L 7 AL 3905/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AL 2796/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AL 3905/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. Juli 2005 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) wegen des Eintritts einer Sperrzeit in der Zeit vom 11. Juni bis 2. September 2003. Der am 1980 geborene Kläger nahm am 19. Mai 2003 ein Beschäftigungsverhältnis als Holzbearbeiter bei der Firma M. auf. Am 20. Juni 2003 meldete er sich arbeitslos und gab an, vom 19. Mai bis 16. Juni 2003 gearbeitet zu haben. In der Arbeitsbescheinigung erklärte der Arbeitgeber, der Kläger sei als Maschinenhelfer/-bediener angestellt gewesen. Die Kündigung sei am 10. Juni 2003 fristlos während der Probezeit erfolgt. Der Kläger habe sich unentschuldigt vom Arbeitsplatz entfernt. Mit Bescheid vom 8. August 2003 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit für die Zeit vom 11. Juni bis 2. September 2003 fest. Der Kläger habe durch unentschuldigtes Fehlen eine fristlose Kündigung herbeigeführt. Während der Sperrzeit ruhe der Anspruch auf Alg. Ferner sei eine Minderung der Anspruchsdauer um 84 Tage eingetreten. Der vom Kläger gegen den Bescheid erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 25. August 2003 zurückgewiesen. Dagegen hat der Kläger am 24. September 2003 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, am Dienstag, den 10. Juni 2003 beim Arzt gewesen zu sein. Gegen 9.30 Uhr habe er bei seinem Arbeitgeber, der Firma M. angerufen. Frau Mö. habe ihr Einverständnis zu seinem weiteren Fernbleiben gegeben. Am Dienstagabend habe seine Schwester die Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung in den Briefkasten seines Arbeitgebers eingeworfen. Der Kläger hat dazu eine Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. W. vorgelegt, der für die Zeit vom 2. Juni bis 13. Juni 2003 eine Arbeitsunfähigkeit wegen Lumboischialgie und Infektion der oberen Luftwege bescheinigte.

Mit Urteil vom 21. Juli 2005 hat das SG die Klage abgewiesen; wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das dem Kläger durch Einschreiben mit Rückschein am 11. August 2005 zugestellte Urteil verwiesen.

Am 15. September 2005 hat der Kläger zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim SG Berufung zum Landessozialgericht eingelegt und zugleich die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist mit der Begründung beantragt, er sei er nicht zu Hause gewesen, als das Urteil zugestellt worden sei und habe deshalb eine Benachrichtigungskarte in seinem Briefkasten vorgefunden. Am anderen Tag habe er das Urteil bei der Post abholen wollen, wo ihm gesagt worden sei, dass der Briefträger seine Post irgendwo anders hingeschickt habe. Als das Urteil dann am nächsten Tag nicht im Briefkasten gewesen sei, sei er am anderen Tag wieder zur Post gegangen. Laut dem in der Akte befindlichen Rückschein habe er das Urteil somit am 11. August erhalten. Auf dem Briefumschlag habe sich allerdings ein Datumsstempel vom 16. August 2005 befunden. Durch diesen Stempel sei er irrtümlich davon ausgegangen, dass er spätestens bis 16. September Berufung einlegen müsse.

Auf die gerichtliche Verfügung vom 10. November 2005 hat der Kläger am 1. Dezember 2005 den angesprochenen Briefumschlag vorgelegt.

Mit Verfügung vom 1. Juni 2006 sind die Beteiligten auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung durch Beschluss als unzulässig hingewiesen worden; hierauf ist seitens des Klägers keine Reaktion erfolgt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren und das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. Juli 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. August 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld im gesetzlichem Umfang vom 20. Juni - 2. September 2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen. II.

Die Berufung des Klägers ist unzulässig.

Nach § 158 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt worden ist. Die Entscheidung kann nach Satz 2 der Bestimmung durch Beschluss ergehen; der Senat hat hiervon nach dem ihm eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht. Die Beteiligten haben im Rahmen des rechtlichen Gehörs Gelegenheit erhalten, sich zur beabsichtigten Verwerfung der Berufung durch Beschluss zu äußern; Einwendungen hiergegen sind nicht erhoben worden.

Die Berufung des Klägers ist zwar im Sinne des § 151 Abs. 1 und 2 SGG formgerecht eingelegt worden; auch die Berufungsbeschränkungen des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG greifen nicht ein, weil der Beschwerdewert weit mehr als 500,00 EUR beträgt. Die Berufung ist jedoch unzulässig, weil der Kläger nicht rechtzeitig Berufung eingelegt hat.

Nach § 151 Absatz 1 SGG ist die Berufung binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (§ 151 Abs. 2 Satz 1 SGG). Urteile, die - wie hier - verkündet worden sind, sind zuzustellen (§ 135 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG); zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung - ZPO - (vgl. § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG). Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tage nach der Zustellung. Eine nach Monaten bestimmte Frist endet mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach der Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt - hier also die Zustellung - fällt (§ 64 Abs. 2 Satz 1 SGG); fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (Abs. 3 a.a.O.). Vorliegend ist die Berufungsfrist versäumt, ohne dass Wiedereinsetzungsgründe gegeben sind.

Das mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung (vgl. § 136 Abs. 1 Nr. 7 SGG i.V.m. § 66 SGG) versehene Urteil des SG vom 21. Juli 2005 ist dem Kläger am 11. August 2005 durch Einschreiben mit Rückschein (§ 175 ZPO) wirksam zugestellt worden. Damit endete die Berufungsfrist (§ 151 Abs. 1 SGG) für den Kläger am Montag, den 12. September 2005. Die Berufung wurde beim SG aber erst am 15. September 2005 und damit verspätet eingelegt.

Wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung kann dem Kläger auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Wiedereinsetzung ist (nur) zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Dies ist dann der Fall, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt aufgewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 67 Rz. 3 m.w.N.). Gründe, welche den Kläger ohne sein Verschulden an einer rechtzeitigen Einlegung der Berufung gehindert haben, sind von ihm nicht glaubhaft gemacht worden. Soweit er vorträgt, trotz ordnungsgemäßer - und von ihm durch eigenhändige Unterschrift auf dem Rückschein bestätigter - Zustellung des Urteils des SG am 11. August 2005 aufgrund des auf dem Briefumschlag angebrachten Datumsstempels (16. August 2005) davon ausgegangen zu sein, die Berufungsfrist laufe bis 16. September 2005, beruft er sich auf einen Rechtsirrtum. Ein solcher Rechtsirrtum ist nach allgemeinen Grundsatz nur dann unverschuldet, wenn der Beteiligte den Irrtum auch bei sorgfältiger Prüfung nicht vermeiden konnte (BVerwG, NVwZ-RR 99, 538; VGH Baden-Württ., NVwZ-RR 2002, 6; vgl. auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl, § 67 Rz. 8a). Hiervon ist indessen vorliegend nicht auszugehen, da es dem Kläger möglich und zumutbar war, die Rechtsmittelbelehrung des Urteils zu lesen und zu beachten und sich bei etwaigen Zweifeln über den Fristenlauf sachkundig beraten zu lassen. Er durfte insbesondere nicht davon ausgehen, die Berufungsfrist beginne trotz ordnungsgemäßer Zustellung des Urteils und entgegen der dortigen Rechtsmittelbelehrung erst ab einem späteren Zeitpunkt zu laufen.

Eine Prüfung des klägerischen Begehrens in der Sache ist dem Senat mithin verwehrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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