L 3 R 583/02

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 00135/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 R 583/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Dezember 2001 abgeändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1.5.1999 bis 30.4.2002.

Der 1948 geborene Kläger hat 1966 eine Ausbildung als Tankwart abgeschlossen. Berufstätig war er als Tankwart, danach als Fahrer und ab 1989 als Maschinenführer, wobei es sich nach Auskunft des Arbeitgebers um eine ungelernte Tätigkeiten handelte. Der Kläger ist seit 1998 im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50.

Der Kläger musste sich im Februar 1998 und im März 1999 Operationen an der Halswirbelsäule unterziehen. Aus einem Heilverfahren vom 29.3. bis 3.5.1999 in der B. Klinik Bad K. wurde der Kläger mit den Diagnosen Zustand nach Halsbandscheibenoperation Februar 98 und März 99, degeneratives Vertebralsyndrom und mit der Leistungsbeurteilung, er könne noch leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Haltung vollschichtigen verrichten, entlassen.

Am 4.5.1999 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte diesen Antrag, gestützt auf den Heilverfahren-Entlassungsbericht, mit Bescheid vom 29.6.1999 ab. Der Kläger könne mit dem noch vorhandenen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig Arbeiten ausführen. Damit sei er weder erwerbs- noch berufsunfähig. Der Widerspruch des Klägers wurde nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte Dr. B. und Dr. P. und nach Auswertung durch Dr. H. ("keine neuen Erkenntnisse") durch Widerspruchsbescheid vom 15.12.1999 zurückgewiesen.

Dagegen hat der Kläger am 14.1.2000 beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers, nämlich den Orthopäden Dr. B., den Nervenarzt Dr. B. und den Neurochirurgen Prof. Dr. Z. als sachverständige Zeugen gehört. Es hat sodann von dem Orthopäden Dr. S. das Sachverständigengutachten vom 8.1.2001 und von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. das Sachverständigengutachten vom 27.3.2001 eingeholt. Dr. S. hat einen Zustand nach Halswirbelsäuleoperationen sowie degenerative Bandscheibenveränderungen im Segment C 6/C 7 diagnostiziert, ferner eine Wirbelsäulefehlhaltung mit Hohlrundrücken, linkskonvexer lumbaler Torsionsskoliose sowie degenerativen Bandscheibenveränderungen, insbesondere bei L 3/L 4, eine Coxa vara mit tiefeingestellten Hüftköpfen ohne wesentliche degenerative Veränderungen der Hüftgelenke, schließlich ein mäßiges Supraspinatussehnensyndrom bei radiologisch unauffälligem, altersentsprechendem Schultergelenksbefund rechts und subjektiv empfundene, nicht eindeutig zuordenbare Schmerzen unter dem linken Schulterblatt. Der Kläger könne damit noch leichte Arbeiten ohne schweres Heben und Tragen, in wechselnder, überwiegend sitzender Körperhaltung, nicht auf Leitern und Gerüsten, ohne Überkopfarbeiten und nicht an laufenden Maschinen, ohne Akkord- und Fließbandarbeit, ohne Arbeiten in Kälte, Nässe, im Freien, ohne Einwirkung von Wärme, Staub, Gasen und Dämpfen verrichten, diese jedoch vollschichtig. Dr. G. hat in seinem Gutachten eine leichte bis mäßiggradige Parese und Muskelverschmächtigung der proximalen Oberarmmuskulatur rechts mit leichtem sensiblem Defizit bei Zustand nach Wurzelkompression C 4 bis C 6 rechts und zweimaliger Halswirbelsäulenoperation diagnostiziert. Das Leistungsvermögen des Klägers hat er qualitativ und quantitativ gleich eingeschätzt wie Dr. S ... Das SG hat noch eine sachverständige Zeugenauskunft von Prof. Dr. M. vom Interdisziplinären Schmerzzentrum am Universitätsklinikum Freiburg eingeholt. In dieser Auskunft vom 13.9.2001 ist Prof. Dr. M. "unter Würdigung aller aktuellen klinischen und neuroradiologischen Befunden mit schmerzhaften Einschränkungen der Kopf- und Halswirbelsäule sowie mäßiggradiger Parese und Muskelatrophie der proximalen Oberarmmuskulatur rechts und weiteren athropathtisch bedingten Schmerzen auf der linken Seite" zu der Einschätzung gelangt, der Kläger könne nur noch leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Haltung und ohne schweres Heben und Tragen halbschichtig verrichten. Die Beklagte hat dazu eine sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. S. vom 23.11.2001 vorgelegt.

Durch Urteil vom 13.12.2001 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29.6.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.1999 verurteilt, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1.5.1999 bis 30.4.2002 zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das SG ausgeführt, zwar seien die Sachverständigen Dr. S. und Dr. G. zur Einschätzung gelangt, körperlich leichte Tätigkeiten seien bei Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen noch in einem vollschichtigen Umfang zumutbar. Auf Grund der Auskunft des sachverständigen Zeugen Prof. Dr. M. könne jedoch nach Auffassung der Kammer nicht mehr von einem vollschichtigen Leistungsvermögen für irgend eine Berufstätigkeit ausgegangen werden. Der nervenärztliche Sachverständige Dr. G. habe die beim Kläger im Vordergrund des Beschwerdebildes stehenden Schmerzen nicht in ausreichendem Umfang gewürdigt. Der Kläger könne damit nur noch körperlich leichte Arbeiten mit zusätzlichen qualitativen Einschränkungen halbschichtig verrichten. Auf Grund des nur noch für eine Teilzeitbeschäftigung bestehenden Leistungsvermögens sei unter Berücksichtigung der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes vom Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit auszugehen. Es sei damit eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit zu gewähren, die nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet werde und die auf längstens drei Jahren nach Rentenbeginn zu befristen sei. Danach sei die Rente für die Zeit ab 1.5.1999 bis zum 30.4.2002 zu gewähren. Die Rente beginne hier mit der Antragstellung im Mai 1999, weil die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt worden sei, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien. Der Kläger sei nämlich seit Januar 1998 wegen massiver Verschlechterung der Halswirbelsäulenerkrankungen erwerbsunfähig.

Gegen dieses am 13.2.2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.2.2002 Berufung eingelegt. Der Leistungsbeurteilung durch Prof. Dr. M. könne sie sich nicht anschließen, zumal diesem lediglich das Gutachten des Dr. G. vorgelegen habe, nicht aber die anderen medizinischen Unterlagen. Das SG sei auch auf die sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. S. überhaupt nicht eingegangen. Die Beklagte legt eine weitere sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. S. vom 25.3.2002 vor.

Nachdem der Kläger im November 2002 mitgeteilt hat, sein gesundheitlicher Zustand habe sich erheblich verschlechtert, hat der Senat vom behandelnden Arzt Dr. B. die sachverständige Zeugenaussage vom 8.1.2003 eingeholt. Es liege jetzt eine radiologisch deutliche Verschlechterungen des Lendenwirbelsäulenbefunds und eine Häufungen der lumbalen Beschwerdesymptomatik vor. Nachdem Dr. S. in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 6.3.2003 eine wesentliche Verschlechterung der Situation des Klägers nicht hat erkennen können und nachdem der Kläger bei seiner Überzeugung geblieben ist, er sei erwerbsunfähig, hat der Senat ein weiteres nervenärztliches Sachverständigengutachten von Dr. B. vom 24.11.2003 eingeholt. Dieser hat Restbeschwerden nach HWS-Operationen und leichte Lähmungserscheinungen ohne cervical-radiculäre Reizsymptomatik diagnostiziert, ferner eine pseudoradiculäres lumbales Beschwerdebild ohne Hinweise auf lumbale Nervenwurzelreizerscheinungen mit Ausschluss einer Polyneuropathie. Der Kläger könne damit noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig verrichten. Zu vermeiden seien abrupte Drehbewegungen des Kopfes etwa beim Fahren oder beim Bedienen von Maschinen. Zu vermeiden seien Heben und Tragen von Lasten und einseitige bzw. anhaltende Körperverwindungen, ferner Tätigkeiten mit gesteigertem Luftzug sowie stärker wechselnden Temperaturen. Dieses Leistungsvermögen bestehe seit der Rentenantragstellung. Er stimme insoweit mit dem neurologischen Vorgutachten von Dr. G. überein. Die von Prof. Dr. M. angegebene Beweglichkeitseinschränkung der Halswirbelsäule sei in den neurologischen Gutachten entsprechend erwähnt, er könne prinzipiell keine Verschlimmerung feststellen. Gegenüber dem Gutachten von Dr. G. bestehe heute eine leichte Besserung.

Die Beklagte, die in einem gesonderten Verwaltungsverfahren den Weitergewährungsantrag des Klägers vom Januar 2002 nach erfolglos verlaufenen Vergleichsverhandlungen im vorliegenden Verfahren durch Bescheid vom 9.12.2005 abgelehnt hat, stellt den Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Dezember 2001 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und das von Dr. B. erstattete Sachverständigengutachten für nicht sachgerecht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit zu gewähren.

Das SG hat die hier anzuwendenden Rechtsvorschriften im angefochtenen Urteil zutreffend zitiert. Der Senat nimmt hierauf Bezug.

Der Senat vermochte sich allerdings nicht davon zu überzeugen, dass der Kläger in der Zeit vom 1.5.1999 bis 30.4.2002 erwerbsunfähig war. Die vom Senat durchgeführte Beweiserhebung, insbesondere das Sachverständigengutachten von Dr. B. vom 24.11.2003 bestätigt vielmehr, dass beim Kläger vom Zeitpunkt der Antragstellung jedenfalls bis zum Ablauf der zugesprochenen Zeitrente ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestand. Dabei ist, worauf der Senat in seiner Verfügung vom 27.4.2004 hingewiesen hat, weil lediglich eine Berufung der Beklagten vorliegt, eine seit 2002 eventuell eingetretene Verschlechterung des Leistungsvermögens des Klägers nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.

Die gerichtlichen Sachverständigen Dr. S. und Dr. G. im erstinstanzlichen Verfahren und Dr. B. im Berufungsverfahren kommen unabhängig voneinander auf Grund eigener Untersuchung des Klägers zu der Einschätzung, er könne noch leichte körperliche Arbeiten vollschichtig verrichten, wenn auch mit gewissen qualitativen Einschränkungen. Der Einschätzung durch den sachverständigen Zeugen Prof. Dr. M., wonach der Kläger nur noch halbschichtig tätig sein kann, und die das SG seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat, vermag der Senat dagegen nicht zu folgen. Bereits Dr. S. in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 23.11.2001 hat nach sorgfältigem Vergleich der erhobenen Befunde hervorgehoben, dass eine Verschlechterung gegenüber der von Dr. G. erhobenen Befundsituation nicht eingetreten ist. Wenn zudem, worauf Dr. S. ebenfalls hinweist, bedacht wird, dass Prof. Dr. M. lediglich das Gutachten von Dr. G. vorlag, er also nicht über eine vollständige medizinische Vorgeschichte verfügte, wird deutlich, dass der sachverständigen Zeugenaussage kein ausreichender Beweiswert zugesprochen werden kann, um darauf eine Rentengewährung zu stützen. Dass die von Prof. Dr. M. in den Vordergrund gerückte Schmerzsituation des Klägers etwa von Dr. G. nicht berücksichtigt worden wäre, vermag der Senat nicht zu erkennen. Schließlich hat auch der vom Senat gehörte Sachverständige Dr. B. unter sorgfältiger Abwägung der bisherigen Beweisergebnisse und auf Grund nochmaliger eigener Untersuchung des Klägers festgestellt, dass beim Kläger nach wie vor noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Arbeiten besteht. Dabei weist Dr. B. ebenfalls wie zuvor schon Dr. S. zutreffend darauf hin, dass Prof. Dr. M. in seiner sachverständigen Zeugenaussage zwar ein nur halbschichtiges Leistungsvermögen, nach den qualitativen Leistungseinschränkungen (z.B. Heben und Tragen von Lasten bis maximal 15 kg) jedoch ein solches für mittelschwere körperliche Arbeiten konstatiert. Auch für den Senat ist einleuchtend, dass, wenn dem Kläger noch mittelschwere Arbeiten halbschichtig möglich sein sollen, damit nicht begründet werden kann, warum er nicht leichte Arbeiten vollschichtig verrichten kann. Insgesamt geht der Senat in Übereinstimmung mit dem gehörten gerichtlichen Sachverständigen davon aus, dass beim Kläger seit Antragstellung mindestens bis zum Ablauf der zugesprochenen Zeitrente, also bis April 2002, ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestand.

Die zusätzlichen qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens des Klägers sind auch weder besonders zahlreich noch besonders schwerwiegend. Insbesondere wird den meisten dieser Einschränkungen bereits dadurch Rechnung getragen, dass nur noch körperlich leichte Arbeit in beheizten geschlossenen Räumen zugemutet wird. Es sind auch keine betriebsunüblichen Arbeitsbedingungen erforderlich. Der Kläger ist auch wegefähig. Damit ist nach alledem festzustellen, dass der Kläger in dem im Berufungsverfahren streitigen Zeitraum nicht erwerbsunfähig war.

Er war auch nicht berufsunfähig. Von seinem erlernten Beruf als Tankwart hat sich der Kläger schon durch seine langjährige Tätigkeit als Fahrer gelöst, erst recht durch seine ab 1989 langjährige ausgeübte Tätigkeit als Maschinenführer, bei der es sich nach Auskunft des Arbeitgebers und eine ungelernte Tätigkeit gehandelt hat. Der Kläger ist also breit verweisbar. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind noch ausreichend Arbeitsmöglichkeiten vorhanden, ein konkreter Arbeitsplatz ist dem Kläger nicht zu benennen.

Nach alledem hat die Berufung der Beklagten Erfolg. Das angefochtene Urteil ist abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved