L 10 R 2198/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 3163/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2198/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Richtige Klageart gegen eine Aufrechnung durch einen Sozialleistungsträger ist die reine Anfechtungsklage. Eine zusätzliche Leistungsklage ist unzulässig (Abweichung zu BSG, Urteil vom 24.07.2003, B 4 RA 60/02 R).
Ersatzansprüche der Bundesagentur für Arbeit wegen gezahlter Beiträge (§§ 160, 166a AFG, § 335 SGB III) im Zusammenhang mit der so genannten Gleichwohlgewährung von Alg stellen keine Beitragsansprüche dar und berechtigen nicht zu einer privilegierten Verrechnung/Aufrechnung nach § 51 Abs. 2 SGB I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15. April 2005 und der Bescheid vom 12. Mai 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2004 aufgehoben.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine von der Beklagten zugunsten der Beigeladenen ausgesprochene Verrechnung.

Der am 1931 geborene Kläger bezieht seit 1995 von der Beklagten Altersrente, seit 1. Juli 2004 in Höhe von 970,15 EUR bzw. - einschließlich des Zuschusses zur Krankenversicherung (69,37 EUR) - 1039,52 EUR. Sein Beitrag zur privaten Krankenversicherung betrug ab diesem Zeitpunkt monatlich 730,86 EUR, seit 1. Januar 2005 beträgt er monatlich 729,81 EUR.

Die Beigeladene hat gegen den Kläger bestandskräftig festgestellte Forderungen aus übergegangenem Arbeitsentgelt (§ 115 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -), einmal im Zusammenhang mit der Gewährung von Konkursausfallgeld im Jahre 1983 (§ 141m des bis zum 31.12.1997 geltenden Arbeitsförderungsgesetzes - AFG -, Bescheid vom 29. Mai 1985) in Höhe von 68.244,18 DM und einmal im Zusammenhang mit der Gewährung von Arbeitslosengeld im Jahre 1983 (§ 117 Abs. 4 AFG (Gleichwohlgewährung), Bescheid vom 17. Oktober 1984 und weiterer Bescheid unklaren Datums) an frühere Arbeitnehmer des Klägers in Höhe von insgesamt 43.720,00 DM einschließlich eines Anspruches auf Ersatz der jeweils von der Beigeladenen getragenen Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung (§§ 160, 166a AFG) in Höhe von insgesamt 22.390,60 DM (= 11.448,13 EUR). Verrechnungen gegen die Altersrente erfolgten zugunsten der Beigeladenen auf diese Forderungen bis zum 31. Dezember 2001 in Höhe von insgesamt 4541,65 EUR, danach unterblieb eine Verrechnung, weil die Rente die Pfändungsfreigrenze nicht überschritt. Eine weitere Forderung der Beigeladenen gegen den Kläger in Höhe von 1916,75 DM war bereits im Januar 1996 durch Verrechnung mit der Rente erloschen.

Nachdem die Beigeladene wegen der eingestellten Verrechnung nachgefragt hatte, verrechnete die Beklagte nach Anhörung des Klägers, der dabei Unterhaltspflicht für eine Person behauptete, mit Bescheid vom 12. Mai 2004 ab 1. Juli 2004 zugunsten der Beigeladenen einen Betrag von 200,00 EUR monatlich gegen die Rente in Höhe von 970,15 EUR. Auf Pfändungsfreigrenzen komme es bei § 51 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) nicht an, Sozialhilfebedürftigkeit sei nicht nachgewiesen. Das Widerspruchsverfahren, während dessen die Beigeladene ihre Forderungen gegen den Kläger im Einzelnen konkretisierte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. September 2004, am 17. August zur Post aufgegeben). Zur weiteren Feststellung des Inhalts dieser Bescheide, auch hinsichtlich der Ermessenserwägungen, wird auf Bl. 186 und 199 f. der Verwaltungsakte verwiesen.

Das hiergegen am 18. August 2004 angerufene Sozialgericht Mannheim hat die Klage mit Urteil vom 15. April 2005 abgewiesen. Es ist im Wesentlichen der Argumentation im angefochtenen Bescheid gefolgt.

Gegen das ihm am 21. April 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. Mai 2005 Berufung eingelegt.

Er beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15. April 2005 und den Bescheid vom 12. Mai 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie beharrt aber darauf, dass die Voraussetzungen für eine Verrechnung, insbesondere Beitragsansprüche vorliegen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Verrechnung liegen im vorliegenden Fall nicht vor.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides gründen sich zunächst auf den Umstand, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 24. Juli 2003, B 4 RA 60/02 R in SozR 4-1200 § 52 Nr. 1) eine Verrechnungserklärung nicht in Form eines Verwaltungsaktes ergehen darf, weil es hierfür an einer gesetzlichen Grundlage fehlen soll. Danach müsste der angefochtene Bescheid schon aus formellen Gründen - fehlende so genannte VA-Befugnis - aufgehoben werden (BSG, a. a. O.). Einer Entscheidung hierüber bedarf es im vorliegenden Fall aber ebenso wenig, wie zu den von der Beklagten vorgebrachten Einwendungen gegen die genannte Rechtsprechung. Damit bedarf es auch keiner Ausführungen zu dem Urteil des 5. Senats des BSG vom 10. Dezember 2003, B 5 RJ 18/03 R, in dem eine bescheidmäßig erklärte Verrechnung völlig unangetastet blieb, zugleich aber die Frage nach der VA-Befugnis offen gelassen wurde.

Für den Senat nicht ganz nachvollziehbar ist allerdings die vom 4. Senat des BSG im genannten Urteil gezogene Konsequenz, wonach die Verrechnungserklärung selbst durch die Aufhebung des Bescheides nicht betroffen sei. Nach Auffassung des Senats wird mit der gerichtlichen Kassation eines Bescheides, also eines Verwaltungsakts nicht nur gleichsam der Mantel der Verwaltungsakt-Qualität beseitigt, sondern die im Bescheid liegende Regelung (§ 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -SGB X -) aufgehoben (in diesem Sinn auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Juni 1987, 8 C 21.86 in BVerwGE 78, 3, 6 letzter Absatz, wonach nur im Falle der Bejahung der VA-Befugnis eine weitergehende materielle Prüfung stattfindet; Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, 10. Aufl., § 31 Rdnr. 5). Angesichts der eindeutigen Erklärung der Beklagten im angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid besteht auch kein Zweifel daran, dass hier eine Regelung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen werden sollte. Es ist daher kein Raum für die Überlegung, es liege keine solche Regelung vor, weil eine solche Regelung unzulässig wäre. Die Qualifikation einer behördlichen Äußerung als Verwaltungsakt hat unabhängig davon zu erfolgen, ob eine Rechtsgrundlage für eine Regelung durch Verwaltungakt gegeben ist (BSG, Urteil vom 18. September 1997, 11 RAr 85/96 in SozR 3-4100 § 34 Nr. 4). Deshalb muss - und will - sich die Beklagte an ihrer mit Zugang beim Kläger wirksam gewordenen (§ 39 Abs. 1 SGB X) Erklärung in Form eines Verwaltungsaktes festhalten lassen.

Mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides steht dann fest, dass die einbehaltenen Beträge auf Grund der Rentenbewilligung an den Kläger auszuzahlen sind. Insoweit unterscheidet sich der Fall der Verrechnung nicht wesentlich von einer Abzweigung (s. BSG, Urteil vom 13. Mai 1987, 7 RAr 13/86 in SozR 1200 § 48 Nr. 11) oder von einer vollständigen oder teilweisen Aufhebung einer Leistungsbewilligung. Richtige Klageart ist somit die reine Anfechtungsklage. Eine Leistungsklage auf Auszahlung der einbehaltenen Beträge, wie sie der 4. Senat des BSG im genannten Urteil für erforderlich hält (ebenfalls offen gelassen vom 5. Senat im erwähnten Urteil), wäre daher unzulässig und ist vom Kläger auch nicht erhoben worden.

Keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen im Hinblick auf dessen inhaltliche Bestimmtheit. Im bereits erwähnten Urteil des 4. Senats ist auch ausgeführt, dass es an einer solchen inhaltlichen Bestimmtheit fehlt, wenn für den Empfänger der Verrechnungserklärung - hier also den Kläger - nicht erkennbar ist, mit welcher Forderung der Beigeladenen verrechnet werden soll. Im angefochtenen Bescheid vom 12. Mai 2004 wird zwar lediglich eine Forderung der Beigeladenen in Höhe von 69.674,53 EUR genannt. Eine Differenzierung nach Art und Grund erfolgte nicht. Eine solche Differenzierung war der Beklagten auch nicht möglich, weil sie erst während des Widerspruchsverfahrens entsprechenden Vortrag der Beigeladenen veranlasste. Im Widerspruchsbescheid vom 14. September 2004 legte die Beklagte dann aber Art und Grund der verschiedenen Forderungen dar. Auf Grund dieser Ausführungen war es dem Kläger erkennbar, dass sich die Verrechnung auf sämtliche bei der Beklagten gegen ihn noch bestehenden Forderungen, die ihm bekannt waren und sind, bezog.

Ob und mit welchen Konsequenzen die Handlungsweise der Beklagten Probleme im Zusammenhang mit der vom Gesetz vorgeschriebenen Anhörung (§ 24 SGB X) aufwirft, lässt der Senat im Hinblick auf die nachfolgenden Ausführungen und die daraus zu ziehenden endgültigen Konsequenzen offen.

Einzig mögliche rechtliche Grundlage für die von der Beklagten erklärte Verrechnung ist § 52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), wonach der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger - hier die Beklagte im Hinblick auf die dem Kläger zustehende Rente - mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers - hier der Beigeladenen - dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung - der Rente - verrechnen kann, soweit nach § 51 die Aufrechnung zulässig ist.

Dabei unterscheidet § 51 SGB I in seinen beiden Absätzen nach dem Inhalt der zur Aufrechnung bzw. - über § 52 SGB I - zur Verrechnung gestellten Ansprüche. Nach § 51 Abs. 1 SGB I kann gegen Ansprüche auf Geldleistungen aufgerechnet werden, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 pfändbar sind. Abs. 2 des § 51 SGB I betrifft Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und Beitragsansprüche nach diesem Gesetzbuch und erlaubt die Aufrechnung gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch wird.

Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 SGB I sind nicht erfüllt. Eine Pfändbarkeit nach § 54 Abs. 2 SGB I kommt nicht in Betracht, weil die dem Kläger zustehende Rente keine einmalige Geldleistung darstellt. Dementsprechend kann sich eine Pfändbarkeit der Altersrente nur aus § 51 Abs. 1 i. V. m. § 54 Abs. 4 SGB I ergeben. Nach der letztgenannten Vorschrift können Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. Damit verweist die Regelung auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO).

Nach § 850 Abs. 1 ZPO kann Arbeitseinkommen, das in Geld zahlbar ist, nur nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i gepfändet werden. Dabei ist Arbeitseinkommen gemäß § 850c ZPO unpfändbar, wenn es einen bestimmten Betrag nicht übersteigt. Dieser Betrag belief sich in der Zeit vom 1. Juli 2003 bis 30. Juni 2005 auf monatlich 930 EUR (§ 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO in der damals geltenden Fassung) und beträgt seit 1. Juli 2005 monatlich 985,15 EUR. In Fällen gesetzlicher Unterhaltspflicht gegenüber Dritten wird dieser Pfändungsfreibetrag entsprechend erhöht (§ 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO). Bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens sind nach § 850e Nr. 1 ZPO u. a. Beiträge an ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung nicht mitzurechnen, also in Abzug zu bringen. Dabei kann hier offen bleiben, ob ein derartiger Abzug von Beiträgen zur privaten Krankenversicherung der Höhe nach auf entsprechende Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt ist. Denn schon allein der von der Beklagten gewährte Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag, der sich an der monatlichen Rente orientiert, betrug 69,37 EUR. Der Rentenbetrag selbst belief sich auf monatlich 970,15 EUR, sodass auch bei Abzug allein eines Beitrages zur gesetzlichen Krankenversicherung der Pfändungsfreibetrag nicht überschritten wurde. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten.

Ob der Kläger, der mietfrei wohnt, neben der von der Beklagten bezogenen Rente über sonstige Einkünfte verfügt, kann offen bleiben. Zwar sind nach § 850e Nr. 2 Satz 1 ZPO mehrere Arbeitseinkommen auf Antrag vom Vollstreckungsgericht bei der Pfändung zusammenzurechnen, wobei Zweifel bestehen, in welchem Umfang dies auf § 51 SGB I übertragen werden kann. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist jedenfalls der unpfändbare Grundbetrag in erster Linie dem Arbeitseinkommen zu entnehmen, das die wesentliche Grundlage der Lebenshaltung des Schuldners bildet. Nr. 2a regelt darüber hinaus das Zusammentreffen von Arbeitseinkommen mit Ansprüchen auf laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch und privilegiert dabei Ansprüche nach dem Sozialgesetzbuch insoweit, als der unpfändbare Grundbetrag in erster Linie diesen Ansprüchen, hier also der Rente des Klägers, zu entnehmen ist (Satz 2). Damit bleibt es dabei, dass sich kein pfändungsfreier Betrag aus der Rente ergibt.

Somit kommt als mögliche Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids nur § 51 Abs. 2 SGB I in Betracht.

Soweit die Beklagte die Ansprüche der Beigeladenen wegen übergegangenem Arbeitsentgelt (§ 115 SGB X i. V. m. § 141m bzw. § 117 Abs. 4 AFG) zur Verrechnung stellte, ist dies rechtswidrig. Denn es handelt sich hierbei nicht - wie von § 51 Abs. 2 SGB I aber verlangt - um Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen oder um Beitragsansprüche. Denn die damaligen Leistungen an die früheren Arbeitnehmer des Klägers erbrachte die Beigeladene zu Recht. Gegenteiliges wird auch weder von der Beklagten noch von der Beigeladenen vertreten. Inwieweit sich dieser Umstand auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung auswirkt - noch im Widerspruchsbescheid ging die Beklagte davon aus, dass die Gesamtforderung der Beigeladenen dem § 51 Abs. 2 SGB I unterfällt -, kann im Hinblick auf die nachfolgenden Ausführungen offen bleiben.

Die Beigeladene vertritt die Auffassung, dass der Ersatzanspruch in Höhe von 11.448,13 EUR dem § 51 Abs. 2 SGB I unterfällt. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Dabei spielt es für die Entscheidung des Senats keine Rolle, dass bereits früher Verrechnungen in einer Gesamthöhe von 4541,65 EUR erfolgten, ohne dass klar wäre, inwieweit diese Verrechnungen die nun von der Beigeladenen in den Vordergrund gestellte Forderung von 11.448,13 EUR betrafen. Denn es liegt selbst bei einer vollständigen Verrechnung der beiden Beträge noch eine Restforderung vor, die die hier erklärte Verrechnung tragen würde.

Rechtsgrundlage dieser Forderung der Beigeladenen gegen den Kläger sind die §§ 160 und 166a AFG (zum identischen Recht ab 1. Januar 1998 s. § 335 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III -). Nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AFG hatte der Arbeitgeber der Beigeladenen die im Fall des § 117 Abs. 4 Satz 1 AFG geleisteten Beiträge zur Krankenversicherung zu erstatten. Er wurde damit zugleich von seiner eigenen Verpflichtung zur Beitragszahlung befreit (Satz 2). § 166a AFG sah die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift für Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung vor.

§ 117 Abs. 4 Satz 1 AFG regelte die Gewährung von Arbeitslosengeld auch für Zeiträume, in denen der Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen eines gleichzeitig bestehenden Anspruchs auf Arbeitsentgelt ruhte (§ 117 Abs. 1 AFG), wenn der Arbeitslose das Arbeitsentgelt tatsächlich nicht erhielt (so genannte Gleichwohlgewährung). Nach § 115 SGB X ging der Anspruch des Arbeitnehmers in einem solchen Fall bis zur Höhe des gezahlten Arbeitslosengeldes auf die Beigeladene über.

Dies zeigt, dass es sich bei dem Anspruch der Beigeladenen gegen den Kläger nicht um einen Beitragsanspruch handelt. Denn der Kläger wurde mit der Zahlung der Beiträge durch die Beigeladene von seiner Verpflichtung zur Beitragszahlung befreit (§ 160 Abs. 1 Satz 2 AFG). Dann kann es sich bei dem " Rückgriff" der Beigeladenen nicht wiederum um einen Beitragsanspruch handeln. Anders als für die Zahlung des Arbeitslosengeldes nach § 117 Abs. 4 Satz 1 AFG mit § 115 SGB X sah (und sieht) das Gesetz auch keinen entsprechenden Forderungsübergang vor. Vielmehr hat der Kläger lediglich den Aufwand der Beigeladenen zu ersetzen, der aus der Zahlung von Beiträgen wegen der Gewährung von Leistungen an die früheren Arbeitnehmer des Klägers resultierte. Es handelt sich somit bei der Forderung der Beigeladenen um einen - bestandskräftig festgestellten - originären Ersatzanspruch (BSG, Urteil vom 22. Juni 1994, 10 RAr 3/93 in SozR 3-4100 § 160 Nr. 1; Urteil vom 13. September 1979, 12/7 RAr 108/78 in SozR 2200 § 29 Nr. 13).

Soweit die Beigeladene ausführt, aus § 51 Abs. 2 SGB I ergebe sich nicht, dass es sich um originäre Beitragsansprüche handeln müsse, gemeint seien alle Beitragsansprüche unabhängig von ihrer jeweiligen Rechtsgrundlage, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Die Formulierung "Beitragsansprüche nach diesem Gesetzbuch" ist eindeutig und betrifft sämtliche Ansprüche auf Zahlung von Beiträgen nach dem Sozialgesetzbuch. Ersatzansprüche gehören damit nicht dazu.

Auch eine entsprechende Anwendung des § 51 Abs. 2 SGB I kommt nicht in Betracht. Hierzu fehlt es an einer Lücke im Gesetz. Wie sich aus Inhalt und systematischer Stellung der beiden Absätze des § 51 SGB I ergibt, handelt es sich bei Abs. 2 um eine Ausnahmeregelung zu Abs. 1. Während Abs. 1 alle Ansprüche auf Geldleistungen umfasst und für laufende Geldleistungen - über § 54 Abs. 4 - die Pfändungsgrenzen zur Anwendung bringt, bietet Abs. 2 eine erweiterte Aufrechnungsmöglichkeit ohne Beachtung der Pfändungsgrenzen, allerdings beschränkt für Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und Beitragsansprüche. Erfasst somit § 51 Abs. 1 i. V. m. § 54 Abs. 2 und 4 SGB I alle Ansprüche auf Geldleistungen und § 51 Abs. 2 nur bestimmte Arten von Ansprüchen, scheidet eine analoge Anwendung des Abs. 2 mangels Lücke aus, weil alle von Abs. 2 nicht erfassten Sachverhaltsvarianten zwangsläufig § 51 Abs. 1 unterfallen.

Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil des BSG vom 13. September 1979 (a. a. O.). Zwar wurden dort auf Ersatzansprüche nach §§ 160, 166a AFG beitragsrechtliche Verjährungsvorschriften analog angewendet. Der wesentliche Unterschied zu dem vorliegenden Fall besteht darin, dass für die Frage der Verjährung nach dem vom BSG damals angewandten Recht keine Grundnorm über die Verjährung in Rede stand, zu der beitragsrechtliche Verjährungsvorschriften die Ausnahme gebildet hätten.

Mit dem von der Beigeladenen unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 22. Juni 1994 (a. a. O.) vorgebrachten Argument, ein säumiger Arbeitgeber dürfe sich nicht dadurch Vorteile verschaffen, dass er geschuldetes Arbeitsentgelt nicht auszahle bzw. fällige Beiträge nicht entrichte, ließe sich jede beliebige Entscheidung unabhängig von der konkreten Gesetzeslage rechtfertigen. Insbesondere ließe sich jeglicher Vollstreckungsschutz umgehen, weil generell nicht einzusehen ist, dass säumige Zahlungspflichtige gegenüber den pünktlich Zahlenden Vorteile haben. Auch ist beispielsweise nicht unbedingt einzusehen, dass ein Arbeitsentgelt schuldig gebliebener Arbeitgeber im Zusammenspiel von § 51 Abs. 1 und Abs. 2 SGB I Vorteile zieht, obwohl nach § 117 AFG die Zahlung von Arbeitslosengeld eigentlich zu Unrecht erfolgte und nur auf Grund der Sonderregelung des § 117 Abs. 4 Satz 1 AFG möglich war. Gleichwohl wird noch nicht einmal von der Beigeladenen eine analoge Anwendung des § 51 Abs. 2 SGB I auf den übergegangenen Arbeitsentgeltanspruch in Betracht gezogen.

Die von der Beklagten herangezogenen Ausführungen des BSG betrafen auch nicht die Frage der Durchsetzbarkeit einer bestehenden Forderung, sondern die Problematik, inwieweit ein Beitragsanspruch von der Säumigkeit des Zahlungsverpflichteten abhängig sein kann. Im konkreten Falle wurde diskutiert, ob ein Beitragsanspruch nachträglich entfällt, wenn durch Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist die - nicht erfüllte - Lohnforderung erlischt. Hierzu gab es - so die ausdrückliche Feststellung des BSG - keinerlei Anhaltspunkte im Gesetz, dem Gesetzeszweck oder der Rechtsprechung. Damit aber galten für die Beurteilung der Rechtslage keine Vorgaben, sodass allgemeine Grundsätze und Überlegungen, insbesondere mit dem Maßstab von Treu und Glauben Anwendung finden konnten. Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall maßgeblich, weil hier die gesetzgeberische Grundentscheidung des § 51 SGB I zu beachten ist.

Im Übrigen dürfte die Privilegierung von Beitragsansprüchen in § 51 Abs. 2 SGB I im Zusammenhang stehen mit der Funktionsfähigkeit der Leistungsträger. Da diese ihre Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch ausschließlich oder im Wesentlichen durch Beiträge finanzieren, kommt der (pünktlichen) Zahlung dieser Beiträge entscheidende Bedeutung zu. Dementsprechend rechtfertigt sich auch die Privilegierung im Rahmen des § 51 Abs. 2 SGB I. Im vorliegenden Fall aber wurden die Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung von der Beigeladenen bereits in den 1980er-Jahren gezahlt, sodass der Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit der Kranken- und Rentenversicherung hier keine Rolle mehr spielt. Auch Sinn und Zweck des § 51 Abs. 2 SGB I rechtfertigt daher keine ausdehnende Anwendung.

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig. Auf die Frage, inwieweit die - von § 51 SGB I geforderten - Ermessenserwägungen der Beklagten, insbesondere zur Höhe der erklärten Verrechnung einer Überprüfung standhalten, kommt es daher nicht an. Auf die Berufung des Klägers ist das angefochtene Urteil und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (Erstreckung des § 51 Abs. 2 SGB I auch auf Ersatzansprüche) zuzulassen. Es handelt sich insoweit nicht um ausgelaufenes Recht, weil § 335 Abs. 3 SGB III für die Zeit ab dem 1. Januar 1998 eine mit den §§ 160 Abs. 1, 166a AFG identische Regelung enthält.
Rechtskraft
Aus
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