäßig als Lohnersatzleistung fungierte (vgl. BVerfGE 87, 234, 256). Weil Arbeitslosenhilfe auch anders als das Arbeitslosengeld nur im Falle der Bedürftigkeit gewährt wurde, fällt der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht unter den Schutzbereich des Art. 14 GG (vgl. nur BSGE 73, 10 , 17 ff = SozR 3-4100 § 118 Nr. 4; BSGE 85, 123 , 130 = SozR 3-4100 § 136 Nr. 11; BSG SozR 3-4300 § 427 Nr. 2; zuletzt BSG SozR 4-4300 § 434c Nr. 3). Ein Verstoß gegen Art. 14 GG liegt daher nicht vor.

Auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG kann nicht erkannt werden. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitssatz will in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern. Daher unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Er darf nicht eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 87, 1,,36; 92, 53, 68 f.; 95, 143, 153 f; 96, 315, 325; 100, 59, 90). Er kann grundsätzlich entscheiden, welche Merkmale er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet nur, dabei Art und Gewicht der tatsächlichen Unterschiede sachwidrig außer acht zu lassen (vgl. BVerfGE 94, 241, 260; st. Rspr.). Dem Gesetzgeber kommt zudem im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit für die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 99, 165, 178; 106, 166, 175 f.). Danach stand der Gesetzgeber vor der Entscheidung, bei der Einführung des Alg II zwischen einer Anrechnung von Verletztenrente wie zuvor bei der Sozialhilfe oder einer Nichtanrechnung wie bei der Arbeitslosenhilfe zu entscheiden. Der Gesetzgeber hat sich hierbei in nicht zu beanstandender Weise für eine Anrechnung entschieden, da nicht erkannt werden kann, dass die vorherige Anrechnung bei der Sozialhilfe auf durchgreifende verfassungswidrige Bedenken gestoßen wäre (ausführlich hierzu BSGE 90, 172). Im Übrigen hat der Gesetzgeber auch nunmehr nach der Aufhebung der Sozialleistung Arbeitslosenhilfe einheitliche Regeln für den Bezug von Sozialhilfe und Alg II geschaffen und insofern gerade eine Gleichbehandlung erreicht.

Sofern der Kläger rügt, dass der Bezieher von Sozialhilfe in bestimmten Situationen besser gestellt sei, weil er in besondern Lagen zusätzliche Leistungen erhalten könne, ergibt sich vorliegend keine nachvollziehbare Ungleichbehandlung. Denn hierfür müsste vorgetragen sein oder sonst erkennbar sein, dass bei dem Kläger eine der angesprochenen Lebenslagen auch vorliegt oder eintreten könnte.

Darüber hinaus ist die Entwicklung der Rechtsprechung zur Gewährung von besonderen Leistungen neben den Grundleistungen des SGB II noch keineswegs abgeschlossen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen der Grundsätzlichkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved