Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 2526/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3269/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Beschwerden in mehreren Wirbelsäulenabschnitten stellen ein einheitliches Grundleiden dar und sind damit dieselbe Erkrankung im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB V.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16. Juni 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine erneute Arbeitsunfähigkeit des Klägers auf derselben Krankheit wie eine zuvor bestandene Arbeitsunfähigkeit beruhte.
Der 1952 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Kläger, der als Versandmitarbeiter bei der Papierfabrik S. beschäftigt ist, war vom 26.11.2003 bis 06.01.2004 wegen eines Wirbelsäulenleidens arbeitsunfähig. Dabei gab der behandelnde Orthopäde B. folgende Diagnosen an: am 26.11.2003 "M54.2" (Cervikalneuralgie), am 01.12.2003 und 03.12.2003 "M54.1" (Radikulopathie - ohne nähere Angabe -), am 08.12.2003 "M54.1" und "M54.2" sowie am 15.12., 22.12. und 29.12.2003 jeweils "M54.1".
Ab dem 19.04.2004 bis 16.05.2004 wurde dem Kläger erneut durch den Orthopäden B. Arbeitsunfähigkeit attestiert wegen eines Halswirbelsäulen-Syndroms (Diagnose: "M54.2" - Cervikalneuralgie - und "M54.12G" - Radikulopathie im Cervikalbereich -). In den Folgebescheinigungen ab 16.05.2004 bis 25.07.2004 lauteten die Diagnosen: "M54.2G", "M50.2G" (sonstige cervikale Bandscheibenverlagerung) und "G54.2VL" (Läsionen der Cervikalwurzel, anderenorts nicht klassifiziert, Verdachtsdiagnose links). Letzter Tag der Arbeitsunfähigkeit war der 25.07.2004.
Ausweislich der Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers vom 13.05.2004 hatte der Kläger bis 16.04.2004 gearbeitet, bis 18.04.2004 sei das Arbeitsentgelt weiter gezahlt worden. Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts bestehe für weniger als 6 Wochen wegen Vorerkrankung aufgrund derselben Krankheit vom Oktober und November 2003.
Die Beklagte hatte dem Kläger Krankengeld (Krg) zunächst ab 29.04.2004, auf den Widerspruch des Klägers jedoch für die Zeit vom 19.04. bis 25.07.2004 in Höhe von täglich 45,69 EUR brutto (=39,37 EUR netto) - insgesamt 3.818,89 EUR - bewilligt nach Vorlage eines Auszahlscheins (Bescheide vom 13.05.2004 und 02.06.2004).
Dr. K. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), dem die Beklagte die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom November 2003 bis Januar 2004 und ab 19.04.2004 übersandt hatte, äußerte sich in seiner Stellungnahme vom 19.05.2004 dahingehend, die Diagnose Cervikalneuralgie (M54.2) sei bereits in der AU-Schreibung vom November 2003 bis Januar 2004 erwähnt worden, so dass die aktuelle Arbeitsunfähigkeit mit erneuter Diagnose Cervikalneuralgie damit in Zusammenhang stehe.
Mit Schreiben vom 25.05.2004 teilte die Beklagte dem Kläger hierauf mit, dass die aktuelle Arbeitsunfähigkeit seit April 2004 mit der Arbeitsunfähigkeit vom November 2003 bis Januar 2004 im Zusammenhang stehe.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
Die Firma S. setzte die Beklagte mit Schreiben vom 01.06.2004 in Kenntnis, dass der dem Kläger zuviel bezahlte Monatslohn April mit der Folgeabrechnung verrechnet werde, da die Krankheit ab 19.04.2004 eine Folgeerkrankung sei. Dem habe der Kläger widersprochen, weswegen um Äußerung gebeten werde, ob es sich um eine Folgeerkrankung handle oder nicht. Der Orthopäde B. vertrat in seiner Stellungnahme vom Juni 2004 die Auffassung, die Arbeitsunfähigkeit im Dezember 2003 sei durch ein chronisches LWS-Syndrom bei Z. n. NPP-OP bedingt gewesen, während es sich bei der Neuerkrankung um ein HWS-Syndrom handle. Zwar seien auch am 08.12.2003 Beschwerden im Sinne eines HWS-Syndroms (M54.02) aufgeführt worden, diese hätten jedoch nur eine Nebendiagnose dargestellt.
Hierzu führte Dr. W. vom MDK aus, zwischen jetziger und früherer Erkrankung bestehe ein unmittelbarer Zusammenhang, da das gleiche Organ (Wirbelsäule) betroffen sei.
Dem widersprach der Orthopäde B. in einer weiteren Stellungnahme vom 07.07.2004. Seinerseits sei eindeutig festzustellen, dass es sich zwar um das gleiche Organ (Wirbelsäule) handle, jedoch um unterschiedliche Abschnitte des Achsenorgans. Hierbei würden auch zwangsläufig unterschiedliche Diagnosen gestellt und von der Krankenkasse zwingend verlangt. Im Herbst habe die Hauptbeschwerdesymptomatik im Bereich der Lendenwirbelsäule und seit 19.04.2004 in Form einer Cervikoneuralgie bestanden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück: Der Zusammenhang der Arbeitsunfähigkeitszeiten Ende 2003 und ab 19.04.2004 sei vom MDK bestätigt worden. Da die Beklagte nach Vorlage eines Auszahlscheins jederzeit bereit sei, dem Kläger für die Dauer der beschwerten Arbeitsunfähigkeitszeit in voller Höhe Krg zu gewähren, der Kläger jedoch bisher keinen Auszahlschein vorgelegt habe, sei es nicht möglich, das für den Kläger bereitgestellte Krg auszuzahlen. Der Widerspruch des Klägers sei wohl dahingehend zu interpretieren, dass er offensichtlich die Erlangung von Entgeltfortzahlung gegenüber seinem Arbeitgeber begehre. Die Gewährung von Entgeltfortzahlung sei der Beklagten jedoch nicht möglich, so dass der Kläger insoweit mit seinem Begehren an seinen Arbeitgeber zu verweisen sei.
Deswegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) mit dem Begehren, den Bescheid vom 25.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2004 aufzuheben. Unter Hinweis auf die Stellungnahme des Arztes B. vom Juli 2004 machte er geltend, im Arbeitsunfähigkeitszeitraum ab dem 19.04.2004 habe es sich aufgrund des Fehlens eines unmittelbaren Zusammenhangs mit früheren Erkrankungen um eine sog. Ersterkrankung gehandelt. Er sei daher nach wie vor der Meinung, dass eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle ab 19.04.2004 erfolgen müsse, so dass ihm Ansprüche bezüglich des Differenzbetrages zwischen Krg und Lohnfortzahlung zustünden. Vor diesem Hintergrund sei er durch die Entscheidung der Beklagten beschwert. Zur Stützung seines Begehrens legte der Kläger eine weitere Stellungnahme des Orthopäden B. vom Juni 2005 vor.
Mit Urteil vom 16.06.2005, den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 06.07.2005, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im wesentlichen aus, nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.12.2004 (B 1 KR 10/03 R) handle es sich bei einer wiederholten Erkrankung im Rechtssinne um dieselbe Krankheit, wenn ihr dieselbe, nicht behobene Krankheitsursache zugrunde liege. Es genüge, wenn ein medizinisch nicht ausgeheiltes Grundleiden latent weiter bestehe und nach einem beschwerdefreien oder beschwerdearmen Intervall erneut Krankheitssymptome hervorrufe. Diese Sichtweise stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Recht der Entgeltfortzahlung, um die es hier im Kern eigentlich gehe. Eine präzisere Eingrenzung sei angesichts der Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs kaum möglich und bei einem durchgehend vorliegenden Wirbelsäulengrundleiden auch nicht veranlasst. Verursache eine anatomische Veränderung immer wieder gleichartige oder ähnliche Beschwerden, so könne es sich, auch wenn für sich betrachtet jedes Mal ein neues, akutes Krankheitsgeschehen vorliege, nur um "dieselbe Krankheit" im Rechtssinne handeln. Hiervon ausgehend sei zum einen der zeitlichen Komponente, hier der Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit für ca. 3 Monate nicht ein solches Gewicht einzuräumen, dass von einer neuen Erkrankung ausgegangen werden könnte, zum anderen sei bei der Beurteilung, ob "dieselbe Krankheit" vorliege, eine eher grobe Begrifflichkeit hinsichtlich der vorliegenden Erkrankungen anzuwenden. Deswegen sei hier auf ein Wirbelsäulenleiden und nicht etwa auf ein Leiden an der Halswirbelsäule oder der Lendenwirbelsäule abzustellen. Entgegen der Auffassung des behandelnden Orthopäden sei nicht der fachmedizinisch-anatomischen Sicht im Sinne einer stärker differenzierenden Betrachtung zu folgen.
Hiergegen richtet sich die am 08.08.2005 (einem Montag) eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor, im vorliegenden Fall werde zu wenig differenziert, denn die Annahme des SG sei nicht zutreffend, wonach Rückenbeschwerden regelmäßig nicht nur auf einen Wirbelsäulenabschnitt lokalisiert seien. Es sei mindestens genauso häufig, dass sich Erkrankungen nur auf einen oder zwei Wirbelsäulenabschnitte beschränkten. Auch die Heranziehung der sog. "Anhaltspunkte" zur Bewertung des Grades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht lasse erkennen, dass differenziert werde, in wie vielen Abschnitten der Wirbelsäule Erkrankungen vorlägen. Für die erste Arbeitsunfähigkeitszeit sei die Erkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule im wesentlichen allein maßgeblich gewesen. Für die streitgegenständliche Erkrankung sei erstmals der Bereich der HWS in entscheidungserheblicher Weise getroffen worden. Der Orthopäde B. habe bestätigt, dass das Bandscheibenleiden in der HWS neu hinzugetreten sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16. Juni 2005 sowie den Bescheid vom 25. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte erachtet das angefochtene Urteil des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Senat kann offenlassen, ob es sich bei der Mitteilung der Beklagten vom 25.05.2004 überhaupt um einen Verwaltungsakt handelt, denn die Beklagte hat über den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid entschieden, so dass der Kläger insoweit beschwert ist.
Wie das SG im Urteil ausführlich unter zutreffender Darstellung der Rechtsprechung des BSG zum Rechtsbegriff "dieselbe Krankheit" begründet hat, ist die Feststellung der Beklagten, dass die Erkrankung des Klägers ab dem 19.04.2004 im Zusammenhang mit der Erkrankung bis zum 06.01.2004 stand, nicht zu beanstanden. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des SG in vollem Umfang an und sieht deswegen insoweit von einer weiteren Darstellung seiner Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren zu keinem anderen Ergebnis führt.
Der Kläger erkrankte sowohl im November/Dezember 2003 als auch ab 19.04.2004 an Wirbelsäulenleiden, die zur Arbeitsunfähigkeit führten. Dabei standen Ende 2003 ausweislich der Äußerungen des Orthopäden B. ein LWS-Syndrom und ab 19.04.2004 ein HWS-Syndrom im Vordergrund des Beschwerdebildes. Ob auch am 26.11.2003 eine Cervikalneuralgie (M54.2) bestand, ist letztlich unerheblich, so dass dem Hinweis des Klägers bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 26.11.2003 nicht nachgegangen werden musste. Denn Beschwerden in mehreren Wirbelsäulenabschnitten stellen ein einheitliches Grundleiden dar und damit dieselbe Erkrankung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V (vgl. auch BSG, Urteil vom 12.10.1988 - 3/8 RK 28/87 -). Sowohl der Arbeitsunfähigkeit ab 26.11.2003 als auch der Arbeitsunfähigkeit ab 19.04.2004 lagen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule zugrunde. Bei den auf degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule beruhenden Beschwerdezuständen, die Behandlungsbedürftigkeit oder bzw. und Arbeitsunfähigkeit bedingen, handelt es sich jedenfalls dann um dieselbe Krankheit, wenn die Wirbelsäulenveränderungen in kürzeren Zeitabschnitten zu solchen Beschwerdezuständen führen. Degenerative Veränderungen an der gesamten Wirbelsäule, die sich in gleichartigen Beschwerden in mehreren Wirbelsäulenabschnitten äußern, stellen ein einheitliches Grundleiden dar. Es liegt demzufolge auch dann dieselbe Krankheit vor, wenn von den in kürzeren Zeitabständen auftretenden Beschwerden die einzelnen Wirbelsäulenabschnitte unterschiedlich stark betroffen sind (vgl. BSG vom 12.10.1988 - 3/8 RK 28/87 -).
Im Falle des Klägers beruhte die Arbeitsunfähigkeit in den beiden hier in Frage stehenden Zeiträumen auf der Erkrankung des Achsenorgans (der Wirbelsäule). Es kommt nicht mehr darauf an, in welchen Wirbelsäulenabschnitten sich die Beschwerden zeitweise stärker oder schwächer bemerkbar machten. Davon abgesehen ist zumindest der am 08.12.2003 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch die Diagnose "M54.2" (Cervikalneuralgie) zu entnehmen.
Diese Sichtweise steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Recht der Entgeltfortzahlung, derzufolge unter "dieselbe" Krankheit "ein noch medizinisch latent weiter bestehendes, nicht ausgeheiltes Grundleiden" verstanden wird, ohne dass sich dabei identische Krankheitssymptome äußern müssen (BAG AP Nr. 50 und 61 zu § 1 LFZG).
Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 07.12.2004 - B 1 KR 10/03 R - nochmals deutlich gemacht, dass eine präzisere Eingrenzung angesichts der Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs "dieselbe Krankheit" kaum möglich und bei einem durchgehend vorliegenden Wirbelsäulengrundleiden auch nicht veranlasst ist. Insoweit ist eine enge fachmedizinisch-anatomische Sicht, wie sie von dem Orthopäden B. vertreten wird, nach der Rechtsprechung des BSG mit der gesetzgeberischen Intention des § 48 SGB V nicht vereinbar. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an, da andernfalls - worauf auch die Beklagte zu Recht hinweist - bei hinreichend differenzierter Diagnosestellung eine Einengung des zeitlichen Umfangs der Krankengeldgewährung nicht mehr möglich wäre.
Der Hinweis des Klägers auf die sogenannten "Anhaltspunkte" zur Bewertung des Grades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht geht fehl, denn auch dort werden Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt, so z. B. Arme, Beine, Rumpf. Lediglich für den Schweregrad der Wirbelsäulenerkrankung ist die Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte von Bedeutung. Es handelt sich aber immer um eine Gesamtbewertung des Organsystems Wirbelsäule, d. h. es werden keine gesonderten GdB-Werte für Schäden im Bereich der Halswirbelsäule, Brustwirbelsäule oder Lendenwirbelsäule vergeben.
Die Berufung konnte hiernach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine erneute Arbeitsunfähigkeit des Klägers auf derselben Krankheit wie eine zuvor bestandene Arbeitsunfähigkeit beruhte.
Der 1952 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Kläger, der als Versandmitarbeiter bei der Papierfabrik S. beschäftigt ist, war vom 26.11.2003 bis 06.01.2004 wegen eines Wirbelsäulenleidens arbeitsunfähig. Dabei gab der behandelnde Orthopäde B. folgende Diagnosen an: am 26.11.2003 "M54.2" (Cervikalneuralgie), am 01.12.2003 und 03.12.2003 "M54.1" (Radikulopathie - ohne nähere Angabe -), am 08.12.2003 "M54.1" und "M54.2" sowie am 15.12., 22.12. und 29.12.2003 jeweils "M54.1".
Ab dem 19.04.2004 bis 16.05.2004 wurde dem Kläger erneut durch den Orthopäden B. Arbeitsunfähigkeit attestiert wegen eines Halswirbelsäulen-Syndroms (Diagnose: "M54.2" - Cervikalneuralgie - und "M54.12G" - Radikulopathie im Cervikalbereich -). In den Folgebescheinigungen ab 16.05.2004 bis 25.07.2004 lauteten die Diagnosen: "M54.2G", "M50.2G" (sonstige cervikale Bandscheibenverlagerung) und "G54.2VL" (Läsionen der Cervikalwurzel, anderenorts nicht klassifiziert, Verdachtsdiagnose links). Letzter Tag der Arbeitsunfähigkeit war der 25.07.2004.
Ausweislich der Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers vom 13.05.2004 hatte der Kläger bis 16.04.2004 gearbeitet, bis 18.04.2004 sei das Arbeitsentgelt weiter gezahlt worden. Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts bestehe für weniger als 6 Wochen wegen Vorerkrankung aufgrund derselben Krankheit vom Oktober und November 2003.
Die Beklagte hatte dem Kläger Krankengeld (Krg) zunächst ab 29.04.2004, auf den Widerspruch des Klägers jedoch für die Zeit vom 19.04. bis 25.07.2004 in Höhe von täglich 45,69 EUR brutto (=39,37 EUR netto) - insgesamt 3.818,89 EUR - bewilligt nach Vorlage eines Auszahlscheins (Bescheide vom 13.05.2004 und 02.06.2004).
Dr. K. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), dem die Beklagte die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom November 2003 bis Januar 2004 und ab 19.04.2004 übersandt hatte, äußerte sich in seiner Stellungnahme vom 19.05.2004 dahingehend, die Diagnose Cervikalneuralgie (M54.2) sei bereits in der AU-Schreibung vom November 2003 bis Januar 2004 erwähnt worden, so dass die aktuelle Arbeitsunfähigkeit mit erneuter Diagnose Cervikalneuralgie damit in Zusammenhang stehe.
Mit Schreiben vom 25.05.2004 teilte die Beklagte dem Kläger hierauf mit, dass die aktuelle Arbeitsunfähigkeit seit April 2004 mit der Arbeitsunfähigkeit vom November 2003 bis Januar 2004 im Zusammenhang stehe.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
Die Firma S. setzte die Beklagte mit Schreiben vom 01.06.2004 in Kenntnis, dass der dem Kläger zuviel bezahlte Monatslohn April mit der Folgeabrechnung verrechnet werde, da die Krankheit ab 19.04.2004 eine Folgeerkrankung sei. Dem habe der Kläger widersprochen, weswegen um Äußerung gebeten werde, ob es sich um eine Folgeerkrankung handle oder nicht. Der Orthopäde B. vertrat in seiner Stellungnahme vom Juni 2004 die Auffassung, die Arbeitsunfähigkeit im Dezember 2003 sei durch ein chronisches LWS-Syndrom bei Z. n. NPP-OP bedingt gewesen, während es sich bei der Neuerkrankung um ein HWS-Syndrom handle. Zwar seien auch am 08.12.2003 Beschwerden im Sinne eines HWS-Syndroms (M54.02) aufgeführt worden, diese hätten jedoch nur eine Nebendiagnose dargestellt.
Hierzu führte Dr. W. vom MDK aus, zwischen jetziger und früherer Erkrankung bestehe ein unmittelbarer Zusammenhang, da das gleiche Organ (Wirbelsäule) betroffen sei.
Dem widersprach der Orthopäde B. in einer weiteren Stellungnahme vom 07.07.2004. Seinerseits sei eindeutig festzustellen, dass es sich zwar um das gleiche Organ (Wirbelsäule) handle, jedoch um unterschiedliche Abschnitte des Achsenorgans. Hierbei würden auch zwangsläufig unterschiedliche Diagnosen gestellt und von der Krankenkasse zwingend verlangt. Im Herbst habe die Hauptbeschwerdesymptomatik im Bereich der Lendenwirbelsäule und seit 19.04.2004 in Form einer Cervikoneuralgie bestanden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück: Der Zusammenhang der Arbeitsunfähigkeitszeiten Ende 2003 und ab 19.04.2004 sei vom MDK bestätigt worden. Da die Beklagte nach Vorlage eines Auszahlscheins jederzeit bereit sei, dem Kläger für die Dauer der beschwerten Arbeitsunfähigkeitszeit in voller Höhe Krg zu gewähren, der Kläger jedoch bisher keinen Auszahlschein vorgelegt habe, sei es nicht möglich, das für den Kläger bereitgestellte Krg auszuzahlen. Der Widerspruch des Klägers sei wohl dahingehend zu interpretieren, dass er offensichtlich die Erlangung von Entgeltfortzahlung gegenüber seinem Arbeitgeber begehre. Die Gewährung von Entgeltfortzahlung sei der Beklagten jedoch nicht möglich, so dass der Kläger insoweit mit seinem Begehren an seinen Arbeitgeber zu verweisen sei.
Deswegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) mit dem Begehren, den Bescheid vom 25.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2004 aufzuheben. Unter Hinweis auf die Stellungnahme des Arztes B. vom Juli 2004 machte er geltend, im Arbeitsunfähigkeitszeitraum ab dem 19.04.2004 habe es sich aufgrund des Fehlens eines unmittelbaren Zusammenhangs mit früheren Erkrankungen um eine sog. Ersterkrankung gehandelt. Er sei daher nach wie vor der Meinung, dass eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle ab 19.04.2004 erfolgen müsse, so dass ihm Ansprüche bezüglich des Differenzbetrages zwischen Krg und Lohnfortzahlung zustünden. Vor diesem Hintergrund sei er durch die Entscheidung der Beklagten beschwert. Zur Stützung seines Begehrens legte der Kläger eine weitere Stellungnahme des Orthopäden B. vom Juni 2005 vor.
Mit Urteil vom 16.06.2005, den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 06.07.2005, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im wesentlichen aus, nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.12.2004 (B 1 KR 10/03 R) handle es sich bei einer wiederholten Erkrankung im Rechtssinne um dieselbe Krankheit, wenn ihr dieselbe, nicht behobene Krankheitsursache zugrunde liege. Es genüge, wenn ein medizinisch nicht ausgeheiltes Grundleiden latent weiter bestehe und nach einem beschwerdefreien oder beschwerdearmen Intervall erneut Krankheitssymptome hervorrufe. Diese Sichtweise stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Recht der Entgeltfortzahlung, um die es hier im Kern eigentlich gehe. Eine präzisere Eingrenzung sei angesichts der Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs kaum möglich und bei einem durchgehend vorliegenden Wirbelsäulengrundleiden auch nicht veranlasst. Verursache eine anatomische Veränderung immer wieder gleichartige oder ähnliche Beschwerden, so könne es sich, auch wenn für sich betrachtet jedes Mal ein neues, akutes Krankheitsgeschehen vorliege, nur um "dieselbe Krankheit" im Rechtssinne handeln. Hiervon ausgehend sei zum einen der zeitlichen Komponente, hier der Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit für ca. 3 Monate nicht ein solches Gewicht einzuräumen, dass von einer neuen Erkrankung ausgegangen werden könnte, zum anderen sei bei der Beurteilung, ob "dieselbe Krankheit" vorliege, eine eher grobe Begrifflichkeit hinsichtlich der vorliegenden Erkrankungen anzuwenden. Deswegen sei hier auf ein Wirbelsäulenleiden und nicht etwa auf ein Leiden an der Halswirbelsäule oder der Lendenwirbelsäule abzustellen. Entgegen der Auffassung des behandelnden Orthopäden sei nicht der fachmedizinisch-anatomischen Sicht im Sinne einer stärker differenzierenden Betrachtung zu folgen.
Hiergegen richtet sich die am 08.08.2005 (einem Montag) eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor, im vorliegenden Fall werde zu wenig differenziert, denn die Annahme des SG sei nicht zutreffend, wonach Rückenbeschwerden regelmäßig nicht nur auf einen Wirbelsäulenabschnitt lokalisiert seien. Es sei mindestens genauso häufig, dass sich Erkrankungen nur auf einen oder zwei Wirbelsäulenabschnitte beschränkten. Auch die Heranziehung der sog. "Anhaltspunkte" zur Bewertung des Grades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht lasse erkennen, dass differenziert werde, in wie vielen Abschnitten der Wirbelsäule Erkrankungen vorlägen. Für die erste Arbeitsunfähigkeitszeit sei die Erkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule im wesentlichen allein maßgeblich gewesen. Für die streitgegenständliche Erkrankung sei erstmals der Bereich der HWS in entscheidungserheblicher Weise getroffen worden. Der Orthopäde B. habe bestätigt, dass das Bandscheibenleiden in der HWS neu hinzugetreten sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16. Juni 2005 sowie den Bescheid vom 25. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte erachtet das angefochtene Urteil des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Senat kann offenlassen, ob es sich bei der Mitteilung der Beklagten vom 25.05.2004 überhaupt um einen Verwaltungsakt handelt, denn die Beklagte hat über den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid entschieden, so dass der Kläger insoweit beschwert ist.
Wie das SG im Urteil ausführlich unter zutreffender Darstellung der Rechtsprechung des BSG zum Rechtsbegriff "dieselbe Krankheit" begründet hat, ist die Feststellung der Beklagten, dass die Erkrankung des Klägers ab dem 19.04.2004 im Zusammenhang mit der Erkrankung bis zum 06.01.2004 stand, nicht zu beanstanden. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des SG in vollem Umfang an und sieht deswegen insoweit von einer weiteren Darstellung seiner Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren zu keinem anderen Ergebnis führt.
Der Kläger erkrankte sowohl im November/Dezember 2003 als auch ab 19.04.2004 an Wirbelsäulenleiden, die zur Arbeitsunfähigkeit führten. Dabei standen Ende 2003 ausweislich der Äußerungen des Orthopäden B. ein LWS-Syndrom und ab 19.04.2004 ein HWS-Syndrom im Vordergrund des Beschwerdebildes. Ob auch am 26.11.2003 eine Cervikalneuralgie (M54.2) bestand, ist letztlich unerheblich, so dass dem Hinweis des Klägers bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 26.11.2003 nicht nachgegangen werden musste. Denn Beschwerden in mehreren Wirbelsäulenabschnitten stellen ein einheitliches Grundleiden dar und damit dieselbe Erkrankung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V (vgl. auch BSG, Urteil vom 12.10.1988 - 3/8 RK 28/87 -). Sowohl der Arbeitsunfähigkeit ab 26.11.2003 als auch der Arbeitsunfähigkeit ab 19.04.2004 lagen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule zugrunde. Bei den auf degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule beruhenden Beschwerdezuständen, die Behandlungsbedürftigkeit oder bzw. und Arbeitsunfähigkeit bedingen, handelt es sich jedenfalls dann um dieselbe Krankheit, wenn die Wirbelsäulenveränderungen in kürzeren Zeitabschnitten zu solchen Beschwerdezuständen führen. Degenerative Veränderungen an der gesamten Wirbelsäule, die sich in gleichartigen Beschwerden in mehreren Wirbelsäulenabschnitten äußern, stellen ein einheitliches Grundleiden dar. Es liegt demzufolge auch dann dieselbe Krankheit vor, wenn von den in kürzeren Zeitabständen auftretenden Beschwerden die einzelnen Wirbelsäulenabschnitte unterschiedlich stark betroffen sind (vgl. BSG vom 12.10.1988 - 3/8 RK 28/87 -).
Im Falle des Klägers beruhte die Arbeitsunfähigkeit in den beiden hier in Frage stehenden Zeiträumen auf der Erkrankung des Achsenorgans (der Wirbelsäule). Es kommt nicht mehr darauf an, in welchen Wirbelsäulenabschnitten sich die Beschwerden zeitweise stärker oder schwächer bemerkbar machten. Davon abgesehen ist zumindest der am 08.12.2003 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch die Diagnose "M54.2" (Cervikalneuralgie) zu entnehmen.
Diese Sichtweise steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Recht der Entgeltfortzahlung, derzufolge unter "dieselbe" Krankheit "ein noch medizinisch latent weiter bestehendes, nicht ausgeheiltes Grundleiden" verstanden wird, ohne dass sich dabei identische Krankheitssymptome äußern müssen (BAG AP Nr. 50 und 61 zu § 1 LFZG).
Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 07.12.2004 - B 1 KR 10/03 R - nochmals deutlich gemacht, dass eine präzisere Eingrenzung angesichts der Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs "dieselbe Krankheit" kaum möglich und bei einem durchgehend vorliegenden Wirbelsäulengrundleiden auch nicht veranlasst ist. Insoweit ist eine enge fachmedizinisch-anatomische Sicht, wie sie von dem Orthopäden B. vertreten wird, nach der Rechtsprechung des BSG mit der gesetzgeberischen Intention des § 48 SGB V nicht vereinbar. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an, da andernfalls - worauf auch die Beklagte zu Recht hinweist - bei hinreichend differenzierter Diagnosestellung eine Einengung des zeitlichen Umfangs der Krankengeldgewährung nicht mehr möglich wäre.
Der Hinweis des Klägers auf die sogenannten "Anhaltspunkte" zur Bewertung des Grades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht geht fehl, denn auch dort werden Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt, so z. B. Arme, Beine, Rumpf. Lediglich für den Schweregrad der Wirbelsäulenerkrankung ist die Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte von Bedeutung. Es handelt sich aber immer um eine Gesamtbewertung des Organsystems Wirbelsäule, d. h. es werden keine gesonderten GdB-Werte für Schäden im Bereich der Halswirbelsäule, Brustwirbelsäule oder Lendenwirbelsäule vergeben.
Die Berufung konnte hiernach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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