Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AL 1186/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 2309/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 10. Mai 2004 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die teilweise Aufhebung der Bewilligung und die Rückforderung von Arbeitslosengeld (Alg).
Der im Jahre 1951 geborene verheiratete Kläger bezog mit verschiedenen Unterbrechungen von Mai 1998 bis Ende Januar 2000 Alg nach Leistungsgruppe "D". Dieser Einstufung lag die von ihm mit am 01.04.1998 unterzeichnetem schriftlichem Antrag zutreffend angegebene und seither jährlich unverändert in die Lohnsteuerkarte des Klägers eingetragene Lohnsteuerklasse "V" zu Grunde. In den nachfolgenden Anträgen des Klägers auf Gewährung von Alg vom 06.05.1999 und vom 22.10.1999 findet sich an der hierfür im verwandten Vordruck vorgesehenen Stelle keine Angabe über die zu Jahresbeginn auf seiner Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuerklasse, sondern lediglich die Mitteilung, die Eintragung sei im Laufe des Jahres nicht geändert worden.
Nach Bezug von Krankengeld und Übergangsgeld meldete sich der Kläger am 17.12.2001 bei der Beklagten erneut arbeitslos und begehrte die Gewährung von Leistungen. In der Folgezeit reichte er einen schriftlichen Antrag auf Bewilligung von Alg ein. Der hierfür verwandte, bei den Akten der Beklagten befindliche Vordruck weist u. a. handschriftlich mit blauer Farbe vorgenommene Eintragungen des Klägers ohne von ihm eingetragene Angabe seiner Lohnsteuerklasse auf. Am Ende der letzten Seite des Formulars finden sich zwei jeweils mit der Datumsangabe 27.12.2001 versehene Unterschriften des Klägers, mit denen einerseits das Zutreffen seiner Angaben und die Kenntnisnahme vom Inhalt des von ihm erhaltenen Merkblatts 1 für Arbeitslose sowie andererseits die Richtigkeit der durch ihn oder die Antragsannahme des Arbeitsamtes vorgenommenen Änderungen bzw. Ergänzungen bestätigt werden. An diesem Tage fand ein Vermittlungs-/Beratungsgespräch zwischen dem Kläger und einem Mitarbeiter der Arbeitsvermittlung und Arbeitsberatung der Beklagten statt, in dessen Rahmen auf Seite 2 des Antragsformulars mit schwarzer Farbe Eintragungen erfolgten und das Handzeichen des Mitarbeiters nebst Datum angebracht wurde. Nach Vorliegen einer vom Kläger geforderten Bescheinigung seiner Krankenversicherung wurde der Vordruck mit dem Eingangsstempel "15.01.02" sowie dem mit grüner Farbe darauf gesetzten Handzeichen eines weiteren Mitarbeiters der Beklagten versehen. Ebenfalls mit grünem Stift wurden die im Formular enthaltenen Angaben abgehakt und ergänzt. Insbesondere ist als zu Jahresbeginn auf der Lohnsteuerkarte des Klägers eingetragene Lohnsteuerklasse handschriftlich mit grüner Farbe auf Seite 4 des Vordrucks "IV" vermerkt.
Mit Bescheid vom 28.01.2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 01.01.2002 Alg nach Leistungsgruppe "A" mit einem wöchentlichen Leistungssatz von EUR 191,94. In den auf der Rückseite des Bescheides erteilten Hinweisen zur Höhe des Arbeitslosengeldes heißt es unter Nr. 3: "Die Zuordnung zur Leistungsgruppe A erfolgte aufgrund der Lohnsteuerklasse I/IV. Sollte auf ihrer Lohnsteuerkarte eine andere Lohnsteuerklasse eingetragen sein, so konnte ein Lohnsteuerklassenwechsel nicht berücksichtigt werden. Über die Gründe hierzu erhalten Sie einen gesonderten Bescheid."
Die bewilligten Leistungen bezog der Kläger bis zum 31.12.2002. Mit Änderungsbescheid vom 21.01.2003 passte die Beklagte bei im übrigen gleichbleibenden Leistungsmerkmalen den wöchentlichen Leistungssatz an die Leistungsentgeltverordnung 2003 an und setzte diesen für die Zeit ab dem 01.01.2003 auf EUR 190,68 fest. Entsprechende Zahlungen wurden bis zur Erschöpfung des Anspruchs mit Ablauf des 12.02.2003 an den Kläger geleistet.
Am 26.02.2003 beantragte der Kläger die Gewährung von Arbeitslosenhilfe. Dabei gab er an, er sei in Lohnsteuerklasse "V" eingestuft und legte seine mit entsprechenden Eintragungen versehenen Lohnsteuerkarten für die Jahre 2002 und 2003 vor.
Nach erfolgter Anhörung des Klägers nahm die Beklagte mit Bescheid vom 25.03.2003 die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.01.2002 bis zum 12.02.2003 teilweise zurück und forderte den Kläger zur Erstattung zu Unrecht gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von EUR 3064,08 auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe Leistungen nach Steuerklasse "IV" = Leistungsgruppe "A" erhalten, obwohl die Steuerklasse "V" = Leistungsgruppe "D" auf der Steuerkarte eingetragen sei. Er habe erkennen können, dass die Bewilligung fehlerhaft gewesen sein. Sofern er den Fehler nicht erkannt hatte, weil er das ihm ausgehändigte Merkblatts für Arbeitslose nicht gelesen habe, so sei dies als grobe Fahrlässigkeit zu bewerten.
Der Kläger erhob Widerspruch, zu dessen Begründung er vortrug, der Eintrag der unzutreffenden Lohnsteuerklasse im von ihm am 27.12.2001 unterschriebenen Antragsvordruck stamme nicht von ihm, sondern von einem Mitarbeiter der Beklagten. Dass dies auf eine von seiner Seite erfolgte fehlerhafte Angabe zurückgehe, sei unwahrscheinlich. Eine grob fahrlässige Unkenntnis von der Fehlerhaftigkeit des Bewilligungsbescheides könne ihm nicht vorgeworfen werden, da die Leistungshöhe seinen Erwartungen entsprochen habe und er nicht verpflichtet gewesen sei, die Richtigkeit der eingesetzten Leistungsgruppe zu überprüfen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In den Gründen heißt es, der Kläger habe in seinem Antrag nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Angaben gemacht und darüber hinaus auch angesichts der Leistungshöhe grob fahrlässig gehandelt.
Am 17.06.2003 hat der Kläger beim Sozialgericht Konstanz (SG) Klage erhoben und vorgetragen, er habe das Antragsformular am 27.12.2001 ausgefüllt und unterschrieben. Dabei habe er die Frage zur Lohnsteuerklasse übersehen oder vergessen, entsprechende Angaben einzutragen. Danach habe er den Antrag an der Pforte des Arbeitsamtes abgegeben. Die mit grünem Stift vorgenommenen Ergänzungen seien in der Folgezeit ohne weitere Nachfrage von einem Mitarbeiter der Beklagten vorgenommen worden.
Mit Gerichtsbescheid vom 10.05.2004 hat das SG den Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 25.03.2003 und den Widerspruchsbescheid vom 23.05.2003 aufgehoben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe die unzutreffende Lohnsteuerklasse nicht selbst in den Antragsvordruck eingetragen. Angesichts des Umstandes, dass der Eingangsvermerk vom 15.01.2002 mit Grünstift abgezeichnet sei, dränge es sich auf, dass der ebenfalls mit Grünstift erfolgte Eintrag der Lohnsteuerklasse erst nach Unterschriftsleistung des Klägers erfolgt sei und ihm daher nicht zugerechnet werden könne. Dass er die Frage nach der Lohnsteuerklasse nicht beantwortet habe, sei nach dem regelmäßigen Geschäftsgang ohne Bedeutung. Unvollständigkeiten seien nämlich für eine fehlerhafte Bewilligung allenfalls dann ursächlich, wenn sie nach Überprüfung des Antrages im Beisein des Antragstellers verblieben. Schließlich habe sich dem Kläger die Unrichtigkeit des Bewilligungsbescheides auch nicht aufdrängen müssen. Denn zum einen habe die Beklagte selbst die Rechtswidrigkeit nicht erkannt. Zum anderen sei das ihm bewilligte Alg geringer gewesen, als das von ihm zuvor bezogene Übergangsgeld. Demgemäß habe auch kein Anlass zur Überprüfung der Bemessungsfaktoren oder zur Nachfrage beim Arbeitsamt bestanden. Diese Entscheidung ist der Beklagten am 13.05.2004 zugestellt worden.
Am 14.06.2004, einem Montag, hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie trägt vor, es sei nicht ersichtlich, weshalb der unzutreffende Eintrag der Lohnsteuerklasse im Antragsvordruck ohne Wissen des Klägers erfolgt sein solle. Darüber hinaus habe dem Kläger angesichts der dem Bewilligungsbescheid beigefügten Hinweise die Fehlerhaftigkeit der Zuordnung zur Leistungsgruppe "A" selbst bei oberflächlicher Prüfung klar sein müssen. Demgegenüber sei von ihrer Seite die Rechtswidrigkeit der Bewilligung seinerzeit nicht zu erkennen gewesen.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 10. Mai 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil und trägt ergänzend vor, er habe die Lohnsteuerkarte für das Jahr 2002 wohl bei der seinerzeitigen Arbeitslosmeldung dabei gehabt. Dies erkläre auch, weshalb er nicht aufgefordert worden sei, eine Lohnsteuerkarte vorzulegen. Im übrigen ergebe sich aus Nr. 3 der dem Bewilligungsbescheid beigefügten Hinweise, wonach die Beklagte aus anderen Gründen von einer anderen als der in der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse ausgegangen sei, dass er keine Veranlassung gehabt habe, wegen der erfolgten Eingruppierung Maßnahmen zu ergreifen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten, die beigezogenen Leistungsakten der Beklagten sowie die gleichfalls beigezogenen Akten des Sozialgerichts Konstanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das SG den Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 25.03.2003 und deren Widerspruchsbescheid vom 23.05.2003 aufgehoben. Denn die genannten Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage ist darum unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG vom 10.05.2004 abzuweisen.
Rechtsgrundlage der angegriffenen Rücknahmeentscheidung der Beklagten ist § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i. V. mit § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Nach § 45 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, auch nach Unanfechtbarkeit, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X schließt die Rücknahme aus, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Letzteres ist nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X in der Regel der Fall, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gem. § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X hingegen nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Nur in diesen Fällen, sowie bei Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 Zivilprozessordnung (ZPO) wird der Verwaltungsakt gemäß § 45 Abs. 4 SGB X mit Wirkung (auch) für die Vergangenheit zurückgenommen, wobei diese Entscheidung im Ermessen der Behörde steht. Allerdings bestimmt § 330 Abs. 2 SGB III, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X zwingend mit Wirkung auch für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung und im Falle der Rücknahme eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit sind dabei die Fristen des § 45 Abs. 3 und Abs. 4 SGB X zu beachten.
Die danach erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen für die - innerhalb der Fristen des § 45 Abs. 3 und Abs. 4 SGB X erfolgte und gem. § 330 Abs. 2 SGB III auf der Rechtsfolgenseite zwingende - Teilrücknahme der zu Gunsten des Klägers erfolgten Bewilligung von Alg für die Zeit vom 01.01.2002 bis zum 12.02. 2003 sind erfüllt. Denn der Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 28.01.2002 und deren Änderungsbescheid vom 21.02.2003 waren bereits im Zeitpunkt ihres Erlasses insoweit rechtswidrig, als dem Kläger über die ihm angesichts der auf seiner Lohnsteuerkarte eingetragenen Steuerklasse "V" zustehenden Leistungen nach Leistungsgruppe "D" hinaus Zahlungen nach der auf der Steuerklasse "IV" beruhenden Leistungsgruppe "A" bewilligt wurden. Auch lässt sich der Teilrücknahme des rechtswidrigen Bewilligungsbescheides wegen § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht mit Erfolg entgegenhalten, der Kläger habe i. S. d. § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut.
Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger selbst - wofür nahezu alles spricht - im Rahmen der Stellung seines Antrages auf Gewährung von Alg die unzutreffende Lohnsteuerklasse "IV" gegenüber der Beklagten angegeben hat oder
Dies gilt unabhängig von der Frage, ob vorliegend bereits die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X erfüllt sind. Daher kommt es nicht darauf an, ob der Kläger - wofür nahezu alles spricht - im Rahmen der Stellung seines Antrages auf Gewährung von Alg selbst gegenüber der Beklagten angegeben hat, er sei in Lohnsteuerklasse "IV" eingruppiert und damit der zurückgenommene Verwaltungsakt auf von ihm in wesentlicher Beziehung unrichtig gemachten Angaben beruht. Ebenso kann offen bleiben, ob das vom Kläger demgegenüber vorgetragene gänzliche Fehlen eigener Angaben in Bezug auf die im Antragsformular erfragte Lohnsteuerklasse einen Verlust des Vertrauensschutzes zur Folge hätte oder es infolge einer "eigenmächtigen" Vervollständigung seines Antrages durch einen Mitarbeiter der Beklagten an der nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X erforderlichen Kausalität zwischen unvollständiger Angabe und Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts mangelte. Denn der Kläger vermag sich jedenfalls deshalb nicht auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zu berufen, weil er die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides und damit auch diejenige des Änderungsbescheides vom 21.02.2003 - durch den bei im übrigen gleichbleibenden Leistungsmerkmalen lediglich der wöchentliche Leistungssatz an die Leistungsentgeltverordnung 2003 angepasst wurde - bereits im Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidungen kannte oder zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Grobe Fahrlässigkeit i. S. des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X liegt nach der in dieser Vorschrift enthaltenen Legaldefinition vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist dann der Fall, wenn die in der fraglichen Personengruppe herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt worden sind und daher nicht beachtet worden ist, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff). Dabei ist auch in subjektiver Hinsicht ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden nötig. Der Versicherte muss danach unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße verletzt haben. Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Allerdings können "Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung", auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind (vgl. zu alledem BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R -, SozR 3-1300 § 45 Nr 45 = FEVS 52, 494-499 m. w. N.; von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, RdNr. 24 zu § 45).
In Anwendung dieser Grundsätze beruht die vom Kläger angegebene Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheides vom 28.01.2002 und damit auch des Änderungsbescheides vom 21.02.2003 auf einem grob fahrlässigen Sorgfaltsverstoß.
Anders als der Kläger meint, bestand zu seinen Lasten zunächst die aus dem Sozialrechtsverhältnis herzuleitende Obliegenheit, den erteilten Bewilligungsbescheid zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (vgl. auch hierzu BSG, Urt. vom 08.02.2001, a. a. O.). In diesem Rahmen dürfte zwar ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, im allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten sein, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, da er davon ausgehen darf, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt (vgl. BSG, Urt. vom 08.02.2001, a. a. O.). Indes liegt eine solchermaßen zutreffende Angabe des Klägers hier in Bezug auf die in seine Lohnsteuerkarte eingetragene Steuerklasse nicht vor. Vielmehr hat er - unter Zugrundelegung seiner eigenen Angaben - die im Antragsformular zur Bewilligung von Arbeitslosengeld ausdrücklich erbetene schriftliche Beantwortung der Frage nach seiner Lohnsteuerklasse (zumindest) unterlassen. Angesichts dessen durfte er sich auch nicht darauf verlassen, dass die Beklagte der Berechnung seines Alg-Anspruchs die zutreffende Lohnsteuerklasse und damit die zutreffende Leistungsgruppe zu Grunde legen werde. Demgemäß traf den Kläger - auch unabhängig von einer "ins Auge springenden Leistungshöhe" - die Obliegenheit, den Bewilligungsbescheid mit erhöhter Sorgfalt auf die Richtigkeit der daraus ohne weiteres ersichtlichen Lohnsteuerklasse und Leistungsgruppe zu überprüfen. Dies gilt auch dann, wenn er - wie von ihm nunmehr vermutet - die Lohnsteuerkarte für das Jahr 2002 bei seiner Arbeitslosmeldung am 17.12.2001 "dabei hatte" und darüber hinaus auch vorgelegt haben sollte. Denn nachdem die Lohnsteuerklasse bei Abgabe des Antrages am 15.01.2002 - nach Angabe des Klägers an der Pforte - noch immer nicht in das Antragsformular eingetragenen war, durfte sich der Kläger angesichts des Zeitablaufs nicht darauf verlassen, dass sich der Sachbearbeiter an die zutreffende Lohnsteuerklasse erinnern werde.
In Ansehung der danach erhöhten Sorgfaltsobliegenheit hat der Kläger die Unrichtigkeit der - wie bereits oben angeführt - aus dem Bewilligungsbescheid ohne weiteres ersichtlichen Lohnsteuerklasse und Leistungsgruppe zumindest grob fahrlässig nicht erkannt. Denn der Zusammenhang zwischen Leistungsgruppe und Lohnsteuerklasse ergab sich nicht nur aus dem ihm unstreitig auch inhaltlich bekannten Merkblatt für Arbeitslose, sondern auch und insbesondere aus dem auf der Rückseite des Bewilligungsbescheides angebrachten Hinweis Nr. 3 zur Höhe des Arbeitslosengeldes. Nachdem er seit Jahren in Lohnsteuerklasse "V" eingruppiert war, musste ihm nämlich die Angabe, die Zuordnung zu Leistungsgruppe "A" sei auf Grund der Lohnsteuerklasse "I/V" erfolgt, ins Auge springen. Auch durfte er sich ohne grob fahrlässigen Sorgfaltsverstoß nicht mit dem ersichtlich formularmäßig erteilten ergänzenden Hinweis ("Sollte auf ihrer Lohnsteuerkarte eine andere Lohnsteuerklasse eingetragen sein, so konnte ein Lohnsteuerklassenwechsel nicht berücksichtigt werden. Über die Gründe hierzu erhalten Sie einen gesonderten Bescheid.") zufrieden geben. Denn nachdem er wusste, dass er seit Jahren keinen Wechsel der Lohnsteuerklasse vorgenommen hatte, musste sich dem Kläger unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit bei Anstellung einfachster und ganz nahe liegender Überlegungen aufdrängen, dass dieser Hinweis nicht zutraf. Demgemäß war er gehalten, sich über die Rechtmäßigkeit der Zahlung durch Rückfrage beim damaligen Arbeitsamt Gewissheit zu verschaffen (vgl. von Wulffen, a. a. O., RdNr. 24 zu § 45). Dass er dies nicht getan hat, begründet einen besonders schwerwiegenden Sorgfaltsverstoß.
Die Verpflichtung des Klägers zur Erstattung des zu Unrecht bezogenen Alg ergibt sich aus § 50 SGB X. Anhaltspunkte für eine unzutreffende Berechnung des Erstattungsbetrages sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die teilweise Aufhebung der Bewilligung und die Rückforderung von Arbeitslosengeld (Alg).
Der im Jahre 1951 geborene verheiratete Kläger bezog mit verschiedenen Unterbrechungen von Mai 1998 bis Ende Januar 2000 Alg nach Leistungsgruppe "D". Dieser Einstufung lag die von ihm mit am 01.04.1998 unterzeichnetem schriftlichem Antrag zutreffend angegebene und seither jährlich unverändert in die Lohnsteuerkarte des Klägers eingetragene Lohnsteuerklasse "V" zu Grunde. In den nachfolgenden Anträgen des Klägers auf Gewährung von Alg vom 06.05.1999 und vom 22.10.1999 findet sich an der hierfür im verwandten Vordruck vorgesehenen Stelle keine Angabe über die zu Jahresbeginn auf seiner Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuerklasse, sondern lediglich die Mitteilung, die Eintragung sei im Laufe des Jahres nicht geändert worden.
Nach Bezug von Krankengeld und Übergangsgeld meldete sich der Kläger am 17.12.2001 bei der Beklagten erneut arbeitslos und begehrte die Gewährung von Leistungen. In der Folgezeit reichte er einen schriftlichen Antrag auf Bewilligung von Alg ein. Der hierfür verwandte, bei den Akten der Beklagten befindliche Vordruck weist u. a. handschriftlich mit blauer Farbe vorgenommene Eintragungen des Klägers ohne von ihm eingetragene Angabe seiner Lohnsteuerklasse auf. Am Ende der letzten Seite des Formulars finden sich zwei jeweils mit der Datumsangabe 27.12.2001 versehene Unterschriften des Klägers, mit denen einerseits das Zutreffen seiner Angaben und die Kenntnisnahme vom Inhalt des von ihm erhaltenen Merkblatts 1 für Arbeitslose sowie andererseits die Richtigkeit der durch ihn oder die Antragsannahme des Arbeitsamtes vorgenommenen Änderungen bzw. Ergänzungen bestätigt werden. An diesem Tage fand ein Vermittlungs-/Beratungsgespräch zwischen dem Kläger und einem Mitarbeiter der Arbeitsvermittlung und Arbeitsberatung der Beklagten statt, in dessen Rahmen auf Seite 2 des Antragsformulars mit schwarzer Farbe Eintragungen erfolgten und das Handzeichen des Mitarbeiters nebst Datum angebracht wurde. Nach Vorliegen einer vom Kläger geforderten Bescheinigung seiner Krankenversicherung wurde der Vordruck mit dem Eingangsstempel "15.01.02" sowie dem mit grüner Farbe darauf gesetzten Handzeichen eines weiteren Mitarbeiters der Beklagten versehen. Ebenfalls mit grünem Stift wurden die im Formular enthaltenen Angaben abgehakt und ergänzt. Insbesondere ist als zu Jahresbeginn auf der Lohnsteuerkarte des Klägers eingetragene Lohnsteuerklasse handschriftlich mit grüner Farbe auf Seite 4 des Vordrucks "IV" vermerkt.
Mit Bescheid vom 28.01.2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 01.01.2002 Alg nach Leistungsgruppe "A" mit einem wöchentlichen Leistungssatz von EUR 191,94. In den auf der Rückseite des Bescheides erteilten Hinweisen zur Höhe des Arbeitslosengeldes heißt es unter Nr. 3: "Die Zuordnung zur Leistungsgruppe A erfolgte aufgrund der Lohnsteuerklasse I/IV. Sollte auf ihrer Lohnsteuerkarte eine andere Lohnsteuerklasse eingetragen sein, so konnte ein Lohnsteuerklassenwechsel nicht berücksichtigt werden. Über die Gründe hierzu erhalten Sie einen gesonderten Bescheid."
Die bewilligten Leistungen bezog der Kläger bis zum 31.12.2002. Mit Änderungsbescheid vom 21.01.2003 passte die Beklagte bei im übrigen gleichbleibenden Leistungsmerkmalen den wöchentlichen Leistungssatz an die Leistungsentgeltverordnung 2003 an und setzte diesen für die Zeit ab dem 01.01.2003 auf EUR 190,68 fest. Entsprechende Zahlungen wurden bis zur Erschöpfung des Anspruchs mit Ablauf des 12.02.2003 an den Kläger geleistet.
Am 26.02.2003 beantragte der Kläger die Gewährung von Arbeitslosenhilfe. Dabei gab er an, er sei in Lohnsteuerklasse "V" eingestuft und legte seine mit entsprechenden Eintragungen versehenen Lohnsteuerkarten für die Jahre 2002 und 2003 vor.
Nach erfolgter Anhörung des Klägers nahm die Beklagte mit Bescheid vom 25.03.2003 die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.01.2002 bis zum 12.02.2003 teilweise zurück und forderte den Kläger zur Erstattung zu Unrecht gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von EUR 3064,08 auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe Leistungen nach Steuerklasse "IV" = Leistungsgruppe "A" erhalten, obwohl die Steuerklasse "V" = Leistungsgruppe "D" auf der Steuerkarte eingetragen sei. Er habe erkennen können, dass die Bewilligung fehlerhaft gewesen sein. Sofern er den Fehler nicht erkannt hatte, weil er das ihm ausgehändigte Merkblatts für Arbeitslose nicht gelesen habe, so sei dies als grobe Fahrlässigkeit zu bewerten.
Der Kläger erhob Widerspruch, zu dessen Begründung er vortrug, der Eintrag der unzutreffenden Lohnsteuerklasse im von ihm am 27.12.2001 unterschriebenen Antragsvordruck stamme nicht von ihm, sondern von einem Mitarbeiter der Beklagten. Dass dies auf eine von seiner Seite erfolgte fehlerhafte Angabe zurückgehe, sei unwahrscheinlich. Eine grob fahrlässige Unkenntnis von der Fehlerhaftigkeit des Bewilligungsbescheides könne ihm nicht vorgeworfen werden, da die Leistungshöhe seinen Erwartungen entsprochen habe und er nicht verpflichtet gewesen sei, die Richtigkeit der eingesetzten Leistungsgruppe zu überprüfen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In den Gründen heißt es, der Kläger habe in seinem Antrag nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Angaben gemacht und darüber hinaus auch angesichts der Leistungshöhe grob fahrlässig gehandelt.
Am 17.06.2003 hat der Kläger beim Sozialgericht Konstanz (SG) Klage erhoben und vorgetragen, er habe das Antragsformular am 27.12.2001 ausgefüllt und unterschrieben. Dabei habe er die Frage zur Lohnsteuerklasse übersehen oder vergessen, entsprechende Angaben einzutragen. Danach habe er den Antrag an der Pforte des Arbeitsamtes abgegeben. Die mit grünem Stift vorgenommenen Ergänzungen seien in der Folgezeit ohne weitere Nachfrage von einem Mitarbeiter der Beklagten vorgenommen worden.
Mit Gerichtsbescheid vom 10.05.2004 hat das SG den Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 25.03.2003 und den Widerspruchsbescheid vom 23.05.2003 aufgehoben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe die unzutreffende Lohnsteuerklasse nicht selbst in den Antragsvordruck eingetragen. Angesichts des Umstandes, dass der Eingangsvermerk vom 15.01.2002 mit Grünstift abgezeichnet sei, dränge es sich auf, dass der ebenfalls mit Grünstift erfolgte Eintrag der Lohnsteuerklasse erst nach Unterschriftsleistung des Klägers erfolgt sei und ihm daher nicht zugerechnet werden könne. Dass er die Frage nach der Lohnsteuerklasse nicht beantwortet habe, sei nach dem regelmäßigen Geschäftsgang ohne Bedeutung. Unvollständigkeiten seien nämlich für eine fehlerhafte Bewilligung allenfalls dann ursächlich, wenn sie nach Überprüfung des Antrages im Beisein des Antragstellers verblieben. Schließlich habe sich dem Kläger die Unrichtigkeit des Bewilligungsbescheides auch nicht aufdrängen müssen. Denn zum einen habe die Beklagte selbst die Rechtswidrigkeit nicht erkannt. Zum anderen sei das ihm bewilligte Alg geringer gewesen, als das von ihm zuvor bezogene Übergangsgeld. Demgemäß habe auch kein Anlass zur Überprüfung der Bemessungsfaktoren oder zur Nachfrage beim Arbeitsamt bestanden. Diese Entscheidung ist der Beklagten am 13.05.2004 zugestellt worden.
Am 14.06.2004, einem Montag, hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie trägt vor, es sei nicht ersichtlich, weshalb der unzutreffende Eintrag der Lohnsteuerklasse im Antragsvordruck ohne Wissen des Klägers erfolgt sein solle. Darüber hinaus habe dem Kläger angesichts der dem Bewilligungsbescheid beigefügten Hinweise die Fehlerhaftigkeit der Zuordnung zur Leistungsgruppe "A" selbst bei oberflächlicher Prüfung klar sein müssen. Demgegenüber sei von ihrer Seite die Rechtswidrigkeit der Bewilligung seinerzeit nicht zu erkennen gewesen.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 10. Mai 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil und trägt ergänzend vor, er habe die Lohnsteuerkarte für das Jahr 2002 wohl bei der seinerzeitigen Arbeitslosmeldung dabei gehabt. Dies erkläre auch, weshalb er nicht aufgefordert worden sei, eine Lohnsteuerkarte vorzulegen. Im übrigen ergebe sich aus Nr. 3 der dem Bewilligungsbescheid beigefügten Hinweise, wonach die Beklagte aus anderen Gründen von einer anderen als der in der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse ausgegangen sei, dass er keine Veranlassung gehabt habe, wegen der erfolgten Eingruppierung Maßnahmen zu ergreifen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten, die beigezogenen Leistungsakten der Beklagten sowie die gleichfalls beigezogenen Akten des Sozialgerichts Konstanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das SG den Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 25.03.2003 und deren Widerspruchsbescheid vom 23.05.2003 aufgehoben. Denn die genannten Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage ist darum unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG vom 10.05.2004 abzuweisen.
Rechtsgrundlage der angegriffenen Rücknahmeentscheidung der Beklagten ist § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i. V. mit § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Nach § 45 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, auch nach Unanfechtbarkeit, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X schließt die Rücknahme aus, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Letzteres ist nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X in der Regel der Fall, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gem. § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X hingegen nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Nur in diesen Fällen, sowie bei Vorliegen von Wiederaufnahmegründen entsprechend § 580 Zivilprozessordnung (ZPO) wird der Verwaltungsakt gemäß § 45 Abs. 4 SGB X mit Wirkung (auch) für die Vergangenheit zurückgenommen, wobei diese Entscheidung im Ermessen der Behörde steht. Allerdings bestimmt § 330 Abs. 2 SGB III, dass ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X zwingend mit Wirkung auch für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung und im Falle der Rücknahme eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit sind dabei die Fristen des § 45 Abs. 3 und Abs. 4 SGB X zu beachten.
Die danach erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen für die - innerhalb der Fristen des § 45 Abs. 3 und Abs. 4 SGB X erfolgte und gem. § 330 Abs. 2 SGB III auf der Rechtsfolgenseite zwingende - Teilrücknahme der zu Gunsten des Klägers erfolgten Bewilligung von Alg für die Zeit vom 01.01.2002 bis zum 12.02. 2003 sind erfüllt. Denn der Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 28.01.2002 und deren Änderungsbescheid vom 21.02.2003 waren bereits im Zeitpunkt ihres Erlasses insoweit rechtswidrig, als dem Kläger über die ihm angesichts der auf seiner Lohnsteuerkarte eingetragenen Steuerklasse "V" zustehenden Leistungen nach Leistungsgruppe "D" hinaus Zahlungen nach der auf der Steuerklasse "IV" beruhenden Leistungsgruppe "A" bewilligt wurden. Auch lässt sich der Teilrücknahme des rechtswidrigen Bewilligungsbescheides wegen § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht mit Erfolg entgegenhalten, der Kläger habe i. S. d. § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut.
Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger selbst - wofür nahezu alles spricht - im Rahmen der Stellung seines Antrages auf Gewährung von Alg die unzutreffende Lohnsteuerklasse "IV" gegenüber der Beklagten angegeben hat oder
Dies gilt unabhängig von der Frage, ob vorliegend bereits die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X erfüllt sind. Daher kommt es nicht darauf an, ob der Kläger - wofür nahezu alles spricht - im Rahmen der Stellung seines Antrages auf Gewährung von Alg selbst gegenüber der Beklagten angegeben hat, er sei in Lohnsteuerklasse "IV" eingruppiert und damit der zurückgenommene Verwaltungsakt auf von ihm in wesentlicher Beziehung unrichtig gemachten Angaben beruht. Ebenso kann offen bleiben, ob das vom Kläger demgegenüber vorgetragene gänzliche Fehlen eigener Angaben in Bezug auf die im Antragsformular erfragte Lohnsteuerklasse einen Verlust des Vertrauensschutzes zur Folge hätte oder es infolge einer "eigenmächtigen" Vervollständigung seines Antrages durch einen Mitarbeiter der Beklagten an der nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X erforderlichen Kausalität zwischen unvollständiger Angabe und Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts mangelte. Denn der Kläger vermag sich jedenfalls deshalb nicht auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zu berufen, weil er die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides und damit auch diejenige des Änderungsbescheides vom 21.02.2003 - durch den bei im übrigen gleichbleibenden Leistungsmerkmalen lediglich der wöchentliche Leistungssatz an die Leistungsentgeltverordnung 2003 angepasst wurde - bereits im Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidungen kannte oder zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Grobe Fahrlässigkeit i. S. des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X liegt nach der in dieser Vorschrift enthaltenen Legaldefinition vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist dann der Fall, wenn die in der fraglichen Personengruppe herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt worden sind und daher nicht beachtet worden ist, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff). Dabei ist auch in subjektiver Hinsicht ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden nötig. Der Versicherte muss danach unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße verletzt haben. Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Allerdings können "Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung", auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind (vgl. zu alledem BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R -, SozR 3-1300 § 45 Nr 45 = FEVS 52, 494-499 m. w. N.; von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, RdNr. 24 zu § 45).
In Anwendung dieser Grundsätze beruht die vom Kläger angegebene Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheides vom 28.01.2002 und damit auch des Änderungsbescheides vom 21.02.2003 auf einem grob fahrlässigen Sorgfaltsverstoß.
Anders als der Kläger meint, bestand zu seinen Lasten zunächst die aus dem Sozialrechtsverhältnis herzuleitende Obliegenheit, den erteilten Bewilligungsbescheid zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (vgl. auch hierzu BSG, Urt. vom 08.02.2001, a. a. O.). In diesem Rahmen dürfte zwar ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, im allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten sein, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, da er davon ausgehen darf, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt (vgl. BSG, Urt. vom 08.02.2001, a. a. O.). Indes liegt eine solchermaßen zutreffende Angabe des Klägers hier in Bezug auf die in seine Lohnsteuerkarte eingetragene Steuerklasse nicht vor. Vielmehr hat er - unter Zugrundelegung seiner eigenen Angaben - die im Antragsformular zur Bewilligung von Arbeitslosengeld ausdrücklich erbetene schriftliche Beantwortung der Frage nach seiner Lohnsteuerklasse (zumindest) unterlassen. Angesichts dessen durfte er sich auch nicht darauf verlassen, dass die Beklagte der Berechnung seines Alg-Anspruchs die zutreffende Lohnsteuerklasse und damit die zutreffende Leistungsgruppe zu Grunde legen werde. Demgemäß traf den Kläger - auch unabhängig von einer "ins Auge springenden Leistungshöhe" - die Obliegenheit, den Bewilligungsbescheid mit erhöhter Sorgfalt auf die Richtigkeit der daraus ohne weiteres ersichtlichen Lohnsteuerklasse und Leistungsgruppe zu überprüfen. Dies gilt auch dann, wenn er - wie von ihm nunmehr vermutet - die Lohnsteuerkarte für das Jahr 2002 bei seiner Arbeitslosmeldung am 17.12.2001 "dabei hatte" und darüber hinaus auch vorgelegt haben sollte. Denn nachdem die Lohnsteuerklasse bei Abgabe des Antrages am 15.01.2002 - nach Angabe des Klägers an der Pforte - noch immer nicht in das Antragsformular eingetragenen war, durfte sich der Kläger angesichts des Zeitablaufs nicht darauf verlassen, dass sich der Sachbearbeiter an die zutreffende Lohnsteuerklasse erinnern werde.
In Ansehung der danach erhöhten Sorgfaltsobliegenheit hat der Kläger die Unrichtigkeit der - wie bereits oben angeführt - aus dem Bewilligungsbescheid ohne weiteres ersichtlichen Lohnsteuerklasse und Leistungsgruppe zumindest grob fahrlässig nicht erkannt. Denn der Zusammenhang zwischen Leistungsgruppe und Lohnsteuerklasse ergab sich nicht nur aus dem ihm unstreitig auch inhaltlich bekannten Merkblatt für Arbeitslose, sondern auch und insbesondere aus dem auf der Rückseite des Bewilligungsbescheides angebrachten Hinweis Nr. 3 zur Höhe des Arbeitslosengeldes. Nachdem er seit Jahren in Lohnsteuerklasse "V" eingruppiert war, musste ihm nämlich die Angabe, die Zuordnung zu Leistungsgruppe "A" sei auf Grund der Lohnsteuerklasse "I/V" erfolgt, ins Auge springen. Auch durfte er sich ohne grob fahrlässigen Sorgfaltsverstoß nicht mit dem ersichtlich formularmäßig erteilten ergänzenden Hinweis ("Sollte auf ihrer Lohnsteuerkarte eine andere Lohnsteuerklasse eingetragen sein, so konnte ein Lohnsteuerklassenwechsel nicht berücksichtigt werden. Über die Gründe hierzu erhalten Sie einen gesonderten Bescheid.") zufrieden geben. Denn nachdem er wusste, dass er seit Jahren keinen Wechsel der Lohnsteuerklasse vorgenommen hatte, musste sich dem Kläger unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit bei Anstellung einfachster und ganz nahe liegender Überlegungen aufdrängen, dass dieser Hinweis nicht zutraf. Demgemäß war er gehalten, sich über die Rechtmäßigkeit der Zahlung durch Rückfrage beim damaligen Arbeitsamt Gewissheit zu verschaffen (vgl. von Wulffen, a. a. O., RdNr. 24 zu § 45). Dass er dies nicht getan hat, begründet einen besonders schwerwiegenden Sorgfaltsverstoß.
Die Verpflichtung des Klägers zur Erstattung des zu Unrecht bezogenen Alg ergibt sich aus § 50 SGB X. Anhaltspunkte für eine unzutreffende Berechnung des Erstattungsbetrages sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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