L 10 R 4015/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 RA 2702/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 4015/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Juli 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Weitergewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die am 1955 geborene Klägerin war nach Abschluss einer entsprechenden Ausbildung von August 1971 bis November 1995 als Bürogehilfin beschäftigt. Die Beklagte gewährte ihr in der Zeit vom 17. September bis 15. Oktober 1997 medizinische Leistungen zur Rehabilitation, anschließend - aufgrund des Entlassungsberichts und des dort genannten operationsbedürftigen Hüftleidens - Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit, zuletzt verlängert bis 31. Dezember 2001.

Den Antrag der Klägerin vom 23. März 2001 auf Weitergewährung der Rente lehnte die Beklagte auf der Grundlage eines orthopädischen Gutachtens von Dr. H. und eines nervenärztlichen Gutachtens von Dr. M. mit Bescheid vom 12. November 2001 und Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2002 ab.

Die Klägerin hat hiergegen am 23. Oktober 2002 Klage bei dem Sozialgericht Reutlingen erhoben.

Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. C. hat in ihrem vom Sozialgericht eingeholten Gutachten (Untersuchung am 24. Januar 2003) eine Dysthymie diagnostiziert, die die Klägerin im Hinblick auf Tätigkeiten im Akkord, unter Zeitdruck und im Schichtbetrieb einschränke, ansonsten aber einer Tätigkeit als Bürogehilfin nicht entgegenstünde. Der Orthopädie Prof. Dr. H. , Fachkliniken H. , hat in seinem Gutachten (Untersuchung am 9. Januar 2003) als die im Hinblick auf die Leistungseinschätzung gewichtigste Erkrankung eine schwerstgradige operationswürdige Hüftgelenksarthrose rechts angegeben; daneben bestünden eine mäßige Hüftgelenksarthrose links, ein intermittierendes lokales mittleres und unteres Halswirbelsäulen-Syndrom und ein ausschließlich fehlstatisch bedingtes rezidivierendes Thorakolumbalsyndrom mit rezidivierenden muskulären Dysfunktionen. Die Berufstätigkeit einer Büroangestellten mit überwiegend sitzender Körperhaltung und nur gelegentlicher Geh- und Stehbelastung, ohne häufiges Hin- und Hergehen, ohne Besteigen von Treppen und ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg sei vollschichtig zumutbar. Die Klägerin könne Wegstrecken bis zu 1000 Metern in etwa 15 bis 20 Minuten zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen.

In ihrem auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten nervenärztlichen Gutachten (Untersuchung am 12. Mai 2003) hat Dr. Sch. einen schwer ausgeprägten chronischen neurasthenischen Symptomenkomplex diagnostiziert, hinter dem die depressiven Züge zurücktreten würden und der es der Klägerin unmöglich mache, auch nur leichte Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu erbringen. Dem hat Dr. C. in einer Stellungnahme nach Aktenlage widersprochen, da die Ausführungen von Prof. Dr. H. stärker zu berücksichtigen seien. Der Orthopäde Dr. A. hat in seinem auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstatteten Gutachten (Untersuchung am 22. Januar 2004) den radiologischen Zustand der Hüftgelenksarthrose als gegenüber den Begutachtungen durch Dr. H. und Prof. Dr. H. als verschlechtert und die Gehfähigkeit als weiter reduziert angesehen. Leichte körperliche Arbeiten im Sitzen (stündlich fünfmal kurze Entfernungen von ca. 5 bis 10 Metern zurückzulegen sei möglich) mit der Gelegenheit zur kurzen Geh-/Stehentlastung, in geschlossenen Räumen, ohne Kälte und Zugluft seien vollschichtig möglich. Die Klägerin benötige einen Arbeitsplatz mit einem Arthrosestuhl. Sie könne mit Unterarmgehstützen pro Arbeitstag viermal 500 bis 600 Meter zu Fuß zurücklegen und benötige dafür mehr als 20 Minuten; öffentliche Verkehrsmittel könne sie nur besteigen, wenn keine Stufen vorhanden seien.

Die Beklagten hat daraufhin ein Teilanerkenntnis auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum 1. August 2004 bis 31. Juli 2007, ausgehend von einem Leistungsfall am 22. Januar 2004, abgegeben, das die Klägerin angenommen hat.

Mit Urteil vom 26. Juli 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der orthopädischen Gesundheitsbeeinträchtigungen, insbesondere der Hüftgelenksarthrose rechts, ist es der Leistungseinschätzung von Dr. H. und Prof. Dr. H. gefolgt. Soweit sich insoweit der Gesundheitszustand und das Leistungsvermögen zwischen den Begutachtungen von Prof. Dr. H. und Dr. A. verschlechtert haben sollte, rechtfertige dies nicht die Weitergewährung der Rente, sondern nur die Gewährung einer Rente auf Grund eines neuen Versicherungsfalls, der nicht vor dem von der Beklagten angenommenen liege. Hinsichtlich der nervenärztlichen Erkrankungen hat sich das Sozialgerichten der Einschätzung von Dr. C. angeschlossen. Der Meinung von Dr. Sch. sei mangels Begründung ihrer Auffassung nicht zu folgen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 14. September 2004 zugestellte Urteil am 15. September 2004 Berufung eingelegt. Es sei nicht nachvollziehbar, so trägt sie vor, dass sie trotz ihres verschlechterten Krankheitsbefundes nunmehr in der Lage sein solle, vollschichtig tätig zu sein. Es sei auch nicht vertretbar, sie (mittelbar) zu einem frühzeitigen operativen Eingriff zu zwingen.

Prof. Dr. B. , Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen, hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein Gutachten (Untersuchung am 3. März und 14. April 2005) erstattet. Er hat eine undifferenzierte somatoforme Störung sowie eine dysthymische Störung diagnostiziert. Weiterhin bestehe bei der Klägerin eine außerordentlich niedrige Therapiemotivation für organmedizinische und psychologische/psychiatrische Behandlungen. Leichte körperliche Tätigkeiten seien maximal zwei Stunden täglich möglich. Die Leistungseinschränkung habe bereits vor acht Jahren bestanden, habe sich jedoch in den letzten sechs bis acht Jahren deutlich verstärkt. In den nächsten drei bis vier Jahren sei keine Besserung zu erwarten. Bei der Klägerin liege eine "gelernte Verhaltenstörung" vor. Die Beklagte hat eine Stellungnahme des Nervenarztes Dr. St. vorgelegt, wonach das Gutachten von Prof. Dr. B. den üblichen Kriterien in einem Sozialgerichtsverfahren nicht entspreche. Ein eigenständiger psychopathologischer Befund werde nicht erhoben. Auch fehle die Auseinandersetzung mit den Vorgutachten. Prof. Dr. B. hat hierzu in einer ergänzenden Stellungnahme erklärt, er sehe keine Veranlassung, seine Diagnosen und das Gutachten zu verändern. Das psychiatrische Vorgutachten aus der ersten Instanz sei berücksichtigt worden.

Die Klägerin hat zuletzt noch Unterlagen zur Person von Prof. Dr. B. und seinen wissenschaftlichen Publikationen übermittelt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen und den Bescheid der Beklagten vom 12. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Oktober 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 31. Dezember 2001 hinaus bis 31. Juli 2004 und ab 1. August 2007 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente dargelegt (§ 302b Abs. 1 Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI] i.V.m. §§ 43, 44 SGB IV a. F.) und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt, weil sie jedenfalls in der nach dem angenommenen Teilanerkenntnis vor allem noch streitigen Zeit vom 1. Januar 2002 bis 31. Juli 2004 noch vollschichtig als Bürogehilfin arbeiten konnte und auch die Wegefähigkeit gegeben war. Der Senat sieht deshalb gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Im Hinblick auf die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren ist ergänzend auszuführen, dass das Gutachten von Prof. Dr. B. - unabhängig von seiner wissenschaftlichen Reputation als Psychologe - den Senat nicht zu überzeugen vermag. Obwohl ausdrücklich danach gefragt (Beweisfrage 9 im Gutachtensauftrag des Senats), hat sich der Gutachter mit den Vorgutachten, insbesondere demjenigen von Dr. C. , nicht auseinandergesetzt. Dies ist trotz der ausdrücklichen Nachfrage des Senats auch in der Gutachtensergänzung nicht erfolgt. Die Anamnese ist - soweit aus den dem Gericht vorgelegten Ausführungen ersichtlich - nur kurz und beschränkt sich im Wesentlichen auf die Wiedergabe der von der Klägerin vorgebrachten Beschwerden. Die Überprüfung der "psychophysischen Leistungsfähigkeit" durch Reaktionstests vermag eine gründliche Auseinandersetzung mit den Anforderungen in der Tätigkeit als Bürogehilfin unter Berücksichtigung des Verhaltens der Klägerin im Alltag nicht zu ersetzen - hieran fehlt es aber in dem Gutachten.

Auch die Befristung der anerkannten Rente ist nicht zu beanstanden. Ausgehend von dem von der Beklagten zutreffend anerkannten Leistungsfall am 22. Januar 2004 (gutachtliche Untersuchung durch Dr. Abel) ist nach § 101 Abs. 1, § 102 Abs. 2 SGB VI eine auf drei Jahre befristete Rente ab 1. Oktober 2004 zu leisten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Klägerin die von Prof. Dr. H. als dringlich bezeichnete Operation der rechten Hüfte in diesem Zeitraum - entgegen ihrer bisherigen Haltung doch noch - durchführen lässt und dadurch ihre Geh- und Wegefähigkeit wesentlich verbessert. Dass sie hieran durch eine dem psychiatrischen Bereich zuzuordnende Fehlhaltung dauerhaft gehindert wird, vermag der Senat nicht zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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